Springe direkt zu Inhalt

Abstracts

Weitere Informationen:
Konzept der Konferenz
Programm
→ Veranstaltungsort
→ Flyer
Medien

 

Eröffnung

Keynote

Essen als Selbsttechnik. Gesundheitsorientierte Ernährung um 1900
Maren Möhring (Leipzig)

Die enge Verknüpfung von Gesundheit und Ernährung seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat zu neuen Formen der (Selbst-)Regulierung geführt, die für eine Genealogie heutiger Gesellschaften und Subjektivierungsweisen hoch relevant sind. Im ersten Teil des Vortrags sollen – ausgehend von den aktuellen Debatten um Adipositas – einige grundsätzliche Überlegungen zum Nexus von Gesundheit und Ernährung vorgestellt werden, die im Rahmen des von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsverbunds „Ernährung, Gesundheit und soziale Ordnung in der Moderne“ entwickelt worden sind. Im zweiten Teil des Vortrags werden dann am Beispiel des Lebensreformers Richard Ungewitter (1869–1958) und seiner Ernährungspraktiken Verwissenschaftlichungs-, Regulierungs- und vor allem Subjektivierungsprozesse in ihrem Zusammenspiel analysiert.

   
PANEL 1: SELBSTREGULIERUNG
// Moderation: Dorothee Brantz (Berlin)
11:30 Uhr 

Body Politics. Food Restriction, Subjectivity and the East German State
Neula Kerr-Boyle (London) 

Focusing on food-restricting practices, such as dieting and self-starvation (anorexia nervosa), this paper explores the dynamic interaction between the East German state and its citizens. It investigates the ways in which state-sponsored health propaganda helped to create a discursive context in which, by the 1970s and 1980s, food-restricting practices had become a part of everyday life in the GDR. It argues that these practices highlight some of the ways in which East Germans constructed individual subject positions through a process of negotiation with the cultural discourses available to them, within the specific material conditions of the East German “shortage economy”.


Hungerstreik. Zur Geschichte der Nahrungsweigerung als Praxis politischen Protests in den USA, 1880er–1930er Jahre
Maximilian Buschmann (München) 

Der Beitrag geht der Etablierung von Hungerstreiks seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nach. Die Nahrungsverweigerung in staatlicher Obhut wird dabei als Mittel des politischen Protests und als Technik der Selbstregulierung und somit als politische, körperliche und ästhetische Praxis in den Blick genommen. Die Anwendung von Hungerstreiks in den USA dient hier als Ausgangspunkt, jedoch vor dem Hintergrund transnationaler Aneignungs- und Rezeptionsprozesse. Denn die Hungerstreiks politischer Gefangener in Russland und britischer Suffragetten sowie die politischen Fastenaktionen von Mohandas Gandhi prägten die Debatten über Hungerstreiks, aber auch die Form der Praxis selbst.


Die Lösung aller Probleme? Vegetarismus im Deutschen Kaiserreich und heute
Annette Leiderer (Freiburg) 

Als sich im Kaiserreich der moderne deutsche Vegetarismus formierte, galt er als sonderbar und gefährlich für Volk und Vaterland; heute hingegen steht er für eine erstrebenswerte Lebensweise – national und global. Dieser Statuswandel wird im Vortrag analysiert: Argumentation und Rezeption vegetarischer Lösungsansätze zu medizinischen, wirtschaftlichen und ethischen Fragen beider Epochen werden gegenübergestellt und in den historischen Kontext eingeordnet. Insgesamt wird deutlich, dass der Status des heutigen Vegetarismus von Verunsicherungen des Menschenbildes im 20. Jahrhundert profitiert.

   
PANEL 2: PERSPEKTIVEN GLOBAL
// Moderation: Hubertus Büschel (Groningen)
14:15 Uhr 

Das kommt uns nicht auf den Tisch! Aushandlungen von Lebensmittelrisiken in Japan seit den 1960er Jahren
Cornelia Reiher (Berlin)

Der Vortrag analysiert den Wandel von Diskursen über Lebensmittelrisiken in Japan von den 1960er Jahren bis heute sowie die komplexen Akteurs-Netzwerke innerhalb derer definiert wird, was gesund ist und ab welcher Dosis und für wen bestimmte Substanzen in Lebensmitteln schädlich sein können. Hier kommt Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern eine besondere Bedeutung zu, die Ministerien und staatliche Behörden, aber auch zivilgesellschaftliche Akteure beraten. Mit dem Verweis auf „Wissenschaftlichkeit“ werden Diskurse über Lebensmittelrisiken ermöglicht, mitunter aber auch von Seiten der japanischen Regierung oder der Lebensmittelindustrie unterbunden.


