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Das Apollon-Delphinios-Heiligtum von Milet: Geschichte und Funktionen eines zentralen Polisheiligtums (DFG)

Projektleitung:
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Dr. Alexander Herda

Mitarbeiter/innen:

cand. M.A. Moritz Taschner (FU/TU Berlin) und Eckart Sauter M.A.

Förderung:

DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und Gerda Henkel Stiftung

Unterstützt durch: Milet-Grabung unter der Leitung von Prof. Dr. Volkmar von Graeve (Ruhr-Universität Bochum), Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin SPK, Deutsches Archäologisches Institut Berlin

Kooperationspartner: Prof. Dr. Helmut Brückner, Institut für Geographie, Philipps-Universität Marburg; Dr. Marc Müllenhoff, Geo-present – Geowissenschaftliche Dienstleistungen, Korbach.

cand. M.A. Moritz Taschner (FU/TU Berlin) und Eckart Sauter M.A.

Der Forschungsgegenstand: das Delphinion von Milet

Die antike Stadt Milet, an der Westküste der heutigen Türkei im antiken Ionien gelegen, war eines der Zentren der griechischen Kultur. Hier entstand im 7./6. Jh. v. Chr. – nicht zuletzt in Kontakt mit den Kulturen des Nahen Ostens – die sog. ionische Naturphilosophie, von hier aus wurden die Propontis und das Schwarze Meer kolonisiert.

Der wichtigste Kult in Milet war derjenige des Apollon Delphinios. An ihm läßt sich die enge funktionale und räumliche Verflechtung von Religion und Politik verdeutlichen, die ein wesentliches Element bei der Entstehung griechischer Stadtstaaten bildete. Seit dem 7. Jh. v. Chr. bis an das Ende der Antike ca. 400 n. Chr. kontrollierte der Kultverein des Apollon Delphinios, die Molpoi, den Zugang zum Bürgerstatus. Ihr Vorsitzender, der sog. Aisymnetes-Stephanephoros, war oberster Beamter der Stadt. Er wurde jährlich neu bestimmt, das jeweilige Amtsjahr trug seinen Namen. Zusammen mit dem Vereinsvorstand der Molpoi bildete er das Prytanenkollegium und damit die Regierung des Polisstaates. Das Vereinshaus der Molpoi, das sog. Molpon, besaß die Funktion eines Regierungssitzes (Prytaneion).

Obwohl schon 1903–1905 von den Berliner Königlichen Museen unter der Leitung von Theodor Wiegand und Georg Kawerau ausgegraben, wurde das Heiligtum des Apollon Delphinios, das im Herzen der Stadt lag, nie abschließend erforscht. Dies gilt im übrigen auch für die Entwicklung und Bedeutung des Apollon-Delphinios-Kultes, dessen hoher politischer Stellenwert 1979 in einer Studie von Fritz Graf herausgearbeitet werden konnte.

Die vier Hauptziele des seit 2002 stattfindenden, interdisziplinär ausgerichteten Projektes

(1) Durch eine Revision der Inschriftenfunde werden die verschiedenen Funktionen des Delphinions für Milet klarer herausgearbeitet, insbesondere seine Rolle als Zentralheiligtum, wichtigster Ort für Inschriftenpublikationen und – was besonders hervorzuheben ist – auch als Sitz des Molpon-Prytaneions.

(2) Eine Revision der Baugeschichte des Heiligtums zielt auf eine Rekonstruktion vor allem der klassischen, spätarchaischen und möglichen älteren Perioden sowie auf die genaue Lokalisierung des Molpon-Prytaneions innerhalb des Heiligtums.

(3) Aufzuzeigen sind die zentrale stadttopographischen Lage des Heiligtums direkt an der Agora sowie seine Einbindung in das Insula-Straßen-Raster.

(4) Eine Fortführung der Forschung zur Entstehung und Geschichte des Apollon-Delphinios-Kultes in Milet und im Vergleich dazu in dessen Kolonien und anderen griechischen Poleis.

Die bisherigen Arbeiten

In einem archäologischen Teil werden seit 2002 die älteren Grabungsbefunde ausgewertet. Neben der alten Publikation stehen dafür die Grabungstagebücher und die wissenschaftliche Korrespondenz der frühen Ausgräber Theodor Wiegand, Georg Kawerau und Albert Rehm zur Verfügung, die wichtige, noch unpublizierte Informationen enthalten. Außerdem werden im Rahmen des Projektes auch die Ergebnisse weitgehend unpublizierter Sondagen von Armin v. Gerkan (1938) und Willi Real (1973) vorgelegt, die den Nachweis der spätarchaischen, ersten monumentalen Bauphase des Heiligtums erbrachten. Dazu werden u. a. auch die Funde der Real-Grabung (v. a. Keramik und Münzen), die sich jetzt im Museum in Milet befinden, aufgenommen.

