Forschungen am ältesten Gräberfeld Deutschlands
Der mesolithische Bestattungsplatz von Groß Fredenwalde, Uckermark
Abb. 1. Groß Fredenwalde, Uckermark: Der örtliche Grabungsleiter Dr. Andreas Kotula und die Studentin Laronne Armstrong bei der Freilegung eines der Gräber (Foto: Henny Piezonka, FU).
Projektteam (FU):
Prof. Dr. Henny Piezonka, Institut für Prähistorische Archäologie (Projektleitung)
Kooperationspartner*innen:
Prof. Dr. Thomas Terberger, Universität Göttingen (Projektleitung)
Prof. Dr. Franz Schopper, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege (Projektleitung)
Prof. Dr. Thomas Schenk, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Projektleitung)
Dr. Matthias Hüls, Kiel (14C-Daterungen)
Dr. Bettina Jungklaus, Berlin (Physische Anthropologie)
Hans-Christian Küchelmann, Bremen (Taphonomie, Verbissspuren)
Prof. Dr. Kerstin Lidén, Stockholm (SR-Isotopie)
Dr. Sebastian Lorenz, Universität Greifswald (Geowissenschaften)
Dr. João Marraeiros, Leibniz-Zentrum für Archäologie (Gebrauchsspuren)
Dr. Anđa Petrović & Dr. Aimée Little, York (Gebrauchsspuren)
Prof. Dr. Cosimo Posth, Tübingen (Paläogenetik)
Kristina Scheelen-Nováček M.A., Göttingen (Dünnschliff Altersbestimmung)
Dr. Magdalena Wieckowska-Lüth, Kiel (Pollenanalyse)
Laufzeit: 2018-2022
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Projektnummer: 403845689)
Projektbeschreibung:
Ein prominenter Platz
Der Weinberg bei Groß Fredenwalde ist nicht nur eine prominente Landmarke der Uckermark (Brandenburg), sondern auch Fundort einer archäologischen Sensation: Vor 8.500 Jahren haben auf dem Hügel mittelsteinzeitliche Menschen einen Bestattungsplatz angelegt. Mit mindestens zwölf Körperbestattungen aus dem 7.-5. Jahrtausend v. Chr. handelt es sich um das älteste im deutschsprachigen Raum bekannte mesolithische Gräberfeld. Die Universitäten Göttingen und Kiel sowie die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin erforschten den Platz gemeinsam mit der Landesarchäologie Brandenburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte das Forschungsprojekt von 2018 bis 2022.
Abb. 2. Das mesolithische Gräberfeld liegt auf dem höchsten Punkt des Weinbergs bei Groß Fredenwalde (Foto: Sebastian Lorenz, Universität Greifswald).
Entdeckung und Erforschung des Gräberfelds
Erste Gräber wurden schon 1962 bei Bauarbeiten auf dem Hügel entdeckt. Die große Bedeutung des Ortes als Gräberfeld wurde vor wenigen Jahren bei Nachgrabungen deutlich. Ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Terberger vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen entdeckte unter anderem das Grab eines jungen Mannes, der mit Beigaben wie Knochenspitzen und Flintmessern in aufrechter Position seine letzte Ruhe fand. Zudem fanden die Forscher das Grab eines Kleinkindes, das mit rotem Ocker bestreut würdevoll beigesetzt worden war – bisher das älteste Grab auf dem Berg. Die Feldforschungen im Rahmen des DFG-Projekts fanden von 2019-2021 statt. Unter Beteiligung von Studierenden der Universitäten Kiel und Göttingen im Rahmen von Lehrgrabungen wurden drei neue Grablegen entdeckt. Zwei davon wurden im Block geborgen und unter Laborbedingungen untersucht; eine Bestattung blieb vor Ort. Radiokarbondatierungen der zwölf Individuen sowie verschiedener Beigaben erlauben eine
Zweiteilung der mittelsteinzeitlichen Belegung: Eine ältere Hauptphase ca. 6.200 bis 5.800 v.Chr. (elf Individuen) und eine einzelne spätere Bestattung aus der Zeit um 4.900 v.Chr. (das aufrecht bestattete Individuum) sind zu unterscheiden.
Die Bestatteten
Von den zwölf nachgewiesenen Individuen konnten elf näher untersucht werden. Neben
sechs erwachsenen Individuen (drei Männer, drei Frauen) handelt es sich um fünf Kinder verschiedenen Alters. Die sehr stark gehockte Haltung einiger Bestatteter lässt eine Verschnürung oder sogar Mumifizierung vermuten. Genetische Analysen unter der Leitung von Jun.-Prof. Cosimo Posth von der Universität Tübingen konnten zeigen, dass die Bestatteten der Hauptphase von Groß Fredenwalde zur lokalen Jäger-Sammler-Bevölkerung mit hauptsächlich „western hunter-gatherer“-Abstammung und geringen Anteilen von „eastern hunter-gatherer“-Abstammung gehörten. Auch der junge Mann, der kurz nach 5000 v. Chr. bestattet wurde, zeigt keinerlei genetischen Einfluss der bereits ganz in der Nähe lebenden linearbandkeramischen Bevölkerung auf. Darüber hinaus liegen innerhalb der älteren Belegungsphase zwei enge Verwandtschaftsbeziehungen vor, was gut zu der postulierten relativ kurzen Belegungsdauer passt. Die wichtige Rolle von aquatischen Ressourcen in der Ernährungsweise konnte mit weiteren 13C-/15N-Isotopendaten bestätigt werden. Die Strontium-Isotopie spricht für Mobilität der Bestattungsgemeinschaft sowohl in saisonalen Zyklen als auch im Laufe des Lebens der Individuen; etwa die Hälfte der bestatteten Personen weist nicht-lokale Werte auf.
