Springe direkt zu Inhalt

Projekte

Der italienische Kunstkritiker Francesco Algarotti stellt 1762 in seinem Saggio sopra l’opera in musica fest, es sei an der Zeit für ein öffentliches Gebäude, in dem Theater und Wissen(schaft) auf neuartige Weise im Einklang stehen. „Man wuerde alsdenn gewahr werden”, so meint er, „daß ein schoenes praechtiges Theater ein Ort sey, nicht einen lermenden Haufen von Menschen aufzunehmen, sondern ein feyerlicher Hoersaal, in welchem Addisons, Drydens, Daciers, […] gern gegenwaertig sein koennten.” Algarotti zufolge sollte das Auditorium des Gebäudes auch nicht länger glockenförmig gestaltet werden, wie im Barocktheater noch üblich. Vielmehr gelte es, nach einer neuen, in akustischer Hinsicht idealen Theaterarchitektur zu suchen.

Mit seinem Wunsch, Theater- und Hörsaal einander anzunähern, schließt Algarotti zunächst an die europäische Tradition des „Theatrum” an: Als Theatrum wurden in der Frühen Neuzeit neben Schauspielhäusern eine Reihe unterschiedlicher Räume des Ordnens, Archivierens und Repräsentierens von Wissen bezeichnet. Deren Gestaltung und Rezeption orientierte sich allerdings bis ins frühe 18. Jahrhundert an der lexikalischen Definition des Theatrum als „Schauplatz”, d.h. als Stätte visueller Evi¬denzproduktion. Algarotti hingegen verfolgt 1762 mit der Rede vom „Hörsaal [udienza]” ein Bildungskonzept, welches das Ohr als zentrales Erkenntnisorgan projektiert. Während bei Algarotti aber noch unspezifisch die Forderung nach einer neuen Theaterakustik laut wird, unternehmen Theaterarchitekten (wie Pierre Patte, George Saunders, Carl Ferdinand Langhans u. a.) seit Ende des 18. Jahrhunderts tatsächlich theoretische wie auch experimentelle Forschungen zur Raumakustik – lange bevor sich diese um 1900 als wissenschaftliche Disziplin etabliert. Von diesem Befund ausgehend widmet sich das Projekt dem bislang unerforschten Zusammenhang von europäischer Theater- und Akustikgeschichte zwischen 1750 und 1930. In diesen Zeitraum fällt die schrittweise Begründung der physikalischen Akustik und der daraus resultierenden Teildisziplinen, zu denen seit dem frühen 20. Jahrhundert dann auch die Raumakustik zählt.

Zentral ist für das Projekt die Frage, ob die Geschichte der Akustik im Rahmen einer exakten Wissenschaft aufgeht oder ob sie nicht vielmehr in einer kunst- und kulturhistorisch weit verzweigten Wissensgeschichte des ‚Akustischen’ anzusiedeln ist. Das ‚Akustische’ interessiert dabei stets in seiner Doppelfunktion als Produzent und Gegenstand von Wissen(schaft): a.) Zum einen wird untersucht, auf welche Weise sich Algarottis Forderung nach dem Theater als Hörsaal durchsetzt. Weshalb greift die Theaterpraxis ab circa 1750 tatsächlich nicht nur zu akustischen Raumgestaltungen, sondern auch verstärkt zu akustischen Medien und Kommunikationspraktiken? Inwiefern ermöglichen diese akustischen Mittel andere Formen der Wissensproduktion und -vermittlung als die visuellen Mittel des Theaters? b.) Zum anderen soll erforscht werden, ob die Theatertheorie und -praxis einzelne Erkenntnisse der Akustik vorwegnehmen, damit die Herausbildung von Forschungsobjekten und die Etablierung der Disziplin vorantreiben und später deren Ergebnisse umsetzen. Das Interesse gilt hier also dem Transfer akustischer Kenntnisse, Medien und Praktiken zwischen dem Theater und den akustischen Disziplinen. Entsprechend wird in theoretisch-methodischer Hinsicht auf Ansätze zu Wissenstransfers zurückgegriffen, die ihm Rahmen des Projekts weiterentwickelt werden sollen.

Hören und Aufmerksamkeit, beides in unterschiedlichem Maß musikalische und wissenschaftliche Begriffe, begannen sich in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend zu überlappen und zu überschneiden. Psychophysische Studien über Aufmerksamkeit und Akkommodation (die Änderung der Klangerfahrung, die aus dem Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus folgt) in Tonempfindungen wurden mit den ästhetischen Erwartungen der Musikwelt verflochten. Eine genaue Untersuchung der Experimente von Hermann von Helmholtz, Ernst Mach und Carl Stumpf über Aufmerksamkeit und Akkommodation in Tonempfindungen offenbart mehrere Spannungen: zwischen der Subjektivität und der Objektivität des Hörers, hinsichtlich der Rolle der musikalischen Sachkenntnis in Experimenten über Tonempfindungen und hinsichtlich der scheinbaren Unvereinbarkeit von universellen Gesetzen der Tonempfindung und historisch oder kulturell bedingten Musikästhetiken und individuellem Geschmack. Diese Untersuchung der experimentellen Studien über Aufmerksamkeit und Akkommodation in Tonempfindungen liefert einerseits ein breiteres Verständnis der sich wandelnden Definitionen von Hören und Zuhören sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Musikwelt am Ende des neunzehnten Jahrhunderts und erklärt andererseits die Herausbildung eines neuen Geschöpfs: des individuellen Hörers.

