Springe direkt zu Inhalt

Kommentar zum Raketentest Nordkoreas

Pdf-File zum Download

 

Provokation mit Kalkül - Kommentar zum jüngsten Raketentest Nordkoreas

 

Eric J. Ballbach, M.A.

Institut für Koreastudien (FU Berlin)

Einführung

 

Trotz weltweiter Kritik führte Nordkorea am 5. April gegen 11:30 Uhr Ortszeit in Musudan-ri im Nordosten des Landes einen erneuten Raketentest durch. Weite Teile der internationalen Gemeinschaft reagierten darauf mit scharfer Kritik: Barack Obama bezeichnete den Test umgehend als eindeutige Provokation und forderte, Vorstöße wie diesen zu bestrafen; der japanische Ministerpräsident Taro Aso sprach von einem äußerst provokativen Akt, der für Japan völlig inakzeptabel sei und Südkorea verurteilte den Raketentest als „gewissenlos“ und kündigte an, man werde der Provokation entschieden begegnen. China und Russland reagierten hingegen äußerst zurückhaltend und mahnten zur Besonnenheit. Aufgrund unterschiedlicher Haltungen der unmittelbar betroffenen Staaten gelang es in einer eilig einberufenen Sondersitzung des Sicherheitsrates am 5. April nicht, sich auf eine einheitliche Reaktion auf den Raketentest Nordkoreas zu einigen. Während der technologische Erfolg des Raketentests – von Nordkorea bestätigt, von Südkorea, Japan und den USA bezweifelt – umstritten bleibt, so schätzt Nordkorea die politischen Gewinne offenbar höher ein als die potentiellen Risiken – und scheint damit vorerst durchaus Recht zu behalten. Auch deshalb bietet die derzeitige Situation eine Chance zur diplomatischen Revitalisierung verschiedener Dialogprozesse wie bspw. den Sechs-Parteien-Gesprächen.

 

Mögliche Motive für den Raketentest

 

Über die Motive Nordkoreas herrscht unter Beobachtern quasi naturgemäße Uneinigkeit. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung für den Raketentest vom 5. April sowohl vor dem Hintergrund interner als auch externer Erwägungen getroffen wurde. Innenpolitisch dürfte, insbesondere aufgrund der weitreichenden Spekulationen um den Gesundheitszustand Kim Jong-ils im vergangenen Jahr, vor allem die interne Stärkung der Position Kims im Vordergrund stehen. Zwar deutet einiges, u.a. auch der jüngste Besuch eines hochrangigen chinesischen Politikers in Nordkorea im Januar 2009, darauf hin, dass Kims Machtposition in Nordkorea gefestigt bleibt; es existieren jedoch keine gesicherte Informationen darüber, ob und wie der Gesundheitszustand die „overall governance” des Landes und die viel diskutierte Nachfolgefrage beeinflusst hat. Am 9. April beginnt darüber hinaus mit der konstituierenden Sitzung der Obersten Volksversammlung die neue Amtsperiode des kürzlich gewählten Parlaments Nordkoreas, in dessen Rahmen auch die Wiederwahl Kim Jong-ils als Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, offiziell das höchste Entscheidungsorgan des Landes, zu erwarten ist. Diese Annahme, dass interne Erwägungen bei dem Raketentest eine Rolle spielten, wird ebenfalls durch die Tatsache unterstützt, dass auch der Raketentest 1998 nur wenige Tage vor der ersten Sitzung des damals neu gewählten Parlaments durchgeführt wurde. Im Hinblick auf außenpolitische Erwägungen, so spricht vieles dafür, dass vor allem zwei Überlegungen eine Rolle spielten: Zum einen scheint Nordkorea durch den Test die Aufmerksamkeit der USA gewinnen zu wollen, die, eingespannt durch die weltweite Finanzkrise und den anhaltenden Missionen im Irak und in Afghanistan, ihre Nordkoreapolitik noch immer nicht abschließend formuliert hat. Vor der Wiederaufnahme möglicher Verhandlungen mit den USA hat Nordkorea nach Ansicht vieler Analysten mit dem Raketentest gleichzeitig die eigene Verhandlungsposition nochmals zu stärken versucht. Zum zweiten muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden werden, dass der Verkauf von Raketen(-teilen) sowie der dahinter stehenden Technologie eine immens wichtige Einnahmequelle für das Regime in Pjöngjang darstellt; insofern ist der Raketentest, dessen Kosten vom südkoreanischen Institute for National Security Strategy auf ca. 500 Millionen US-Dollar geschätzt wurden, durchaus auch ein „Verkaufsargument“ für mögliche Interessenten in Pakistan und Iran.

