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Der Fußball wurde zu einer Ablenkungsdroge mit großer Kraft

Welche Bedeutung hatte für die Nazis und Hitler der Fußball – und speziell Hertha BSC, der erfolgreichste Klub der Reichshauptstadt?

Koerfer: Der Fußball hatte einen ganz anderen Stellenwert als wir ihn uns das heute vielleicht denken. Er wurde nicht in besonderer Weise für das Regime herangezogen. In Hitlers „Mein Kampf“ gibt es zwar eine Passage, wie wichtig der Sport ist – aber nur zur Wehrertüchtigung für junge Männer, als Vorbereitung auf den Krieg. Bei Hertha gab es jedoch die Besonderheit, dass Hertha 1930 und 1931 Meister wurde und damit eine gewisse Ausstrahlung und Werbewirksamkeit besaß. Das Regime hat sich darum bemüht, den Verein und den bekanntesten Spieler Hanne Sobeck für sich zu gewinnen. Sobeck stand zwar nicht auf einer Stufe mit Max Schmeling, aber er war unter anderem befreundet mit Hans Albers, und diese virilen, jungen Männer, die sich auch im Bademantel fotografieren ließen, sollten sich auch für Aktivitäten wie das Winterhilfswerk ablichten lassen. Es ging nicht darum, NS-Parolen aufzusagen. Der Fußball und Spieler wie Sobeck sollten die nicht sichtbare Brücke zum dritten Reich herstellen, genau wie es der Film für Goebbels tat. Der Film im dritten Reich findet ohne alle Requisiten des Dritten Reichs statt – und genau da dockt auch der Fußball an.

Weshalb war die Hertha war trotz der Meisterschaften nicht die wichtigste Mannschaft für die Nazis?

Koerfer: Die dem Regime passenderen Vereine waren Schalke 04 und Rapid Wien, wegen des proletarischen Ruhrgebiets und der gesamtdeutschen Lücke. Hertha war für die Nazis nicht sexy genug im Sinne des braunen Reichs. Hertha kommt aus dem roten Wedding und ist per se kein Nazi-Verein.   

Sie bilanzieren über die Hertha: Braune Hülle, blauer Kern. Wie kommen Sie zu der Überzeugung, dass der wichtigste Fußballklub in der Hauptstadt eine gewisse Distanz bewahrt haben soll?

Koerfer: Es gibt dafür verschiedene Parameter, eines davon ist die Parteimitgliedschaft der Mitglieder. In der Anfangszeit 1933 waren von den Spitzenfunktionären zwanzig Prozent in der Partei. Das ist nicht sehr hoch. Der Verein insgesamt hatte 400 Mitglieder, wir haben uns 60 über das gesamte Dritte Reich angeschaut, davon waren rund 10 bis 15 Prozent in der Partei. Das ist sehr wenig. Die braune Hülle ist nicht verwunderlich. Damit der Verein nicht übernommen wird, musste man dem Regime Parteimitglieder anbieten, wie der Vereinsführer Pfeiffer der schon vor Hitlers Machtergreifung in die Partei eingetreten war. Hertha hatte 1933/34 auch Angst vor einem „take over“. Solche Pläne gab es in den Ortsgruppen der Nazis. Pfeiffer wirkt aber vorgeschoben. Dahinter findet ein Vereinsleben statt ohne von Rassenantisemitismus erfasst worden zu sein. Das lässt sich an über 1000 Seiten Sitzungsprotokollen feststellen. 

Wenn die Hertha Distanz gehalten hat – in welchen Handlungen und Haltungen drückt sich das aus?

