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Sammelhandschrift mit Texten zur Halacha und Äsopischen Fabeln: Ms. or. Quart. 685

Entstehungsort: Deutschland, Italien

Entstehungszeit: 11. Jahrhundert

Beschreibstoff: Pergament

Umfang: 291 Blatt

Format: Einband: 23,5x17,5x9 cm; Blatt: 22x18 cm; Seitenspiegel: 14,5x10,5 cm

Blattzählung: Foliierung mit arabischen Ziffern auf jeder Rectoseite in der oberen linken Ecke (Tinte über Bleistift)

Lagenstruktur: 1 IV (8). 1 III+2 (16). 6 IV (64). 1 IV+2 (74). 23 IV (258). 1 V (268). 1 IV (276). 1 III+2 (284). 1 IV-1 (291); durchgehend Kustoden auf der Rectoseite des letzten Lagenblatts bis fol. 285; Kustode auf fol. 250v ומפצפצים statt ומבעבעים

Zustand: stark vergilbt, fleckig, Ränder durch Abnutzung verdunkelt, Brand-, Ruß- und Wasserspuren

Einband: Buchdeckel mit grün-gelben Ringadermarmorpapier beklebt und mit Schutzecken und Einbandrücken aus braunem Leder. Je ein fliegendes Blatt hinten und vorne.

Neubindung von Paul de Lagarde 1872 in Auftrag gegeben. Entsprechende Notiz auf erstem fliegenden Blatt vorne.

Inhalt: Fol. 1r–43v, 193v–209v, 267v–268v, 272r–291v: größtenteils Responsen der Geonim kadmonim: u.a. Natronai Gaon, Paltoi Gaon, Sar Schalom, Rav Scherira Gaon, ev. Rav Samuel ben Chofni; aber auch Responsen des R. Meschulam bar Qalonymos an R. Simon ben Isaak aus Mainz und das Fragment eines Kommentars zu Chagiga von Rav Scherira Gaon oder Hai ben Scherira Gaon; fol. 44r–60v/60v–80r Hai ben Scherira Gaon, Mischpetei Schavu‘ot; 80v–193r Hai ben Scherira Gaon, Sefer miqqach u-mimkar; 209v–227v: Hai ben Scherira Gaon, Iggeret Rav Scherira Gaon; 227v–259v Hai ben Scherira Gaon mit einem Kommentar zur Mischna, Ordnung Tohorot; 260r–267r Äsopsche Fabeln – הדין הוא מילתיה דסופוסr –; 269r–272r Gaonäischer Kommentar zur Mischna, Abschnitt Parah der Ordnung Tohorot.

Einige Responsen sind mit Hinweisen zum Inhalt versehen: u.a. fol. 14v am Rand der Name שר שלום; fol. 24r – משלם ב'ר קלונימוס ל'ר שמע' ב'ר יצחק חמוד וחשוק Meschulam bar Qalonymos [der Große Provinz Lucca, Toskana, Italien, ca. 900–1020 in Frankreich gest.] an den liebenswerten und hochgeschätzten Schimon bar Isaak (ca. 950–1015/30 in Mainz); fol. 32v … שאילתא דשאיל מ'ר' ניסים מן קדם מ'ר' האיי ריש מתיבתא – Frage, die Rav Nisim in alter Zeit Rav Hai, dem Oberhaupt der Akademie, stellte; fol. 280r תשובות שהשיב ר' קלונימוס – Antworten, die Rabbi Qalonymos gab; fol. 284v תשובות שהשיב ר' משולם  – Antworten, die Rabbi Meschulam gab.

Entstehung und Provenienz der Handschrift:

Die Handschrift besteht aus mehreren Sammlungen halachischer Abhandlungen und Responsen sowie einer Anthologie Äsopischer Fabeln, die von mindestens drei verschiedenen Händen zusammengefügt wurden. Ursprünglich enthielt der Kodex noch Responsen Raschis an R. Menachem in Mainz, Responsen des R. Isaak ha-Levis und R. Isaak ben Jehudas an Raschi sowie Erklärungen zum Traktat Avodah Zarah, die sehr wahrscheinlich die ersten beiden Lagen, d.h. ca. 34 Seiten, ausmachten. (Vgl. Epstein, Die Rechtsgutachten der Geonim, S. 217ff) Für die Editionen von David Cassel (Die Rechtsgutachten der Geonim, Berlin 1848) oder Baer Goldberg (Chofes matmonim, Berlin 1845) der meisten halachischen Abhandlungen der Handschrift lag die vollständige Fassung noch vor. Auch Jaraczewsky erwähnt im Jahre 1868 noch „eine Sammlung von Gutachten von Raschi und Rabbenu Tam“ (Jaraczewsky, Die Geschichte der Juden,S. 117). Da sich Lagarde über diese Angabe von Jaraczewsky bereits mokiert, ist davon auszugehen, dass diese ersten Lagen bei der von Lagarde in Auftrag gegebenen Neubindung verloren gegangen sind.

