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Ringvorlesung “Hinter dem Bauzaun”

Symbolbild (credits: Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer)

Symbolbild (credits: Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer)

News vom 18.04.2024

(Poster mit dem Programm unten)

“Hinter dem Bauzaun: Schätze des Vorderasiatischen Museums neu entdeck”

Das Vorderasiatische Museum ist seit dem 23. Oktober des vergangenen Jahres geschlossen. Ein Wiedersehen mit Ischtar-Tor und Co. wird es voraussichtlich nicht vor 2037 geben. Das heißt zum Beispiel: Die Kinder, die im letzten Herbst eingeschult wurden, werden dann ihre Schulzeit bereits hinter sich haben.

Ein geschlossenes Museum bedeutet aber nicht, dass seine Schätze verschwinden. Die Forschung geht weiter. Ein großes Forschungsnetzwerk in Berlin beschäftigt sich mit den Zeugnissen aus dem antiken Vorderasien. Zu diesem Netzwerk gehören u. a. die Freie Universität Berlin, das Deutsche Archäologische Institut und natürlich das Vorderasiatische Museum selbst. Hinzu kommen zahlreiche nationale und internationale Kooperationen.

Die Ringvorlesung macht ausgewählte, nun hinter den Baugerüsten verschwundene Museumsschätze sichtbar. Dazu gehören berühmte Highlights wie das Ischtar-Tor aus Babylon, aber auch auf den ersten Blick unscheinbare Objekte wie eine zerbrochene Tontafel, Elfenbeinfragmente oder ein Lehmziegel. Jede Woche präsentieren jeweils zwei Vortragende ein Objekt oder eine Objektgruppe aus der Sammlung des Museums aus unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln.

Auf diese Weise zum Sprechen gebracht eröffnen die Sammlungsobjekte Einblicke in die Breite und Buntheit vergangener Lebenswelten: Sie erzählen von den ersten Metropolen, von religiösen Praktiken im Großen wie im Kleinen, vom Alltagsleben und von Herrscherideologien, von uralten Mythen und astronomischen Berechnungen, von Schönheit und Verfall. Zugleich vermittelt die Vorlesung das Spektrum der Erforschung der antiken Hinterlassenschaften. Zum Einsatz kommen Archäologie und naturwissenschaftliche Analytik, restauratorische Arbeit, historische und stilistische Einordung, Forschung zu Sprachen und Schriften, bis hin zu digitalen Methoden und KI-gestützten Verfahren.

Konzeption: G. Gabriel & E. Roßberger
Dienstag | 18.15 – 19.45 Uhr
Hörsaal 1b | Habelschwerdter Allee 45 | 14195 Berlin

Abstracts / Kurzbeschreibungen in chronologischer Reihenfolge

van Ess und Zgoll: Die „Uruk-Vase“ (Ende 4. jt. v. Chr.): Eine Beziehungsgeschichte zwischen Göttin und Herrscher

Im Vorderasiatischen Museum zu Berlin wird die Gipskopie einer großen schlanken Vase aufbewahrt, die aus Uruk stammt und Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. hergestellt wurde. Das Original wird im Nationalmuseum des Irak ausgestellt. Die Vase führt uns in ihrem Bildprogramm die damals wichtigen Wirtschaftsgüter vor Augen. Sie werden durch den „Mann im Netzrock“, der weltlichen Herrscherfigur der Uruk-Zeit, einer weiblichen Figur, vielleicht der Göttin übergeben. Aus welchem Umfeld stammt diese Vase in Uruk? Was genau erzählt sie uns und welche Rolle spielt die Göttin Innana hierbei? Wer war diese Göttin?

Aus mythischen Texten lässt sich ein mögliches Szenario rekonstruieren, was den Mann und die Göttin zusammenführt. Dabei werden sich Einblicke in gefährliche Rituale und überraschende Machtspiele auftun. Es wird um Unterwelt und Usurpation, um Verrat und Hochzeit gehen ... 

Helwing und Cancik-Kirschbaum: Babylon: Vom Ziegel zur Weltstadt

Babylon war im 6. Jh. v. Chr. eine der größten Städte der Alten Welt. Sie erstreckte sich an beiden Ufern des Euphrat und war von zwei gewaltigen Stadtmauern umschlossen. Monumentale Paläste, Tempelbezirke, und das berühmte Ischtartor mit Prozessionsstrasse prägten das Stadtbild. All diese eindrucksvollen Gebäude bestanden aus dem gleichen Material: Ziegel. Im Vortrag verfolgen wir den Gang der Bauprojekte, vom einfachen Ziegel bis hin zur repräsentativen Architektur. Wie wurden die Ziegel vorbereitet, wer plante die Gebäude, wer waren die Handwerker und welche Techniken setzen sie ein? Archäologische und schriftliche Quellen erlauben einen genauen Blick auf die Hände und Köpfe hinter den Monumenten. 