Während sich Studien aus den Bereichen der Kulturwissenschaften, der Wissenschaftsgeschichte, der Kunstwissenschaft und der Mediengeschichte in den letzten Jahren intensiv mit der Frage nach dem Status ,wissenschaftlicher Bilder‘ auseinandergesetzt haben, liegen zur akustischen Dimension naturwissenschaftlicher Erkenntnisproduktion bisher kaum Untersuchungen vor. Es gibt zwar zahlreiche Arbeiten, die sich etwa der Entstehung und Verbreitung der Auskultationspraxis mittels des Stethoskops in der Medizin oder des Geigerzählers im Strahlenschutz widmen, diese thematisieren die auditive Form der Erzeugung und Darstellung von Wissen in der Regel jedoch nicht. Das Teilprojekt Das Ohr als Erkenntnisorgan? Wissenschaftliche Hörkulturen und auditive Rationalität verfolgt daher das Ziel, anhand konkreter Fallstudien aufzuzeigen, auf welche Weise wissenschaftliche Fakten durch Hörpraktiken und akustische Repräsentationsformen erzeugt wurden und welcher Stellenwert ihnen in der Geschichte der Wissenschaften zugesprochen werden kann. In Rahmen der Sektion Wissenschaftliches Hör-Wissen: Hören im Labor thematisiert das Teilprojekt daher Schallereignisse nicht als Objekt, sondern als Werkzeug naturwissenschaftlicher Forschung.

Den Ausgangspunkt des Teilprojekts bildet dabei die Etablierung der auditiven Diagnose mittels des Stethoskops in der Medizin. Die Konstellation aus hörendem Wissenschaftler (Arzt), akustischem Medium (Stethoskop) und auskultiertem Wissenskörper (Patient) stellt dabei ein Modell dar, welches sich produktiv auch auf jüngere Fallstudien in anderen Bereichen der Wissenschaften übertragen lässt. So soll etwa gezeigt werden, dass und wie das Telefon in der Physiologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts zur Anzeige schwacher elektrischer Ströme eingesetzt wurde. Weitere Untersuchungsgegenstände bilden der Geigerzähler in der Strahlenphysik sowie akustische Darstellungen in der Hirnforschung ab den 1920er Jahren und in der Seismologie ab den 1950er Jahren. Diese historischen Beispiele werden im Hinblick auf die Forschungspraxis der 1992 gegründeten ,International Community for Auditory Display‘ diskutiert, die sich die systematische Erforschung der Möglichkeiten einer akustischen Darstellung wissenschaftlicher Daten sowie der Erkenntnisproduktion mittels des Hörens zum Ziel gesetzt hat. Anhand der Fallstudien wird dargestellt, dass sich die Naturwissenschaften auf der Grundlage einer fortschreitenden Mediatisierung nicht nur optisch-visueller „Phänomenotechnologien” (Bachelard), sondern auch akustischer Instrumente und Medien bedient haben, um Messsignale und -daten zum Zwecke ihrer Analyse hörbar zu machen und auf diese Weise in erkenntniserzeugende bzw. -tragende Klänge zu transformieren.

Das Teilprojekt wird von der These geleitet, dass die Produktion objektiver Erkenntnis nicht an visuelle Zugriffs- und Repräsentationsweisen gebunden ist. Dieser Befund steht damit in einem starken Kontrastverhältnis zu den bereits zu Beginn dieses Antrags dargestellten, weit verbreiteten allgemeinen bzw. apriorischen Annahmen über den auditiven Sinnesbereich. Da ,das Hören‘ im Allgemeinen gewöhnlich mit dem Emotionalen, Intuitiven und Irrationalen, nicht jedoch mit wissenschaftlicher Rationalität verbunden wird, soll anhand der Geschichte wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion durch das Hören die Historizität der Vorstellungen und Zuschreibungen über die Sinne aufgezeigt und problematisiert werden.

Ich untersuche einen bestimmten Aspekt des hörbaren Ganzen – nämlich den Klang. Der Klang wird gemeinhin als der Aspekt des hörbaren Ganzen verstanden, der den Gesamteindruck von dem, was Hörbar ist, vermittelt. Der Klang ist nicht identisch mit den musikalischen oder physikalischen ‚objektiven’ Größen eines Sounds (z.B. der Lautstärke, der im Sound vorhandenen Obertöne oder Untertönen, der Klangfarbe oder dem Rhythmus einer Soundsequenz). Das, was wir als Klang verstehen, der Gesamteindruck, stellt sich zusammen mit all diesen Größen ein. In der analytischen Philosophie wird eine solche Art von Objekt oder Phänomen als secondary object bezeichnet.

Weitergehend verstehe ich ein bestimmtes Klangbild (z.B. das Klangbild, das durch das Sprechen einer Sprache entsteht) – gemäß dem Verständnis der Sozialanthropologie und mancher Wissenschaftshistoriker (Lorraine Daston) – als Ausdruck einer spezifischen kulturellen Formation und damit als Ausdruck eines bestimmten Wissens. Die Ausprägung nationaler Klangrichtungen (in der Musik) im 18. und 19. Jahrhundert und bestimmter, national unterschiedlicher Schulen des Musikinstrumentenbaus sind empirische Hinweise darauf, dass tatsächlich in verschiedenen Klangvorstellungen eine Art Weltanschauung Ausdruck findet. Aktuellen Trends in der Wissenschaftsgeschichte folgend, plädiere ich dafür, diese Unterschiede ernst zu nehmen, sie zu hören und sie als Ausdruck einer bestimmten Wissenskultur und Weltanschauung zu verstehen und zu explizieren. Dies soll in dem Projekt am Beispiel der als ‚deutsche Klangschule’ bekannten Klangkultur geschehen.

