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Der Stamm der Sabargit - eine kirgisische Stammes-Chronik nach dem 1991 beendeten Manuskript von Japar Kenčiev

Institution:

Institut für Turkologie

Leiter/in: Prof. Claus Schönig
Mitarbeiter/innen: Dr. phil. Gundula Salk
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Laufzeit:

01.01.2011 — 31.12.2013

Kurzbeschreibung

Die heutige kirgisische Titularnation formuliert ihre ethnische Gemeinschaft basierend auf einer segmentären Teilung in Stämme, Clans und Lineages. Diese nomadisierten in gewohnheitsrechtlich angestammten Siedlungsgebieten, weshalb sich in den Gebirgstälern des Tienshan, zusätzlich zu agnatisch-linearen, auch lokale Siedlungseinheiten herausbildeten, die nach 1855 von den Russen häufig unter der Bezeichnung des dominierenden Clans/Stammes administrativ erfasst wurden. Ihre teils kriegerischen, teils freundlichen Interaktionen und Wechselbeziehungen bilden die Ausgangssituation für ihre Selbstwahrnehmung und das Funktionieren einer ethnischen - heute nationalen - Gemeinschaft. Die vor und während der Sowjetphase nur mündlich tradierten Chroniken liefern somit Aufschluss über die innere ethnische Situation der kirgisischen Stämme, die nicht nur durch geographische Trennung, sondern vor allem auch durch historische Ereignisse definiert wird.

Der Stamm der Sarbagït spielt in der Geschichte der kirgisischen Stämme eine der herausragenden Rollen: Traditionell stehen beispielsweise der Stamm der Sarbagït (NO-Kirgistan) und der Stamm der Adigine (SW-Kirgistan), zusammen mit seinen Bündnispartnern im Süden und Südwesten, in Konkurrenz-Verhältnis. Dieses durchaus noch sehr aktuelles Problem, das sich in der Frage nach einer "nationalen Einheit" und der Akzeptanz einer Präsidentschaft äußert, hat jedoch seine historischen Wurzeln. Dabei kommt dem Stamm der Sarbagït eine prominente soziopolitische Rolle zu: Der Manap (etwa "Clanführer") Ormon Niyazbek uulu gelang die Einigung der nordkirgisischen Stämme, die ihn auf dem weißen Filz zum Chan erhoben hatten. Der Manap Tabdan Jantay uulu zerschlug als Truppenführer unter General Skobelev zwar die Abwehr der kirgisischen Sayak, überzeugte jedoch die Führerin aller Südkirgisen, sich friedlich den Russen zu unterstellen, weshalb er heute als baaïr (etwa "weiser Held") geehrt wird. Askar Akaev, der bekannteste moderne Repräsentant der Sarbagït, wurde im Oktober 1990 auf Vorschlag Tschingis Aitmatovs zum Präsidenten gewählt und 1991, nach der Souveränitätserklärung (31.08.1991) durch eine Volkswahl bestätigt; er begleitete die erste Phase der Eigenstaatlichkeit.

Das Projekt dient der Veröffentlichung von stammesrelevanten Materialien anhand der Sammlung von Japar Kenčiev, gesammelt nach mündlichen Erzählungen im Rahmen verschiedentlicher geologischer Expeditionen innerhalb der Kirg.SSR seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Materialien wurden in den Jahren 1992-1993 in Fortsetzungen in der Zeitung des kirg. Schriftstellerverbandes "Kïrgïz Madaniyatï" publiziert und finden sich vollständig in J. Kečievs Manuskript. Sie zeigen die wichtigsten und fassbaren Aspekte der rezenteren Stammesgeschichte sowie detaillierte Aufzeichnungen zu den einzelnen Stammessegmenten. Darüber hinaus präsentieren sie Ereignisse und Namen prominenter Stammesmitglieder, die eine Rückdatierung - mindestens bis ins ausgehende 16. Jahrhundert - gestatten und die für Migrationsverlauf und -geschichte auch anderer kirg. Stämme ausschlaggebend waren. Gerade weil aus staatsideologischen Gründen das Tradieren von Stammeschroniken bis gegen Ende der Perestroika-Phase (bis 1989) nur mündlich, d.h. hinter dem Vorhang der offiziellen Folklorebühne, weiterlebte, ist es ein relativ authochtones Kulturgut. Aufgrund der Tendenz zu kultureller Globalisierung nach 1991 enthalten diese Manuskriptmaterialien somit einen ethnischen Gedächtnisschatz, der seither aufgrund der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation neu organisiert wird bzw. in Vergessenheit gerät (soziokulturelle Amnesie). Die Studie dient somit der Dokumentation des traditionellen ethnischen Identitätsmusters und Gefüge als Teil des Kulturkomplexes zentralasiatischer Hirtennomaden.

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