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Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan

Der Rumänienfeldzug 1916/17 - Kulturtransfer und kulturelle Dominanz in Militärkoalitionen

Projektskizze

Das als deutsch-bulgarisches Kooperationsprojekt angelegte Vorhaben will Realität, Deutung und Bedeutung des Feldzuges deutscher, österreichisch-ungarischer, bulgarischer und türkischer Truppen gegen Rumänien 1916/17 untersuchen. Dabei sollen jene kulturellen Besonderheiten herausgearbeitet werden, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts wirksam geworden sind. Am Beispiel der nur äußerlich harmonischen Militärkoalition, deren Partner sehr unterschiedlichen Militärkulturen verpflichtet waren und die Ereignisse auch verschieden gedeutet, erinnert und instrumentalisiert haben, sollen Formen von Fremdwahrnehmung, kultureller Dominanz und Unterordnung sowie kulturelle Transfers analysiert werden. Nicht das Ereignis, sondern seine kollektive Aneignung und kulturelle Bedeutung stehen im Mittelpunkt des Interesses. Über den wissenschaftlichen Nutzen hinaus soll das Projekt Kollegen der zukünftigen EU-Beitrittsländer in internationale Netzwerke einbinden sowie mit modernen Forschungsstandards und methodischen Ansätzen vertraut machen.

Teilprojekte

1.) Deniza Petrova: Tutrakan – Realität und Kontroverse, Deutung und Bedeutung

In einer der ersten großen Kampfhandlungen im Rumänienfeldzug nahmen bulgarische und deutsche Truppeneinheiten am 6. September 1916 die rumänische Festung Tutrakan ein. Diese Schlacht ist bis heute im kollektiven Gedächtnis Bulgariens präsent. Ausgehend von diesem Ereignis untersucht das Forschungsprojekt die Formen und Entwicklung nationaler Erinnerung in Bulgarien zwischen 1916 und 2006. Die Arbeit nähert sich dem Untersuchungsgegenstand auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Zunächst will sie das Ereignis historisch einordnen sowie die Frage des Aufbau eines Erinnerungsortes aufwerfen. Spezifische Formen der Erinnerung von Kriegsteilnehmern werden ebenso herausgearbeitet wie die historiografische Deutung. In einem zweiten Teil geht es um eine symbolische Manifestierung der Erinnerung am Ort der Schlacht im Laufe des 20. Jahrhunderts. Der lange Untersuchungszeitraum von neun Jahrzehnten erlaubt es, Kontinuitäten und Brüche sowie die Abhängigkeit der Erinnerungskultur von politischen Konjunkturen sichtbar zu machen.

2.) Dr. Gundula Gahlen: Erfahrungshorizonte deutscher Kriegsteilnehmer in Rumänien im Ersten Weltkrieg

Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, die Kriegserfahrungen der deutschen Militärs auf dem Balkan während des Rumänieneinsatzes zu untersuchen und herauszuarbeiten, wie die Soldaten durch diese Zeit in Rumänien in ihrem Osteuropabild, in ihrer Kampfmoral, in ihrer Selbstsicht und in ihrer Sicht auf Feinde und Verbündete geprägt wurden. Erfahrung wird hierbei im Sinne des wissenssoziologischen Erfahrungsansatzes nicht als spezifischer Ausdruck unmittelbar-individualistischen Erlebens, sondern als Prozess verstanden, der sich auf unterschiedlichen und zugleich eng aufeinander ausgerichteten Ebenen vollzieht, so dass neben den individuellen Akteuren auch Institutionen, Vermittlungsinstanzen und Medien berücksichtigt werden. Neben der unmittelbaren Zeit in Rumänien gilt es auch die Vorprägungen der Soldaten und den Deutungswandel der Erfahrungen nach Abzug der Soldaten zu analysieren. Den unterschiedlichen Perspektiven der Kriegsteilnehmer wird durch Berücksichtigung ihrer verschiedenen Einsatzgebiete, ihrer militärischen Stellungen sowie ihrer unterschiedlichen Sozialisationen Rechnung getragen. Auszuwerten sind autobiografische Zeugnisse und „Ego-Dokumente“ im weiteren Sinne, aber auch die öffentlichen Diskurse und Bilder, die mit der Sphäre der Sinnverarbeitung durch die Soldaten verbunden waren.

