Stellungnahme der Konferenz für Geschichtsdidaktik zum 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus
News vom 13.05.2025
„Die Konferenz für Geschichtsdidaktik (KGD) schließt sich als wissenschaftlicher Fachverband der Geschichtsdidaktiker*innen der Stellungnahme von VGD und VHD zum 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus an. Die dort geäußerten Bedenken hinsichtlich der zunehmenden Relativierung, Verharmlosung und Leugnung von NS- Verbrechen im schulischen Kontext teilen wir vollumfänglich und möchten folgende geschichtsdidaktische Perspektiven ergänzen:
Historisches Lernen muss als bildungsbiografische Aufgabe verstanden werden, die weit über den Geschichtsunterricht an weiterführenden Schulen hinausreicht. Bereits in der Grundschule beginnt die Anbahnung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins. Kinder setzen sich schon früh mit historischen Erfahrungen und Narrativen auseinander und entwickeln grundlegende Vorstellungen von Wandel und Kontinuität. Diese Entwicklung setzt sich in der Erwachsenenbildung fort, wo unter spezifischen Rahmenbedingungen historisches Lernen stattfindet.
Die Entwicklung eines kritisch-reflektierten Geschichtsbewusstseins darf nicht auf den Geschichtsunterricht beschränkt bleiben – sie muss auch in Verbundfächern wie Gesellschaftslehre professionell verankert werden, wo historische, geografische, politische u.a Perspektven systematisch vernetzt werden. Historische Bildung als Teil der Demokratiebildung ist eine Querschnittsaufgabe aller Fächer, wie auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK in ihrer Stellungnahme zur Demokratiebildung hervorhebt. Die Konferenz für Geschichtsdidaktik betont im Kontrast zur SWK-Stellungnahme, dass ein primär chronologischer Geschichtsunterricht, der auf lineare Epochenabfolgen setzt, den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht wird. Internationale Studien zeigen, dass ein kategorialer oder konzeptueller Zugang – etwa über Schlüsselbegriffe wie Macht, Freiheit oder Gewalt – historisches Denken effektiver fördert als das Festhalten an chronologischen Strukturen. Ein solcher Ansatz ermöglicht es, übergreifende Muster und Strukturen zu erkennen, die für die Analyse gegenwärtiger Krisen relevant sind. Zentral ist, Lernende aktiv an der Auswahl und Deutung historischer Themen zu beteiligen, statt Inhalte top-down vorzugeben. Partizipative Lehrplanentwicklung, wie sie bereits in Modellprojekten erprobt wird, stärkt die Eigenständigkeit von Lehrer*innen ebenso wie von Lernenden und fördert demokratische Teilhabe. Partizipationsstrukturen in der Schule und im Bildungssystem sind daher nicht nur Ziel, sondern auch Voraussetzung für gelingende historisch-politische Bildung.
Dennoch bedarf es eines gesellschaftlich geteilten erinnerungskulturellen Konsenses: Themen wie die NS-Diktatur oder die SED-Herrschaft dürfen nicht zur Dispositon stehen, da sie als zentrale Bezugspunkte für die kritische Auseinandersetzung mit antidemokratischen Tendenzen wirken. Konzeptuelles Lernen soll also nicht zur Beliebigkeit führen, sondern durch die systematische Verknüpfung von Schlüsselkonzepten (z.B. Herrschaft, Widerstand, Erinnerungskultur) mit exemplarischen Fallstudien historischer Unrechtsregime Tiefenschärfe gewinnen. Diese Doppelstrategie sichert sowohl Flexibilität als auch die notwendige Kontinuität in historischen Lernprozessen.
Für eine qualitativ hochwertige historische Bildung ist eine wissenschaftsbasierte Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte unabdingbar. Die KGD erhofft sich eine intensivere Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schulpraxis, um forschungsbasierte Erkenntnisse der Geschichtsdidaktik in die Schulen zu tragen. Als wissenschaflicher Fachverband werden wir weiterhin durch Forschung, Lehre und Beratung zur Qualitätsentwicklung des historischen Lernens in Schule und Gesellschaft beitragen – gemeinsam mit allen Akteur*innen historischer Bildung.
80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus muss historisches Lernen in unserer Gesellschaft mehr denn je gefördert werden – als lebenslanger Prozess, als fächerübergreifende Aufgabe und als unverzichtbarer Bestandteil einer lebendigen Demokratie."
Prof. Dr. Sebastian Barsch
Vorsitzender der Konferenz für Geschichtsdidaktik für den Vorstand der KGD