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Der Codex Remensis der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Phill. 1743): Der gallische Episkopat als Mittler antiken Rechtswissens und Mitgestalter merowingischer Politik

Incipit der Statuta Ecclesiae Antiquae mit Prunkschriften und verzierter Initiale;

Incipit der Statuta Ecclesiae Antiquae mit Prunkschriften und verzierter Initiale;
Bildquelle: Ms. Phill. 1743, fol. 20r

"Haec synod(us) n(on est) kathol(ica)": Kritische Randnotiz aus dem 9. Jahrhundert;

"Haec synod(us) n(on est) kathol(ica)": Kritische Randnotiz aus dem 9. Jahrhundert;
Bildquelle: Ms. Phill. 1743, fol. 85r

Projektbeschreibung (English version below)

Im Übergang von der Antike zum Mittelalter setzten die noch vielerorts dem spätrömischen Senatorenadel entstammenden Bischöfe als Episkopat im regionalen Rahmen der gallischen Bistümer und Kirchenprovinzen die antike Institution der christlichen Kirche fort, bewahrten deren Recht und entwickelten es auf Synoden konsensual fort. Als Schnittstelle in überregionalen Zusammenhängen gestalteten sie in Kooperation mit dem merowingischen Königtum die politischen Geschicke des Frankenreiches mit, während über ihre Unterstellung unter den Bischof von Rom auch die Kirche des von Konstantinopel aus regierten Imperium Romanum eine wichtige Bezugsgröße ihres Handelns blieb. Das Projekt zielt darauf, mit dem in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrten sog. Codex Remensis (Ms. Phill. 1743) aus dem 8. Jahrhundert das in dieser Hinsicht aussagekräftigste zeitgenössische Überlieferungszeugnis erstmals systematisch zu erschließen. Der berühmte und lange Zeit nicht zugängliche Codex überliefert singulär eine Sammlung des Rechts der alten Kirche mit Synodalakten und päpstlichen Rechtsentscheiden, Texte zu einem durch den oströmischen Kaiser Justinian (527-565) ausgelösten, den gesamten Mittelmeerraum erschütternden dogmatischen Konflikt (Dreikapitelstreit) sowie legislative Texte einer umfassenden politischen Reform, die der merowingische König Chlothar II. (584-629) nach Beendigung blutiger Bürgerkriege im Jahr 614 verfügte. Der Codex enthält zudem Randnotizen des 9. Jahrhunderts, die seine Benutzung durch den bedeutenden karolingischen Reichsbischof und Rechtskenner Hinkmar von Reims (845-882) erkennen lassen.  Im Projekt soll der unlängst restaurierte und inzwischen digitalisierte Codex paläographisch analysiert werden, wobei bisher unleserliche Textpassagen mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden zu rekonstruieren sind. Die enthaltenen Texte sollen transskribiert, inhaltlich aufgeschlüsselt und als Zeugnis des episkopalen Rechtswissens sowie einer wegweisenden politischen Kooperation von Episkopat und Königtum im Bereich der Gesetzgebung gedeutet werden. Unter dem Vergrößerungsglas des - interdisziplinär und mittels neuer Technologien erschlossenen sowie digital aufbereiteten - Codex Remensis soll gezeigt werden, wie der gallische Episkopat mit seiner Rechtskenntnis die politischen und rechtlichen Transformationsprozesse im Übergang von der Antike zum Mittelalter maßgeblich und wegweisend mitgestaltete. Zugleich möchte das Projekt den Auftakt zu einer intensivierten internationalen Erforschung der frühmittelalterlichen Handschriftenbestände der Staatsbibliothek zu Berlin bilden


Project Description

During the transition from Antiquity to the Middle Ages, the Gallic bishops, often descendants of the late Roman senatorial nobility, continued the antique institutions of the Christian church on the regional scale of their dioceses and archdioceses, preserving its laws and collectively developing it in synods. On the trans-regional scale, they shaped the political landscape of the Frankish kingdoms in cooperation with the Merovingian kings, while their actions continued to be influenced by their relationship to the papacy in Rome and the Imperium Romanum, now governed from Constantinople. One of the most significant contemporary sources for this complex of issues is the so-called Codex Remensis, an 8th-century manuscript now at the Staatsbibliothek Berlin (Ms. Phill. 1743), which this project aims to systematically analyse for the first time. The famous – though long inaccessible – codex singularly transmits a collection of synodal acta and papal legal decisions, texts concerning the Three Chapters Controversy, a dogmatic conflict sparked by the Eastern Roman emperor Justinian (527-565) that stirred up the entire Mediterranean, as well as legislative texts related to political reforms instituted by the Merovingian king Clothar II (584-629) after decades of civil war in 614. Additionally, the codex contains 9th-century marginalia that point to its use by the prominent Carolingian bishop and legal expert Hincmar of Reims (845-882). The recently restored and digitized codex will be subject to palaeographic analysis, during which the currently unreadable passages will be reconstructed using scientific methods. The texts will be transcribed, evaluated and used as witness both of bishops’ knowledge of legal matters and of political cooperation between episcopacy and royalty with regards to legislation. Using interdisciplinary and scientific analysis as well as digitization, the Codex Remensis will become a magnifying glass, showing the ways in which Gallic bishops used their legal expertise to shape the political and legal transformations between Antiquity and the Middle Ages. The project hopefully also will be a starting point for intensified international research into to early medieval manuscripts at the Staatsbibliothek Berlin.


Projektmitarbeiter

Univ.-Prof. Dr. Stefan Esders

Prof. Dr. Eef Overgaauw, Staatsbibliothek zu Berlin

Prof. Dr. David Ganz, Mercator-Fellow, Staatsbibliothek zu Berlin

Till Stüber

Michael Eber

Mentoring
Tutoring
OSA Geschichte
OSA Geschichte