Springe direkt zu Inhalt

Pergament als Seidenstoff? Die sogenannte Heiratsurkunde der Theophanu

Sog. Heiratsurkunde der Theophanu, um 972, Goldtinte, Krapplack über Mennige auf Pergament, 144,5 cm x 39,5 cm, Niedersächsisches Landesarchiv/Staatsarchiv Wolfenbüttel, 6 Urk. 11

Sog. Heiratsurkunde der Theophanu, um 972, Goldtinte, Krapplack über Mennige auf Pergament, 144,5 cm x 39,5 cm, Niedersächsisches Landesarchiv/Staatsarchiv Wolfenbüttel, 6 Urk. 11
Bildquelle: Brandt, Michael/Eggebrecht, Arne (Hrsg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Bd. 2, Hildesheim/Mainz 1993, S. 65.

Bruno Reudenbach

Im Zentrum des Projektes steht die sogenannte Heiratsurkunde der Theophanu. Mit diesem im Jahr 972 ausgestellten Dokument übergab Otto II. seiner Braut Theophanu, der etwa 12 Jahre alten Nichte des oströmisch-byzantinischen Kaisers Johannes Tzimiskes, ihren Brautschatz, der aus im Urkundentext aufgeführten Ländereien und Sachgütern bestand. Die Urkunde, die als bedeutendste Prachturkunde des frühen Mittelalters gilt, hat ein für ottonische Königsurkunden untypisches Format und Aussehen. Sie ist nicht, wie sonst üblich, ein querrechteckiges und gefaltetes Pergament, sondern eine aus mehreren Pergamentblättern zusammengeklebte hochrechteckige Rolle. Zudem ist der Urkundentext in Goldschrift auf einen farbigen Schreibgrund geschrieben, der mit einem künstlerisch höchst anspruchsvollen Muster versehen ist. Es besteht aus gemalten, paarweise angeordneten Medaillons, in denen jeweils zwei Tiere zu sehen sind.

Dieser Schreibgrund, von dem sich die Goldschrift funkelnd abhebt, ist der Ausgangspunkt dafür, die Urkunde in einem Projektzusammenhang zu behandeln, der fingierten Materialien gewidmet ist. Das Medaillonmuster des Schreibgrundes rekurriert nämlich deutlich auf Ornamentformen, wie sie von kostbaren Seidenstoffen östlicher Herkunft bekannt waren. Diese Seiden aus dem Osten waren im mittelalterlichen Westen als Luxusgüter hochgeschätzt. Insofern weckt die Urkunde Assoziationen an eine Stoffbahn aus kostbarem byzantinischem Seidenstoff, die man mit der Herkunft der Braut aus Ostrom-Byzanz in Verbindung bringen könnte. Allerdings ist die Evokation von Textil gleichzeitig auch deutlich gebrochen durch die Aufnahme anderer Motive, die an Buchseiten der ottonischen Buchkunst oder an Goldschmiedekunst denken lassen. Ziel des Projektes ist es, die Formen der verschiedenen Materialevokationen und deren Relationen zueinander näher zu bestimmen, sowie Erklärungen dafür zu finden, warum diese Materialien ausgerechnet in einer ottonischen Urkunde, einem eminent politischen Zeugnis, so prominent inszeniert werden. Insofern müssen auch der konkrete Anlass und die politischen Umstände, die zur Ausfertigung der Urkunde führten, nämlich die erst nach einer komplizierten Brautwerbung zustande gekommene Heirat des ottonischen Königs mit der oströmisch-byzantinischen Adligen, in die Untersuchung einbezogen werden.