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Zum Tode von Ernst Nolte (1923-2016)

News vom 26.08.2016

Am 18. August 2016 verstarb Prof. Dr. Ernst Nolte im Alter von 93 Jahren in Berlin. Von 1973 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 lehrte der Philosoph und Historiker, nach acht Jahren auf einem Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Marburg, am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Durch seine Rolle im „Historikerstreit“ von 1986 wurde Ernst Nolte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seine Thesen zum nationalsozialistischen Judenmord als einer Reaktion auf den bolschewistischen „Klassenmord“ in der Sowjetunion lösten damals heftigen Widerspruch aus. Mehr und mehr im intellektuellen und politischen Abseits, lebte er in den letzten Jahren weitgehend zurückgezogen in Berlin. Das Friedrich-Meinecke-Institut verliert mit ihm eine markante wissenschaftliche Persönlichkeit, einen außergewöhnlichen und kontroversen Gelehrten.

 

1923 in Witten an der Ruhr geboren, studierte Ernst Nolte noch während des Zweiten Weltkriegs Philosophie, Germanistik und Altphilologie in Münster, Berlin und Freiburg im Breisgau. Seine wissenschaftliche Karriere verlief ungewöhnlich: Seit 1945 unterrichtete er Deutsch und alte Sprachen an Gymnasien und schrieb nebenher eine philosophische Dissertation, mit der er 1952 in Freiburg promoviert wurde. Weiterhin im Schuldienst, wechselte sein Interesse zunehmend in die Zeitgeschichte und er veröffentlichte 1963 das Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“, mit dem er im folgenden Jahr in Köln habilitiert wurde. Die vergleichende Untersuchung zum deutschen, italienischen und französischen Faschismus machte ihn auf einen Schlag bekannt und bleibt bis heute ein Meilenstein der vergleichenden Faschismusforschung.

 

1974 erschien „Deutschland und der Kalte Krieg“, und das Interesse Noltes fokussierte sich auf die Grundkonstellationen der politischen Ideologiegeschichte des 20. Jahrhunderts, vor allem auf das Spannungsfeld von Marxismus und Faschismus, von Nationalsozialismus und sowjetischem Kommunismus, die er als zugleich radikal entgegengesetzte und einander verwandte Reaktionen auf die liberale Moderne verstand. Dabei war er keineswegs ein klassischer Vertreter der Totalitarismustheorie.Seinem philosophischen Denkansatz entsprechend, interessierte er sich weniger für verwandte Herrschaftsstrukturen, sondern eher für die Voraussetzungen und kausalen Beziehungen der beiden antiliberalen Ideologien.

 

Mit seinem Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, am 6. Juni 1986 in der FAZ veröffentlicht, löste er einen scharfen Angriff von Jürgen Habermas und damit den „Historikerstreit“ aus. Nolte kleidete seine umstrittenen Thesen, die er ein Jahr später in seinem Buch über den „Europäischen Bürgerkrieg 1917-1945“ ausführlicher darlegte, in Fragen: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat“, nämlich den Mord an den europäischen Juden, „vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirklich Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten?“ Die Nationalsozialisten in ihrem massenmörderischen Tun als „Opfer“ und zugleich als Nachahmer eines Handlungsmusters, das „asiatisch“ und barbarisch war, also irgendwie nicht zu Europa und Deutschland gehörte – das empörte viele in seinem Fach ebenso wie in der weiteren Öffentlichkeit.

 

Die fachwissenschaftliche Antwort auf Ernst Noltes Frage heißt heute ganz überwiegend : Nein, so war es nicht. Die neuere Forschung zu Nationalsozialismus und Holocaust hat primär andere Antriebskräfte identifiziert. Aber Nolte geschah auch Unrecht, weil sich viele auf eine vergleichende Untersuchung von Völkermord damals noch nicht einlassen wollten – inzwischen ist das in einer globalen Genozid- und Gewaltforschung (die aber nicht dem Historikerstreit entsprang) selbstverständlich geworden. Auch bleibt es legitim und in vieler Hinsicht erhellend, nach der Radikalisierung und gewalthaften Entgrenzung von Gesellschaftsutopien und politischen Regimen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu fragen, die damals von links und von rechts die liberale Demokratie zu überwinden versuchten – und auch, worauf zuletzt wieder öfters hingewiesen wurde, nach der einschneidenden Erfahrung der stalinistischen Gewaltentfesselung. Gleichwohl: Ernst Nolte fiel es, wohl auch persönlich, schwer, mit der heftigen, zudem moralisch aufgeladenen Kritik umzugehen, und statt elastisch auf sie zu reagieren, kapselte er sich in seinen Thesen ein und spitzte sie teils noch auf eine Weise zu, die immer weniger fachliches Verständnis fand. So beeindruckend seine intellektuelle Spannweite war, und so anregend der philosophische Blick des „Geschichtsdenkers“ Ernst Nolte auf die Grundkonflikte des 20. Jahrhunderts lange Zeit wirkte, stand er sich doch mit seinem philosophischen Rigorismus zunehmend selber im Wege. Die Kategorie eines „logischen Prius“, das der bolschewistische „Archipel Gulag“ gegenüber dem nationalsozialistischen Holocaust für Nolte hatte, ergibt in einer historischen Erklärung keinen Sinn.

 

Seit seiner Marburger Zeit und auch an der Freien Universität hat Ernst Nolte Schüler und andere jüngere Kollegen angeregt, die wie Hans-Ulrich Thamer, Anselm Doering-Manteuffel oder Andreas Wirsching längst zu den angesehensten Zeithistorikern der Bundesrepublik gehören. Der Historikerstreit wird heute weithin als wissenschaftlich unergiebig gesehen – die großen Durchbrüche in der Holocaustforschung seit den 1990er Jahren verdanken sich ganz überwiegend anderen Impulsen. Die Debatte von 1986/87 war eher ein Selbstverständigungsdiskurs in der politischen Kultur der „alten“ Bundesrepublik – als solcher hat er allerdings dazu beigetragen, die nationalsozialistische Vergangenheit zu einem Fundament des Selbstverständnisses auch des wiedervereinigten Deutschlands zu machen. In dieser Zeit hatte sich die intellektuelle Energie Ernst Noltes weithin erschöpft, und er zog sich zunehmend in die Rolle des Außenseiters zurück. Seine früheren Bücher, neben den genannten auch die Studie „Marxismus und Industrielle Revolution“ von 1983, verdienen einen zweiten Blick. Mit dem Tod Ernst Noltes beginnt auch die Möglichkeit zu seiner Historisierung.

 

Prof. Dr. Paul Nolte, Geschäftsführender Direktor des Friedrich-Meinecke-Instituts


Die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung findet am Freitag, dem 2. September 2016, um 12 Uhr auf dem Friedhof Sankt Matthias, Röblingstraße 91 in 12105 Berlin-Tempelhof, statt.


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