3.) Dr. Oliver Stein: Das deutsche Bulgarenbild 1878-1918

Die Forschungsarbeit untersucht das deutsche Bulgarenbild in der Zeit zwischen 1878 und 1918 und bezieht darüber hinaus die nach Kriegsende vorgenommene Deutung Bulgariens als Bundesgenosse mit ein. Ausgehend von dem auffälligen Befund, dass das deutsche Bild von den Bulgaren innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums – in Anpassung an die sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen erhebliche Modifikationen erfährt, geht es in dieser Arbeit darum, die zugrundeliegenden komplexen Sinnbildungsprozesse in ihren Merkmalen und Funktionen zu beschreiben und zu analysieren. Im Fokus stehen deshalb die Prozesse Wahrnehmung und Deutung, die im Hinblick auf ihre gesellschaftliche und ihre individuelle Dimension und hinsichtlich der Wechselwirkung von Fremdbild und Selbstbild untersucht werden.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile, deren erster sich den Stereotypen über die Bulgaren widmet. Dabei wird herausgearbeitet, wie diese Stereotype in Abhängigkeit von politischen Konjunkturen wechselnde Anwendung fanden. So ergab sich ein breites Spektrum von zahlreichen - mitunter sogar widersprüchlichen - Deutungen Bulgariens – als modern oder rückständig, urwüchsig oder barbarisch, europäisch oder orientalisch. In Deutschland geführte Debatten wie beispielsweise der Volkskraftdiskurs strukturierten dabei entsprechende Konstruktionen in vielen Fällen vor. Ein zweiter Teil wendet sich der Entwicklung des veröffentlichten Bulgarenbildes in Presse und Publizistik zu. Angesichts der weitgehenden Homogenisierung der Berichterstattung während des Ersten Weltkrieges wird dargelegt, inwieweit Maßnahmen gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen effektiv auf die Gestaltung eines propagandistisch gefärbten Bulgarenbildes einwirken konnten. Zugleich wird nach der Relevanz gefragt, die die jeweiligen Bulgarenbilder für das Handeln der hauptverantwortlichen Akteure in Politik und Militär hatten, was sich besonders deutlich anhand der deutschen Kulturpolitik und Propaganda in Bulgarien untersuchen lässt. Ein dritter Teil der Arbeit widmet sich den einzelnen Wahrnehmungsinstanzen, den Deutschen vor Ort, und ihren Kontakten zu Bulgaren. Hier kann mit Hilfe von Selbstzeugnissen das Zusammenwirken von gesellschaftlicher und individueller Erfahrungsdimension genauer untersucht werden. Ein besonderes Gewicht kommt dabei der Analysekategorie der Militärkultur zu, weil sie im Bewusstsein deutscher Soldaten auf dem Balkan nicht selten einen exemplarischen Rang einnahm und damit einen beliebten Ausgangspunkt und Deutungsrahmen für die Einschätzung der bulgarischen Gesamtkultur bildete. Zum Abschluss dieser Arbeit werden die Deutungs- bzw. Umdeutungsversuche betrachtet, wie sie in einem zunehmenden zeitlichen Abstand von der Kriegszeit in Erinnerungen und Darstellungen vorgenommen wurden.

Gesamtziel der Studie ist es, an einem exemplarischen Fall zum einen kulturell bedingte und gesellschaftlich verankerte feste Wahrnehmungs- und Deutungsmuster herauszuarbeiten und zum anderen die Abhängigkeit der Fremdbilder von (wechselhaften) politischen Rahmenbedingungen sowie dem Selbstbild nachzuweisen. 

Tagungen

Veröffentlichungen

Herausgeberschaft:

Aufsätze:

