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Band 25: Reformversuche – Beitrittsvorbereitungen (2011)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig

Titel
Band 25: Reformversuche – Beitrittsvorbereitungen
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Mitwirkende
Arne Bartzsch, Alexander Pfennig / Florian Schiller, Hoon Jung
Schlagwörter
Justiz, Politik, Verwaltung, Vor der Wiedervereinigung, Vergangenheitsaufarbeitung


Reformversuche – Beitrittsvorbereitungen

Gesetzgebung der Volkskammer während der letzten beiden DDR-Regierungen unter Hans Modrow (13. November 1989 - 12. April 1990) und Lothar de Maizière (12. April 1990 – 2. Oktober 1990)

 

Werner Pfennig

In Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Jung Hoon, Alexander Pfennig und Florian Schiller

 

 

In dieser Einleitung werden Reformbemühungen der „späten“ DDR dokumentiert und kommentiert, also Entwicklungen in Deutschland vom Herbst 1989 bis Herbst 1990 (siehe dazu auch Band 1 „Übergangsphase“). Es wird auch sehr vorsichtig der Versuch unternommen, die mögliche Relevanz dieser Entwicklungen auf den ganz speziellen Fall der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) zu erörtern.

Die Einleitung behandelt vorrangig folgende Aspekte:

·         Rahmenbedingungen der Regierungen von Hans Modrow und Lothar de Maizière,

·         Schwerpunkte der Reformbemühungen dieser beiden Regierungen,

·         Gesetzgebung des Parlaments der DDR, der Volkskammer (VK); hier waren wir um Vollständigkeit bemüht und haben alle uns verfügbaren Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen, usw. aus dem Gesetzblatt und den Sonderdrucken berücksichtigt,

·         Vorbereitungen zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland durch schnelle und intensive Demokratisierung sowie durch Anpassung (eigene neue Gesetze) und Übernahme von bundesdeutschen Gesetzen; also beides: Transfer und Transformation,

·         die Stabilität autoritärer Staaten, Strukturdefekte

·         und die besondere Problematik von „Teilungsstaaten.“

 

 

1. Rahmenbedingungen

 

Der Zeitraum vom Herbst 1989 bis Herbst 1990 war bestimmt durch eine Fülle von Ereignissen im In- und Ausland, die erheblichen Einfluss auf Vorgänge in Deutschland hatten. Einerseits wurde der Handlungsspielraum deutscher Akteure erweitert: so zum Beispiel Zustimmung der Sowjetunion zur deutschen Einheit, Erlangung voller Souveränität durch den „Zwei-Plus-Vier-Vertrag“. Andererseits gab es Rahmenbedingungen, die die Zahl der Optionen für deutsche Politik drastisch verringerten und Weichenstellungen bewirkten, die kaum noch Alternativen zuließen, sondern der Politik Richtung und Tempo vorgaben.

 

Es kam nicht zu einer längeren Phase der Annäherung, zu einer Konföderation, zu einer verfassungsgebenden Versammlung für die Errichtung eines „neuen“ Deutschlands. Der Druck der Ereignisse wirkte tempobeschleunigend, und ab Februar 1990 stand für die Bundesregierung, d. h. für Helmut Kohl, im Prinzip die Vorgehensweise fest: schneller Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes und eine Währungsunion, also Einführung der DM in der DDR, noch vor der staatlichen Einheit. Zusätzlich wurden Akteure in Ost und West noch in Zugzwang gebracht durch die Erwartungshaltung der Mehrheit der Bevölkerung und massive Abwanderung aus der DDR.

 

Lothar de Maizière:

„Nach dem Fall der Mauer verließen täglich zwei- bis dreitausend Menschen die DDR.“

(de Maizière, Lothar: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit. Freiburg, Basel, Wien 2010: Herder Verlag, S. 246.)

 

Personen

Art des Ortswechsels

Zeitraum 1989

46.343

Legale Ausreise von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik

Januar-Juli

25.000

DDR-Bürger über Ungarn in die Bundesrepublik

Januar-September

40.000

DDR-Bürger über die ČSSR in die Bundesrepublik

Januar-Oktober

15.000

Flucht nach Bayern

November

Diese Zusammenstellung ist nicht vollständig, sie zeigt einige Beispiele, die aus der Berichterstattung der Medien im Jahre 1989 entnommen wurden.

 

Es ist wohl nicht möglich, absolut verlässliche Zahlen dieser Wanderungsbewegungen zu erhalten, aber aus den verfügbaren Informationen geht hervor, dass von Oktober 1989 bis zum Juli 1990 rund 460.000 Übersiedler die DDR Richtung Westen verließen. Ab dem 1. Juli gab es zwar noch zwei deutsche Staaten, aber bereits eine gemeinsame Währung, nämlich die der Bundesrepublik. Diese Maßnahme hatte dann viele bewogen, von einem Umzug in den Westen vorläufig abzusehen, dennoch waren es bis zum März 1991 immerhin noch 111.000 Personen.

Im Jahre 1988 hatte die DDR noch eine der höchsten Erwerbsquoten (Berufstätige als Anteil an der Gesamtbevölkerung) der Welt. Vom November 1989 bis zum Frühjahr 1991 verließ jeder zehnte Erwerbstätige die DDR bzw. die neuen Bundesländer. Dieser Verlust setzte die beiden letzten Regierungen der DDR zusätzlich unter enormen Handlungsdruck, aber auch für die Bundesrepublik brachte der Zuzug viele Probleme.

 

Die sich verändernde und drängender werdende Erwartungshaltung der überwiegenden Mehrheit der DDR-Bevölkerung spielte eine große Rolle. „Überwiegende Mehrheit“ ist keine präzise Angabe und es ist nicht leicht, hier genauer zu formulieren. Umfassende Meinungsumfragen gab es nicht in der DDR, und den Umgang mit Demoskopen aus dem Westen mussten die Menschen nach dem Fall der Mauer erst einüben, außerdem fehlten Daten und Infrastruktur (so z. B. Telefon) für schnelle repräsentative Erhebungen. Meinungsumfragen kurz nach Öffnung der Mauer ergaben eine eher zurückhaltende Einstellung zu einer möglichen Wiedervereinigung. Fast alles veränderte sich so schnell und viele waren primär mit sich selbst und dem eigenen Umfeld beschäftigt, ein weitreichender Planungshorizont existierte nur in Umrissen. Das sollte sich ändern, weil sich auch die politischen Verhältnisse in der DDR schnell änderten und Alternativen konkreter wurden. Im November 1989 waren etwa 48 % der befragten Ostdeutschen für eine deutsche Einheit, im Februar 1990 dann allerdings um die 80 %. Die Politik, d. h. Regierung und Parlament mussten dieser Erwartungshaltung Rechnung tragen; sie wirkte sowohl als Druck aber auch als Legitimierungshilfe für Veränderungen in der DDR.

