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Stein in Stein. Der heilige Avitus von Vienne

Carsten Juwig

Im Mittelpunkt des Projekts steht eine 63 cm hohe, teils gefasste Halbfigur des heiligen Avitus von Vienne. Die heute im Zagreber Muzej Mimara aufbewahrte Büste wurde von der kunsthistorischen Forschung bis dato kaum zur Kenntnis genommen und so gilt sie bislang als ein südfranzösisches Werk der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Avitus wäre also ein exzeptionelles Beispiel spätantiker christlicher Skulptur im lateinischen Westen! Allerdings ist die Provenienz des bemerkenswert gut erhaltenen Stückes unklar, und so stützt sich seine aktuell einzige Untersuchung vor allem auf stil- und motivgeschichtliche Beobachtungen: Denn zum einen trägt Avitus eine juwelenbesetzte Haube, die auffallend jener ähnelt, welche die berühmte Fides von Conques krönt; und zum anderen hält der Heilige ein steinernes Reliquiar vor seiner Brust, dessen Gestaltung ebenfalls Entsprechungen in Conques findet, in zwei mit Edelsteinen und Email besetzten Goldreliquiaren aus dem Kirchenschatz von Sainte-Foy. Diese beiden Objekte verschmelzen allerdings ihrerseits Spolien des 7. bis 12. Jahrhunderts, wobei eines der beiden Stücke seine Gestalt sogar erst im 16. Jahrhundert erhalten hat. Welche Beziehung besteht also nun zwischen den drei Werken? Ist Avitus tatsächlich ein Ahne hochmittelalterlicher Kultbilder – oder ihre zeitgenössische, neuzeitliche, ja vielleicht sogar „moderne“ Fiktion? Wurde die imitatio wertvoller Materialen hier ganz bewusst in Stein gesetzt, um die imago zu verschleiern? Und gibt es vergleichbare Skulpturen, die auf ähnliche Weise mit fingierten Kostbarkeiten spielen? Die Beantwortung dieser Fragen soll helfen, den Zagreber Avitus von Vienne von Grund auf neu zu betrachten.