Ein weiterer Teil des Projekts ist der Ausarbeitung eines philosophischen Rahmens gewidmet, anhand dessen die Behauptung, Klang sei eine Form von Wissen, Bestand haben kann. Meine Argumentation fußt auf einer Konzeption des Handelns, die einer dem Handelnden innewohnenden Inklination genauso viel Raum lässt wie dem Sichbeziehen des Handelnden auf ‚externe’ Gründe. (Eine solche Art der Handlungstheorie vertreten auch John McDowell (Pittsburgh) und Jennifer Hornsby (London)). Da das Erzeugen von Klängen – sowohl in der Sprache, als auch in der (klassischen) Musik – eine Art von Handlung ist, lässt sich Klang, philosophisch betrachtet, als Konsequenz, das heißt, als ein durch Handlung erzeugtes (kulturelles) Produkt verstehen, das sowohl der innere Inklination entspringt als auch auf externe Gründe eingeht. Wenn es also dabei auch Tatsachen zu Gehör bringt, und das ist (philosophisch) zu beweisen, kann es als Wissen betrachtet werden.

Die Geschichte der Musiktherapie ist seit Mitte der 1970er Jahre in Dissertationen und einer umfangreichen Habilitation der Medizingeschichte anhand von wissenschaftlicher Fachliteratur seit ihren antiken Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aufgearbeitet worden. Das vorliegende Projekt erforscht vor diesem wissenschaftstheoretischen Hintergrund historische Einzelbeispiele zur Geschichte der Anwendung von und Therapie mit Musik im medizinischen Kontext seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der 1970er Jahre. Im Mittelpunkt stehen dabei die Zusammenhänge zwischen der medizinischen Anwendung des Hörens unterschiedlichster Musikgattungen und -stile und den Einflüssen dieser neuen Praxis auf Musikästhetik, Aufführungspraxis und Komposition. Ausgehend von einem modernen Verständnis von Psychiatrie und Neurophysiologie wird untersucht, wie die sehr spezielle Anwendung und die Auswahl von Musik in Krankenhäusern und Psychiatrischen Heilanstalten in ihrer praktischen Umsetzung das ästhetische Verständnis medizinischer Musikanwendung veränderte.

Zum einen sollen die bereits bekannten Beispiele heilkundlichen Musizierens im 19. Jahrhunderts aus Paris, Prag, Illenau oder St. Petersburg anhand von neuen Quellen (Heimatmuseum Achern, Landesarchiv Freiburg im Breisgau, Deutsches Volksliedarchiv Freiburg, Staatsarchiv St. Petersburg, Musée d’histoire de la médicine Paris) dokumentiert und hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Aufführungsmodalitäten (z.B. passive Konzertsituation für die Patienten oder aktives Mitmusizieren der Patienten und des Krankenhauspersonals), Kompositionen (Auswahl des Repertoires von Seiten professioneller Musiker des Pariser Konservatoriums oder Umsetzung musiktherapeutischer Behandlung in Kompositionen der Patienten Mitte des 19. Jahrhunderts in Prag) und den physiologischen und psychologischen Reaktionen der Patienten auf die gehörte Musik ausgewertet werden. Zum anderen wird anhand von psychiatrischen Reiseberichten, medizinischen Fachjournalen und Musikliteratur untersucht, inwiefern dieses neue musikpsychologische Wissen um Einflüsse des Hörens auf den mentalen Zustand kranker Menschen die Entwicklung von Musikheilkunde beeinflusst und ihre zunehmende Verbreitung gegen Ende des 19. Jahrhunderts befördert hat. Auf der Basis der Auswertung von Musikerbiographien (z.B. Andre-Ernest-Modeste Gretry, Hector Berlioz) und einzelnen Kompositionen (von Joseph Weigl, Vincenzo Bellini, Igor Strawinsky oder später auch Maurizio Kagel) soll zudem untersucht werden, wie das Wissen um auditive Erfahrungen und emotionale Reaktionen und die Zusammenhänge von Saluto-/Pathogenese und Musik sich auch im künstlerischen Diskurs niedergeschlagen hat.

Das Projekt erforscht, wie durch die Ausdifferenzierung verschiedener Aufführungsformen und deren Diskursivierungen unterschiedliche Arten des Hörens entstehen. Der Fokus liegt auf dem Musikerty-pus des Virtuosen im Paris der 1830er Jahre, der durch den Wandel der musikalischen Öffentlichkeit und die Aufwertung von Musik als Kunst zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu entsteht. Anhand von Instrumentalschulen (z.B. P. Baillot, L’art du Violon; K. Guhr, Über Paganinis Kunst die Violine zu spielen) wird das mit den Techniken des Virtuosen verbundene praktische Wissen über das Hören in den Blick genommen. Ich untersuche, welches Hörwissen sich in der Neu- bzw. Weiterentwicklung von Spieltechniken wie Flageolett, Vibrato oder Portamento manifestiert, inwiefern sich in Kompositi-onen Niccolò Paganinis, Heinrich Wilhelm Ernsts oder Henri Vieuxtemps’ Dispositive einer virtuosen Rhetorik zeigen, die auf eine bestimmte Wirkung beim Hörer zielen, und auf welche Weise Konzert-programme und -inszenierungen mit bestimmten Hörweisen rechnen bzw. diese hervorbringen (etwa durch eine gezielte Steigerungsdramaturgie oder die verstärkte Präsenz der Bearbeitung textbezoge-ner Werke in Lied- und Opernfantasien). Welche Freiräume bietet die Komposition für den Virtuosen, wie füllt er diese in der Aufführung und setzt die Spannung zwischen kompositorisch kontrollierten Momenten und der überraschenden Performance in Szene? Darüber hinaus werden Rezensionen und musikliterarische Darstellungen (u.a. Heine, Fetis, Block/Brucker und Berthoud) daraufhin gele-sen, wie sie das Ereignis des Virtuosen konstruieren, das Hören und die Wirkung der Musik diskursi-vieren und den Virtuosen als Figur zwischen Genuss und Gewalt, zwischen Kunst und Kommerz ent-stehen lassen.