Die zwischen Herbst 1989 und Sommer 1990 getroffenen Grundsatzentscheidungen waren handlungsbestimmende Richtungsvorgaben; abzuwägen blieben Tempo, Schwerpunkt-setzungen und inhaltliche Ausfüllung der Vorgaben, d. h. die Vorbereitung sowie praktische Umsetzung des Einigungsprozesses. Damit verblieb der Volkskammer (VK) der DDR nur ein enger Entscheidungs- und Handlungsspielraum, und sie musste sich innen- sowie außen-politisch an Direktiven orientieren, an deren Zustandekommen sie nicht immer oder mit nur geringen Einwirkungsmöglichkeiten beteiligt war.

 

1.1 Außenpolitischer Rahmen: Grundsatzentscheidung der sowjetischen Führung

Der von Michael Gorbatschow angestrebte Umbau der Sowjetunion konnte viele Probleme nicht lösen und schuf neue; er trug ebenfalls zur Verunsicherung eines Staates bei, den auch das militärische Engagement in Afghanistan geschwächt hatte. Auch wegen dieser Entwicklungen und wegen Veränderungen in osteuropäischen Gesellschaften war es der Sowjetunion nicht mehr möglich, ihre dominierende, oft sogar hegemoniale Position in der früheren Form aufrecht zu erhalten.

Am 25. Januar 1990 trafen sich in Moskau Michael Gorbatschow und einige seiner wichtigsten Berater zu einer Analyse der Situation in Deutschland. Die Zeit für eine solche Lageeinschätzung drängte, denn Besuche von Modrow (30. Januar), dem US-Außenminister Baker (7. Februar) und Helmut Kohl (10./11. Februar) standen bevor.

Gorbatschow und seine Gesprächspartner stellten am 25. Januar u. a. fest:

·         Die DDR ist kein zuverlässiger Partner mehr, mit niemandem dort hat die Sowjetunion noch vertrauliche Beziehungen;

·         die DDR ist in weiten Bereichen nicht mehr handlungsfähig;

·         die Tage der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sind gezählt;

·         Modrow ist lediglich eine Übergangsfigur;

·         die Bundesrepublik, Helmut Kohl und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) sind wichtige Akteure.

 

Die damalige sowjetische Führung war nicht Willens, die DDR im bisherigen Umfang weiterhin zu unterstützen und glaubte vielleicht auch, dazu nicht mehr in der Lage zu sein. Sie betrachtete die Entwicklung als primär innerdeutsche Angelegenheit, die allerdings auch Konsequenzen für andere Staaten habe.

Diese Lageanalyse veranlasste die an ihr Beteiligten u. a. zu folgenden Schlussfolgerungen:

·         eine Wiedervereinigung Deutschlands, d. h. Vereinigung der DDR mit der BRD ist nicht mehr zu vermeiden;

·         sie entspricht dem Willen des deutschen Volkes und die Sowjetunion sollte sich dem nicht entgegenstellen;

·         der Prozess der deutschen Einigung muss aber beeinflusst werden;

·         er solle sich langsam vollziehen, d. h. nicht nach Art. 23 des Grundgesetzes;

·         das vereinigte Deutschland darf nicht Mitglied der NATO sein;

·         die Rechte der Siegermächte müssen respektiert werden;

·         keine von der Sowjetunion zwischen der deutschen Kapitulation (Mai 1945) und der Gründung der DDR (7. Oktober 1949) getroffene Entscheidung darf rückgängig gemacht werden;

·         die Anwesenheit der sowjetischen Truppen in der DDR könnte als Druckmittel genutzt werden.

Der Sowjetunion gelang es dann nicht, einige ihrer Hauptforderungen durchzusetzen. Beim Besuch in den USA Mai/Juni 1990 gab Gorbatschow die Zusage, dass für Deutschland Bündnisfreiheit bestehe, was bewirkte, dass später, nach dem Beitritt der DDR zur Bundes-republik, dieses vereinte Deutschland Mitglied der NATO blieb.

 

1.2 Innenpolitischer Rahmen: Grundsatzentscheidungen der Bundesregierung und ihrer ostdeutschen Allianzpartner

Am 5. Februar 1990 hatte sich im Beisein von Bundeskanzler Kohl das Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“ gegründet, das in der DDR aus der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA) bestand. Die Hauptzielsetzung war, eine schnelle Einigung (Art. 23) anzustreben, bei gleichzeitiger Ablehnung eines neutralen Deutschlands.

Einen Tag später sprach sich Helmut Kohl im kleinen Kreis für eine Währungsunion aus. Am 7. Februar 1990 trat auf Beschluss des Bundeskabinetts der Kabinettsausschuss “Deutsche Einheit“ unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Kohl zusammen und erklärte die Absicht, mit der DDR in Verhandlungen über eine Währungs- und Wirtschaftsunion einzutreten. Ministerpräsident Hans Modrow wurde bei seinem Besuch am 13. Februar in Bonn diesbezüglich ein offizielles Verhandlungsangebot gemacht. Die Währungsunion sollte sich später als entscheidender Faktor erweisen, der sowohl positive als auch negative Konsequenzen hatte. Die DDR, Land und Regierung, begannen an Stabilität zu verlieren und die Arbeitslosigkeit stieg an.

 

Mit diesen Schritten und dem Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ im März 1990 war klar, dass eine möglichst schnelle deutsche Einigung mit weitgehender bzw. kompletter Übernahme des Systems der Bundesrepublik angestrebt wird. Das bedeutete für die DDR und ihr Parlament: Demokratisierung, Vorbereitung auf eine Systemübernahme, Anpassung an Gesetze der Bundesrepublik, bzw. deren komplette Übernahme.

 

Veränderte Rahmenbedingungen

 

Datum

Einflussfaktor

Hauptakteure

09.01.1990

Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) einigt sich auf den Handel in frei konvertierbarer Währung und zu Weltmarkt­preisen, was für die DDR gravierende Konsequenzen hatte. Verringerte und teurere Lieferungen von Energieträgern aus der Sowjetunion.

Mitglieder des RGW, d. h. hauptsächlich die Sowjet-union, die aus eigenen öko­nomischen Sachzwängen handelt.

25.01.1990

Die sowjetische Führung hält eine deutsche Einheit für unvermeidlich, will diesen Pro-zess beeinflussen, aber nicht versuchen, die Einigung zu verhindern.

