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Tagung 'Ästhetik der Lebendigkeit'

17.12.2007 - 18.12.2007

Mit: Winfried Menninghaus, Rüdiger Campe, Christoph Menke, Frank Fehrenbach, Hans-Jörg Rheinberger, Olaf Breidbach, Barbara Wittmann, Felix Ensslin, Friedrich Weltzien, Joseph Vogl

 

 

Tagungskonzeption

In dem Zeitraum von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis ‚um 1800’ entwickeln sich zwei Disziplinen, deren Verhältnis aus heutiger Perspektive uns heute leicht als ein konträres erscheinen kann. Aus dem Ende der Naturgeschichte entsteht die Wissenschaft vom Leben, die sich dann ab 1800 sich über Lamarck und Treviranus unter dem Namen Biologie etabliert. Im gleichen Zeitraum löst die Ästhetik das System der schönen Künste ab und sammelt sich um eine Theorie des Schönen.

Foucault hat den Wechsel der Naturgeschichte zur Biologie über den epistemischen Einschnitt, der das Leben als selbständige Kraft hervorbringt, definiert. Das ‚Leben’ markiert hierbei den Einsatz, der die klassische Naturgeschichte zur Geschichte der Natur neu ordnet. War Lebendigkeit zuvor gleichmäßig in einem Raum des Seins verteilt, in dem Dinge und Wesen sich gemäß einer kontinuierlichen Ordnung entwickelten und ein ununterbrochenes Band vom Nicht-Lebendigen zum Lebendigen verlief, zeigt sich das Leben nun als selbständiges Wesen. Unterbrochen wird diese durchgängige Ontologie von der Einwirkung eines Dynamismus, der jenes Tableau in einzelne Geschichten und einzelne Wissenschaften zerbrechen lässt.

Benennt man die konkreten Strömungen, die diese Wandlungen des Wissens hervorbringen, so ist zunächst an die bedeutsame Wirkung der einzelnen Spielarten des Vitalismus zu denken: Konzepte wie die ‚Bildungskraft’ nehmen eine entscheidende Rolle ein in dem Versuch, den Dualismus von Geist und Körper, Leben und Materie mittels der dynamisierten Form des Lebens zu überwinden. Denkgeschichtlich lassen sich diese Versuche an von Spinoza oder Leibniz herkommende Traditionen anbinden, den Rationalismus zu überwinden. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive zeigt sich die Zeugungsfrage als zentrales Feld, auf welchem sich die neue Konfiguration des Lebens herauskristallisiert. Mit dem Gedanken der ‚Epigenesis’ entsteht ein neues Verständnis von Zeugung, welches die alte Vorstellung der Präformation ablöst. ‚Leben’ wird nunmehr nicht als Reproduktion und Entfaltung bereits vorgeformter Keime verstanden, sondern untersteht dem Prinzip der Erzeugung und der Zeit der Genealogie. Zugleich ist jene Verschiebung von der Präformationslehre zur Theorie der Epigenesis, wie sie sich bei Wolff, Blumenbach oder auch Diderot und Kant zeigt, in einem weiteren Kontext als nur dem biologiegeschichtlichen allein von Bedeutung. So spiegelt dieser Umbruch auf der einen Seite gesellschaftliche Transformationen – etwa die Ablösung eines aristokratischen Standesdenkens durch ein bürgerliches Verständnis der Liebe –, und ist auf der anderen Seite Zuträger zu einem neuen Verständnis von Kreation und Schöpfung überhaupt.

