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Veranstaltungshinweis: Wie bestimmt die Distanz zum Untersuchungsgegenstand den Forschungsprozess?

06.02.2023 | 17:00 c.t. - 19:00

Datum: 06.02.2023
Ort: Online
Link zum Zoom-Meeting:
https://us06web.zoom.us/j/82478180194?pwd=U2FTVm5TV3Y4OXFRYlhueUM3cENqZz09
Meeting-ID: 824 7818 0194
Kenncode: 677476

Zeit: 17:15 bis 18:45 Uhr

Eingangsstatements von:

Benno Gammerl (EUI, Italien), Christoph Kalter (Agder, Norwegen), Lyndal Roper (Oxford, UK)Moderation: Ulrike Schaper (FU, Berlin)

Sechste Diskussionsrunde der Veranstaltungsreihe „Geschichtliche Grundfragen“

Historische Distanz zum Untersuchungsgegenstand gilt gemeinhin als eine Voraussetzung des Faches, die die Geschichtswissenschaft von anderen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften unterscheidet. Erst durch historische Distanz erreicht das forschende Subjekt die notwendige Klarheit für ein historisches Urteil. Distanz und Nähe spielen in der Geschichtswissenschaft aber seit der geographischen und thematischen Erweiterung nicht nur als zeitliche Entfernung eine Rolle. Geographische Distanz zum Thema, die oft mit einer kulturellen und auch sprachlichen Distanz einhergeht, verkomplizieren die Voraussetzungen historischer Erkenntnis. Gleichzeitig hat die Reflexion eigener Perspektivität als des spezifischen, sozialisationsbedingten Nähe-Distanzverhältnisses zum eigenen Gegenstand an Bedeutung gewonnen. Politisch kulminiert die Distanzfrage in Debatten über die Aneignung marginalisierter Perspektiven durch hegemoniale Forschende, betrifft aber auch umstrittene Ideale von Wissenschaftlichkeit wie Interesselosigkeit und Objektivität.

Das Wechselspiel aus Distanz und Nähe zum Untersuchungsgegenstand hat also nicht nur eine erkenntnistheoretische, sondern auch methodische, politische und nicht zuletzt forschungspraktische Dimensionen. Diese reichen von Distanz- oder Nähe-bedingten blinden Flecken der eigenen Perspektiven, über die Frage der Identifikation mit historischen Subjekten bis zum Zugang zu Zeitzeug*innen und Archiven oder der Bedeutung von Sprachkenntnissen für die Forschungspraxis reichen.

In der sechsten Diskussionsrunde unserer Veranstaltungsreihe „Geschichtliche Grundfragen“ möchten wir die unterschiedlichen Facetten des Verhältnisses zum Untersuchungsgegenstand ausleuchten und nach Effekten von Nähe und Distanz auf die historische Arbeit fragen. Wie überwinden wir die Distanz zu historischen Gegenständen, die in der fernen Vergangenheit, geographisch entfernten Räumen oder uns kulturell fremden Zusammenhängen angesiedelt sind? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus, Teil der Nachgeschichte des untersuchten Zusammenhangs zu sein? Wie schafft man methodische Distanz zu einem Gegenstand, zu dem man eine emotionale, politische oder biographische Verbindung hat und ist das erstrebenswert? Stellt sich die Nähe-Distanzfrage für alle Epochen gleich?? Wie vertraut müssen wir mit den Grundlagen anderer Wissenschaften sein, um deren Geschichte zu schreiben? Ist der eigene Glaube ein Hindernis oder ein Erkenntnisinstrument religionsgeschichtlicher Untersuchungen?

Zur Diskussionsreihe Geschichtliche Grundfragen

Mit den sozial-, geschlechter-, kultur- und globalgeschichtlichen Erweiterungen der Geschichtswissenschaft vor allem seit den 1970er Jahren sind ihre Themen vielfältiger, die theoretischen Ansätze und Methoden pluraler und Forschungsdesigns multiperspektivischer geworden. Dementsprechend hat die Komplexität des Fachs zugenommen, das heute in seiner Vielgestaltigkeit gerade auch über die Epochengrenzen hinweg kaum noch zu überblicken ist. Angesichts dieser Pluralisierung scheinen die Konturen der Geschichtswissenschaft zu verschwimmen, was von den einen als „anything goes“ beklagt und von anderen als notwendige Diversitätssteigerung begrüßt wird. Unserer Ansicht nach stellen sich aber auch angesichts der Vervielfältigung von Perspektiven, Zugängen und Quellenkorpora auf einer ganz basalen Ebene des historischen Arbeitens noch immer gleiche oder zumindest ähnliche Grundfragen:  Was ist eine gute historische Frage? Gibt eine Einheit der Geschichte oder nur partiale Geschichten? Wie politisch kann, darf und muss Geschichte sein? Ist historische Erkenntnis objektiv? Wie sollen die räumlichen und zeitlichen Bezüge unserer Forschungen gestaltet sein?

Zwar haben sich auch die historiographischen Theoriediskussionen seit den 1970er Jahren ausdifferenziert und mit Anleihen aus den systematischen Nachbarwissenschaften zu diesen Fragen Stellung genommen, geklärt sind sie aber bei weitem nicht. Weil sie sich vielmehr in der alltäglichen historiographischen Praxis immer wieder aufs Neue stellen, möchten wir, Historiker*innen der HU und der FU Berlin sowie des ZZF Potsdam, sie mit interessierten Kolleg*innen in loser Folge systematisch diskutieren und dabei vor allem den Brückenschlag zwischen abstrakter Theoriereflexion und konkreter historiographischer Arbeitspraxis suchen.

Die Eingangsstatements vergangener Veranstaltungen können auf dem Portal zeitgeschichte | online eingesehen werden: https://zeitgeschichte-online.de/node/58596

Organisation der Reihe:
Rüdiger Graf, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Matthias Pohlig, Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin
Ulrike Schaper, Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin

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