Michael Gorbatschow und Berater

05.03.1990

„Allianz für Deutschland“: Wahlbündnis von Parteien in der DDR, die die deutsche Einheit anstreben.

Parteiführungen der DDR und der Bundesrepublik, Bundeskanzler Kohl

06.02.1990

Idee einer Währungsunion, d. h. Einführung der Deutschen Mark in der DDR.

Bundeskanzler Kohl

07.02.1990

Kabinettsausschuss „Deutsche Einheit“

Bundeskanzler Kohl

Februar 1990

Idee eines „Zwei-Plus-Vier-Vertrages“ (quasi ein Ersatz für einen umfassenden Friedens-vertrag)

Die vier Haupt-Sieger-mächte, die Bundesregierung und die Regierung der DDR

18.03.1990

Wahl in der DDR

Wahlberechtigte der DDR

01.07.1990

Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozial-union tritt in Kraft. Durch die Währungs-union bricht der Export zusammen, da Produkte der DDR über Nacht doppelt so teuer sind. Auf dem Binnenmarkt gibt es statt Mangel bei bestimmten Waren nun teilweise Überproduktion, aber kaum Nachfrage für DDR-Produkte, denn die Ausrichtung der Konsumenten ist auf Westwaren gerichtet.

Beschleunigte Demokratisierung, Beginn der an der Bundesrepublik orientierten System-übertragung.

Regierungen der Bundes-republik und der DDR.

Handelspartner im Bereich des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW/-COMECON).

DDR-Bevölkerung, d. h. deren Konsumverhalten und Wunsch nach schneller Ein-heit sowie Verbesserung der Lebensverhältnisse.

 

 

2. Zielsetzungen und Bemühungen um Reformen

 

Hans Modrow unternahm während seiner Regierungszeit den Versuch, die DDR zu refor­mieren, um sie zu erhalten, und er hoffte dabei auf Verständnis der eigenen Bevölkerung sowie auf Hilfe aus der Bundesrepublik. Es ging ihm um:

·         die Rettung möglichst vieler „sozialistischer Errungenschaften“ der DDR,

·         die Ersetzung der Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten durch eine Vertragsgemeinschaft (Konföderation und Neutralität derselben, aber keine Wiedervereinigung),

·         massive finanzielle Unterstützung durch die Bundesrepublik.

 

Bei den Treffen zwischen Modrow und Kohl am 12./13. Februar 1990 in Bonn forderte der Ministerpräsident der DDR, gestützt auch auf einen Beschluss des „Runden Tisches“, einen „Solidarbeitrag“ von 10 bis 15 Milliarden DM. Die Zahlung sollte ohne konkrete Zweck-bestimmung erfolgen. Kohl lehnte ab, denn er wollte die DDR in ihrem damaligen Zustand durch Westgeld nicht künstlich am Leben erhalten, sondern sah die große Chance einer fried­lichen Wiedervereinigung, die ebenfalls erhebliche Kosten verursachen würde.

 

Lothar de Maizière erstrebte in seiner Regierungszeit hauptsächlich drei Ziele, die in engem Zusammenhang zueinander standen:

·         Aufbau einer neuen, durch Wahlen legitimierten staatlichen Struktur auf allen Ebenen (Gemeinden, Länder und nationale Ebene), denn bislang war die Partei, d. h. die SED, der entscheidende Akteur. Hier gab es u. a. das Problem, dass am 6. Mai 1990 Kommunalwahlen stattfanden und erst danach eine Kommunalverfassung verabschiedet wurde, die die Selbstverwaltung von Gemeinden und Landkreisen regelte. Die Reihenfolge war notwendig und unvermeidbar, denn es mussten möglichst schnell neue, demokratisch legitimierte, Vertretungskörperschaften ihre Arbeit aufnehmen.

·         Schnelle, tiefgreifende Demokratisierung der DDR sowie die Errichtung eines Rechtsstaates. Es musste ein rechtlicher Rahmen für freie Meinungsäußerung und Partizipation geschaffen werden, so z. B. Organisations- sowie Versammlungsfreiheit, Mediengesetze, usw. (Siehe hierzu auch Band 2 „Vergangenheitsaufarbeitung“)

·         Vorbereitung und Durchführung von Verhandlungen über die deutsche Einheit, d. h. Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland.

 

 

3. Zusammensetzung der Regierungen von Hans Modrow und Lothar de Maizière

 

Der vom 18. November 1989 bis zum 12. April 1990 amtierenden Regierung von Hans Modrow gehörten, neben ihm als Ministerpräsidenten, 24 Minister an, außerdem ein Vorsitzender der Plankommission und ein Vorsitzender des Wirtschaftskomitees (beide mit Kabinettsrang), 16 davon waren Mitglied der SED/PDS. Am 5. Februar 1990 erweiterte Modrow seine Regierung durch acht Mitglieder oppositioneller Parteien und Vereinigungen als Minister ohne Geschäftsbereich und nannte sie „Regierung der nationalen Verant­wortung.“

(Eine tabellarische Auflistung der Regierungsmitglieder beider Kabinette ist im Anhang dieser Einleitung zu finden).

 

Die Regierung von Ministerpräsident Lothar de Maizière (12. April bis 2. Oktober 1990) hatte insgesamt 32 Minister; diese relativ hohe Zahl ist auch dadurch zu erklären, dass nach dem Ausscheiden vom Bund Freier Demokraten (Die Liberalen) am 24. Juli und der SPD am 20. August aus der Koalitionsregierung einige Ressorts kommissarisch besetzt wurden. Nach Aufkündigung der Koalition durch die SPD hatte die de Maizière-Regierung keine Mehrheit mehr in der Volkskammer.

Es gab 64 Staatssekretäre; für den Einigungsprozess war der Parlamentarische Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten wichtig; Günther Krause leitete die Abteilung Deutschland-politik und handelte mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag aus. Die Rohskizze für diesen Vertrag wurde in der DDR erarbeitet.

 

3.1 Die Bedeutung von Beratern

Die Regierung de Maizière hatte viele Mitarbeiter aus „dem Westen.“ Sie besetzten offiziell keine führenden Positionen, denn sie waren Staatsbürger der Bundesrepublik, spielten dennoch aber eine sehr wichtige Rolle. Minister und Staatssekretäre waren Bürger der DDR, aber hinter, neben ihnen, gab es zahlreiche Persönlichkeiten aus der Bundesrepublik und Berlin (West), die Regierungs- und Verwaltungserfahrung sowie detaillierte Gesetzeskenntnisse aus dem Westen hatten. Sie erwiesen sich als hilfreich, wenn nicht gar notwendig für die Reformbemühungen der Regierung sowie der VK, die im wesentlichen Demokratisierungs- und damit auch Anpassungsprozesse waren, orientiert am System der Bundesrepublik.

