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Hebräische und jiddische Einträge

Hebräische oder jiddische Eintragungen in die Manuskripte der Erfurter Handschriftensammlung, die in der Zeit nach dem Pestpogrom und dem damit verbundenen Eingang der Handschriften in christliche Bibliotheken geschrieben wurden, sind selten und beschränken sich auf die Bibelhandschrift Ms. or. fol. 1212. Auf folio 411r ist neben einer lateinischen Hand, die den Anfang des Verses Jesaja 2,1 mit capitulum ii:verbum quod vidit markiert, auch ein hebräischer Kommentar zu finden. Er bezieht sich auf die Verse Verse 2–5, die in der jüdischen als auch christlichen Tradition messianisch konnotiert sind. In der christologischen Deutung wurden sie direkt an die Geburt Christi geknüpft und spätestens ab dem Mittelalter in der Disputationsliteratur als Zeugnis für die Ankündigung Christi gegen jüdische Gelehrte ins Feld geführt. Dort heißt es: Und geschehen wird es in späten Zeiten, da wird aufgerichtet sein der Berg des Hauses des Ewigen über den Bergen, und er überragt die Hügel, und es strömen zu ihm all die Völker. Und viele Nationen werden ziehen, und sprechen: Wohlan, lasset uns hinaufgehen zum Berge des Ewigen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre von seinen Wegen, und wir wandeln auf seinen Pfaden, wenn von Zion wird aufgehen die Lehre, und das Wort des Ewigen von Jeruschalajjim. Und er wird richten zwischen den Völkern, und entscheiden vielen Nationen, und sie werden stumpf machen ihre Schwerter zu Sicheln, und ihre Lanzen zu Rebenmessern. Nicht wird erheben Volk gegen Volk das Schwert, und nicht lernen sie fürder den Krieg.

Zu letzterem Vers bemerkt ein hebräischer Kommentar: 

„[Der Vers] ist nicht [so] zu verstehen, dass niemals wieder Kriege sein sollen, sondern [er ist vielmehr] so zu verstehen, dass keine großen Kriege sein sollen, [wie solche] die schon waren. Und auch, dass ein Engel zu Jakob unserem Vater sprach: Wahrlich, du sollst nicht „Jakob“, sondern Israel genannt werden.“ 

Es handelt sich hier um eine aschkenasische Kursivschrift, die ins 15. Jahrhundert zu datieren ist. Wer hat diese hebräische Bemerkung in die Bibelhandschrift eingetragen? Die Handschrift war zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich schon nicht mehr in jüdischer Hand. Die zahlreichen lateinischen und deutschen Glossen, Transliterationen und Übersetzungshilfen innerhalb dieser hebräischen Bibel legen im Zusammenhang mit der Verswahl dieses Rezipienten die Vermutung nahe, dass dieser Eintrag von einem Juden gemacht wurde, der einem christlichen Novizen der hebräischen und aramäischen Sprache zur Seite stand. Vielleicht ist aus einer exegetischen Diskussion mit einem der christlichen Schüler heraus diese Glosse entstanden. Jakob galt den Kirchenvätern als Vorläufer Christi und wurde auch in der lateinischen mittelalterlichen Exegese in diesem Kontext besprochen. Um so interessanter ist hier die Bemerkung des jüdischen Rezipienten, die den Leser daran erinnert, dass Gott Jakob nach dessen langem Kampf mit dem mysteriösen Engel den Namen Israel gab – was in der rabbinischen Tradition als Anspielung auf die Unsterblichkeit Israels gelesen wird. (z.B. in bT Taanit 5b)

Eine weitere Hand, die sicherlich zu einem jüdischen Rezipienten gehörte, markiert auf jiddisch die Anfänge der Kapitel Genesis 1–14 (hier als Beispiele Kapitel 2, 6, 10, 13) und notiert darüber in der Mitte des Seitenkopfes die jeweilige Parascha: Bereschit, Noach und Lech Lecha. Auch diese Hand bezeugt einerseits den Zugang jüdischer Bürger zu den Handschriften. Andererseits spricht die Art der Eintragungen auch hier dafür, dass das in Begleitung christlicher Schüler geschah, für die die ersten Verse kenntlich gemacht und die Einteilung des Textes in Paraschot exemplarisch vor Augen geführt wurde. 

Empfohlene Zitierweise: Annett Martini, "Rezeptionsspuren in der Erfurter Handschriftensammlung. Hebräische und jiddische Einträge", in: Die hebräischen Handschriften der Erfurter Sammlung (2019), URL: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/erfurter_sammlung/dokumentation/Rezeptionsspuren/Hebraeische-und-Jiddische-Eintraege/index.html