Der paläographische Befund des Manuskripts bezeugt mit verschiedenen Händen einer alten deutschen Quadratschrift größtenteils eine Niederschrift im 11. Jahrhundert. Doch es gibt auch Abschnitte, wie fol. 267v–268v, die sehr wahrscheinlich später hinzugefügt wurden.

Die Kopisten/Kompilatoren der Responsen nummerierten im ersten Teil der Handschrift insgesamt neun Abschnitte unterschiedlicher Sammlungen, wobei die erste erhaltene Sammlung, nämlich die sechste, auf fol. 1v am Rand mit einem ו (sechster Buchstabe des heb. Alphabets) gekennzeichnet ist (Sammlung 6. 1v–7v, Sammlung 7. 7v–14v, Sammlung 8. 14v–25v, Sammlung 9. 25v–41v).

Die Tatsache, dass Responsen von Gelehrten des Rheinlands aufgenommen wurden und sogar den ursprünglichen Anfang der Handschrift ausmachten, lässt Epstein zu der Überzeugung kommen, dass die Zusammenstellung und die Herstellung dieses Kodex innerhalb der jüdischen Gemeinden des Rheinlands im 11. Jahrhundert stattgefunden haben muss. Für eine solche Genese spricht auch eine Bemerkung des Kompilators, die nicht mehr in der Handschrift selbst, aber in der Edition von Cassel (Die Rechtsgutachten der Geonim, Nr. 91) erhalten ist: תשובה זה השיב רב שרירא גאון לחכמי אלקרוון והעתקתיה מן הספר שהביא רבנא ר' איתיאל משם. Bei Rabbi Itiel, der dieses Responsum aus einer Schrift in Kairouan (Tunesien) abgeschrieben habe, handelt es sich nach Epstein wahrscheinlich um einen italienischen Vorfahr des Rabbi Meschulam b. Mose aus Mainz, dessen Familie im Rheinland die Responsensammlung überliefert wurde. Epstein weist darüber hinaus auf die Übereinstimmung von spezifischen Varianten einiger halachischer Abschnitte mit italienischen Vorlagen hin (Epstein, Der Gaonäische Kommentar, S. 139).

Fol. 24r vom Schreiber des Abschnitts an den Rand notiert: תשובה זו השיבה עמרם בר ששנא בעניין אחר וניראת היא לי מזו והינה כתובה בכרך הקטן שירשתי מאבי נ"נ – diese Antwort gab Amram ben Scheschna (Gaon zu Sura, 9. Jhd.) in einer anderen Sache und ich ziehe aus ihr Nutzen, denn siehe, [ich besitze] eine Ketubah in einem kleinen Einband, die ich von meinem Vater erbte, möge seine Seele ruhen.

Auf dem Spiegel ist die Accessionsnummer und zweimal die Signatur der Berliner Staatsbibliothek – einmal auf einem eingeklebten Papierstreifen – notiert: Acc. 10986; Ms. or. quart. 685; fol. 1r Besitzstempel der Berliner Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz: Ex Biblioth[eca] Regia Berolinensi und mit Blaustift die alte Nummerierung des Bandes notiert: XV; Rückentitel: Erfurter Handschr. XV, Hebr. Ms. orient. Quart. 685.  

Bibliographie: Adolph Jaraczewski, Die Geschichte der Juden in Erfurt, Erfurt 1868, S. 117; Moritz Steinschneider, Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Bd. 2: Verzeichnis der Hebräischen Handschriften, Berlin 1878, Nr. 160, S. 13; Paul de Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, in: Symmicta, Göttingen 1877, Nr. 10, S. 155; David Cassel, Die Rechtsgutachten der Geonim, Berlin 1848; Baer Goldberg, Chofes matmonim sive Anecdota Rabbinica, Berlin 1845; Jakob N. Epstein, Der gaonäische Kommentar zur Ordnung Tohoroth, Berlin 1915; ders., „Die Rechtsgutachten der Geonim, ed. Cassel nach Cod. Berlin und MS Michael“, in: Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft 9 (1911), S. 214–304.


Zitierempfehlung: Annett Martini, "Handschriftenbeschreibung", in: Die hebräischen Handschriften der Erfurter Sammlung (2018), URL: www.geschkult.fu-berlin.de/e/erfurter_sammlung/dokumentation/handschriftenbeschreibung/685.index.html

Ms. or. quart. 685, fol. 260r, Äsopsche Fabeln

Ms. or. quart. 685, fol. 260r, Äsopsche Fabeln
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart, 685, fol. 14v

Ms. or. quart, 685, fol. 14v
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart 685, fol. 24r

Ms. or. quart 685, fol. 24r
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 32v

Ms. or. quart. 685, fol. 32v
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 280r

Ms. or. quart. 685, fol. 280r
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 284v

Ms. or. quart. 685, fol. 284v
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 284v, alte deutsche Quadratschrift

Ms. or. quart. 685, fol. 284v, alte deutsche Quadratschrift
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 267v

Ms. or. quart. 685, fol. 267v
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol 1v

Ms. or. quart. 685, fol 1v
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685, fol. 24r

Ms. or. quart. 685, fol. 24r
Bildquelle: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz

Ms. or. quart. 685