Das Projekt führt meine bisherigen Arbeiten zur Geschichte des Musikhörens fort, indem es zum einen den Untersuchungszeitraum bis ins erste Drittel des 20. Jahrhundert erweitert, zum anderen neben die Untersuchung gewaltförmiger Hörerfahrungen ein Fokus auf utopische Dimensionen von (Musik)hören tritt. Ausgangspunkt bleiben musikphilosophische und -kritische, insbesondere aber literarische Texte, die entsprechende Hörerfahrungen dokumentieren, reflektieren oder allererst etablieren. Konkret sollen zunächst Nietzsches und Wagners Musikphilosophien in ihrem zeitgenössischen Kontext, dann literarische und philosophische Texte der 1910er-30er-Jahre auf ihre Konstruktionen gewaltförmiger und utopischer Hörerfahrungen untersucht werden. Zugleich sollen die akustischen Dimensionen der Texte selbst in den Blick genommen werden. Es wird zu fragen sein, wie sich die Texte als akustische Artefakte zu ihren eigenen Behauptungen und zu einer rhetorischen Tradition verhalten, die seit der Antike über die Wirkungen der klanglichen Qualitäten geformter Sprache auf ihre Hörer reflektiert.

Durch den literaturwissenschaftlichen Fokus wird die grundsätzlich mediale, d.h. in diesem Fall textuelle Verfasstheit historischer Daten über das Hören und damit seine paradoxe Bindung an die Sprache sichtbar. Denn, ob Gewalterfahrung oder Utopie, in den Texten, die diese Dimensionen ausloten, wird die Wirkung von Klängen oft an ihrer scheinbaren Unmittelbarkeit, an einer direkten Verschaltung von Klang, Körper und Emotion festgemacht, die nicht den Umweg über die Kognition nehmen muss. Genau diesen Umweg stellen die Texte jedoch selbst dar und weisen die behauptete Dimension somit als sprachliches Konstrukt einer vorsprachlichen Kommunikation aus. Insofern stellen die literarischen Texte nicht nur wertvolle Quellen im Sinne einer literarischen Anthropologie dar sondern bieten sich zugleich als privilegierter Reflexionsraum der fiktionalen Dimensionen einer Geschichte des Hörens an. Damit soll jedoch nicht die Wirkmächtigkeit vieler dieser Konstruktionen bestritten sein; vielmehr ist diese im Projekt ebenfalls zu verfolgen – prominent ist etwa der Einfluss, den Nietzsches frühe Theorien über die Wirkungen von Wagners Musik auf das Hörverhalten der Wagner-Anhänger hatte.

Im Zuge der „Fundamentalpolitisierung“ (Hans-Peter Ullmann) und der Partizipation immer weiterer Bevölkerungsteile am politischen Geschehen seit Ende des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Bedingungen des Politikmachens im Deutschen Reich schon vor dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Einführung der parlamentarischen Demokratie im Jahr 1919. Die politischen Parteien und Bewegungen des Kaiserreichs setzten daher ebenso wie die Imperialpolitik Wilhelms II. und seiner Regierungen auch auf neuartige Formen der politischen Massenmobilisierung, wie sich etwa am populären Charakter der Flottenpolitik zeigen lässt. Berlin als Reichshauptstadt und „imperial city“ spielte dabei eine zentrale Rolle als Aufmarschplatz und Bühne der symbolischen Politik. Vor diesem Hintergrund untersucht das Projekt die unterschiedlichen Formen der akustischen Mobilisierung, die den öffentlichen Stadtraum zum Austragungsort politischer Auseinandersetzungen und Machtdemonstrationen machten. Dabei geht es zum einen um die akustische „Straßenpolitik“ (Thomas Lindenberger) in Form von Paraden, Aufmärschen, Kundgebungen und Demonstrationen. Zum anderen geht es um die Bedeutung der politischen Rede im öffentlichen Raum, bei Wahlkampfveranstaltungen ebenso wie bei politischen Festen und Feiertagen. Schließlich wird die akustische Mobilisierung während des Ersten Weltkriegs gesondert untersucht. Wie gestaltete sich das viel beschworene „Augusterlebnis“ in akustischer Hinsicht? Wie wurden zu Beginn und im weiteren Verlauf des Krieges Klänge an der Heimatfront bewusst zur Mobilisierung und Stärkung des Durchhaltewillens eingesetzt? Hierbei spielt auch die Regulierung der städtischen Musikkultur eine zentrale Rolle, die während des Krieges unter den Primat des Patriotischen gestellt wurde.