Abb. 3. Blockbergung einer Bestattung zur Ausgrabung und Untersuchung im Labor (Foto: Thomas Schenk, HTW Berlin).
Der Platz der Toten – ein territorialer Marker?
Die Bestattung an herausgehobenen Orten wie Geländerücken und Inseln ist auch von anderen mesolithischen Grabkontexten bekannt. Surveys auf dem Berg selbst konnten keine mesolithischen Siedlungsaktivitäten belegen, was die besondere Lage unterstreicht und eine Funktion des Gräberfeldes als territorialer Marker der mesolithischen Gemeinschaft nahelegt. Spätmesolithische Oberflächeninventare sind erst in einiger Entfernung (3-4 km) nachgewiesen. Der in Sichtweite liegende Behrendsee bietet sich als Siedlungsstandort an. Begehungen ergaben hier zwar bisher keine archäologischen Siedlungsspuren, Pollen-, Nichtpollen-Palynomorphe- und Sedimentanalysen seiner Ablagerungen deuten aber auf menschliche Präsenz in der unmittelbaren Umgebung des Sees im Atlantikum hin. Funde von Peitschenwurmeiern, einem Parasiten des Menschen, weisen darauf hin, dass das Seeufer insbesondere zwischen etwa 6000 und 5500 v. Chr. häufig aufgesucht wurde.
Die Forschungen zu dem Gräberfeld auf dem Weinberg liefern damit einen wichtigen neuen Baustein zum Verständnis der mesolithischen Bevölkerung und ihrer Landschaftsnutzung vor und nach der Neolithisierung des norddeutschen Tieflandes.
Abb. 4. Bohrungen zur Sediment- und Pollenanalyse im nahegelegenen Behrendsee (Foto: Sebastian Lorenz, Universität Greifswald)
Publikationen (Auswahl):
Kotula, A./ H. Piezonka/T. Terberger, The Mesolithic Cemetery of Groß Fredenwalde (NE Germany) and its Cultural Affiliations. Lietuvos Archeologija 46, 2020, 65-84.
Kotula, A., Deutschlands ältester Bestattungsplatz. In: F. Klimscha/ L. Wiggering (eds.), Die Erfindung der Götter: Steinzeit im Norden (Hannover 2022) 66-71.
Kotula, A./ B. Jungklaus/ N. Lüdemann/ H. Piezonka/ T. Terberger, The unusual last journey of a flint knapper c. 7000 years ago - a late Mesolithic burial from Groß Fredenwalde (Brandenburg, NEGermany). In: M. Grygiel/ P. Obst, Walking Among Ancient Trees. Studies in honour of Ryszard Grygiel and Peter Bogucki on the 45th anniversary of their research collaboration (Łódź 2022) 115-134.
Kotula, A./ T. Terberger/ B. Jungklaus/ H. Piezonka/ T. Schenk/ F. Schopper, The site Groß Fredenwalde, NE-Germany, and the early cemeteries of Northern Europe. Open Archaeology (accepted).
Posth, C. et al., Genetic structure and demographic shifts in Upper Paleolithic 1 to Neolithic European hunter-gatherers. Nature 615, 2023, 117–126. https://doi.org/10.1038/s41586-023-05726-0
Terberger, T./ J. Kabaciński/ A. Kotula, First meetings? The Late Mesolithic and the Linear Pottery culture in Northeast Germany. Materiały Zachodniopomorskie Nowa Seria, 62, 2021, 165–195.
Terberger, T./ A. Kotula/ H. Piezonka, People, Economy and Identity – The 6th/ 5th Millenium south of the western Baltic Sea. In: D. Groß/ M. Rothstein (eds.), Changing Identity in a Changing World. Current Studies on the Stone Age around 4000 BCE (Leiden 2023) 279-297.
Terberger, T./ A. Kotula/ B. Jungklaus/ H. Piezonka, The Mesolithic „multiple burial“ of Groß Fredenwalde revisited. In: S. Gaudzinski-Windheuser/ O. Jöris (eds.), The Beef behind all Possible Pasts: The Tandem Festschrift in Honour of Elaine Turner and Martin Street. Monographien des RGZM 157.2, 2021, 671-688. https://doi.org/10.11588/propylaeum.950
Terberger, T./ Piezonka, H./ Schopper, F. (Hg.), Mittelsteinzeit: späte Jäger und Sammler. Archäologie in Deutschland Sonderheft 30 (Stuttgart: 2024).