 

In den Ministerien gab es auf wichtigen Leitungsebenen solche Berater, sie waren entweder von Parteien der Bundesrepublik empfohlen worden, oder die Ministerien hatten sie um eine Mitarbeit gebeten. Es gab auch Fälle von direkten Bewerbungen aus dem Westen. Viele pensionierte Beamte wurden reaktiviert sowie auch Anwälte und Notare, die nicht mehr beruflich aktiv waren, sie entschlossen sich zu einer neuen Tätigkeit, so z. B. bei der Treuhandanstalt. Nach Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eröffneten sich viele neue Berufsmöglichkeiten, die zahlreiche Juristen der DDR nun nutzten, um bei Banken und in der Wirtschaft generell zu arbeiten; sie mussten im Staatsdienst ersetzt werden. Für viele Berater aus dem Westen war der Einsatz in der DDR nicht nur finanziell lukrativ, sondern er bedeutete auch einen glänzenden Karriereschub. Die Motive, im Beitrittsgebiet tätig zu werden, waren unterschiedlich, aber zahlreiche Experten sahen hier eine einmalige Chance für Gestaltungsmöglichkeiten. Dieser Sachverstand war von großer Bedeutung, denn er half u. a. bei Verordnungen und der Gesetzgebung der VK auf deren Kompatibilität zum Grundgesetz und zu Gesetzen der Bundesrepublik zu achten. Es handelte sich um einen fast unerlässlichen Beitrag für die durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik notwendige Systemübertragung.

Die Tätigkeit der meisten Berater und späteren „Leihbeamten“ war befristet, einige ent­schieden sich aber, in dem neuen Arbeitsbereich zu verbleiben, was nicht nur wegen ihrer Vorkenntnisse sinnvoll war, denn es handelte sich um Fachleute, die nun beide Systeme kannten. Eine nicht geringe Zahl von ihnen hatte schon viele Berufsjahre hinter sich und stand bald vor der Pensionierung, das wurde ein finanzielles Problem für die neue Arbeitsstätte, denn das entsprechende neue Bundesland musste die Pensionskosten übernehmen.

 

Diese meist juristische Fachkompetenz war nicht nur im staatlichen Bereich erforderlich, denn bei der Umstellung von einer staatlichen Plan- auf eine privatwirtschaftliche Markt­wirtschaft waren Rechtskenntnisse unerlässlich, die in der DDR nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung standen. Deshalb wurde zum Beispiel im Sommer 1990 durch eine Anordnung des Ministers der Justiz die Tätigkeit von Rechtsanwälten aus der Bundesrepublik in der DDR geregelt (Dokument 417). Es ging auf der Grundlage der Gegenseitigkeit um „Möglichkeiten und Befugnisse für nach der Bundesrechtsanwaltsordnung der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Rechtsanwälte zur Berufsausübung in der Deutschen Demokratischen Republik.“ Der § 4 der Anordnung regelte den Umfang der Rechtsbesorgung; der nationale und der europäische Rahmen wurden berücksichtigt, wobei die Orientierung am Recht der Bundesrepublik erfolgte: „Rechtsanwälte, die sich nach dieser Anordnung niedergelassen haben, sind berechtigt zur Rechtsbesorgung im Recht der Bundesrepublik, einschließlich des Rechts der Europäischen Gemeinschaften sowie im Recht der Deutschen Demokratischen Republik, soweit es mit dem Recht der Bundesrepublik übereinstimmt.“

 

 

 

 

4. Die Volkskammer

 

Die VK in der Regierungszeit von Hans Modrow und Lothar de Maizière hatte einen enormen Nachholbedarf, aber wenig eigenverantwortliche Erfahrung und keinen ausreichenden Apparat zur Verfügung (Parlamentarischer Dienst, Parlamentsbibliothek, Assistenten, technische Ausstattung, z. B. Textverarbeitung und Kommunikation). Der entscheidende Einschnitt erfolgte mit der ersten freien Parlamentswahl am 18. März 1990.

 

Das neue Wahlgesetz galt nur für diese Wahl (Band I, Die Übergangsphase 1989-90, Appendix, Dokument 9). Die Wahl erfolgte nach dem Verhältniswahlrecht: „Jeder Wähler verfügt über eine Stimme, die er für eine Liste abgibt.“ (§ 5/2) Es gab keine Sperrklausel, wie die „Fünf-Prozent-Klausel“ in der Bundesrepublik. Parteien, politische Vereinigungen und Gruppen durften Kandidaten aufstellen und Wahlbündnisse waren zulässig. „Wahlvorschläge können von Parteien und anderen politischen Vereinigungen eingereicht werden, die dauernd oder für längere Zeit für die DDR auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung der Bürger in der Volkskammer mitwirken wollen. Kandidaten dürfen nicht einer anderen sich an der Wahl beteiligenden Partei bzw. politischen Vereinigung angehören.“ (§ 8/1) Nach der Nominierung der Kandidaten durften diese Bündnisse nicht mehr gewechselt werden. Insgesamt nahmen 24 Parteien, politische Vereinigungen und Listenvereinigungen an der Wahl teil. Das neue Wahlgesetz enthielt auch folgende Selbstverständlichkeit: „Die Benutzung der Wahlkabine ist Pflicht.“ (§ 30/1) Früher galten Personen, die sie benutzten, fast automatisch als politisch verdächtig.

 

Ab dem Sommer 1990 war die neue VK bereits ein Parlament mit „Verfallsdatum“. Von den 400 Mitgliedern des Parlaments wurden dann am 3. Oktober 1990 bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 144 in den Bundestag kooptiert. (CDU 65, SPD 32, PDS 24, DSU 8 FDP 8, Bündnis 90/Grüne 7) Diese Regelung war durch Artikel 42 des Einigungsvertrages vorgesehen worden: „Vor dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik wählt die Volkskammer auf der Grundlage ihrer Zusammensetzung 144 Abgeordnete zur Entsendung in den 11. Deutschen Bundestag sowie eine ausreichende Anzahl von Ersatzpersonen. Entsprechende Vorschläge machen die in der Volkskammer vertretenen Fraktionen und Gruppen.“

 

Vom November 1989 bis Ende September 1990 erarbeitete und verabschiedete die VK Gesetze, von denen feststand, dass viele von ihnen mit dem Beitritt zur Bundesrepublik die Gültigkeit verlieren würden. Nach dem 18. März 1990 gab es in Ostdeutschland seit 1933 erstmals eine frei gewählte Kammer des Volkes, in der das Volk auch entsprechend seinem Querschnitt repräsentiert war: Krankenschwestern, Ärzte,[1] Lehrer, Akademiker unterschied­licher Fachrichtungen, Arbeiter, Landwirte, Handwerker, Ingenieure, Tierärzte; über­repräsentiert waren evangelische Pastoren.

