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Baumsaft, Edelstein, Electrum? Bernstein vor 1300

Derrynaflan Kelch, frühes 9. Jahrhundert, Dublin, Irisches Nationalmuseum

Derrynaflan Kelch, frühes 9. Jahrhundert, Dublin, Irisches Nationalmuseum
Bildquelle: Michael Ryan, Early Irish Chalices, in: Irish Arts Review 1 (1984), S. 23

Joanna Olchawa

Heute metaphorisch als „Gold der Ostsee“, „Perle des Nordens“ oder gar „Stein der Sonne“ bezeichnet, galt Bernstein nicht nur in der Vorgeschichte und Antike, sondern auch im Früh- und Hochmittelalter als ein besonderes Material. Geschätzt wurde es aufgrund seiner variierenden Farbigkeit und Transparenz, des besonderen Geruchs beim Verbrennen und seiner heute als elektrostatisch verstandenen Wirkung, der eine heilsame und apotropäische Kraft zugesprochen wurde. Die Bekanntheit dieser physikalischen, chemischen und medizinischen Eigenschaften führte bereits im zweiten Jahrtausend vor Christus und dann immer wieder zu einem weitreichenden Handel von den Küsten der Ostsee bis nach Mesopotamien, Ägypten und der Mittelmeerregion. Doch gerade in Zeiten politischer Kontrollierung der Zugänge und einer Einschränkung des Handels im Mittelalter erhielten noch zwei weitere Eigenschaften des Bernsteins eine verstärkte Bedeutung: seine leichte Kopierbarkeit und die Ungenauigkeit seiner Definition in den Schriftquellen als „Baumsaft“, Edelstein oder Metall. Diesem veränderten Umgang – insbesondere der Nachahmung durch andere Materialien wie Glas oder Techniken wie Email (das wie Bernstein als electrum beschrieben wurde) – und der Analyse der unterschiedlichen Charakterisierung des Werkstoffes widmet sich dieses Projekt. Es soll verdeutlichen, dass bereits vor dem ältesten schriftlich überlieferten Rezept zur Imitation bzw. Fälschung des Bernsteins, das zwischen 1424 und 1456 datiert wird, ähnliche Bemühungen bereits reflektiert und praktiziert wurden.