Springe direkt zu Inhalt

Thematik und Zielsetzung des Vorhabens

Es ist recht gut bekannt, dass das Deutsche Reich im Jahr 1915 islamische Kriegsgefangene der Triple Entente, also der Kriegsgegner Frankreich, Großbritannien und des zaristischen Russland in zwei großen Kriegsgefangenenlagern etwa 40 km südlich von Berlin unterzubringen suchte. Die meisten dieser Gefangenen stammten aus den Kolonien Frankreichs und Englands, im Falle Russlands waren darunter auch viele Tataren aus der Krim und dem Kaukasus. Ziel dieses Abtrennens der nicht-europäischen von den europäischen Gefangenen– von rassistischen Gründen abgesehen – war die Strategie, die islamischen Gefangenen so gut zu versorgen, dass sie für den Kampf gegen ihre einstmaligen Befehlshaber, also die Gegner des Deutschen Reiches, gewonnen werden konnten. Diese Versorgung schloss auch den Bau einer Moschee ein. Dafür rief der Sultan in Istanbul den „Jihad“ aus, und die Kampfeswilligen wurden in den mit diesen Gefangenen befassten Stellen als „Jihadisten“ bezeichnet.

Nach Weltkriegsende verfiel die Moschee zusehends und wurde 1930 abgerissen. Kurz darauf errichtete die Nazi-Regierung östlich von Wünsdorf große Kasernenbauten, Panzerunterstellplätze und riesige Bunkeranlagen. Im Bereich des ehemaligen „Halbmondlagers“ wurde nun eine Panzertruppenschule untergebracht. Nördlich davon boten Bunker dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und dem Oberkommando des Heeres (OKH) Schutz. Die Baustrukturen überstanden den 2. Weltkrieg recht gut, so dass das sowjetische Militär dort ebenfalls zu Zeiten der Besatzung sein Hauptquartier aufschlug, die meisten Gebäude in ihrer Funktion beließ und erst im Jahre 1994 die letzten Truppen abzogen.

 

Kolorierte Fotografie der Moschee des Halbmondlagers in Wünsdorf; Postkarte (Quelle: Wikimedia Commons)

 


Fünf Gründe motivierten uns zu einem Grabungsprojekt an diesem Ort


  • Das Landesamt für Denkmalschutz hatte sein Interesse an einer Beteiligung der Freien Universität an Ausgrabungen vor Ort bekundet, Studierende waren interessiert an einem solchen Projekt. Die Planungen für die Herrichtung eines Gebäudes sowie des Geländes für eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge machten sowieso eine Ausgrabung notwendig.
  • Die Kulturerbe-Dimension des Ortes sollte in ihrer Komplexität durch eine praktische Auseinandersetzung mit diesem Erbe in Form einer Ausgrabung untersucht werden, gerade auch im Angesicht lokaler politischer Verwerfungen zwischen UnterstützerInnen und scharfen GegnerInnen des Erstaufnahmelagers.
  • Uns ging es auch allgemein darum, wieweit Archäologie als eine für spezifische temporale Gegebenheiten einer tiefen Vergangenheit entwickelte Disziplin in der Lage ist, mit neuzeitlichen Befunden umzugehen;
  • Der Ort des Halbmondlagers hat eine wissenschaftshistorisch komplexe Stellung, da die Menschen dort als „Labor“ für ethnographische, biologisch-rassistische, linguistische, musik-ethnologische und andere pseudo-wissenschaftliche und wissenschaftliche Zwecke verwendet wurden;
  • Historisch ist das Halbmondlager, da auf Anregung des Vorderasiatischen Archäologen Max von Oppenheim eingerichtet, der zudem Gründer und Leiter der Nachrichtenstelle für den Orient war, eng an die Geschichte des Fachs geknüpft.