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Farbreduktion zwischen materieller Präsenz und raumzeitlicher Evokation

Kreuzigung mit Sol und Luna, aus dem Evangeliar Franz II., Sant-Amand-en-Pévèle, drittes Viertel 9. Jh., Paris, BN, Ms. lat. 257, fol. 12v

Kreuzigung mit Sol und Luna, aus dem Evangeliar Franz II., Sant-Amand-en-Pévèle, drittes Viertel 9. Jh., Paris, BN, Ms. lat. 257, fol. 12v
Bildquelle: Trésors carolingiens, livres manuscrits de Charlemagne à Charles le Chauve, hg. von Marie-Pierre Laffitte und Charlotte Denoël, Ausst.-Kat. BN Paris 2007, S. 210, Kat. Nr. 56.

Britta Dümpelmann

Das Forschungsvorhaben widmet sich Bildformularen der karolingischen und ottonischen Buchmalerei, die einer buntfarbigen Hauptszene christologischen oder mariologischen Inhalts farbreduzierte Nebenszenen oder Details einstellen. Beispiele hierfür sind etwa die Widmungsminatur im Kostbaren Bernward-Evangeliar (Dom-Museum Hildesheim, um 1015), wo die thronende Madonna in antithetisch-typologischer Gegenüberstellung von monochromen Medaillons Marias und Evas flankiert wird; oder auch zahlreiche Kreuzigungsdarstellungen mit den farbreduzierten Himmelskörpern Sol und Luna, die in ihrer reduzierten Farbigkeit einerseits auf Materialitäten verweisen, durch eingeschriebene Gesichter zugleich aber auch als Personifikationen und somit als Konzepte ausgewiesen sind.

Beiden Bildformularen gemeinsam ist, dass sie innerbildlich verschiedene Raum-, Zeit- und Realitätsebenen visuell voneinander ab- und in eine spannungsreiche Beziehung zueinander setzen, wodurch eine Ebene fingierter Medialität markiert wird. Welche Schlüsse lassen sich dabei hinsichtlich eines zeitspezifischen Umgangs mit den Grenzen zwischen Bild und Betrachter ziehen? Das Forschungsvorhaben geht dem hieran greifbar werdenden, elaborierten Medienwissen nach, das in ähnlicher Weise auch für Giotto in der Wand- und Jean Pucelle in der Buchmalerei beobachtet, an solch frühen Beispielen bisher jedoch kaum untersucht wurde. Für die Fragestellung des DFG-Netzwerks ist das Vorhaben insofern grundlegend, als die offenkundige Markierung eines Dazwischens (zwischen Bildebenen, zwischen Medien, zwischen Bild und Betrachter), auf eine bewusst dargestellte Fingiertheit von Medien und Techniken im frühen und hohen Mittelalter verweist.