Wissenshistorisch ist diese Untersuchung der akustischen Politik relevant, weil mit der akustischen Gestaltung des öffentlichen Raums immer auch ein auditives Wissen über die politischen Herrschaftsverhältnisse verbunden war. Wer durfte sich in welcher Form öffentlich Gehör verschaffen? Wem wurde das Recht auf Lärm zugestanden und wem wurde es abgesprochen? Umgekehrt bedurfte es für die gezielte akustische Mobilisierung des Wissens über die Mechanismen auditiver Wahrnehmung. Im Rahmen des Projekts wird deshalb auch untersucht, inwieweit die politischen Akteure gezielt Wissen über Wirkungsweisen der öffentlichen Rhetorik, der emotionalen Wirkung von Musik und gemeinsamem Gesang etc. gesammelt und für ihre akustische Mobilisierung eingesetzt haben.

Seit der Entstehung des modernen Konzerts war das musikalische Hörerlebnis im Konzertsaal auf Vermittler angewiesen, die das Hören vorbereiteten, darüber berichteten, es interpretierten und das Geschehene verbreiteten. Journalisten avancierten im Laufe des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten Vermittlern, die das Gehörte in Sprache übersetzten und damit das Hören objektivierten und jenen zugänglich machen, die nicht an einer spezifischen und zeitlich begrenzten Hörerfahrung teilgenommen haben. Sie konstruierten auf diese Weise Wissen über das Hören und schufen einen Rahmen für Konzertbesucher. Dieses Wissen, das vorwiegend in der Tageszeitung zusammengefasst wurde, trug dazu bei, dem Hören in der Gesellschaft eine soziale und kulturelle Rolle zuzuweisen und die Existenz des Konzerts zu rechtfertigen, dessen Ziel es war, Hörerlebnisse zu ermöglichen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich eine allmähliche Verwissenschaftlichung dieses journalistischen Wissensbestands durch, als die Themen des journalistischen Alltagsdiskurses in musikwissenschaftliche Spezialdisziplinen wie der Musikpsychologie, der Musikanalyse oder der Musikpädagogik überführt wurden und die zentrale Bedeutung des Journalisten für das Hören im Konzert schwand.

Dieses Projekt erweitert und setzt die Themen fort, mit denen ich mich in meinem Dissertationsprojekt beschäftigt habe. Während ich mich dort mit der Kulturgeschichte des Konzerts zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankfurt am Main befasst habe, widme ich mich nun mit dem journalistischen Diskurs einer der strukturellen Bedingungen, wie Wissen über das musikalische Hören in der Öffentlichkeit konstruiert worden ist. Es geht der Frage nach, woraus dieses journalistische Wissen bestand, welche Interessen die Journalisten verfolgten, welche Kategorien sie etablierten, welche journalistischen Mittel sie nutzten, um Phänomene des Hörens zu erfassen und welche Grenzen zwischen sichtbar und unsichtbar, objektiv und subjektiv etc. sie zogen. Wer kam für eine solche journalistische Tätigkeit in Frage und welches Vorwissen brachte er mit? Es geht nicht darum, das Hören „an sich” für diese Zeit zu beschreiben; vielmehr stehen die strukturellen Bedingungen des Hörens im Mittelpunk des Interesses. Dieses Projekt untersucht diese Fragen anhand von journalistischen Quellen an ausgewählten und repräsentativen Beispielen der Journalismusgeschichte von den Anfängen des musikalischen Journalismus bis zu seiner Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts (z. Bsp. Börne, Heine, Hanslick, Bekker). Dabei sollen Journalisten mit den Methoden der historischen Anthropologie in ihrem jeweiligen historischen Kontext gestellt werden, um den Wandel der journalistischen Wissenskonstruktion zu erforschen.

In meinem Projekt erforsche ich die Theorie und Praxis der literarischen Deklamation im deutschsprachigen Raum von den ersten öffentlichen Lesungen von Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias bis zur Erfindung des Phonographen im späten 19. Jahrhundert. Wie die französische Historikerin Sabine Chaouche argumentiert, wurde der Deklamationsbegriff im 18. Jahrhundert von der rhetorischen Tradition entkoppelt und zunehmend mit der theatralischen Deklamation bzw. mit der Redekunst im allgemeinen Sinne identifiziert. Vor allem in Deutschland bezeichnete der Begriff „Deklamation“ eine weit verbreitete kulturelle Praxis, die in der Literatur eine gleichermaßen große Rolle spielte wie in der Politik, der Religion, der Jurisprudenz, der philosophischen Ästhetik, der Pädagogik und der Geselligkeitskultur. In diesem Kontext gewann die literarische Deklamation ab 1750 immer mehr an Bedeutung. Es entstand eine regelrechte Flut an Texten, in denen versucht wurde, die Kunst der literarischen Deklamation zu definieren, Regeln für die deklamatorische Praxis festzulegen und ein Repertoire von Texten zu etablieren. Das sogenannte „deklamatorische Konzert“, eine Mischung aus Literaturlesung und Musik, wurde zum Brennpunkt dieser Diskussion.

Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis führte die literarische Deklamation zu einer Konfrontation zwischen der „Stimme“ der Literatur und der „Vokalität“ (A. Cavarero) des einzelnen Performers. Die Deklamation wurde von Performerinnen wie Elise Bürger und Henriette Hendel-Schütz zum Anlass genommen, um die „toten Buchstaben“ der Literatur neu zu beleben und die Zuhörern emotional zu affizieren. In theoretischen Texten über Deklamation von Christian Gotthold Schocher, Gustav Anton von Seckendorff und anderen wurden Anschaulichkeitstechniken wie z.B. die musikalische Notierung und wissenschaftliche Tabellen dazu verwendet, ein durchaus rationalisiertes, nicht-alphabetisches „Schreiben“ zu etablieren, mittels dessen die gesprochene Sprache als „deklamatorische Musik“ veranschaulicht werden konnte. Durch die Begründung einer neuen Kunst und Wissenschaft des Sprechens sollte das „Schriftmonopol“ (Kittler) des späten 18. Jahrhunderts durchbrochen werden, und zwar durch die Beförderung einer oral culture, in welcher die (literarische) Sprache als eine Form von Musik verstanden wurde.

Das Projekt zielt vor allem darauf zu zeigen, dass die literarische Deklamationskultur im 18. und 19. Jahrhundert die Druckkultur eben nicht einschränken, sondern vielmehr bereichern wollte, indem sie die Ausbreitung von Diskursen und Techniken der (bürgerlichen) Selbstinszenierung und der Selbstbeherrschung im akustischen Bereich ermöglichte. Man kann hier von einer Kollaboration beider Seiten sprechen, sowohl in Bezug auf kulturelle Wissenstransfers als auch auf die Produktion des gebildeten bürgerlichen Subjekts. Das Projekt trägt zu einer Wissensgeschichte des Hörens bei, indem es den Status des Hörens und des Zu-Hörens als wissenschaftliche, literarische, technische und historische Wissens-Objekte im 18. und 19. Jahrhundert erforscht. Dabei wird vor allem auf Methoden und Begriffe der zeitgenössischen Theaterwissenschaft zurückgegriffen, um die von Deklamatoren entwickelten Techniken des Hörens und Sprechens zu beschreiben. Dadurch wird die Deklamation nicht nur als theatergeschichtliches Phänomen, sondern auch als experimentelles Labor einer neuen Wissenschaft der Stimme ins Auge gefasst. An der Schnittstelle zwischen Diskursanalyse und Wissensgeschichte wirft das Projekt neues Licht auf einen bisher vernachlässigten, aber dennoch zentralen medien- und wissensgeschichtlichen Wandel in Deutschland vor 1900.

Das Projekt fragt nach dem Zusammenhang, wie er sich zwischen 1850 und 1900 zwischen der psychophysiologischen Erforschung des Hörens mit einer Kulturgeschichte des Hörens und insbesondere des Hörens von Musik ausbildet. Ausgangspunkt ist die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik von Hermann von Helmholtz, der darin zugleich eine physiologische Theorie des Hörens und eine Grundlegung der Musiktheorie entwickelt. Anstatt Die Lehre von den Tonempfindungen als eine Arbeit zu begreifen, die im Grunde getrennte Beiträge zu den unterschiedlichen Disziplinen Musikwissenschaft, Akustik, Physiologie, Psychologie verbindet und gleichsam nachträglich eine Ausdifferenzierung in „zwei Kulturen“ durch Interdisziplinarität zu heilen versucht, geht das Projekt davon aus, dass Helmholtz eine einheitliche und in sich geschlossene Konzeption vorstellt. Es fragt, inwieweit die Musik selbst als experimentelle Anordnung aufzufassen ist, die maßgeblich die Theoriebildung bei Helmholtz prägt. Für Helmholtz ist auch die Komposition, insofern sie ein eigenes Regelsystem ausbildet, von Versuchen geprägt: Es ist die vom Ohr durchgeführte Analysetätigkeit, mittels derer die Musiker und Komponisten entscheiden, in welche ästhetischen Zusammenhänge Klänge zu treten vermögen. Wenn Musik seit jeher eine Wissenschaft war und mit Versuchen arbeitete, so dringt mit Helmholtz die physiologische Forschung in ihr Gebiet ein. Die Auswahl und Zusammenstellung musikalischer Schallereignisse obliegt dem Ohr, das zugleich Messgerät und Organ ist. Musiktheorie und Komposition, so lässt sich Helmholtz’ Vorgehen zusammenfassen, werden als experimentell arbeitende Disziplinen betrachtet und reformuliert. Die Thesen, die Helmholtz dann über die Grundlagen der Musiktheorie aufstellt, lassen sich zwar mit den Postulaten der Musiktheorie vereinbaren, aber sie geben auch solchen Intervallen einen Ort, die in der Musik des 19. Jahrhunderts keinen Ort haben. Die Musik im Labor trifft auf andere Hörweisen, die in der Musikästhetik des 20. Jahrhunderts ihre Entfaltung finden werden.

Der antike Sirenenmythos besteht aus zwei Traditionslinien, die diametral entgegengesetzte Probleme des Hörens reflektieren. Die eine erzählt von der überwältigenden Macht des Sirenengesangs auf Emotionen und Willen des Hörenden und von den unterschiedlichen technischen Hilfsmitteln (Wachs, Ketten, Leier), die den Helden Odysseus und Orpheus eine Vorbeifahrt an der Sireneninsel ermöglichen. Zentrale antike Quellentexte sind die Odyssee und die Argonautika. Die Platonisch-Pythagoreische Traditionslinie hingegen erzählt vom göttlichen Vermögen des Pythagoras, dem als einzigem die Fähigkeit zugesprochen wird, die Sirenen der Sphärenharmonie zu vernehmen. In dem einen Fall dringt der Sirenengesang mit Macht in den Hörenden ein und bedroht seine Autonomie, der zweite Fall handelt gerade umgekehrt von der Kunst des Zuhörens an der Grenze des Hörbaren als Voraussetzung neuen Wissens. Die Fähigkeit, den Sirenengesang zu vernehmen, wird demnach einmal negativ als Gefährdung des Subjekts gewertet, im anderen Fall positiv als Bereicherung dargestellt. Nimmt man beide Traditionsstränge zusammen, so erzählt bereits der antike Sirenenmythos sowohl von der Bedeutung des Hörens für die Erkenntnis als auch von den mit diesem Sinn verbundenen Gefahren.

