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Ins Spiel bringen. Medienreflexion und Gattungsbewusstsein um 600

Theuderich Schrein, Schatz von St. Maurice d´Agaune, 7. Jh

Theuderich Schrein, Schatz von St. Maurice d´Agaune, 7. Jh
Bildquelle: L’abbaye de Saint-Maurice d’Agaune 515–2015, Bd. 2: Le trésor, hg.v. Pierre Alain Mariaux, Gollion 2015, S. 111.

Wolf-Dietrich Löhr

Zahlreiche Texte aus der Übergangszeit von Antike und Frühmittelalter, die Kunstwerke und ihre Rezeption auf unterschiedliche Art thematisieren, sind bisher vorrangig als Übungen in überlieferten literarischen Genres behandelt worden. Allerdings beschreiben anspruchsvolle Dichtungen, wie die des Venantius Fortunatus, Kunsterfahrungen keineswegs nur topisch, sondern gehen ebenso differenziert auf die Sehgewohnheiten der Betrachtenden ein, wie sie selbst literarische Gattungen ausloten und übertreten. Das Projekt möchte daher an Texten von Venantius, aber auch von Cassiodor, Ennodius, Gregor von Tours und ausgewählten weiteren Beispielen des Zeitraums zwischen 500 und 700 untersuchen, wie die Beschreibungen von Kunstwerken eine Rezeptionshaltung reflektieren, die spezifische Sensibilisierungen für Wechselwirkungen und Übergänge der Medien und Materialien voraussetzt. Die verschwimmenden Grenzen zwischen Naturobjekten und ihren künstlerischen Evokationen werden in den Gedichten, Kommentaren, Geschichtswerken oder Viten ebenso thematisiert wie der Vergleich von Ornamenten und Materialeinsatz oder der spielerische Rollentausch zwischen Skulptur und Malerei. Lange vor der karolingischen Zeit werden hier grundlegende Elemente einer christlich gerahmten Kunstauffassung erkennbar, die Kunstwerke gerade in ihrem Funktionszusammenhang als ästhetische Objekte wahrnimmt. Die Studie dieser Texte kann daher auch als Ausgangspunkt für die methodische Hinterfragung einer stark auf die Karolinger und ihre Kulturzentren fokussierten Konstruktionen von Epochengrenzen und -bestimmungen im Frühmittelalter dienen.