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Ferdinand Friedenbsurg / Ernst Reuter (Keiderling)

Freund der Sowjetunion

Das einst schärfste Historikerschwert der SED würdigt Ferdinand Friedensburg

 Ein Rätselbuch. Warum gerade jetzt, nach mehr als sechzig Jahren, diese Studie über einen Mann, der für sich selbst nach dem Zweiten Weltkrieg zwar die Rolle des ersten deutschen Außenministers vorsah, dafür aber nicht einmal im engsten Führungszirkel seiner Partei, der CDU, Unterstützung fand? Der, wie der amerikanische Beobachter Robert Murphy notierte, zwar intelligent und mutig, aber politisch unentschlossen und mit der unseligen Fähigkeit ausgestattet war, es sich mit Freunden und Gegnern gleichermaßen zu verderben? Warum an diesen Mann erinnern, den heute nicht einmal an der Hauptstätte seines politischen Wirkens jemand kennt? Noch dazu durch ein Buch, dessen Preis prohibitiv sein dürfte, dessen Quellenpassagen so klein gedruckt sind, dass jeder Leser, jeder Rezensent nach Augentropfen und Schmerzensgeld rufen müsste. Und überdies aus der Feder eines Autors, der lange Professor am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR gewesen ist. Was nirgends steht, was offenbar keiner wissen soll. Gerhard Keiderling, damals in Historikerkreisen als das schärfste Schwert der SED bekannt, ist mittlerweile über siebzig Jahre alt. Was hat ihn bewogen, sich mit Ferdinand Friedensburg zu beschäftigen, der es zwar auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zum amtierenden Oberbürgermeister von Berlin gebracht hat, aber eigentlich mit all seinen zentralen Entscheidungen schieflag?

Gewiss, das großbürgerliche Leben von Ferdinand Friedensburg bietet durchaus farbige Passagen. 1886 in Schlesien geboren, im Ersten Weltkrieg ein spektakulär missglückter Ausbruch aus britischer Gefangenschaft in Gibraltar, nach dem Krieg DDP-Beitritt, erster nichtadeliger Landrat in Westpreußen bei den Hindenburgs, den Oldenburg-Januschaus, Vizepolizeipräsident in Berlin, Regierungspräsident in Kassel, mutiger Verteidiger der Weimarer Republik gegen den zuvor roten Freisler und NSDAP-Konsorten. Friedensburgs Stunde schlägt 1945. Politisch unbelastet, holt ihn die Sowjetische Militäradministation (SMAD) in die Verwaltung Berlins zurück, überträgt ihm die Leitung des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, die er 22 Jahre behalten und geschickt gegen Attacken und Entmachtungsversuche durch KPD/SED, etwa auch gegen Jürgen Kuczynski, verteidigen wird. Dank sowjetischer Protektion steigt er auf zum Präsidenten der Deutschen Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie in der SBZ - in Zeiten brutalen Energiemangels und fortbestehender staatlicher Lenkung und Planung eine Schlüsselposition.

Er kann mit den Sowjets, trifft den richtigen Ton gegenüber Oberst Tjulpanow, dem Chef der Informationsabteilung der SMAD, oder dessen Vorgesetzten Schukow und Sokolowski. Sie stützen ihn gegenüber Verdächtigungen, Anschuldigungen, Attacken der SED. Er wird Mitglied im sowjetisch geprägten Kulturbund, in der Deutsch-Sowjetischen Studiengesellschaft. Friedensburg, der neben Walther Schreiber, Andreas Hermes, Jakob Kaiser und Ernst Lemmer in Berlin zu den Mitbegründern der CDU mit reichsweitem Anspruch gehört, betont damals oft: Ich bin kein Kommunist und werde auch keiner werden, aber ich bin ein Freund der Sowjetunion.