In der Literaturwissenschaft sind im Anschluss an die Interpretationen der homerischen Sirenen durch Adorno/Horkheimer und Maurice Blanchot in den letzten Jahren wichtige Arbeiten zur Funktion und Bedeutung dieser Sirenen in der Literatur entstanden; weniger beachtet wurde die Version in der Argonautika, nur vereinzelt wird auf die Sirenen der Sphärenharmonie Bezug genommen. Sirenen spielen zudem nicht nur in der Literatur, sondern auch in den modernen Wissenschaften, insbesondere in Hermann von Helmholtz’ Lehre von den Tonempfindungen (1863) eine entscheidende Rolle. Die der pythagoreischen Traditionslinie entstammende Sirene bezeichnet hier ein technisches Objekt, das der künstlichen Erzeugung von Tönen dient. Mit seiner Doppelsirene wollte Helmholtz die „alte Rätselfrage, die schon Pythagoras der Menschheit aufgegeben hat“, nach dem „Grunde der Consonanz“ auf der Basis einer Theorie des Hörens lösen. Dabei spielt die Kunst des Hörens an der Grenze des Hörbaren eine zentrale Rolle.

In meinem Projekt werde ich den Wechselbeziehungen zwischen literarischem, ästhetischem und naturwissenschaftlichem Wissen über das Hören unter Berücksichtigung der doppelten Traditionslinie des Sirenenmythos nachgehen. Der Sirenenmythos erfährt in der europäischen Literatur der Moderne, so die Ausgangsthese, sowohl eine wissensgeschichtliche als auch eine mediengeschichtliche Reaktualisierung: Einmal wissensgeschichtlich durch die Auseinandersetzung der Literatur mit dem neuen experimentalwissenschaftlichen Wissen zur Psychologie und Physiologie des Hörens – in diesem Zusammenhang ist die Sirenenepisode im Ulysses von James Joyce aufschlussreich. Zweitens und darauf aufbauend werden die Sirenen in literarischen Texten im Kontext der medialen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Reflexionsfiguren für Möglichkeiten und Gefahren unterschiedlicher Medien (Stimme/Schrift/Telefon). Hier spielt die Körperlichkeit der Stimme und ihre Wirkung auf die kognitiven Funktionen und Emotionen des Hörers (homerische Traditionslinie) ebenso eine Rolle wie die Frage nach den Möglichkeiten der Unterscheidung zwischen Geräuschen und Klängen (pythagoreische Traditionslinie).

Während des Ersten Weltkriegs produzierte eine eigens gegründete Königlich Preußische Phonographische Kommission aus Linguisten, Orientalisten, Afrikanisten und Musikwissenschaftlern mit Phonograph und Grammophon mehr als 2.500 Tonaufnahmen in deutschen Kriegsgefangenenlagern. Als Beispiele der Musik und Gesänge „fremder Völker“ sollten die Wachszylinder die Sammlung des Berliner Phonogrammarchivs erweitern. Die Beispiele von Sprachen und Dialekten der verschiedenen internierten Gruppen auf Wachsplatten dagegen sollten dazu dienen, ein „Sprachenmuseum“ aller Völker herzustellen. Die Sammlung bildete den Grundstock der 1920 eingerichteten Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek und wurde als Institut für Lautforschung 1934 an die Berliner Universität übertragen.

Gegenstand meiner Untersuchung sind jene Tonaufnahmen, die unter der Zuständigkeit der Universität in den Jahren 1939 bis 1942 entstanden. In legitimierender Anknüpfung an die im Ersten Weltkrieg umgesetzte Idee der Herstellung von Tonaufnahmen in Lagern wurden auch im Zweiten Weltkrieg drei Forschungsprojekte in Lagern durchgeführt: So entstanden zur Erforschung von Fremdsprachen neuerlich Aufnahmen von afrikanischen Soldaten aus der französischen Armee, die als Kriegsgefangene im deutsch besetzten Teil Frankreichs interniert waren, aber auch von Soldaten aus der russischen Armee, welche in Brandenburger Lagern festgehalten wurden. Ein drittes Projekt stellte eine Erweiterung des Forschungsauftrags aus den 1920er Jahren dar, deutsche Dialekte in möglichst großer Varianz aufzunehmen: Im Jahr 1941 wurden die Mundarten von so genannten deutschen „Heimkehrern“ aus Galizien und Wolhynien in „volksdeutschen Lagern“ aufgenommen.

Das Forschungsprojekt zeichnet die bis heute nicht aufgearbeitete Geschichte dieser erhaltenen Tonsammlungen wissens- wie wissenschaftsgeschichtlich nach. Es stellt dabei nicht nur die Frage, wie Stimmen aus den Lagern ins Lager des heutigen Lautarchivs der Humboldt-Universität gelangten, sondern auch, welche strukturelle Beziehung zwischen den Gefangenen-, Internierungs-, Durchgangslagern und dem Stimmenlager im Archiv besteht. Stimme, Sprache und ihre technische Aufzeichnung wie Reproduktion bewegen sich in einem eminent politischen Kontext, den es mit Blick auf die Geschichte ebenso wie auf die Gegenwart zu befragen gilt.