Die Revision der Baugeschichte des Heiligtums ermöglicht bereits eine vorläufige Rekonstruktion der spätarchaischen und der frühklassischen Bauperioden. Ebenso kann wahrscheinlich gemacht werden, daß die südliche der beiden Hallen des genau eine Insula großen Heiligtums das sog. Molpon bzw. Prytaneion Milets barg.

Anzeiger hierfür ist vor allem die sichtbare Wiederverwendung archaischer Inschriftenquader in den Wänden der frühklassischen Südhalle, von denen sich noch heute einer in situ befindet. Diese ‚Spolien’ sollten die Bürger Milets dauerhaft an die Zerstörung der Stadt durch die Perser 494 v. Chr. und die Zeit der Okkupation (494–479 v. Chr.) erinnern. Die meisten der Inschriftenfragmente gehören zu einer einzigen Inschrift. Es handelt sich um den staatlichen Opferkalender Milets, der ca. 520 v. Chr. in die Hallenwände des Heiligtums eingeschrieben worden ist. Mithilfe der Fragmente, zu denen erst 2006 ein weiteres dazugefunden werden konnte, läßt sich die einzigartige, monumentale Inschrift (Fläche ca. 40 m2; Buchstabenhöhe max. 3,8 cm) rekonstruieren.

2006 wurde mit der vollständigen architektonischen Aufnahme des zentralen Apollon-Delphinios-Altars begonnen. Dazu werden die noch vorhandenen Fragmente der Bauornamentik des archaischen und des klassischen Altars im Pergamonmuseum in Berlin dokumentiert, der einen chronologischen Fixpunkt der ionischen Architektur bildet. In Milet selbst wurde das Fundament des Altars gereinigt und zeichnerisch aufgenommen sowie ein kleine Sondage im Inneren angelegt. Dabei wurde festgestellt, daß das aus spätarchaischen Spolien zusammengesetzte Fundament in seinem jetzigen Zustand einer bisher unbekannten dritten Bauphase angehört, die wahrscheinlich in die hellenistische Zeit gehört.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte und Stadttopographie. 2002–2006 wurden hierzu im Delphinion und in seiner Umgebung jeweils im Spätsommer geoarchäologische Tiefbohrungen durchgeführt. Diese finden in Zusammenarbeit mit Prof. Helmut Brückner und seinem Team vom Fachbereich Geographie der Philipps-Universität Marburg statt. Die Tiefbohrungen haben sich in dem durch hochstehendes Grundwasser schwierigen Grabungsareal als effektive und kostensparende Methode zur Erforschung der Frühgeschichte des Heiligtumsplatzes erwiesen. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Bohrungen ist die Feststellung, daß das archaische Heiligtum und Teile der direkt südlich und westlich benachbarten Agora auf den Ablagerungen einer versumpften und im 6. Jh. v. Chr. zugeschütteten Meeresbucht errichtet wurden.

Die in diesem Zusammenhang bisher lediglich als Anekdote angesehene Überlieferung, wonach der milesische Naturphilosoph Thales bei der Anlage seines Grabes an einem „schlechten und verachteten Platz“ innerhalb des Stadtgebietes vorausgesehen haben soll, daß dort einst die Agora Milets zu liegen käme (Plutarch, Solon 12), erfährt dadurch möglicherweise eine Bestätigung: Ist das Grab des Thales etwa irgendwo im Bereich der künstlichen Anschüttungen zu suchen?

Die Erweiterung der Agora und die Anlage des Delphinions sind Teil des noch in der ersten Hälfte des 6. Jhs. begonnenen Ausbaus der nördlichen Stadtteile Milets in einem regelmäßigen Insula-Straßen-Raster, das im Gegensatz zu den gewachsenen Strukturen der älteren Siedlungsteile stand. Ein Vergleich mit dem frühklassischen sog. hippodamischen Stadtplan der Zeit des Wiederaufbaus nach den Perserkriegen (nach 479/78 v. Chr.) erweist dessen Abhängigkeit vom spätarchaischen Plan und läßt fragen, inwieweit der berühmte milesische Architekt Hippodamos überhaupt an den Neuplanungen beteiligt war.

