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Geschichte der Iranistik an der FU (1949 bis 1970)

Schild des ehemaligen Seminars für Iranische Philologie

Schild des ehemaligen Seminars für Iranische Philologie
Bildquelle: Claudius Naumann

Die Iranistik gehörte nicht zu den Fächern, die sofort nach Gründung der Freien Universität Berlin am 4. Nov. 1948 als selbständige Disziplin eingerichtet wurden, obgleich das Fach an der nach dem Krieg in "Humboldt-Universität" umbenannten Friedrich-Wilhelms-Universität in Ost-Berlin bereits etabliert war. Dort vertrat zu diesem Zeitpunkt Heinrich J. Junker, ein Schüler von Christian Bartholomae und Paul Horn, die Iranistik mit philologischem Schwerpunkt, während Bozorg Alawi, ein bekannter iranischer Schriftsteller und Gelehrter, den literarischen und neuiranistischen Schwerpunkt des Faches betreute. Die Iranistik an der FU hingegen blieb lange Zeit an die indogermanische Sprachwissenschaft und die Indologie gebunden. Traditionsgemäß stand sie als philologische Disziplin mit diesen beiden Fächern seit der aufsehenerregenden Entdeckung der Zusammengehörigkeit der indo-iranischen Sprachgruppe zu der großen Familie der indoeuropäischen Sprachen zu Beginn des 19. Jhs. in enger Verbindung. Umfangreiche Neuentdeckungen iranischer Zeugnisse zu Beginn des 20. Jhs. in Turfan und die Ausweitung der Iranistik über die reine Philologie hinaus zu einer kulturhistorischen Disziplin machten die Verselbständigung des Faches zu einer wissenschaftlichen Notwendigkeit, die jedoch – obwohl sie seit langem und wiederholt von kompetenter Seite her gefordert wurde (so bereits Chr. Bartholomae, Zum sasanidischen Recht II, Heidelberg 1918, Vorwort S. 3f.) – nur an wenigen westdeutschen Universitäten nach dem Krieg tatsächlich realisiert werden konnte. Heute ist das Fach außer an der FU als selbständige Disziplin noch in Göttingen (mit Philip G. Kreyenbroek), in Bamberg (mit Birgitt Hoffmann) und in Hamburg (mit Ludwig Paul) vertreten.

Im Jahre 1949 war die Iranistik an der FU noch eine Unterabteilung der Indogermanistik. Direktor des Indogermanischen Seminars wurde zunächst Olaf Hansen, der als außerordentlicher Professor sowohl für den indogermanistischen als auch für den indoiranistischen Schwerpunkt "mit der Lehre beauftragt" war. Nachdem die FU den Lehrstuhl für allgemeine Indogermanistik mit einer eigenen Professur ausgestattet und im Jahre 1953 mit von Kienle besetzt hatte, wurde das Seminar in zwei Bereiche untergliedert, die Indogermanische Abteilung und die Indo-Iranistische Abteilung. Die Leitung der Indo-Iranistischen Abteilung des Faches wurde Olaf Hansen übertragen, der noch fast ein Jahrzehnt die beiden Bereiche der Iranistik und der Indologie betreuen sollte. Das Indogermanische Seminar hatte seinen Sitz zunächst in der Boltzmannstr. 3, dann ab 1956 für kurze Zeit in der Garystr. 45. Ab 1957 wurde es im ersten Stock einer kleinen Villa in Berlin-Dahlem, Faradayweg 1, untergebracht, wo sich auch die gemeinsame Bibliothek für alle drei Bereiche, die sich in der Folgezeit in drei Institute aufspalten sollten, befand.

Als Hansen Anfang der sechziger Jahre eine ordentliche Professur erhielt, war der erste Schritt zur Einrichtung der Iranistik als selbständige Fachrichtung getan. 1963 wurde das "Seminar für Iranische und Indische Philologie" gegründet und gleichzeitig eine Professur für Indologie ausgeschrieben. Im selben Jahr trennte sich das Institut auch räumlich von der Indogermanistik und zog in die Walter-Linse-Str. 12 in Berlin-Lichterfelde um. Dort blieben die indische und iranische Philologie zwar noch im Verbund, waren jedoch jeweils durch eine eigene Professur vertreten. Hansen oblag ab diesem Zeitpunkt ausschließlich die Betreuung des iranistischen Bereichs.