Hertel und Wicke: Kleine Kostbarkeiten: Elfenbeinschnitzereien aus Assur

Im Zuge des Assur-Projektes wurden in den früher 2000er Jahres auch die rund 900 Objekte aus Elfenbein und Knochen im Vorderasiatischen Museum publiziert und größtenteils restauratorisch behandelt. Die Bedeutung des Fundkomplexes aus der Hauptstadt Assyriens im heutigen Nordirak beruht dabei auf der großen Breite und Diversität der Funde, die so aus kaum einem altorientalischen Ort vorliegen. Der gemeinsame Vortrag der Restauratorin Iris Hertel und des Archäologen Dirk Wicke stellt nach einem kurzen Überblick eine kleine Dose mit filigranem Dekor in den Mittelpunkt, die repräsentativ für die mittelassyrische Kunst im 13. Jh. v. Chr. ist.

Hunziker-Rodewald und Bonatz: Die Hadad-Statue aus dem Königreich von Sam‘al: Geschichte und aktuelle Forschung zu einem kolossalen Monument

Die über Jahrhunderte und Jahrtausende andauernde Verwitterung und physische Beschädigung von Inschriften führen, mindestens partiell, zum unwiederbringlichen Verlust von Aufzeichnungen, die wertvolle Einblicke in antike Gesellschaften gewähren können.
Die Vermeidung solch drohender Erkenntnisverluste stellt ein dringendes Desiderat der epigraphisch-historischen Analyse materieller Kultur dar. Hier stellen wir DeepHadad vor, ein neuronales Netzwerk, das mit synthetisch generierten Daten trainiert wird und für die moderne Epigraphik den Wert des Einsatzes künstlicher Intelligenz zur Erhaltung des historischen Schrifterbes demonstriert. 

Hausleiter und Daszkiewicz: Assyrische Keramik: Interdisziplinäre Forschungen im Museum und im Labo

Wie wurde antike Keramik hergestellt? Welche Ergebnisse können Archäologie und Archäometrie gemeinsam erzielen, um diese Frage zu beantworten? Unser interdisziplinärer Beitrag berichtet über unterschiedliche methodische Annäherungen an die Untersuchung von Keramik urbaner Zentren Assyriens – ob im Vorderasiatischen Museum oder in der Ausgrabung – sowie den innovativen Möglichkeiten, den antiken Töpfernden mit chemisch-physikalischen Laboranalysen auf die Spur zu kommen.

Meinhold und Roßberger: Tafel, Hülle, Siegel: Private Verträge aus dem alten Babylonien

Wie machte man wichtige Vermögensangelegenheiten vor 4000 Jahren rechtssicher, gerade wenn es „ums Ganze“ ging, wie bei Käufen, Eheschließungen oder Erbteilungen? In Babylonien beschrieb man dazu eine Tontafel mit präzisen Angaben zu allen Beteiligten und Vermögenswerten, steckte sie in eine Tonhülle, ließ diese von vielen Zeugen siegeln und verwahrte sie oft über Generationen hinweg im eigenen Haus. Tausende solcher Urkunden mit einer Vielzahl von Siegelbildern sind aus den Städten des südlichen Iraks für das frühe 2. Jt. v. Chr. überliefert, einige davon befinden sich heute im Vorderasiatischen Museum in Berlin. Sie ermöglichen uns detaillierte Einblicke in die antiken Rechtsvorstellungen, in babylonische Patchwork-Familien, Regeln des sozialen Miteinanders (und Möglichkeiten diese zu umgehen), und in die Bedeutung von göttlichen Akteuren und rituellen Handlungen, die für die Dauerhaftigkeit zwischenmenschlicher Vereinbarungen wesentlich waren.

Jiménez und Földi: Keilschrifttafeln im digitalen Zeitalter: Die Electronic Babylonian Library Plattform

Die altorientalische Literatur befindet sich seit ihrer Wiederentdeckung in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Wiederaufbau. Ihre Meisterwerke sind noch immer voller Lücken, die mühsam durch glückliche Entdeckungen einer Handvoll geduldiger Spezialist:innen gefüllt werden. Doch das ist ein langsamer Prozess: Noch immer schlummern Tausende von Fragmenten in Museumsschränken, die bisher keiner Komposition zugeordnet werden können. Hier setzt die Plattform „electronic Babylonian Library“ an. Ihr Ziel ist es, digitale Werkzeuge zu entwickeln, die den Prozess der Rekonstruktion automatisieren und dadurch wesentlich beschleunigen. Diese Arbeit, die hauptsächlich an den Tontafeln des British Museums angefangen wurde, wird nun an der Keilschriftsammlung des Vorderasiatischen Museums fortgesetzt. In unserem Vortrag werden die verschiedenen Methoden zur Automatisierung der Rekonstruktion sowie einige der bisherigen Ergebnisse vorgestellt.