 

Das Ziel von Regierungs- und Parlamentsarbeit war unter anderem, eine demokratisch legiti­mierte, funktionstüchtige DDR zu schaffen, die dann als formal gleichrangiger Partner die deutsche Einigung aushandeln sollte, einerseits mit der Bundesrepublik und andererseits zusammen mit ihr im Rahmen der „Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen“ mit den Hauptsieger-mächten. Für die deutsche Einheit musste die DDR Strukturen bekommen, die mit dem System der Bundesrepublik kompatibel waren, bzw. mit diesem übereinstimmten. Unter diesen ungewöhnlichen und einmaligen Rahmenbedingungen wirkte ein Parlament, das wohl als das fleißigste und die Bevölkerung am besten repräsentierende Parlament der deutschen Geschichte bezeichnet werden kann. Diese Feststellung sollte betont werden, denn die damalige 10. Volkskammer ist später oft abschätzig als „Laienschauspielertruppe“ bezeichnet worden, weil sie mehrheitlich nicht aus Berufspolitikerinnen und Berufspolitikern bestand; deshalb ist die von ihr innerhalb von knapp sechs Monaten im Jahre 1990 erbrachte Leistung umso höher einzuschätzen.[2]

 

Das Wahlergebnis vom 18. März 1990 bewirkte drastische Konsequenzen für die Zusammensetzung der VK. Vorher dominierte in dem Parlament von 500 Mitgliedern die SED, obwohl sie formal nur 127 Sitze hatte; aber die Mandatsträger des Gewerkschaftsbundes (FDGB) mit 61, der Jugendvereinigung (FDJ) mit 37 und des Kulturbundes mit 21 Abgeordneten können fast automatisch dazugerechnet werden. So gesehen reduzierte sich nach der Wahl die Zahl der SED-Sitze von 246 auf 66. Außerdem waren die anderen Parteien zuvor in der „Nationalen Front“ mit der SED zusammengeschlossen und es war bis 1989 kaum ein abweichendes Stimmverhalten zu befürchten; dies änderte sich nun. Wie die Tabelle zeigt, verdreifachte die CDU die Zahl ihrer Abgeordneten und die vorher nicht vorhandene SPD konnte 88 Mandate erringen; die Nationale Front existierte nicht mehr.

 

 

Fraktionsstärken in der Volkskammer vor und nach der Wahl vom 18. März 1990

Fraktion

9. Wahlperiode

10. Wahlperiode

CDU

52

163

DA

-

4

DBD/DFD

52/32

10

Demokratie Jetzt

-

3

DFP

-

7

DSU

-

25

FDGB

61

-

FDJ

37

-

FDP

 

4

Grüne Partei in der DDR/Unabhängiger Frauenverband

-

8

Initiative Frieden und Menschenrechte

-

2

Kulturbund

21

-

LDP

52

10

SPD

-

88

Neues Forum

-

7

NDPD

52

2

SED/PDS

127

66

Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe

14

-

fraktionslos

-

1

gesamt

500

400

Tabelle erstellt von Florian Schiller, unter Verwendung von: Verwaltung der Volkskammer der DDR im Auftrag des Präsidiums der Volkskammer der DDR. 1990: Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 10. Wahlperiode. Die Abgeordneten der Volkskammer nach den Wahlen vom 18. März 1990. Berlin/Rheinbreitbach, 1990.

 

 

Die Volkskammer hatte in ihrer 9. Wahlperiode 500 Mitglieder, in der 10. Wahlperiode waren von diesen 500 Personen nur noch acht erneut im Parlament.

 

Personen, die in der 9. und der 10. Wahlperiode in der Volkskammer vertreten waren

 

Name

Fraktion

Wahlkreis

Funktion

Kerstin Bednarsky

PDS

zuvor DFD

Cottbus

In der 9. VK Mitglied des Verfassungs- und Rechtsaus-schusses

Günther Maleuda

DBD

Schwerin

Präsident der 9. VK

Werner Marusch

DBD, ab 1.09.

1990 SPD

Cottbus

 

Hans Modrow

PDS

zuvor SED

Neubrandenburg

1973-89 Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden, 1989-90 Minister-präsident der DDR.

Gerhard Pohl

CDU

Cottbus

1989 im CDU-Vorstand

Burkhard Schneeweiß

CDU

Berlin

Professor für Pädiatrie

Gustav-Adolf („Täve”) Schur

PDS

zuvor SED

Magdeburg

Prominenter Radsportler der DDR

Gerd Staegemann

NDPD

Dresden

Professor für Zahnheilkunde an der Universität Greifswald

 

Nur noch acht von früher 500, das ist ein erstaunlicher Vorgang. Die Gründe sind nicht genau zu ermitteln und deshalb lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob jemand nicht mehr kandidieren wollte oder nicht mehr aufgestellt wurde und was die jeweiligen Motive dafür waren. Zumindest zwei Feststellungen können aber getroffen werden:

1.      Die am 18. März 1990 gewählte Volkskammer ist, von gänzlichen Neuanfängen abgesehen, das deutsche Parlament mit den meisten neuen Abgeordneten, eine Volksvertretung mit Personen, die also kaum über politische Erfahrungen im Sinne von parlamentarischer Gremienarbeit und Gesetzgebung verfügten. Dennoch gelang gerade diesen Personen ein beeindruckendes Reformwerk, das nicht nur die DDR demokratisierte und modernisierte, sondern auch ihren Beitritt zur Bundesrepublik ermöglichte.

2.      Die DDR erweckte den äußeren Anschein eines autoritären Regimes mit einem effektiven Überwachungssystem. Es gab keine genaue Vorstellung von alternativen, mitwirkungsbereiten Kräften. Dennoch existierte eine bis dahin nicht oder kaum bemerkte, weitgehend unbekannte „Reformreserve.“ Aus den unterschiedlichsten Bevölkerungskreisen waren 1990 viele Menschen mit einer völlig anderen Berufspraxis bereit, öffentliche Ämter zu übernehmen (Regierung, Parlament, Kommunalverwaltung). Gewiss hat die DVRK kaum Ähnlichkeit mit der DDR, aber sollte es zu einer weitgehenden Normalisierung oder Wiedervereinigung kommen, dann wird es eine vorrangige Aufgabe sein, solche Personen im Norden zu identifizieren, sie zu ermutigen sich zu engagieren und ihnen auch die Möglichkeit für ein entsprechendes Engagement zu geben.

