Springe direkt zu Inhalt

Thronfolge als Krisenmoment: Akteure, Strategien, Institutionen und Verfahren vom „Alten Orient“ bis zum „frühen Mittelalter“ Workshop der KFG 2615, 9./10. Dezember 2021 Organisation St. Esders / J. Klinger

09.12.2021 - 10.12.2021

 

Monarchische Herrschaft tendiert dahin, die Funktion des Herrschers innerhalb der eigenen Familie weiterzugeben. Möglichst bereits zu Lebzeiten Nachfolgeregelungen zu treffen, die eine reibungslose Weitergabe der Herrschaft an Angehörige der eigenen Dynastie gestatten, ist daher essentiell. Derartige Nachfolgeregelungen haben die unterschiedlichsten Faktoren wie z.B. die Anzahl vorhandener Kandidaten, deren Alter, Fähigkeiten und Akzeptanz, die Bedeutung und die Zahl zu vergebender Positionen sowie die sich stetig verändernden inneren und äußeren Konstellationen zu berücksichtigen. Mit derartigen Strategien korrespondiert die Infragestellung solcher Regelungen, vor allem durch in einer Nachfolgeregelung entweder nicht hinreichend oder aber gar nicht berücksichtigter Personen bzw. solcher, die keine hinreichende Akzeptanz gefunden haben oder die bestehenden Regelungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit sind zu akzeptieren. Hinter diesen Personen scharen sich jeweils Unterstützer, welche für die Infragestellung nicht selten Argumente geltend machen, die einen eigenen Diskurs über die Legitimität ihres Anspruchs pflegen und verbreiten. Der Moment der Übergabe der Macht ist also immer ein besonders sensibler Zeitpunkt, da gerade hier konkurrierende Interessen virulent werden können. Der neue Herrscher muss darauf bedacht sein, dass sein Machtanspruch akzeptiert wird, gerade dann, wenn es nur mit Mühe gelingt, die Nachfolgeregelung durchzusetzen. Entspricht der Thronwechsel aber nicht der getroffenen Nachfolgeregelung („Usurpation“), ergibt sich die Frage, wie mit den jeweils unterlegenen Thronfolgeaspiranten (und deren Anhängerschaft) umzugehen ist (Tötung, Internierung, damnatio memoriae, Konfiskation von Vermögen etc.). Noch kritischer ist die Situation, wenn ein eigentlich legitimer Herrscher entmachtet werden soll, sei es, weil andere ihm die Macht streitig machen oder weil er, aus welchen Gründen auch immer – Unfähigkeit, Verstoß gegen geltende Regelungen, Ausbau der Zentralmacht gegenüber anderen Machtgruppen (Adel, Bürokratie, Priester usw.) – von der macht wieder entfernt werden soll.

              Stand die Erforschung solcher Zusammenhänge lange Zeit unter dem Paradigma einer (vergleichenden) „Verfassungsgeschichte“, verdichtet in eisernen, national und kulturell geprägten abstrakten Rechtsprinzipien (dynastisches vs. Wahlprinzip, Primogenitur usw.), so wurde in jüngerer Zeit die Fragilität und Dynamik von Legitimationskonstruktionen betont, und mit ihr das nicht selten situativ bedingte Ringen um Akzeptanz unter Involvierung verschiedener Akteure und Kollektive. Hieran knüpft die geplante Arbeitstagung an, d.h. neben den bestehenden formalen, gegebenenfalls auch schriftlich fixierten Regelungen sollen vor allem auch die bestehende Praxis und das Handeln der involvierten Akteure beleuchtet werden.

              Im Vergleich verschiedener Kulturen bzw. politischer Ordnungen, die zeitlich vom Alten Orient bis zum frühen Mittelalter reichen und thematisch das Hethitherreich, Assur, Ägypten, Rom, die Reiche der Westgoten und Franken und das frühe Kalifat behandeln, zielt der Workshop darauf, in vergleichender Weise die Legitimitätskonstruktionen (Institutionen, Verfahren, Zeichen) sowie die beteiligten Akteure samt ihren Strategien in den Blick zu nehmen. Dabei sind jeweils die Situationen vor, während und nach einem Thronwechsel zu berücksichtigen. Um eine vergleichende Betrachtung zu ermöglichen, die ihren Ausgang von der jeweiligen Quellenüberlieferung nimmt, sollen dabei drei Schwerpunkte gesetzt werden:  

Zunächst ist (1) zu fragen, inwieweit die angesprochene Problematik sich in der jeweiligen Position des Herrschers niedergeschlagen hat, die häufig gerade in der Form der Herrschaftstitulatur zum Ausdruck kommt. Inwieweit erlaubt der Blick auf „offiziell“ gebrauchte und propagierte „Herrschertitel“ oder typische Epitheta der herrscherlichen Selbstdarstellung z.B. in Inschriften die jeweiligen Legitimitäts­konstruktionen gerade unter dem Aspekt der getroffenen Nachfolge besser zu verstehen? Welchen Anteil hat Herrschaftstitulatur daran, diese Regelungen sichtbar zu machen und ihre Akzeptanz zu erhöhen. Welche Rolle spielen Herrschertitulaturen in der Innen-, vor allem aber auch der Außen­wirkung. Wer etwa durfte sich „Großkönig“, „Kaiser“ usw. nennen?

Ein anderer Aspekt betrifft (2) die Rolle von Schrift und schriftlicher Fixierung im Rahmen von zuvor ausgehandelten Nachfolgeregelungen. Zu welchen kontrollierten Abschichtungen unterschiedlicher Interessen kommt es in diesem Zusammenhang, vor allem bei Großreichen? Wie wird mit denjenigen umgegangen, die in der Thronfolge nicht oder weniger zum Zuge kommen? Inwieweit kommt es bei Thronfolgeregelungen zu einem Abgleich zwischen personalen Nachfolgekonstellationen und territorialen Gesichtspunkten (Teilreiche, Unterkönigtum, Mitherrschaft etc.)? Auf welche Weise werden weitere Gruppen und Kollektive in diese Vereinbarungen einbezogen, um ihre Verbindlichkeit und Akzeptant zu erhöhen (z. B. durch Eide)? Gibt es eine über das eigene Reich hinausreichende Involvierung von Akteuren, um die Verbindlichkeit getroffener Regelungen zu erhöhen?

Einen letzten Schwerpunkt sollen sodann (3) die Regeln und Verfahren bei der Absetzung von Monarchen bilden. Diese korrespondieren nicht selten bis zu einem gewissen Grad damit, in welchem Umfang sich eine monarchische Position als eine unabhängig vom jeweiligen Monarchen bestehende, versachlichte „Position“ („Amt“) verstehen lässt und welche Verfahren der Herstellung von Konsens, Wahl und Schaffung von Akzeptanz bei der Einsetzung eines Monarchen bzw. der Designation eines Thronfolgers zum Einsatz kommen. Bei der „Absetzung“ von Monarchen bzw. für die Thronfolge vorgesehener Personen stellt sich die Frage, wie sich ein Herrscher bzw. Thronfolger legitim absetzen lässt, wie sich bestehende Regeln außer Kraft setzen, d.h. delegitimieren lassen und wie zugleich sichergestellt werden kann, dass von der abgesetzten Person keine weitere Gefährdung der neuen Herrschaftsregelung ausgeht. Gibt es – jenseits der schieren Gewalt bzw. physischen Vernichtung der betroffenen Personen – auch Regeln und Verfahren, diese Personen nicht nur förmlich „abzusetzen“, sondern sie auch dauerhaft „amtsunfähig“ zu machen?

Deutsche Vorschungsgemeinschaft