Aro und Klinger: Vom Euphrat an die Spree: Biografische Fragmente eines beschrifteten Steines aus Kelekli

Der beschriftete Stein aus Kelekli am Euphrat gehört kaum zu den vielbeachteten „Glanzstücken“ im Pergamon-Museen in Berlin, stellt aber für die Erforschung der alt-anatolischen Sprachen und Kulturen sicherlich eines der interessantesten Objekte der Sammlungen dar. Wir möchten den Fokus deshalb gerade auf dieses oft übersehene Ausstellungsobjekt und unsere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm richten, und versuchen, den Stein zum Sprechen zu bringen, in der Hoffnung, daß unsere Begeisterung ansteckend wirkt. Eine zentrale Rolle spielt die Beschreibung der Bilderschrift des Steines vor dem Hintergrund der Geschichte und Kultur des hethitischen Anatolien und Nordsyrien während der späten Bronzezeit (ca. 1600-1200 v.Chr.) sowie der Nachfolgestaaten des hethitischen Königtums (ca. 1200-600 v.Chr.). Bei der Deutung und Datierung des Denkmales sind die Form des Steines und das nur teilweise erhaltene Relief von großer Bedeutung: war der Stein ursprünglich als eine freistehende Stele gedacht, sind die Inschrift und das Reliefbild überhaupt zeitgleich? Wir zeichnen den fragmentierten objektbiografischen Lebenslauf des Monumentes im Alten Orient nach, zum Beispiel mit einem Vorschlag für seinen ersten Aufstellungsort und -kontext, die Geschichte seiner Auffindung im frühen 20. Jh. und seiner letzten Reise vom Euphrat an die Spree im Jahre 1918.

Gries und Schwemer: Magie von Zeit und Raum: Apotropäische Figuren im Vorderasiatischen Museum und ihre rituelle Verwendung nach mesopotamischen Keilschrifttexten des 1. Jt. v. Chr.

Neben Menschen und Göttern bevölkerten die Welt des alten Babyloniens und Assyriens eine Vielzahl von Dämonen und Schutzgenien unterschiedlichster Art. Keilschriftliche Ritualtexte bezeugen, wie man sich vor bösen Dämonen schützen und gute Geister zum eigenen Schutz herbeirufen konnte. Neben den entsprechenden Keilschrifttexten finden sich in der Sammlung des Vorderasiatischen Museum auch die in den Ritualen verwendeten Figürchen sowie Amulette, die Unheil abwehren sollten. Gemeinsam geben Texte und Bilder Aufschluss über eine faszinierende religiöse Vorstellungswelt, die auch abseits von Palast und Tempel weit verbreitet war.

Kaniuth und Henkelman: Berlin, Susa, Persepolis: Die achämenidische Leibgarde in Wort und Bild

*** folgt ***

Cholidis und Martin: Tell Halaf 2038 im Zukunftsraum Museum

Im Jahr 2001 begann in Berlin eines der größten Restaurierungsprojekte der Staatlichen Museen. Innerhalb eines Zeitraums von nur neun Jahren wurden aus etwa 25.000 Basaltfragmenten zahlreiche Skulpturen, Architektursteine und Steingeräte rekonstruiert, welche Max Freiherr von Oppenheim (1860–1946) am Tell Halaf in Nordost-Syrien ausgegraben hatte. In der Vorlesung werden die Entdeckung, die Zerstörung des Berliner Tell Halaf-Museums, die Restaurierung sowie die geplante Präsentation im Jahr 2037/38 behandelt.

Im Zuge des erfolgreichen Verlaufs des Projekts erhielt das Vorderasiatische Museum das Angebot seitens syrischer Behörden, die Grabungen am Tell Halaf fortzusetzen. Aufgrund zahlreicher noch offener Fragen zur Siedlungsentwicklung und kulturhistorischen Bedeutung des späthethitisch-aramäischen Fürstensitzes Guzana stellte das Museum 2005 einen Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, welche das Grabungsprojekt in ihre Langzeitförderung aufnahm. Obwohl die Feldforschungen nach fünf Jahren aufgrund des Bürgerkriegs abgebrochen werden mussten, konnten teilweise überraschende Ergebnisse erzielt werden. Diese werden ebenfalls kurz vorgestellt.

Schreiber und Ossendrijver: Artefakte der babylonischen astralen Wissenschaften im Vorderasiatischen Museum

Zur Sammlung des Vorderasiatischen Museums gehören auch zwei einzigartige Keilschrifttafeln aus Uruk, die insbesondere wegen ihrer Zeichnungen, sog. Gestirndarstellungen, bekannt sind. Es handelt sich um die beiden Tafeln VAT 7847 und 7851, mit symbolischen Darstellungen der Tierkreiszeichen Löwe (Leo) und Stier (Taurus). Diese beiden Texte gehören zur Mikrozodiakserie. Es handelt sich, neben einem Textfragment im Louvre, um die einzigen Textfragmente dieser Serie, welche Zeichnungen der Tierkreiszeichen und Planeten enthalten. Zusammen mit zwei Kalendertexten aus der Sammlung des VAM, die mit der Mikrozodiakserie in Zusammenhang stehen, bilden sie Schlüsseltexte zum Verständnis der spätbabylonischen Astrologie. Inhalt und Bedeutung dieser Texte werden in der Vorlesung vorgestellt.

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