Ausgangspunkt ist die Frage, woran wir den Klang eines Instruments erkennen und welche Assoziationen er in spezifischen historischen Kontexten auszulösen vermag. Zu vermuten ist hierbei, dass die symbolische Zuordnung von (Musik-)Instrumenten und ihres Klangs nicht allein durch Diskurse, sondern vielfach von ihrem Grundmaterial bestimmt oder zumindest stark beeinflusst wird. So riefen Holzblasinstrumente mit ihrem oftmals als weich empfundenen Klang Vorstellungen von einem friedvollen Arkadien hervor, während sich Metallinstrumente zur Signalgebung bei der Jagd und auf dem Schlachtfeld eigneten oder zur Darstellung des strahlenden Glanzes eines weltlichen oder geistlichen Herrschers dienten. Was ändert sich nun aber beispielsweise, wenn, wie Mitte des 19. Jahrhunderts geschehen, Holzblasinstrumente aus Metall gebaut werden? Welche Gründe sind hier anzuführen und wie ist die Auswirkung auf die vermutlich sich wandelnden Assoziationen einzuordnen?

Das Projekt untersucht Musikinstrumente auf ihre Eignung als Symbol. Sie repräsentieren und prägen soziale Verhältnisse in besonderem Maße. Ihre Gegenwärtigkeit im Konzertleben, beim Musizieren im privaten und öffentlichen Rahmen mag auf die Eigenbedingungen ihrer Materialien und deren metaphorische Eigenschaften verweisen. Wie und wo wird Material zur Chiffre und zum Zeichenträger, letztlich also zum Medium der Einschreibung kulturhistorisch zentraler Gedächtnisformen? Der Fokus soll auf den Zeitraum des 19. Jahrhunderts gelegt werden, in dem die Akustik in enger Verbindung mit Musikinstrumenten forschte. Zu fragen ist vor diesem Hintergrund, inwiefern die Instrumente auch als experimentelle Praktiken der Wissensproduktion auf dem Feld der Akustik anzusehen sind. Welche Konsequenzen hat dies für die Sichtweise auf die Erbauer, deren eigene Publikationen zum Teil Auskunft über die Beschäftigung mit neuen Materialien geben? Forschungsleitend ist die Frage nach der Bedeutung des Materials eines Musikinstruments für das hörbare Ergebnis, inwiefern wurde dies bei den Experimenten mitbedacht, welche Bedeutung wurde ihm zugemessen?

Frühneuzeitliche Stadtgesellschaften wurden primär durch Kommunikation unter Anwesenden integriert. Die Medien einer solchen Kommunikation umfassten neben Sprache, Ritualen und Druckmedien auch Klänge. Diese strukturierten den sozialen, kulturellen und politischen Raum der Stadt in epochenspezifischer Weise. Die Klänge frühneuzeitlicher Städte waren lesbar, sie bildeten ein höchst komplexes akustisches Medien- und Kommunikationssystem, das den Alltag rhythmisierte, den Stadtraum strukturierte und spezifische Ereignisse durch spezifische akustische Signale kommunizierte. Klänge können damit analog zu optischen Medien als vernetztes Kommunikations- und Mediensystems aufgefasst werden, das kulturell geformt ist, gesellschaftlichen Normierungen unterliegt und in gesellschaftliche Konflikte eingebunden ist. Historische Akteure hörten nicht nur anders, sondern folgten auch spezifische soundways, die ihre soziale Welt formten und mit Sinn versahen. Vor allem aber nutzten sie Klänge als akustische Medien der Raumkonstitution und Mittel der Konfliktaustragung. Städtische Räume konnten akustisch besetzt, bestritten und umkämpft werden. Als Leitfragen des Projekts ergeben sich: Inwiefern lassen sich Klänge als Medien politischer Macht verstehen? Welches Wissen über politische Ordnungen kann über welche Klänge kommuniziert werden? Wer verfügt in welchem Kontext über die Macht, mit welchen Klängen den Stadtraum zu besetzen? Welche Strategien der akustischen Subversion lassen sich im Gegenzug identifizieren? Welche Klänge werden wie gehört, verstanden, interpretiert, „gelesen”? Gibt es eine distinkte Klangumwelt frühneuzeitlicher Städte? Politisches Klang- und Hörwissen entsteht, so die Hypothese des Projekts, vor allem durch Wissen um die akustische Legitimitätsordnung einer Gesellschaft. Legitimität und Illegitimität von Klängen sind Kategorien der gesellschaftlichen Machtproduktion. Politische Macht ist also immer auch Definitionsmacht über die legitime Klangproduktion und die angemessene Hörpraxis in einer politischen Ordnung. Zugleich gilt aber: Was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt als illegitim, als Lärm also, galt, stand in keiner Weise von vornherein fest, sondern war Gegenstand gesellschaftlicher Konflikte. Das Projekt verfolgt diese Politiken des Akustischen am Beispiel der frühneuzeitlichen Stadt Zürich in einer Langzeitperspektive vom späten 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert und interessiert sich dabei besonders für die Beziehung zwischen politischen, religiösen und sozialen Transformationsprozessen und ihrer jeweiligen akustischen Wissensproduktion.

DFG