 

5. Konkurrierende Beratungen und Gesetzgebungsarbeit

 

Gesetze treten in der Regel dann in Kraft, wenn sie im Gesetzblatt veröffentlich werden. Das Gesetzblatt der DDR hatte einen sehr umfangreichen Verteiler, es war u. a. bei Behörden, Betrieben, Kombinaten, Vereinen, Kanzleien und Universitäten vorhanden. Außerdem gab es viele interne Regelungen vom Ministerrat der DDR; sie waren nicht öffentlich, aber sehr wichtig und galten teilweise bis zum 3. Oktober 1990. Diese Anweisungen regelten die Auslegung und Anwendung von Gesetzen, sie betrafen teilweise noch deutsches Landesrecht aus den 1940er Jahren. In ihnen wurden auch Befehle der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) interpretiert, die diese in der Zeit von der deutschen Kapitulation bis zur Gründung der DDR ausgesprochen hatte (1945-1949).

 

In der Übergangsphase von 1989/1990 wurden viele Vorhaben, aber auch Formulierungen für Verordnungen und Gesetze nicht allein vom dafür zuständigen Gremium, dem Parlament der DDR, diskutiert und beschlossen, sondern auch am „Zentralen Runden Tisch.“ Die VK beschwerte sich damals über diese Art der „Nebengesetzgebung“, bzw. der Vorformulierung von Gesetzesentwürfen. Eine Arbeitsgruppe des „Runden Tisches“ hatte das Wahlgesetz quasi ausgearbeitet, ein Text, der dann von der VK angenommen und als Gesetz beschlossen wurde. Während einerseits die Arbeit des „Runden Tisches“ vielfach von Wunschdenken und Realitätsferne geprägt war und hier nicht durch allgemeine Wahlen legitimierte Personen Parlamentsaufgaben übernehmen wollten, so ist dieses Gremium doch eine „Schule für Demokratie“ gewesen, mit einer besonders wichtigen Funktion in der Übergangszeit. Lothar de Maizière schrieb, es sei ein wesentlicher Verdienst des Runden Tisches, die DDR vor dem Chaos bewahrt zu haben.[4]

 

Es gab noch weitere Probleme: Besonders in der ersten Phase der Übergangszeit, von November 1989 bis April 1990, kam es oft zu Ereignissen, die bestimmende Fakten schufen, auf die Kabinett und VK nur noch reagieren konnten. Am 15. Januar 1990 stürmten Bürgerrechtler das Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in Berlin. Kabinett und Gesetzgeber waren in nacheilender Arbeit verpflichtet, eine Lösung für den Umgang mit diesem Ministerium und seinen Archivbeständen, z. B. Akten über Bespitzelte und Oppositionelle zu finden (siehe Dokument 660), d. h. sie konnten oft nur noch reagieren und nicht von sich aus vorausschauend planen und entsprechend gesetzgeberisch gestalten.

 

Diese Vorgänge, auch die negativen Folgen der Währungsunion und das Auseinanderbrechen der Koalitionsregierung von Lothar de Maizière wirkten mit am sich beschleunigenden Autoritätsverlust der Regierung, was der Bevölkerung den Eindruck vermittelte, die Regierung sei nicht in der Lage, die notwendigen Reformen schnell genug durchzuführen. Darauf beschlossen viele, es sei sinnvoll und notwendig, umgehend der Bundesrepublik beizutreten.

 

 

6. Beschlüsse der beiden Volkskammern

 

Zu den Reformbemühungen der Modrow-Regierung gehörte auch eine kritische Bestands­aufnahme. Zur Demokratisierung der DDR und deren Vorbereitung zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland gab es dann unter der Regierung von Lothar de Maizière einen großen, strukturellen, verwaltungstechnischen Nachholbedarf. Es wurden in diesem Zusammenhang Gesetze und Verordnungen der Bundesrepublik übernommen, die diese teilweise vor über 30 Jahren eingeführt hatte. Also „alte“ Gesetze und Vorschriften, an deren Praxis Behörden und Bevölkerung Westdeutschlands viele Jahre gewöhnt und eingeübt waren. Diese Gesetze entstanden damals in einem völlig anderen politischen, ökonomischen und sozialen Umfeld. Für die DDR war hier vieles neu, d. h. es fehlten in ausreichendem Maße Kenntnisse, Institutionen, Personal und praktische Erfahrungen. Da die deutsche Einigung aber durch die Übertragung eines kompletten Systems vollzogen wurde, gab es zu diesem Vorgehen keine Alternative.

 

Besonders im Zusammenhang mit der Währungsunion ab dem 1. Juli 1990 war die Über­nahme umfangreicher Gesetze und anderer Rechtsvorschriften erforderlich, weil es diese nicht oder nicht in entsprechender Form in der DDR gab. Es kam deshalb zu einer Inkraftsetzung von bundesdeutschem Recht, wie zum Beispiel:

·         Bundesbankgesetz (Dokumente 823-833)

·         Gesetz über Pfandbriefe, über Bausparkassen, über Kapitalgesellschaften und Depot-gesetz (Anschaffung und Verwahrung von Wertpapieren (Dokumente 834-843)

·         Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Dokumente 844-854)

·         Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen und die dazu erlassenen Rechtsvorschriften (Dokumente 858-860)

·         Auszüge aus dem Handelsgesetzblatt (Dokumente 864-866)

·         Übernommen wurde in diesem Zusammenhang auch, ebenfalls am selben Tag, das Aktiengesetz der Bundesrepublik Deutschland (Dokument 874)

 

Beide Volkskammern waren mit unterschiedlicher Intensität und Qualität mittels Beschlüssen, Verordnungen und Gesetzen um Veränderungen in zentralen Bereichen des Lebens der DDR bemüht und hier vorrangig durch:

·         Vertrauenswerbung,

·         Systemveränderungen (Korrektur, Reformen), Transparenz und Partizipation,

·         Wirtschaftsorganisation, Erwerbsmöglichkeiten, Eigentumsfragen.

