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I. Ravenna

I. 1. Überblick

I. 2. Das römische Ravenna

I. 3. Sant'Apollinare Nuovo

I. 4. Das Theoderich-Mausoleum

I. 5. Die Basilika Sant'Apollinare in Classe

1. Überblick (T. F.)

Warum die weströmischen Kaiser zu Beginn des 5. Jahrhunderts ihre Residenz von Mailand gerade nach Ravenna verlegten, ist eine noch immer nicht abschließend beantwortete Frage. Überragende Bedeutung hatte zweifellos das Argument der militärischen Sicherheit. Angesichts der Bedrohung durch die Westgoten und später durch die Hunnen empfahl sich die gut ausgebaute Stadt insbesondere durch ihre Lage am Adriatischen Meer und ihre Häfen (Classe und ein Kanalsystem mit Binnenhäfen), die sie erst im Laufe des Frühmittelalters infolge allmählicher Verlandung einbüßte (→ Das römische Ravenna). Ravenna konnte eine jahrhundertealte Tradition als Flottenstandort vorweisen, verfügte über Verwaltungsgebäude, war Bischofssitz und bot ferner eine bessere Verkehrsverbindung nach Rom als die stärker gefährdeten norditalienischen Metropolen Mailand und Aquileia.

Aus dieser ersten Phase Ravennas als Hauptstadt des Weströmischen Reiches haben sich bedeutende Bauzeugnisse erhalten. Dazu gehören, um nur wenige Beispiele zu nennen, das von der Kaiserschwester und -mutter Galla Placidia gestiftete sogenannte Mausoleum mit seinem exquisiten Mosaikschmuck; eine von Galla Placidia dem Evangelisten Johannes als Retter in Seenot geweihte Basilika, die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde und ihre Mosaiken verloren hat; sowie der Komplex der bischöflichen Bauten, in dem die Kathedralkirche im 18. Jahrhundert zwar einem Neubau wich, von denen sich aber das Baptisterium (Battistero Neoniano) und eine Kapelle (S. Andrea, zur Zeit wegen Restaurierung geschlossen) mit Mosaiken des 5. Jahrhunderts erhalten haben.

Nach dem Ende des weströmischen Kaisertums 476 und der Übergangsregierung des Odoaker setzte sich gegen Ende des Jahrhunderts der Ostgotenherrscher Theoderich, offiziell von Konstantinopel entsandt, in Italien fest. Es gelang ihm, eine Königsherrschaft zu etablieren, die die alten Eliten zwar teilweise entmachtete, aber die römische Verwaltungstradition fortsetzte. So überrascht es nicht, dass Theoderich am Status der Hauptstadt nichts änderte und damit Ravennas zweite Phase als Zentralort des spätantiken Italien einläutete. Die unter ihm dort errichteten repräsentativen Bauten zeugen auf ihre Weise von dieser Politik der Kontinuität – wenn diese auch mit geringeren Mitteln und unter neuen Vorzeichen umgesetzt wurde, nämlich im Zeichen der arianischen Lesart des Christentums, der die Ostgoten seit jeher anhingen. Neben dem Mausoleum des Königs und der neuen Palastkirche, der später S. Apollinare Nuovo genannten Basilika, entstanden unter Theoderich weitere arianische Kirchen. Ein wegen seiner Vergleichbarkeit mit dem orthodoxen Battistero Neoniano besonders interessantes Zeugnis ist das neben der – ursprünglich ebenfalls arianischen – Kirche S. Spirito gelegene arianische Baptisterium.

Mit der Rückeroberung Italiens durch den oströmischen Kaiser Justinian I. (527-565) verlor Ravenna zwar seine Funktion als Residenz eines souveränen Herrschers; doch die Stadt blieb das politische Zentrum Italiens, da in ihr der höchste byzantinische Beamte und Vertreter des Kaisers, der Exarch, seinen Sitz nahm. Diese politische Zentralfunktion Ravennas schlug sich auch in konfliktreichen kirchlichen Beziehungen zum römischen Papst nieder. Die Hauptquelle für die Geschichte des frühmittelalterlichen Ravenna, der im 9. Jahrhundert geschriebene Liber pontificalis des Klerikers Agnellus, ist von der Rivalität zu Rom geradezu geprägt. Mit der allmählichen Schwächung des Exarchats konnten sich die Erzbischöfe der Adriametropole als dominierende wirtschaftliche Kraft und Träger der Ordnung in der Region etablieren.

Die Rückkehr Ravennas unter das (ost)römische Imperium ging auf kirchlicher Ebene mit der Austreibung des Arianismus und der Rekonversion zur Orthodoxie einher. Veränderungen in den Bildprogrammen bestehender Kirchen (→ S. Apollinare Nuovo) lassen dies ebenso erkennen wie Neubauten, z. B. die 545 geweihte Kirche S. Michele in Africisco, deren Apsismosaik 1843 nach Berlin verkauft wurde und heute im Bode-Museum zu sehen ist. Getragen wurde diese dritte und letzte Glanzzeit des spätantiken Ravenna vor allem von Justinians Mann auf dem Bischofsstuhl, Maximianus, und dem kaiserlichen Finanzexperten und Bankier Julianus Argentarius. Der Thron des ersten Ravennater Oberhirten, der den Erzbischofstitel trug – die mit Elfenbeinreliefs geschmückte cathedra Maximiani – ist im Museo Arcivescovile zu besichtigen (zur Zeit nur eingeschränkt zugänglich). Die beiden bedeutendsten Bauwerke der justinianischen Zeit sind der in der Nordwestecke der Stadt über einer Vorgängerkirche errichtete Zentralbau von S. Vitale mit seinen bekannten Mosaiken sowie die Apollinaris-Basilika in Classe, wenige Kilometer südlich von Ravenna.

Der mit der justinianischen Restauration forcierte Aufstieg der Ravennater Kirche setzte sich auch dann fort, als die byzantinische Herrschaft in Italien mit der langobardischen Eroberung ab 568 auf immer kleinere Gebiete zurückgedrängt wurde. Als der von den Langobarden um 750 eroberte Exarchat durch das Eingreifen der Frankenherrscher Pippin und Karls des Großen de jure dem römischen Papst übertragen wurde (Pippinische Schenkung), waren es de facto die Erzbischöfe, die zumindest in der Ravennater Region die Zügel führten. Rom konnte auch nicht verhindern, dass Ravenna und die Romagna nach und nach ins Regnum Italicum integriert wurden. Erst im 13. Jahrhundert gelang es dem Kirchenstaat, seine alten Anprüche auf den ehemaligen Exarchat durchzusetzen.

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