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Storytelling in den Altertumswissenschaften: Workshop und öffentliche Roundtable-Diskussion (25. & 26. September 2023)

ABT, DHY, EPIC, Nested Loops, Save the Cat und Heldenreise — alles hilfreiche Techniken, um ein griffiges Narrativ in eine große Ansammlung von staubigen Fakten und kleinteiligen Informationen, mit denen wir es in der Archäologie häufig zu tun haben, zu bringen. Was hinter diesen Stichwörtern steht und wie man aus disparaten Dingen, Zeiten, Räumen eine faszinierende Geschichte macht, konnten wir am 25.09.2023 bei einem Workshop unter Leitung von Joanna Sell, Coach für Storytelling und interkulturelle Kommunikation (Intercultural Compass) erfahren. Der Workshop fand im Rahmen des Digital Storytelling Projektes "Dinge mit Geschichte(n). Digital Storytelling in der altertumswissenschaftlichen Lehre" statt. Dabei diskutierten wir die Bedeutung von Emotionen, auch in Wissenschaft und Lehre, die Gefahr von Stereotypen und die Schwierigkeit Menschen hinter archäologischen Funden und Befunden zu finden. Multiperspektivität, wie wir sie in der Wissenschaft immer brauchen und vermitteln, zeigt sich in der erzählenden Vermittlung als Herausforderung und Chance zugleich. Klar wird: Der Einsatz von Story Arcs, Story Canvas, und Zoom-In/Zoom-Out Verfahren zur Erklärung archäologischer Objekte und Zusammenhänge ist für uns ungewohnt und erfordert Übung — aber es macht auch Spaß. Gerade die anschauliche Verknüpfung vieler unbekannter Fakten mit Protagonisten und Sinneseindrücken gelingt uns nach einigem Zögern gut. Und Open-ended stories könnten auch das Interesse der studentischen Zuhörerschaft steigern...

Programm_Digital Storytelling 

(Flyer Roundtable d. Digital Storytelling Projektes, von V. Schlegel)

Am folgenden Tag (26. September 2023) konnten wir die Diskussionen um das Thema Storytelling in einem öffentlichen Roundtable-Gespräch mit drei Expert*innen aus Museum, Wissenschaftskommunikation und einem ethnologischen Community-Projekt vertiefen. Eröffnet wurde dieses durch einen Input von Pinar Durgun, Kuratorin am Vorderasiatischen Museum Berlin mit dem Thema „Storytelling in Museums: What (and who) is missing?“. Anschaulich zeigte sie, wie Museumsausstellungen Geschichten, etwa das Gilgamesch Epos, als Rahmen/Bezugspunkt wählen, um Objekte vorzustellen, aber oft nicht die Geschichte selbst erzählen. Und was ist mit Objekten, die fürs Geschichtenerzählen in der Vergangenheit selbst eingesetzt wurden? Oder mit dem häufigen Fehlen der Menschen hinter den Dingen? Oder der Angabe wer welche Geschichte über Dinge im Museum erzählt und welche alternativen Sichtweisen es geben könnte (who is telling the story and whose voices are we hearing)? Die folgende Diskussion über Leben und Stillstand, Pfade und Zickzack, main quests & side quests, points of engagement, museums as political spaces, the role of personal emotions and educational aspects…verlief anregend und intensiv.

 
(Illustration: Ghosts, von Jens Notroff)

Auch der zweite Beitrag (N. Scheyhing musste krankheitsbedingt absagen) von Jens Notroff, Archäologe und Wissenskommunikator am Deutschen Archäologischen Institut, mit dem Titel „Wissenschaft kommunizieren - Forschung erzählen“ betonte, wie wichtig es ist, archäologischer Forschung ein Gesicht zu geben. Der richtige Grad zwischen der Vermittlung von Daten und menschlicher Nähe, zwischen Komplexität, Mehrstimmigkeit des Forschungsprozesses und Kernbotschaften kann die so wichtige wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, ein “informiertes Vertrauen”, herstellen. Jens Notroff ermutigte uns dazu, Unschärfe und Wissenslücken nicht als Schwächen, sondern durch geschicktes Storytelling zu Stärken in der Wissenschaftskommunikation zu machen. Gerade im digitalen Raum lasse sich das Nebeneinander verschiedener Narrativen gut vermitteln — aber auch überdecken. Auch diesem Beitrag schloss sich eine lebendige Diskussion an, u.a. zu Vor- und Nachteilen digitaler Rekonstruktionen und dem in den meisten musealen Rekonstruktionen unerreichten Immersions-Erlebnis von Spielen wie Assassin’s Creed. Wie schon von Mortimer Wheeler bemerkt — und von Jens Notroff passend zitiert: “Archaeology is a science that must be lived, must be ‘seasoned with humanity’. Dead archaeology is the driest dust that blows.” (Archaeology from the Earth (1954), Preface, v).

 
(Photo: Präsentation von Hauke Zießler)

Der letzte Input von Hauke Zießler, Projektkoordinator im Projekt "Getting Our Stories Back" in der Chugach Region in Alaska am Ethnologischen Museum Berlin ermöglichte uns tiefe Einblicke in die Geschichten, welche die im späten 19. Jh. vom Sammler Johan Adrian Jacobsen im Auftrag des Museums für Völkerkunde nach Berlin gebrachten “objects-items-artefacts-cultural belongings-finds” für die heutige indigene Bevölkerung der Chugach Region noch in sich tragen und wie sensibel der Umgang mit ihnen im Dialog zwischen Chugach-Elders und deutschen Kuratoren erfolgen muss. Was darf gezeigt und erzählt werden, was nicht? Wie lebendig sind schamanische Objekte noch heute? Welche Traumata können sie wach rufen? Welche Rituale machen sie möglich? Warum ist der Boden eines Korbes viel wichtiger als seine Profilansicht? Und wie können Berliner Restauratoren zur Wiederbelebung alter Handwerke beitragen? Das Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft beim Erzählen von und zu Dingen, zeigte uns erneut die Zentralität von Perspektive (und Perspektivenwechsel!) und emotionalen Bezügen beim Storytelling.

Wir danken allen Vortragenden und Diskussionsteilnehmern für das vielfältige Gespräch — wir haben viel gelernt und freuen uns schon auf die zweite Runde von Workshop & Roundtable-Gespräch mit Fokus auf Digitalität beim Storytelling im November!

Elisa Roßberger & Valery Schlegel

Beide Veranstaltungen wurden ermöglicht durch eine Förderung im Rahmen des Spotlight-Programms der FU Berlin und den Fachbereich für Geschichts- und Kulturwissenschaften.


Programm:

09:30 Begrüßung durch Elisa Roßberger und Valery Schlegel

10:00 Pinar Durgun, Kuratorin am Vorderasiatischen Museum Berlin: Storytelling in Museums: What and who is missing?

11:00 Nicola Scheyhing, Archäologin und Wissenschaftskommunikatorin am Besucherzentrum Arche Nebra: Prehistoryteller. Vorgeschichte erzählen

13:00 Jens Notroff, Archäologe und Wissenschaftskommunikator am Deutschen Archäologischen Institut: Wissenschaft kommunizieren — Forschung erzählen

14:00 Hauke Zießler, Projektkoordinator am Ethnologischen Museum Berlin: Getting Our Stories Back in der Chugach Region, Alaska.

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