 

Die Volkskammer verabschiedete keine neue Verfassung für die DDR, sondern nahm Ände­rungen an Teilen der bestehenden Verfassung vor, je nach Erfordernis.[5] Das führte in der Regierungszeit von Lothar de Maizière zu der etwas kuriosen Situation, dass in einigen Fällen alte Namen, Titel und Eidesformeln vorläufig beibehalten wurden. Im Nachhinein ist schwer zu beurteilen, ob dies beruhigend wirkte, weil es ein Gefühl der erhofften, willkommenen Kontinuität vermittelte, oder eher als halbherzig und verwirrend empfunden wurde. Bei dem Amtseid für Ministerpräsident und Minister gab es allerdings im April 1990 eine Veränderung, diese Eide waren nun ohne aber auch mit religiöser Beteuerung möglich; „So wahr mir Gott helfe.“ (Dokument 267)

 

Zur Zeit der Regierung von Lothar de Maizière, d. h. vom 5. April bis zum 2. Oktober 1990, wurden rund 164 Gesetze verabschiedet, 143 Verordnungen erlassen, 759 Kabinettsvorlagen erarbeitet, drei große Staatsverträge und internationale Verträge diskutiert, bzw. ratifiziert; der Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt, die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, (Dokument 329), der Einigungsvertrag, der Zwei-Plus-Vier Vertrag. (Zum Austritt aus dem Warschauer Pakt siehe Band 3 „Militär“)

 

Beispielhaft für die Arbeit der Volkskammer in den oben genannten Bereichen sollen nun einige Dokumente kurz kommentiert werden, bzw. es wird auch aus ihnen zitiert.

 

6.1 Vertrauenswerbung

Noch kurz vor dem Amtsantritt von Hans Modrow sah sich die Führung veranlasst, neue Reisebestimmungen zu erlassen, die es DDR-Bürgern ermöglichten, die innerdeutsche Grenze ohne Formalitäten über die ČSSR und Ungarn zu umgehen. Die entscheidende Maßnahme jedoch war dann die Öffnung der Mauer am 9. November 1989, was durch Fehlinterpretationen und mangelnde Abstimmung innerhalb der Führung verursacht wurde, nicht durch einen Beschluss der VK.

Im Januar 1990 verabschiedete dann die VK ein neues Gesetz für Reisen von DDR Bürgern ins Ausland, dessen § 2 lautet: „Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, jederzeit in das Ausland zu reisen und zu diesem Zweck einen Reisepaß der Deutschen Demokratischen Republik zu erhalten. Er hat das Recht, jederzeit in die Deutsche Demokratische Republik einzureisen.“ (Dokument 57)

Diese Zeilen lesen sich wie eine Selbstverständlichkeit, bedeuteten im positiven Sinne für die DDR aber eine radikale Neuerung, denn früher war die Ausreise nur mit Sondergenehmigung erlaubt. Wer unerlaubt die DDR verließ, dem wurde automatisch die Staatsbürgerschaft entzogen sowie die erneute Einreise verweigert. (Dokument 64) Im „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der DDR“ vom Januar 1990 wurde festgelegt, dass die Staatsbürgerschaft nur durch Verzicht verloren gehen kann, also nicht mehr wie früher durch zwangsweise Aberkennung. (Dokument 90)

 

Gegenüber dem Ausland gab es Ende Dezember 1989 erleichterte Reisebestimmungen für Bürger der Bundesrepublik und Berlin (West); neue Grenzübergänge und innerstädtische Übergangsstellen wurden eingerichtet. (Dokumente 35 und 282) Am 1. Juli 1990 kam es dann zu einer Aufhebung der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze, obwohl damals noch zwei deutsche Staaten bestanden. Bürgern dritter Staaten wurde der Grenzübertritt mit Pass oder anerkanntem Passersatz ohne Visum gestattet. (Dokument 421) Es ist vielleicht interessant, dass diese Anordnung nicht vom Außenminister, sondern vom Minister des Innern der DDR erlassen wurde.

 

Jedes System, das um Vertrauen der Bevölkerung wirbt, muss sich auch um einen Rechts­staat bemühen, zu dessen wichtigen Elementen Voraussagbarkeit und Überprüfbarkeit der Regelanwendung sowie die Unabhängigkeit von Personen (Richter, Rechtsanwälte) und Institutionen (Gerichte, Polizei) gehören. Die VK schuf dazu u. a. das Richtergesetz (Dokument 410), das Rechtsanwaltsgesetz, das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei und über Schiedsstellen in Gemeinden. (Dokumente 705-707)

Am 27. Oktober 1989 wurde eine Amnestie erlassen, ein für Staaten üblicher Vorgang. In diesem Erlass allerdings wurde auch der „illegale Grenzübertritt“ berücksichtigt, ein solcher erfüllte in der DDR den Tatbestand der „Republikflucht“, was vorher unter hohe Strafen gestellt war; also eine Amnestie mit eminent politischem Charakter. (Dokument 1)

 

Noch umfassender war das „Rehabilitierungsgesetz“ vom September 1990. (Dokument 690) Es beginnt mit einer Begründung und Zielsetzung:

„Die Rehabilitierung von Personen, die im Widerspruch zu den verfassungsmäßig garantierten Grund- und Menschenrechten strafrechtlich verfolgt, diskriminiert oder in anderer Weise in ihren Rechten schwerwiegend beeinträchtigt wurden, ist ein wesentliches Element der Politik zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft, des Staates und des Rechts in der Deutschen Demokratischen Republik. Insbesondere die Kriminalisierung friedlicher, gewaltfreier politischer Tätigkeit durch Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist unvereinbar mit den verfassungsgemäßen politischen Grund- und Menschenrechten jedes Bürgers. Die Rehabilitierung verfolgt das rechtsstaatliche und humanistische Anliegen, Personen vom Makel strafrechtlicher Verurteilung oder anderer Diskriminierung zu befreien, die in der Vergangenheit durch Verletzung dieser Grundsätze verfolgt oder benachteiligt wurden.“

 

Im Zusammenhang mit dem Rehabilitierungsgesetz stehen die Sicherung der Datenbestände des Ministeriums für Staatssicherheit und deren Zugänglichkeit für Betroffene, die Wissen­schaft und die Medien. Sie regelt das Stasiunterlagengesetz: „Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/-Amtes für Nationale Sicherheit“ (Dokument 660). Es geht hier um Aufarbeitung, In­formationsmöglichkeiten und Sicherung der Daten in Sonderarchiven. „Zweck dieses Gesetzes ist, ­1. die politische, historische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (nachfolgend MfS/AfNS genannt) zu gewährleisten und zu fördern, 2. den einzelnen davor zu schützen, daß er durch unbefugten Umgang mit den vom ehemaligen MfS/AfNS über ihn gesammelten personenbezogenen Daten in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt wird, 3. den Zugriff auf die personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS für die Rehabilitierung zu ermöglichen, 4. Beweismittel im Rahmen von Strafverfahren, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des ehemaligen MfS/AfNS durchgeführt werden, zur Verfügung zu stellen sowie 5. die parlamentarische Kontrolle der Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS zu gewährleisten.“

 

Zu Bemühungen um Vertrauen und zu mehr Transparenz gehörten auch Bestimmungen darüber, Umweltdaten der Bevölkerung zugänglich zu machen (Dokument 4) und präzisere Richtlinien über Devisen sowie die Ein- und Ausfuhrbestimmungen für Kraftfahrzeuge. Ende Juni 1990 beschloss die VK dann ein Umweltrahmengesetz (Dokument 412, zu Umwelt-fragen siehe auch Band 19, Teile 1-3).

