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III. 3. Grado: Stadtanlage und Dom S. Eufemia (A. F.)

 

Betrachtet man die Veränderungen, welche der nördliche Adriaraum im hier interessierenden Zeitraum erfahren hat, so kann der Ort Grado in mancherlei Hinsicht als Brennpunkt einiger dieser Wandlungen gelten, und zwar sowohl auf dem Gebiet politischer Veränderungen als auch auf demjenigen religiöser Umbrüche. Und es mag dabei sicher nicht überraschen, wenn sich von diesen auch direkte Spuren im Bild der heute besonders als Urlaubs- und Badeort beliebten Stadt erhalten haben.

Ursprünglich ein bedeutender Umschlagplatz als Seehafen des nur wenige Kilometer landeinwärts gelegenen Aquileia, veränderte sich die Situation und Bedeutung des Ortes durch den Umstrukturierungsprozess des Reiches in der Spätantike. Zeitgleich mit der zunehmenden Bedrohung des nördlichen Adriaraumes durch ‚barbarische’ gentes sind auch hydrogeologische Veränderungen der Küstenlandschaft zu konstatieren, welche den vorherigen Hafenort in eine Insel verwandeln sollten. Gerade in den unruhigen Zeiten der ‚Völkerwanderung’ bot der Ort in der Lagune eine hervorragende Fluchtmöglichkeit. So wurde er in ein typisch spätrömisches castrum umgestaltet, umgeben von einem langgezogenen, trapezförmigen Mauerring. Bis heute hat Grado dieses geometrische Muster in seinem langgestreckten Altstadtkern bewahrt, kann der Besucher Reste der Türme des Mauerrings in den heutigen Wohnhäusern erkennen.

Von größter Bedeutung sollte für Grado jedoch die langobardische Eroberung Italiens ab 568 sein. Während das Festland (inklusive Aquileia) unter langobardische Herrschaft geriet, verblieb die Insel mitsamt einem schmalen Küstenstreifen weiterhin beim oströmisch-byzantinischen Reich – eine politische Teilung, die lange Zeit prägend für den nördlichen Adriaraum, aber auch darüber hinaus sein sollte. Noch folgenreicher für Grado selbst war aber die Flucht des Bischofs von Aquileia in das castrum mitsamt dem Kirchenschatz. Auch wenn Paulus Diaconus in seiner Historia Langobardorum den Anschein erweckt, dies sei plötzlich und ohne lange Vorbereitungen geschehen, lässt sich dieses Bild durch einen genaueren Blick auf die Bauten der Stadt in einigen Punkten korrigieren. Ein Blick auf die Baugeschichte des Domes S. Eufemia zeigt, dass bereits vor dem Epochenjahr 568 Grado eine bedeutende Residenz des Bischofs von Aquileia war. Die ursprünglich an dieser Stelle errichtete sogenannte Aula di Pietro – eine einschiffige Saalkirche aus der zweiten Hälfte des 4. oder der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts – war bereits unter Bischof Nicetas (454-485?) zu einer großen dreischiffigen Basilika erweitert, zeitgleich auch ein neues, großes Baptisterium nördlich davon errichtet worden, welches heute noch erhalten ist. Südlich der Kirche wurde noch im 5. Jahrhundert über den Resten eines römischen Gebäudes ein palastartiger Bischofssitz erbaut. Man war also gut vorbereitet, als sich der Bischof von Aquileia zur Flucht entschloss und Grado damit zum Bischofssitz wurde. Wie schnell man sich in der ‚neuen’ Residenz einrichtete, mag auch die Erweiterung des Domes unter Bischof Elias (571-586) verdeutlichen (→ Bild: "Mausoleum" des Domes mit Monogramm des Elias), unter dem die Basilika im Wesentlichen ihre heutige Form erhielt und mit einem Mosaikfußboden ausgestattet wurde, der sich (inklusive der Nebenräume) auf insgesamt 700m2 erstreckt und das vollständigste und organischste Werk dieser Art darstellt (→ Bild: Innenraum des Domes S. Eufemia). Das Mosaik verzichtet auf figürliche Darstellungen und verwendet stattdessen geometrische Motive, welche die zahlreichen Votivinschriften einrahmen (→ Bild: Votivinschrift und Inschrift des Elias).