Kein Defekt der Rasse, sondern des Hungers. Ernährungswissenschaft und Ernährungspolitik im brasilianischen Estado Novo, 1930–1945
Sören Brinkmann (Eichstätt-Ingolstadt)

Wie kaum ein anderes „modernes“ Nahrungsmittel verdankt die Kuhmilch ihren Aufstieg zum Grundnahrungsmittel dem Zusammenspiel von Ernährungswissenschaft und Gesundheitspolitik, die deren täglichen Konsum seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Schlüsselfaktor der Volksgesundheit stilisierten. Wie allerdings gerade der Blick auf viele Länder der Südhalbkugel zeigt, war dies eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung für den Weg in den Massenkonsum. Am Beispiel von Rio de Janeiro untersucht der Vortrag die Rezeption der neuen Lehren in Brasilien sowie die „milchpolitische“ Intervention des brasilianischen Staates in der sogenannten Vargas-Ära.


„Die Lebensmittelverfälschung berührt nicht nur die Interessen der Volksgesundheit …“ Lebensmittelkonsum, Lebensmittelhygiene und Verbraucherschutz im Zarenreich vor dem Ersten Weltkrieg
Lutz Häfner (Göttingen)

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brach sich das Gesundheitsdispositiv im Zarenreich Bahn. Allerdings war die Zeit weiterhin charakterisiert durch eine sehr hohe Kindersterblichkeit infolge falscher Ernährung sowie des Konsums mit Tbc-Bakterien infizierter Milch. Nicht nur wegen des Alkoholismus, sondern auch wegen ubiquitärer Warnungen in St. Petersburg kein ungekochtes Wasser zu konsumieren, gilt es, den Begriff des „Nicht-Essens“ um das „Nicht-Trinken“ zu erweitern. Nach der Hungersnot von 1891/1892 mit etwa 500.000 Toten litt die breite Masse zwar keinen Hunger mehr, war aber von einer Überflussgesellschaft noch weit entfernt. Weiterhin regulierten ökonomische Rahmenbedingungen und religiöse Gebote die Ernährung stärker als neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus Lebensmittelchemie und Medizin.

   
PANEL 3: WISSEN UND WISSENSCHAFT
// Moderation: Paul Nolte (Berlin)
16:45 Uhr 

Watch Your Weight, Don't Overeat. On the History of the Calorie in the USA, 1880s–1920s
Nina Mackert (Erfurt)

Die Kalorie wurde in den USA des späten 19. Jahrhunderts als Maßeinheit für den Energiegehalt von Nahrungsmitteln eingeführt. Sie machte es möglich, erstmals die Ernährungsweisen von Populationen und Individuen miteinander zu vergleichen und zu regulieren. Mit neuem Wissen über Diäten und Gewichtsverlust wurde die Kalorie überdies zunehmend zur Handlungsaufforderung für Individuen, nicht (mehr) alles zu essen. Der Vortrag wird zeigen, wie sich die Kalorie seit den 1880er Jahren in metabolischen Experimenten und Diätpraktiken als Maßeinheit des Verhältnisses von Nahrungsaufnahme, Körpergewicht, Gesundheit und Ernährung etablierte und als Subjektivierungstechnologie entfaltete.


In the Need of Fat and Vitamins. On Alliances Between Science, Industry and the State in Norway, 1910–1960
Kari Tove Elvbakken (Bergen) and Annette Lykknes (Trondheim) 

Food and nutrition were themes in hygiene from the 1870s onwards, and insights from hygiene were used by the authorities to inform the public on nutrition. Scientists cooperated with food and pharmaceutical industry. We focus on the Norwegian state employed chemist and professor of organic chemistry, Sigval Schmidt-Nielsen (1877–1956). We explore his scientific activity, his consulting for the industry and his work for the health authorities. Thereby, we shed light on the relations between science, industry and the authorities on health and nutrition between 1910 and 1960, an important period for the forming of knowledge and food practices, in times of food shortage as well as abundance.


Hedwig Heyl, the Berlin Lyceum Club, and Evolving Concepts of Health, Nutrition, and Women's Identity During the Wilhelmine Era
Christa Spreizer (New York)

This paper looks at the nexus of national health and nutrition practices and women’s identity through the works and lives of members of the Berlin Lyceum Club, most notably its leader Hedwig Heyl (1850–1934). An influential industrialist and philanthropist, Heyl’s organization of the 1912 club-sponsored exhibition, “Die Frau in Haus und Beruf”, was a collaborative effort of the women’s movement, industry, commerce, and agriculture. Women’s roles at home and in the professions were to be inclusionary – displays sought to foster career and family development along with “good taste” in both aesthetic and in nutritional terms. This exhibition and other club events highlight how diet, exercise, health, and hygiene were to complement women’s new, proactive, national identity in Wilhelmine society.

Logo_Didaktik