Obgleich Hansen vor der Etablierung der Indologieprofessur die Indo-Iranistik in den Kernbereichen vertrat, lagen seine Forschungsinteressen eindeutig in der Iranistik, speziell der Mitteliranistik mit philologischem Schwerpunkt. Zu seinen Publikationen gehören Erstbearbeitungen soghdischer und mittelpersischer Texte (Zur soghdischen Inschrift auf dem dreisprachigen Denkmal von Karabalgasun, Helsinki 1930; Berliner soghdische Texte I. Bruchstücke einer soghdischen Version der Georgspassion C1, Berlin 1941; Berliner soghdische Texte II. Bruchstücke der großen Sammelhandschrift C2, Berlin 1955). Mit der 1938 in Berlin unter dem bescheidenen Titel Die mittelpersischen Papyri der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin erschienenen Monographie legte Hansen eine bedeutsame Arbeit vor, in der ihm erstmalig die Entzifferung von Originaldokumenten in der fast unleserlichen Pahlavi-Kursive aus der Zeit der sasanidischen Okkupation Ägyptens zu Beginn des 7.Jhs. (619–629) gelungen war. Diese Arbeit sollte wegweisend werden für spätere Bearbeitungen von Dokumenten in der Pahlavi-Kursive (Papyri, Leder- und Leinendokumente), die in der iranistischen Forschung einen besonderen Stellenwert einnehmen, da nur sehr wenige Originalzeugnisse aus der vorislamischen Periode erhalten geblieben sind. Hansens Edition blieb mehr als ein halbes Jahrhundert bis zur 2003 erschienenen Neubearbeitung der Berliner Papyri durch Dieter Weber (siehe seinen im Corpus Inscriptionum Iranicarum erschienenen Band Berliner Papyri, Pergamente und Leinenfragmente, London 2003) der einzige Versuch, diese wichtigen Quellen zu deuten. Die Entzifferungsarbeit an diesen Texten führte Hansen zu anderen Lesungen und Interpretationen als den damals in der Pahlavi-Forschung gängigen, somit auch zu einer eigenen Transliteration des Mittelpersischen, die er in seiner Publikation Mittelpersisches Lesebuch (Berlin 1963) vorgestellt hat (hierzu cf. auch W. Sundermann, "Mittelpersisch", in Compendium Linguarum Iranicarum, Hrsg. R. Schmitt, Wiesbaden 1989, S. 146). Am Berliner Institut wurde die Arbeit an Texten in der Pahlavi-Kursive in den neunziger Jahren als ein wichtiger Forschungsschwerpunkt wieder aufgenommen nachdem es gelungen war, neugefundene Originaldokumente auf Leder und Leinen aus der Sasanidenzeit zu erwerben (siehe den entsprechenden Forschungsschwerpunkt).

Nach der Trennung von der Indogermanistik konnte das neugegründete "Seminar für Iranische Philologie" ausgebaut werden: 1964 wurde ihm eine Lektorenstelle für die persische Sprache zugewiesen, die Farhad Sobhani erhielt; 1965 wurde die erste wissenschaftliche Assistentenstelle eingerichtet, die Hansen mit seinem Schüler Günter Gobrecht besetzte. Hansen kam nur noch wenige Jahre in den Genuß, die neuerworbene Selbständigkeit und Ausstattung des Faches für seine Arbeit zu nutzen. Bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, ließ er sich 1967 vorzeitig emeritieren und verstarb Anfang 1969 in Kiel. 1968 erging der Ruf auf den Lehrstuhl für Iranische Philologie an Carsten Colpe aus Göttingen, der zugleich in drei Disziplinen, der Iranistik, der Religionsgeschichte und der Evangelischen Theologie, beheimatet war. Eine zweite Professur wurde 1970 mit Günter Gobrecht besetzt. Zu diesem Zeitpunkt richtete die FU auch eine weitere Assistentenstelle speziell für Religionsgeschichte ein, die Colpes Schüler Hans Kippenberg erhielt.

Mit der Berufung Colpes erfuhr das Fach eine bedeutsame Erweiterung um einen religionshistorischen Schwerpunkt, dem durch die Ansiedelung des aus Göttingen mitgebrachten Sonderforschungsbereichs "Synkretismus" in der Iranistik zusätzliches Gewicht verliehen wurde. Colpes Hauptinteresse in der iranistischen Forschung zu diesem Zeitpunkt galt dem Problem des iranischen Anteils am antiken Synkretismus, nachdem er sich in seiner Dissertation und Habilitationsschrift mit dem Themenbereich "Gnosis und Manichäismus" befaßt hatte. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Beiträge zur Religion der Partherzeit, zu Mithraskult und Manichäismus, zu Zarathustra und den Gathas und vor allem zum iranischen Anteil an Entstehung und Ausgang des antiken Synkretismus (cf. die Schriftenverzeichnisse in den Festschriften für Colpe, Loyalitätskonflikte in der Religionsgeschichte, Würzburg 1989, S. 338–365, und Tradition und Translation, Berlin 1994, S. 551–556). Auch als Herausgeber und maßgeblicher Mitverfasser des Handbuchs der Religionsgeschichte und des Wörterbuchs der Mythologie hat er iranistischen Themen breiten Raum gewidmet (u.a. "Altiranische und zoroastrische Mythologie", WdM Bd. IV, 1974, S. 161–260, und 1982, S. 261–487; "Zarathustra und der frühe Zoroastrismus", HdR Bd. 2, 1972, S. 319–357).

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