Auf Seiten der Ästhetik gilt Johann Gottfried Baumgartens Aesthetica (1750/58) als Gründungstext für die wissenschaftliche Disziplin. Als ‚analogon rationis’ will die Aesthetica die ‚untern Erkenntnisvermögen’ einer Wissenschaft zugänglich zu machen und verweist die Ästhetik somit auf den Grundgedanken der aisthesis, die Kategorie des sinnlichen Empfindens. Neben Baumgartens initialem Beitrag lassen sich doch auch andere und vielleicht noch wirkmächtigere Autoren benennen, die einen Topos der Lehre vom Schönen in Texten zur Ästhetik auf einer neuartigen Grundlage diskutieren: der Zusammenhang von Kunst und Leben wird eingerückt in ein Verhältnis von Form und Genealogie und in die Frage danach, wie Kreation und Imagination, die sich nicht länger mimetisch an der Natur orientieren, möglich sind. Die Ästhetik ist dort an eine Anthropologie verwiesen, wo sie den Menschen umfassender zu bestimmen sucht, als es die rationalistische Beschreibung vermag. Zugleich scheint die Ästhetik von einer Theorie des Lebens affiziert, was die Frage impliziert, inwieweit die Forderung nach Lebendigkeit des Kunstwerkes um 1800 in wesentlich anderen epistemischen Parametern verstanden werden muss. Genauer ist zu fragen, ob die autotelische und organologische Fassung des Lebensbegriffes sich einträgt in die ästhetische Rede vom lebendigen Kunstwerk.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die nach der Tiefenstruktur des Zusammenhanges von Biologie und Ästhetik. Wenn kulturwissenschaftliche Studien in den letzten Jahren vielfach deutliche diskursive Überschneidungen aufweisen konnten, so scheint doch eine Frage weiterhin ungeklärt zu sein: Sind darüber hinaus spezifisch ‚moderne’ Zusammenhänge zwischen Biologie und Ästhetik aufzufinden, deren Beschreibung auf tiefer liegende Verknüpfungen weist, welche sich dem diskursiven Geschehen entziehen? Aus einer philosophisch-ästhetischen Perspektive öffnen sich hier ontologische Fragen nach einer Struktur des Seins, aber auch psychoanalytische Diskussionen einer Theorie des Realen können viel zur Klärung des Begriffes vom ‚Leben’ wie zur der des Gegenstandes von Ästhetik beigetragen. Vor diesem Hintergrund möchte die Tagung einen Blick darauf werfen, dass sowohl die (biologische) Theorie des Lebens wie auch die Ästhetik von einem konstitutiven Verhältnis zu einem Nicht-Erkennbaren, zu einem Anderen geprägt sind – eine Paradoxie, die sich in den Begriffen des Lebens und des Schönen zu spiegeln scheint. Nicht nur die Begriffe vom ‚Leben’ und dem ‚Schönen’ erscheinen so in einer paradoxalen Verfasstheit, sondern auch die Forderung nach Lebendigkeit selbst könnte auf ihre unterschiedlichen Motivationen und Widersprüchlichkeiten befragt werden.

Die Tagung möchte diese Konstellation aus verschiedenen Perspektiven untersuchen. Wissenschaftshistorisch kann danach gefragt werden, wie der Begriff des Lebens sich herausgebildet hat, welches seine genaueren Umrisse sind und wie seine strukturelle Konzeption zu begreifen ist. Aus der Perspektive der Ästhetik soll ein Blick geworfen werden auf die frühen ästhetischen Texte. Hier ist die Frage zu stellen, ob in der so genannten Autonomieästhetik hinter dem Diskurs der geschlossenen schönen Form Texturen der Unterbrechung zu lesen sind, die innere Paradoxien sichtbar werden lassen. Auf Seiten der Werke der einzelnen Künste will die Tagung danach fragen, in welches Verhältnis Lebendigkeit und Schönheit treten: Wie wird dieses Verhältnis in einzelnen Werken thematisiert und wie zeigen sich Zusammenhänge mit Formbrüchen, Unterbrechungen und Ausschlüssen, die jedoch gerade zur Begründung einer dynamisierten, organologischen Form dienen?

Darüber sollen zwei methodologische Fragen in die Diskussion einbezogen werden. Zum einen könnte noch einmal die Gültigkeit des epistemischen Bruchs um 1800 befragt werden und überlegt werden, inwiefern sich Indizien sammeln lassen, die darauf hinweisen, dass Figuren der Lebendigkeit und der Organizität schon weit vor diesem Zeitraum sich entwickeln? Dies schließt auch eine Verknüpfung von wissenschaftshistorischer und ästhetischer bzw. philosophischer Perspektive ein, insofern sich die Frage nach den Mechanismen und weiter zurückliegenden Ursachen der Transformationen um 1800 stellt. Damit geht zuletzt die methodologische Frage nach den Möglichkeiten der Beschreibung einher, also mit welchen theoretischen ‚Mitteln’ jene Brüche angemessen lesbar und beschreibbar sind.

 

Programm (Plakat, als PDF)

Programm (Flyer, als PDF)

Konzept der Tagung (als PDF)

 

Kontakt: Jan Völker, jvoelker@zedat.fu-berlin.de

Veranstaltungsort: Seminarzentrum Silberlaube der FU Berlin, Otto-von-Simson-Str. 26, 14195 Berlin, Raum L 116

Anfahrt: U-Bhf Thielplatz (U3)

 

 

 

Zeit & Ort

17.12.2007 - 18.12.2007

Seminarzentrum Silberlaube, FU Berlin