Koerfer: Andersherum – wie drückt sich Nähe aus? Das Dritte Reich hat einen sehr starken Toten- und  Heldenkult für die Gefallenen des Weltkriegs und beim Putschversuch 1923 betrieben. Der Tod wurde verklärt. Ein Sportführer hat erklärt: Sportler und auch Fußballer müssen bereit sein „vorzusterben“, einen Heldentod zu sterben. Hertha klauen ein Modell vom VfB Stuttgart, der ein Ehrenmal für seine Gefallenen errichtet und dafür den Cannstatter Rasen hergibt – dafür aber ein neues Stadion bekommt. Die Hertha dockt hier genauso an das Regime an. Das wird honoriert. Der Klub bekommt Steuerbefreiung, Gemeinnützigkeit und das Stadion Plumpe. Deswegen kann man nicht sagen, das Hertha unbelastet gewesen wäre. Außerdem gibt es den Fall des jüdischen  Arztes Hermann Horwitz, von dem sich der Verein distanziert und im Jahr 1935 nicht mehr weiter beschäftigt. Horwitz kommt in Auschwitz um. Die Distanz wiederum erkennt man, dass der Begriff des rassensemitische aufgeladenen Begriff des Juden nur ein einziges Mal vorkommt – und auch die Geschichte des niederländischen Zwangsarbeiters und Schlüsselspielers von Hertha, Bram Appel, der 1988 sagte: Hertha war kein Nazi-Klub. Warum? Weil das alles junge Männer waren, die zusammen gehalten und mich integriert haben.     

Wie bewerten Sie die Verstrickung der Hertha in der Nazizeit im Vergleich zu anderen Fußballklubs?

Koerfer: Werder Bremen ist ein Klub, der sich sehr früh affin zu den Nazis verhalten hat. Der Verein hat schon vor 1933 sein Stadion für die SA zur Verfügung gestellt, die Exerziergelände brauchte, weil es auf öffentlichem Gelände verboten war. Beim Hamburger SV gibt es Tull Harder, der dreimal Meister wurde und es dann in der Hierarchie der Nazis bis zum KZ-Kommandant aufstieg. So etwas gibt es bei Hertha nicht. Auch nach dem Krieg hat es keine Verfahren und Bestrafungen geben. Das sind Indizien für ein „low profil“ in der Vorkriegszeit. Im Krieg ist der Verein langweilig fürs Regime. Es gibt keine NS-Besuche mehr.

Die Hertha stammt aus einem proletarischen und linken Viertel. 1932 wählten dort fast 50 Prozent die KPD, fast 25 Prozent die SPD. Hätte man sich da bei der Hertha nicht größere Ablehnung oder sogar Widerstand erwarten können?

Koerfer: Erich Honecker ist in der Gegend 1938 verhaftet worden. Es gab dort Widerstandsgruppen. Präsident Wilhelm Wernicke war mit dem SPD-Netzwerk eng verbunden. Aber die Grundfarbe der Geschichte ist Grau. Es ist wohlfeil zu sagen: das sind Helden, das sind Verbrecher. Ich habe mich zwei Jahre mit der Hertha in jener Zeit beschäftigt. Es ist auch ein Buch über das Dritten Reich aus der Sicht der kleinen Leute. Es begleitet die Entwicklung des Dritten Reichs von den politischen Kommentaren eines Sportvereins bis hin zu den Frontberichten der Soldaten.   

Der Ball bei der Hertha musste Rollen bis zum Untergang – wie haben die Spieler darauf reagiert?

Koerfer: Für die Spieler, die von der Front zu den Spielen kamen, war es ein Stück Befreiung, Ablenkung und mitunter auch Rettung. Der Fußball war nach den Berichten eine Wohltat. Der Hertha-Spieler Fredi Stade (?) hatte den Befehl, sich im Dezember 1944 auf der Gustloff einzuschiffen, brach sich aber das Knie. Das rettete ihm vermutlich das Leben. Der Fußball im Dritten Reich wurde im Krieg zu einer Ablenkungsdroge mit großer Kraft, in England durfte nach 1939 kein Fußball mehr gespielt werden. Das letzte Heimspiel der Hertha fand im Dezember 1944 statt. Bis zum Schluss kamen trotz verstärkter Luftangriff immer noch zwischen 7000 und 12000 Zuschauer.

Sie vergleichen am Beispiel von Opfern von Hertha BSC am Ende den braunen mit dem roten Terror. Das hat zu kritischen Reaktionen geführt.

Koerfer: Es gibt keine Hierarchie der Opfer. Als Schweizer bin ich da aber vielleicht nicht so vorbelastet. Es geht um das Schicksal kleiner Leute, mit denen schreckliche Dinge geschehen, gegen die sie sich nicht wehren können. Die Linkspartei hat das nicht goutiert. Bei der Vorstellung des Buches hat auch Bundespräsident  Wolfgang Thierse diese Parallelisierung vom Tisch gewischt. Das wäre ein problematischer Ansatz. Da lasse ich mich aber nicht von abbringen.

(F.A.Z.  10.August 2009, S.22)

 

 

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