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Lisa Sophie Gebhard

Lisa Sophie Gebhard

Lisa Sophie Gebhard
Bildquelle: privat

Juden als Kulturvermittler in „Greater Palestine“. Davis Trietsch und die kolonialen Ambitionen früher deutscher Zionisten

 

Die territorialen Konzepte deutscher Zionisten und die von ihnen vorgebrachten Siedlungsmethoden, durch die sie ihre kolonialen Ambitionen zu verwirklichen trachteten, bieten einen aussichtsreichen Zugang zur Geschichte des frühen Zionismus. Auf der Höhe ihres politischen Einflusses entwickelte diese Gruppe selbst ernannter Experten einen reichen Diskurs über den Raum Palästina und die verschiedenen Möglichkeiten, ihn für das zionistische Aufbauwerk nutzbar zu machen. Das Ziel der Dissertation ist es, diese Diskussionen im zeitgenössischen Kontext zu verorten, indem die Motivation der Akteure und die sie prägenden Bezugspunkte eingehend beleuchtet werden. Die territorialen Lösungsvorschläge und Strategien dieser Männer sollen vor dem Hintergrund ihrer zeitgenössischen Ideengehalte das erste Mal systematisch besprochen werden.  

Im Mittelpunkt stehen die vielseitigen Aktivitäten des zionistischen Schriftstellers Davis Trietsch (1870–1935) und dessen Konzept eines „Größeren Palästina“. Sein unermüdliches Eintreten für praktische Siedlungsarbeiten und die von ihm hierzu initiierten Projekte gilt es eingehend darzulegen. Auf diese Weise soll er als sozialer Akteur in seiner Zeit erfasst werden, dessen facettenreiches Lebenswerk erstmals ausführlich besprochen wird.

Während die meisten Zionisten das jüdische Aufbauwerk im engeren, osmanischen Palästina verorteten, entwickelte Trietsch frühzeitig das Konzept eines „Größeren Palästina“. Als ein Visionär in Eile, der sich stets selbst als befähigten Baumeister der künftigen jüdischen Heimstätte erachtete, forderte er – angesichts restriktiver türkischer Gesetze – auch die palästinensischen Nachbarländer zu besiedeln. Bereits 1899 hob er auf die besondere Bedeutung der Insel Zypern ab, für dessen Kolonisation er sich als führender Vertreter zeitlebens aussprach.

Die hochtrabenden Siedlungspläne der deutschen Zionisten sollen anhand der sie umgebenden vielfältigen Ideenwelt untersucht werden, in deren Umfeld Konzepte wie das eines „Größeren Palästina“ gedeihen konnten. Zu diesem Zweck soll vor allem dem Einfluss kolonialen Denkens auf Trietsch nachgegangen werden, indem weitere seinerzeit populäre Raumkonzepte wie das eines „Größeren Deutschland“ oder „Greater Britain“ vergleichend herangezogen werden.

 

Der zweite Teil der Studie, der gleichsam den Weg hin zu einer biografischen Annäherung an Trietsch im Kontext seiner Zeit ebnen soll, nimmt die von ihm proponierten Siedlungsmethoden und -techniken in den Blick. Beide Aspekte sind eng miteinander verflochten, da neue Technologien eine tiefgreifende Umwandlung in der Art und Weise hervorriefen, wie die Welt damals wahrgenommen wurde, wodurch sich imperiale Raumkonzepte erst herausbildeten. Die von Trietsch vorgebrachten Siedlungspläne zeigen, wie sehr sie von zeitgenössischen Theorien, vor allem im Umfeld der Lebensreformbewegung, geprägt waren. Dieser Einfluss, entlang dem die frühen deutschen Zionisten nicht nur ihre Territorialbegriffe, sondern auch ihre Siedlungskonzepte entwickelten, gilt es zu analysieren.

Mit Blick auf die Gedankenwelt Trietschs und seine daraus abgeleiteten praktischen Handlungsweisen ist hervorzuheben, dass er überaus aufmerksam die kolonialen Praktiken der Großmächte studierte, um aus ihren Erfahrungen zu lernen. Diese Aneignung kolonialen Wissens durch deutsche Zionisten wurde von der Forschung bislang fast ausschließlich vor dem Hintergrund des Einflusses Deutschlands aufgezeigt. Für die vorliegende Studie von großem Interesse ist daher die Frage, inwieweit seine Siedlungspläne auf Wissens- und Erfahrungsbeständen außerhalb des deutschen Einflussbereichs fußten. Indem er primär Techniken im Auge hatte, die damals im British Empire und den Vereinigten Staaten, allen voran in Zypern und Kalifornien, entwickelt wurden, dürfen Trietschs Aktivitäten im Vergleich zu denen anderer deutscher Zionisten als „kosmopolitischer“ betrachtet werden. In diesem Sinne soll er als ein vielseitig vernetzter „entrepreneur des Wissens“ porträtiert werden, der mehrere zukunftweisende Projekte anregte, deren britischen und amerikanischen Einfluss es nachzuspüren bedarf.

Hier gelangen Sie zur englischen Version.


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Seit Oktober 2016 Stipendiatin des Leo Baeck Fellowship Programms

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lisa.gebhard[at]fu-berlin.de

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