Ein Schlüsselsatz. Friedensburg agiert als Mann des Ausgleichs, träumt wie Kaiser vom dritten Weg zwischen den Blöcken, will mit der vierten Besatzungsmacht, mit der SMAD, ernsthaft und vertrauensvoll kooperieren, plädiert etwa nach der von den Vereinigten Staaten vorangetriebenen Währungsreform, der Einführung der westlichen D-Mark in Berlin, und der rasch nachgeschobenen sowjetischen Währungsreform, der Einführung der Ost-Mark im Sommer 1948, dafür, dass die beiden Währungen in Frieden und Vertrauen nebeneinander bestehen. Während der Blockade, als der Kalte Krieg immer kälter und heißer zugleich zu werden beginnt, der Magistrat sich spaltet, die Verwaltungen schon in den Westteil verlagert werden, harrt er als amtierender Oberbürgermeister noch immer in Mitte, in der Parochialstraße, aus. Erst im Spätherbst 1948 erkennt er: Wir sitzen hier im sowjetischen Sektor wie ein Stück Butter auf der heißen Kartoffel. Da ist die Spaltung der Stadt Berlin schon weit fortgeschritten.

Friedensburg war tatsächlich naiv. Aber gerade deshalb ist er für unseren Autor Keiderling attraktiv, weil er einer der wenigen im westlichen Lager gewesen ist, die länger als alle anderen über die Schattenseiten des stalinistischen Systems hinwegzusehen bereit waren - von den Massenvergewaltigungen oder den in den ehemaligen KZ installierten sowjetischen Speziallagern kein Wort, kaum kritische Hinweise zur krassen SMAD-Bevorzugung von SED, Kulturbund, FDJ, FDGB, zum wachsenden Druck und Terror gegenüber den Blockflöten im Zuge der stalinistischen Gleichschaltung der SBZ. Erst als ihm Wilhelm Pieck die Leitung des Ersten Volkskongresses anträgt, lehnt Friedensburg ab - der sei zu einseitig sowjetisch dominiert.

Keiderlings Buch ist keine Agitprop. Er fächert vor dem Leser materialreich und mit vielen neuen Hinweisen - etwa bezüglich der Rolle von Ulrich Biel als "Strippenzieher" im Hintergrund - die Sicht eines Mannes auf, der sich lange von den Sowjets als "nützlicher Idiot", als bürgerliche Alibifigur ge- und missbrauchen ließ in der irrigen Hoffnung, den sowjetischen Bären zähmen zu können. Allerdings dominiert bei Keiderling unterschwellig die Äquidistanz-Sicht der Großmachtsysteme: Sowjetische Besatzungspolitik steht gleichrangig neben der amerikanischen. Insofern kommt auch der große deutsche Gegenspieler von Friedensburg kaum vor oder schlecht weg: Ernst Reuter. Der hatte seit seiner Zeit als Generalsekretär der KPD in den frühen zwanziger Jahren genug vom Kommunismus, war als Sozialdemokrat ein harter Antikommunist geworden, hielt seine Berliner SPD auf diesem Kurs und wurde als Oberbürgermeister zwar 1946 gewählt, aber durch sowjetisches Veto fast zwei Jahre lang an der Amtsübernahme gehindert. Er hatte sich frühzeitig für einen "Westkurs" entschieden, für eine unbedingte Anlehnung an die Vereinigten Staaten, erkannte den fundamentalen Klimawechsel im Lauf der Blockade, trieb ihn als Volkstribun von Berlin in enger Kooperation mit Lucius D. Clay selbst voran, während der Christdemokrat als amtierender Oberbürgermeister die Stadtgeschäfte führte. Reuter lag fundamental richtig, Friedensburg fundamental falsch. Daran vermag auch eine wohlwollende biographische Würdigung nichts zu ändern.

Gerhard Keiderling: Um Deutschlands Einheit. Ferdinand Friedensburg und der Kalte Krieg in Berlin 1945-1952. Böhlau Verlag, Köln 2009. 489 S., 59,90 [Euro].

Buchtitel: Um Deutschlands Einheit - Ferdinand Friedensburg und der Kalte Krieg in Berlin 1945-1952
Buchautor: Keiderling, Gerhard

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.07.2009, Nr. 165 / Seite 6

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