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Journalisten des Hörens. Zur sozialen Wissenskonstruktion durch Musikkritiker im Konzertsaal im 19. Jahrhundert

Seit der Entstehung des modernen Konzerts war das musikalische Hörerlebnis im Konzertsaal auf Vermittler angewiesen, die das Hören vorbereiteten, darüber berichteten, es interpretierten und das Geschehene verbreiteten. Journalisten avancierten im Laufe des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten Vermittlern, die das Gehörte in Sprache übersetzten und damit das Hören objektivierten und jenen zugänglich machen, die nicht an einer spezifischen und zeitlich begrenzten Hörerfahrung teilgenommen haben. Sie konstruierten auf diese Weise Wissen über das Hören und schufen einen Rahmen für Konzertbesucher. Dieses Wissen, das vorwiegend in der Tageszeitung zusammengefasst wurde, trug dazu bei, dem Hören in der Gesellschaft eine soziale und kulturelle Rolle zuzuweisen und die Existenz des Konzerts zu rechtfertigen, dessen Ziel es war, Hörerlebnisse zu ermöglichen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich eine allmähliche Verwissenschaftlichung dieses journalistischen Wissensbestands durch, als die Themen des journalistischen Alltagsdiskurses in musikwissenschaftliche Spezialdisziplinen wie der Musikpsychologie, der Musikanalyse oder der Musikpädagogik überführt wurden und die zentrale Bedeutung des Journalisten für das Hören im Konzert schwand.

Dieses Projekt erweitert und setzt die Themen fort, mit denen ich mich in meinem Dissertationsprojekt beschäftigt habe. Während ich mich dort mit der Kulturgeschichte des Konzerts zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankfurt am Main befasst habe, widme ich mich nun mit dem journalistischen Diskurs einer der strukturellen Bedingungen, wie Wissen über das musikalische Hören in der Öffentlichkeit konstruiert worden ist. Es geht der Frage nach, woraus dieses journalistische Wissen bestand, welche Interessen die Journalisten verfolgten, welche Kategorien sie etablierten, welche journalistischen Mittel sie nutzten, um Phänomene des Hörens zu erfassen und welche Grenzen zwischen sichtbar und unsichtbar, objektiv und subjektiv etc. sie zogen. Wer kam für eine solche journalistische Tätigkeit in Frage und welches Vorwissen brachte er mit? Es geht nicht darum, das Hören „an sich” für diese Zeit zu beschreiben; vielmehr stehen die strukturellen Bedingungen des Hörens im Mittelpunk des Interesses. Dieses Projekt untersucht diese Fragen anhand von journalistischen Quellen an ausgewählten und repräsentativen Beispielen der Journalismusgeschichte von den Anfängen des musikalischen Journalismus bis zu seiner Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts (z. Bsp. Börne, Heine, Hanslick, Bekker). Dabei sollen Journalisten mit den Methoden der historischen Anthropologie in ihrem jeweiligen historischen Kontext gestellt werden, um den Wandel der journalistischen Wissenskonstruktion zu erforschen.

DFG