An verschiedenen Punkten im Bereich der Agora und des Delphinions fanden sich in den Tiefbohrungen noch unter den Meeressedimenten Reste einer spätchalkolithischen Siedlung der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr., die ca. 3000 v. Chr. partiell im Meer versank. Die großflächige Verteilung der Reste, die zu den bereits bekannten chalkolitischen Fundplätzen im Stadtgebiet treten, zeugt nicht nur von der Bedeutung Milets schon im 4. Jt. v. Chr., deutlich wird auch die wechselvolle Geschichte des naturräumlichen Umfelds der Siedlung: Ursprünglich handelte es sich um ein Inselarchipel, das mit dem Anstieg des Meeresspiegels bis ca. 2500 v. Chr. kleiner wurde, dann aber, vermutlich bis zum 13. Jh. v. Chr., in der späten Bronzezeit, zu einer Halbinsel verlandete, um schließlich durch die Sedimentation des Mäander-Flusses im Spätmittelalter ganz vom Meer abgeschnitten zu werden.

Schließlich bilden religionsgeschichtliche Studien einen wesentlichen Bestandteil der Arbeiten. Die verschiedenen Funktionen des Apollon-Delphinios-Kultes lassen sich vor allem anhand der epigraphischen Zeugnisse aus Milet gut herausarbeiten. Angesprochen wurde bereits seine politische Bedeutung. Sie manifestiert sich auch in der engen Beziehung zwischen dem Apollon Delphinios und dem Orakelgott Apollon Didymeus Milesios. Beide zusammen sanktionierten als spezifisch milesisches Kultpaar die Kolonisation der Metropolis in der archaischen Zeit (spätes 7. Jh. v. Chr. bis 494 v. Chr.).

Eine Rekonstruktion der frühen Kultgeschichte (ca. 11.–7. Jh. v. Chr.) erweist sich dagegen mangels literarischer Quellen oder auch archäologischer Befunde im Delphinion als überaus komplex. Immerhin zeichnet sich jetzt schon ab, daß Apollon Delphinios, der Schutzgott des milesischen Staates wie der Kolonisation, eine weiter verbreitete synkretistische Gestalt ist, die sowohl bronzezeitliche, kretisch-mykenische und hattisch-hethitische Ursprünge besitzt, als auch früheisenzeitliche griechische.

ältere Literatur

– Th. Wiegand (Hrsg.), G. Kawerau – A. Rehm, Das Delphinion in Milet, Milet I 3 (Berlin 1914)

– F. Graf, Apollon Delphinios, Museum Helveticum 36, 1979, 2–22

– B. F. Weber, Der Stadtplan von Milet, in: J. Cobet u. a. (Hrsg.), Frühes Ionien. Eine Bestandsaufnahme, Panionion-Symposion Güzelçamlı, 26. Septemer – 1. Oktober 1999, MilForsch 4 (2007) 327–362

eigene Publikationen

– A. Herda, Apollon Delphinios, das Prytaneion und die Agora von Milet. Neue Forschungen, Archäologischer Anzeiger 2005, 243–294

– A. Herda, Der Apollon-Delphinios-Kult in Milet und die Neujahrsprozession nach Didyma. Ein neuer Kommentar der sog. Molpoi-Satzung, Milesische Forschungen 4 (2006)

– H. Brückner – M. Müllenhoff – R. Gehrels – A. Herda – M. Knipping – A. Vött, From Archipelago to Floodplain – Geographical and Ecological Changes in Miletus and Its Environs During the Last Six Millennia (Western Anatolia), Zeitschrift für Geomorphologie N.F., Suppl.-Vol. 142, 2006, 63–83

– A. Herda, Apollon Delphinios – Apollon Didymeus: Zwei Gesichter eines milesischen Gottes und ihr Bezug zur Kolonisation Milets in archaischer Zeit, in: U. Höckmann – R. Bol (Hrsg.), Akten der Table Ronde ‘Kulturkontakte: Apollon in Myus, Milet/Didyma, Naukratis und auf Zypern, Sonderforschungsbereich 295 ‘Kulturelle und sprachliche Kontakte’, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 11./12. März 2004 (im Druck)

– M. Müllenhoff – A. Herda – H. Brückner: Geoarchaeology in the City of Thales – Deciphering Palaeogeographic Changes in the Agora Area of Miletus, in: T. Mattern – A. Vött (Hrsg.), Interdisziplinäre geoarchäologische Forschungen im Mittelmeerraum, Marburger Beiträge zur Geoarchäologie – Interdisciplinary Geoarchaelogical Research in the Mediterranean Region (im Druck)

– A. Herda, Agora und Stadtplanung von Milet vor und nach den Perserkriegen (in Druckvorbereitung)

– ders. u. a., Das Delphinion von Milet. Neue Forschungen zur Geschichte und den Funktionen des zentralen Polisheiligtums (in Druckvorbereitung)

Kontakt:

Dr. Alexander Herda, Freie Universität Berlin, Institut für Klassische Archäologie, Otto-von-Simson-Str. 11, 14195 Berlin; Email: alexander.herda@web.de