Von dem großen kirchenpolitischen Streit zwischen Aquileia und Grado um die rechtliche Nachfolge des alten römischen Aquileia, der dann ein Streit um die Rechtmäßigkeit des Patriarchentitels werden sollte, haben sich in Grado keine direkten baulichen Zeugnisse erhalten. Dennoch bestimmte dieser Konflikt – der 607 mit zwei im Dreikapitelstreit unterschiedliche Positionen einnehmenden Bischöfen begann, durch die politische Spaltung zwischen Byzantinern und Langobarden in Venetien gefördert wurde und sich seit Ende des 7. Jahrhunderts verfestigte – die gesamte weitere Geschichte Grados. Immerhin erhielt sich im Patrozinium des Domes, S. Eufemia, eine Spitze des Bischofs (Elias?) von Grado gegen die Verurteilung der drei Kapitel durch den Papst, war doch die heilige Euphemia die Schutzpatronin des Konzils von Chalkedon (451), dessen teilweise Infragestellung man durch die Verurteilung der drei Kapitel befürchtete.

Insbesondere die Ausstattung des Domes sowie der Domschatz vermögen Aufschluss über die vielfältigen Beziehungen zu geben, welche Grado mit dem weiteren mediterranen Raum verbanden. Der Bau selbst ist ‚klassisch’ im Stile der großen dreischiffigen Basiliken mit innen halbrunder, außen polygonal gebrochener Apsis ravennatischen Typs gehalten. Hier orientierte man sich also (wie auch andernorts) an der „Hauptstadt des spätantiken Abendlandes“ (Deichmann). Die musivische Ausstattung hingegen orientiert sich am spätaquileischen Stil (→ Bild: Innenraum des Domes S. Eufemia). Der Bischofsthron des Elias, dessen Original sich heute in S. Marco in Venedig befindet (in Grado ein Gipsabguss), war ein Geschenk des Kaisers Herakleios (610-641) an den Bischof von Grado und dürfte zusammen mit der Staurothek (einem für die Aufnahme von Fragmenten des heiligen Kreuzes bestimmten Reliquiar) des Domschatzes nach Grado gelangt sein; letztere fügt sich genau in eine Vertiefung des Bischofsstuhles ein und verleiht diesem damit den Charakter eines Reliquiars. Es ist anzunehmen, dass die Kreuzpartikel von Grado im Gefolge von Kaiser Herakleios’ Sieg über die Perser (627) und seiner Rückführung des heiligen Kreuzes nach Jersualem propagandistisch exportiert wurde – ähnlich wie zeitgleich in anderen Regionen.

Sowohl der Domschatz als auch die besondere Form der Kanzel bezeugen zudem den Einfluss Venedigs, das sich allmählich zur schützenden Macht des Patriarchats von Grado entwickelte – bis im 15. Jahrhundert dasselbe nach Venedig transferiert wurde. Zum einen finden sich im Schatz Stücke venezianischer Provenienz (so ein Einbanddeckel eines Evangeliars aus dem 14. Jahrhundert), zum anderen ist die aus Spolien zusammengesetzte, ungewöhnlich verzierte und geformte Kanzel aus dem Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts mit ihrem in gotisch-maurischen Formen verzierten Baldachin stilistisch stark von der Kunst der Seerepublik beeinflusst worden. Eine im Lapidarium an der Nordseite des Domes aufbewahrte Inschrift zu Ehren des hl. Markus, die Teil einer im Jahr 807 errichteten Pergula war, bietet den frühesten Nachweis einer Verehrung des Evangelisten in diesem Raum – früher als in Venedig, dem späteren Zentrum des Markuskultes.

Der Mikrokosmos Grado bewahrt also, innerhalb des kleinen Kernes des alten trapezförmigen spätrömischen castrum, eine ganze Reihe von Zeugnissen, die die Veränderungen der Region in den Jahrhunderten von der Spätantike bis zum hohen Mittelalter widerspiegeln. Von den Gefährdungen der Stadt in den Zeiten der ‚Völkerwanderung’ und dem Ausbau als spätrömischem castrum über die Austauschbeziehungen mit Byzanz oder Venedig bis hin zum Thema der Frömmigkeit (Markuskult) oder auch bis hin zu kirchenpolitischen Streitigkeiten vermag Grado als gutes Beispiel für die vielfältigen Veränderungen der Region des nördlichen Adriaraumes in diesen Jahrhunderten zu dienen.

 

Innenraum des Domes S. Eufemia

 

Fußbodenmosaik im "Mausoleum" von S. Eufemia mit dem Monogramm des Bischofs Elias ("Helias episcopus")

 

Mosaikboden des Domes S. Eufemia mit der Inschrift des Bischofs Elias (oben) und für einen Diakon Laurentius (unten) - Bilder: André Fischer

 

III. Aquileia und Grado (Überblick):

III. 1. Überblick

III. 2. Das römische und spätantike Aquileia

III. 3. Grado: Stadtanlage und Dom S. Eufemia

III. 4. S. Maria delle Grazie und S. Giovanni Maggiore in Grado

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