 

Auswirkungen des Raketentests auf den politischen Denuklearisierungsprozess Nordkoreas

 

Eine wichtige Frage, die sich nun im Anschluss an den nordkoreanischen Raketentest stellt, ist jene nach den Auswirkungen des Tests auf den Prozess der Denuklearisierung des Landes, vor allem auf die Sechs-Parteien-Gespräche. Auch in dieser Frage liegen die Meinungen der Beobachter weit auseinander. Die bspw. auch von Nicholas Eberstadt vertretene These, dass die Sechs-Parteien-Gespräche nun vor ihrem endgültigen Scheitern stünden, darf jedoch durchaus angezweifelt werden; denn die Geschichte des multilateralen Denuklearisierungsprozess zeigt, dass solch kriseninduzierenden Maßnahmen seitens Nordkoreas ironischerweise auch eine Chance zur diplomatischen Revitalisierung des Prozesses innewohnt. Bereits mehrfach in der Vergangenheit setzten Maßnahmen gezielter Kriseninduzierung seitens Nordkoreas neue diplomatische Energien frei. So geschehen beispielsweise auch 2006, nachdem Nordkorea ebenfalls gegen den Protest der internationalen Gemeinschaft im Juli mehrere Raketen testete und im Oktober schließlich den ersten Atombombentest durchführte. Trotz oder gerade wegen dieser Schritte gelang es, den vorher über ein Jahr brach liegenden Sechs-Parteien-Prozess noch im gleichen Jahr wieder aufzunehmen. Nach der zweiten Phase der fünften Verhandlungsrunde im Dezember 2006 und bilateralen Treffen zwischen dem damaligen Verhandlungsführer der USA, Christopher Hill, und Nordkoreas Kim Kye-gwan Ende Dezember 2006 und im Januar 2007, kamen die Akteure des Sechs-Parteien-Prozesses am Ende der dritten Phase der fünften Verhandlungsrunde, die vom 08. bis zum 13. Februar 2007 in Peking stattfand, zu einer neuerlichen diplomatischen Einigung: dem „Initial Actions for the Implementation of the Joint Statement“, kurz: „February 13th Agreement.“ Weitere Verhandlungsrunden folgten im März 2007, im Juli 2007 und im September 2007.

Darüber hinaus hat keines der Teilnehmerstaaten, inklusive Nordkorea, ein Interesse an einem Scheitern der Sechs-Parteien-Gespräche, denn auch die Machthaber in Nordkorea wissen, dass ein (von ihnen bevorzugter) ausschließlich bilateraler Lösungsansatz mit den USA sehr unwahrscheinlich ist. Insofern besteht trotz (oder gerade wegen) der derzeitigen Verschärfung der Situation noch immer die Chance, die diplomatischen Bemühungen um die Denuklearisierung und Einbindung Nordkoreas zum Erfolg zu führen.

 

Fazit

 

Mit dem Test nutzte Nordkorea erneut die unterschiedlichen Haltungen bzw. inhaltlichen Divergenzen zwischen den involvierten Staaten (USA, China, Südkorea, Japan und Russland) aus. In diesem Sinne dürften die Machthaber in Pjöngjang damit gerechnet haben, dass zusätzliche Sanktionen durch die UNO aufgrund anzunehmender Vetos durch Peking und Moskau nicht zu erwarten sind – eine Annahme die sich durchaus zu bestätigen scheint. Die unterschiedlichen Haltungen der unmittelbar betroffenen Staaten wurden nicht zuletzt auch in der Sondersitzung des Sicherheitsrates am 5. April deutlich. Während sich die USA, Japan und Südkorea auf einen Bruch der Resolution 1718 (siehe Anmerkung 1)  beriefen und sich somit für die Verurteilung Nordkoreas aussprachen, so deuteten China und Russland bereits vor dem eigentlichen Treffen an, gegen etwaige zusätzliche Sanktionen ihr Veto einzulegen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich der Sicherheitsrat nicht auf eine einheitliche Reaktion auf den Raketentest einigen konnte.

 

Vor diesem Hintergrund haben die jüngsten Ereignisse erneut gezeigt, dass es notwendig sein wird, die Politiken der involvierten Staaten gegenüber Nordkorea stärker als zuvor zu koordinieren, etwa über eine Revitalisierung der Trilateral Coordination and Oversight Group (TCOG) und enge Konsultationen mit China und Russland. Darüber hinaus wird es unerlässlich sein, den inhaltlichen Fokus der Sechs-Parteien-Gespräche gleichgewichtig auf mehrere Themen zu verteilen und somit über die Diskussion bzgl. des nordkoreanischen Plutoniumprogramms hinaus zu gehen. In diesem Sinne müssen die Arbeitsgruppen, die sich u.a. mit Fragen der Entwicklung, Infrastruktur, Energieversorgung, aber auch der diplomatischen Normalisierung zwischen Nordkorea und den USA sowie Japan auseinandersetzen, gestärkt und zusätzliche bilaterale Kommunikationskanäle mit Nordkorea geschaffen werden. Flexible taktische Ansätze zur Erreichung strategischer Ziele sind in diesem Zusammenhang unabdingbar.

-----------------------------

Anmerkung 1: Die Resolution 1718 des UNO-Sicherheitsrates wurde am 14. Oktober 2006 als Reaktion auf den ersten Kernwaffentest Nordkoreas verabschiedet. Nordkorea wird in der Resolution dazu aufgefordert, “not conduct any further nuclear test or launch of a ballistic missile.” Weiter heißt es, “[the] DPRK shall suspend all activities related to its ballistic missile programme and in this context re-establish its pre-existing commitments to a moratorium on missile launching.”