  • Angelow, Jürgen, Die Mittelmächte im Rumänienfeldzug von 1916/17. Kulturelle Transfers und Erinnerungskultur, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 132–144.
  • Angelow, Jürgen, Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan – Neue Fragestellungen und Erklärungen, in: Arnd Bauerkämpfer/Elise Julian (Hrsg.), Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich 1914–1918, Göttingen 2010, S. 178–194.
  • Gahlen, Gundula, Deniza Petrova und Oliver Stein, Der rumänische Kriegsschauplatz 1916 bis 1918 als Ort disparater Erfahrungen, in: Dies. (Hrsg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien. Frankfurt a.M. 2018 (Krieg und Konflikt 4), S. 11-48.
  • Gahlen, Gundula, Eine Schule der Gewalt? Die Sicht der deutschen Kriegsteilnehmer auf die Zivilbevölkerung im Rumänienfeldzug 1916/17, in: Dies., Deniza Petrova u. Oliver Stein (Hrsg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien. Frankfurt a.M. 2018 (Krieg und Konflikt 4), S. 289-316. 
  • Gahlen, Gundula, German War Participants’ Spatial Experiences in Romania 1916–1918, in: Claudiu-Lucian Topor/Alexander Rubel (Hrsg.), »The Unknown War« from Eastern Europe. Romania between Allies and Enemies (1916–1918), Konstanz 2017, S. 173–190.
  • Gahlen, Gundula, »It is proceeding merrily down there and the Alps corps in particular has done some nice work.« - The letters and diaries of Lieutenant-Colonel August Dän-zer from his time in Transylvania and Romania 1916/17 (2015), URL: http://www.mwme.eu/essays/german-balkans/index.html.
  • Gahlen, Gundula, Die Dobrudschadeutschen in der Sicht deutscher Kriegsteilnehmer 1916–1918, in: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 55 (2014), S. 137–156.
  • Gahlen, Gundula, Deutung und Umdeutung des Rumänienfeldzuges in Deutschland zwischen 1916 und 1945, in: Jürgen Angelow unter Mitarbeit von Gundula Gahlen und Oliver Stein (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2010, 289–310.
  • Gahlen, Gundula, Erfahrungshorizonte deutscher Soldaten im Rumänienfeldzug 1916/17, in: Bernhard Chiari/Gerhard P. Groß (Hrsg.), Am Rande Europas? Der Balkan – Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt, München 2009, S. 137–158.
  • Petrova, Deniza, Asymmetrie – Diversität – Dysfunktionalität? – Das deutsche und das bulgarische Militär zwischen Kooperation und Konflikt im Rumänienfeldzug 1916/17, in: Gundula Gahlen, Deniza Petrova u. Oliver Stein (Hrsg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien. Frankfurt a.M. 2018 (Krieg und Konflikt 4), S. 133-156.
  • Petrova, Deniza, Der Rumänienfeldzug 1916/17 in der bulgarischen Kriegserinnerungskultur, in: Jürgen Angelow u.a. (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011, S. 257–269.
  • Petrova, Deniza, »Not a Central European Theatre of War«: The Balkans as a Cultural and Travel Experience in the Notes and Letters of August von Mackensen and Hans von Seeckt 1915–1918 (2015), URL: http://www.mwme.eu/essays/german-balkans/index.html.
  • Petrova, Deniza, Wahrnehmung und Darstellung von Raum und Grenzen. Die Dobrudscha in bulgarischen literarischen Texten über den Ersten Weltkrieg, in: Olivia Spiridon (Hrsg.): Textfronten. Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg im südöstlichen Europa, Stuttgart 2015, S. 93-107.
  • Stein, Oliver, Zwischen Orient, Russland und Europa. Zum Bild der Bulgaren und ihres Militärs in der deutschen Presse 1912–1918, in: Bernhard Chiari/Gerhard P. Groß (Hrsg.), Am Rande Europas? Der Balkan – Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt, München 2009, S. 159–175.
  • Stein, Oliver, »Wer das nicht mitgemacht hat, glaubt es nicht.« Erfahrungen deutscher Offiziere mit den bulgarischen Verbündeten 1915–1918, in: Jürgen Angelow unter Mitarbeit von Gundula Gahlen und Oliver Stein  (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011, S. 271–287. 
  • Stein, Oliver, Die deutsch-bulgarischen Beziehungen seit 1878, in: Zeitschrift für Balkanologie 47 (2011), H. 2, S. 218-240.
  • Stein, Oliver, Kul'turnye različija i koalicionnaja vojna. Nemeckij vzgljad na bolgar vo vremja pervoj mirovoj vojny 1915-1918 gg. [Kulturelle Fremdheit im Bündniskrieg. Die Sicht der Deutschen auf die Bulgaren im Ersten Weltkrieg 1915-1918], in: Klio. Žurnal dlja učenych 54 (2011), H. 3 [St. Petersburg, Russland], S. 50-52.

Buchvorstellung

Ort: Bayerisches Armeemuseum, Paradeplatz 4, 85049 Ingolstadt

Zeit:Dienstag, 11. Dezember 2018, 19-20.30 Uhr

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