Für ausländische Journalisten in der DDR wurden erweiterte Arbeitsmöglichkeiten geschaffen. (Dokument 49)

Ein wichtiger Beschluss der VK, der wohl auch zum Bereich „Vertrauenswerbung“ gezählt werden kann, behandelte die „Befugnisse für die bei den örtlichen Volksvertretungen gebildeten zeitweiligen Untersuchungskommissionen zur Aufdeckung der Ereignisse um den 7./8. Oktober 1989 sowie die Kommissionen zur Prüfung von Korruption, Amtsmissbrauch und Bereicherung.“ (Dokument 92) Mit „Ereignissen um den 7.und 8. Oktober“ war die brutale Auflösung von Demonstrationen in der DDR durch deren Sicherheitskräfte gemeint.

 

6.2 Sensible Bereiche

Die Demokratisierung der DDR geschah durch Selbstbefreiung, durch eine mutige, friedliche Revolution. Die „alte DDR“ hatte ein rigides Überwachungs- und Unterdrückungssystem, dessen berüchtigtste Institution das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, „Stasi“) war. Gerade deshalb war die „neue DDR“ um Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit bemüht, um Entwicklung aber auch um Schutz der neuen Ordnung. Das Wahlgesetz und die Rechtsanwaltordnung sind hier zwei von vielen Beispielen, aber auch die Verordnung zur Arbeit mit Verschlusssachen vom 18. Juli 1990 (Dokument 993), ihr allgemeiner Grundsatz lautet: „Kenntnis nur, wenn nötig.“

 

6.3 Geschichtliche Verantwortung

In den ersten Tagen der de Maizière-Regierung beschloss die neue VK am 12. April 1990 einen „Antrag aller Fraktionen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zu einer gemeinsamen Erklärung.“ In ihm geht es um eine Klarstellung von geschichtlicher Verantwortung nach innen und außen sowie um das Bemühen um Vertrauen gegenüber dem Nachbarn Polen.

Mehrere Punkte wurden thematisiert:

·         gegenüber jüdischen Mitbürgern sowie gegenüber der Sowjetunion; „wir haben die furchtbaren Leiden nicht vergessen, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg den Menschen in der Sowjetunion zugefügt haben“;

·         die VK bekennt sich zur Mitschuld der DDR an der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes;

·         der europäische Einigungsprozess und die Anerkennung der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Grenzen.

„Wir sehen eine besondere Verantwortung darin, unsere historisch gewachsenen Beziehungen zu den Völkern Osteuropas in den europäischen Einigungsprozess einzubringen. … Insbe­sondere das polnische Volk soll wissen, dass sein Recht, in sicheren Grenzen zu leben, von uns Deutschen weder jetzt noch in Zukunft durch Gebietsansprüche in Frage gestellt wird.“[6]

 

6.4 Systemveränderung

Über Jahrzehnte war die dominierende Kraft in der DDR die SED, was es oft schwierig oder unmöglich machte, trennscharf zwischen dem Staat und dieser Partei zu unterscheiden. Durch verschiedene Maßnahmen wurde die Rolle der SED reduziert; ein erster Schritt erfolgte durch die Verfassungsänderung im Dezember 1989. (Dokument 25. Siehe auch Band 23 „Wandlungen der SED“)

 

Bis 1989-90 war die SED nicht nur politisch mächtig, sie war auch reich und die anderen Parteien, die mir ihr in der „Nationalen Front“ als Blockparteien zusammengeschlossen waren, verfügten ebenfalls über erheblichen Besitz. (Siehe hierzu auch Band 5 „Strukturverän­derungen“ über Parteien und Parteivermögen) Eine Änderung des Parteiengesetzes sollte dann für Offenlegung und Rechenschaftspflicht der Parteien sorgen, wofür der Ministerpräsident eine unabhängige Kommission einsetzte, die auch treuhänderisch tätig wurde. Wichtig für die gründliche Erfassung von Parteivermögen waren ebenfalls die abgeflossenen Ver­mögenswerte, d. h. Beträge, die vor allem die SED ins Ausland transferiert hatte. Dazu steht in dem Änderungsgesetz zum Parteiengesetz: „Die Parteien und die ihnen verbundenen Organisationen, juristischen Personen und Massenorganisationen haben unbeschadet der Pflichten gemäß Absatz 1 eingesetzten Kommission vollständig Rechenschaft zu legen, a) welche Vermögenswerte seit dem 8. Mai 1945 in ihr Vermögen oder das einer Vorgänger- oder Nachfolgeorganisation durch Erwerb, Enteignung oder auf sonstige Weise gelangt sind oder veräußert, verschenkt oder auf sonstige Weise abgegeben wurden; …“ (Dokument 300, siehe auch Dokumente 123 und 492)

 

Während die Einwirkungsmöglichkeiten der SED geringer wurden, stärkten zahlreiche Beschlüsse und Gesetze die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung. Im Januar 1990 wurde der veränderten politischen Situation, die eine Vielzahl von Gruppierungen und Diskussionskreise kennzeichnete, Rechnung getragen, und zwar durch einen Beschluss der VK über die Tätigkeit politischer Gruppierungen (Runde Tische) in örtlichen Volksvertre­tungen. (Dokument 91) Im Zusammenhang damit stand der Beschluss über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit vom Februar 1990. (Dokument 103) In diesem Monat wurden auch das Wahlgesetz (Dokument 122) und ein Gesetz verabschiedet, dass die Vereinigungsfreiheit regelte. (Dokument 129) Im März folgte eine Verordnung über die Tätigkeit von Bürgerkomitees und Bürgerinitiativen. (Dokument 156)

 

Um das zentralistische System der „alten“ DDR aufzulockern, umzugestalten und dann abzulösen, waren neue Vertretungskörperschaften erforderlich, und diese auch deshalb wichtig, weil bei einem Beitritt zur Bundesrepublik auf möglichst vielen Ebenen demokratisch legitimierte Institutionen vorhanden sein sollten. Die VK schuf die rechtlichen Grundlagen für eine Neugliederung der DDR: Länder (Ländereinführungsgesetz und Gesetz über die Wahlen zu den Länderparlamenten/Landtagen, Dokumente 502 und 503), Gemeinden, Landkreise und betonte deren Charakter: „Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des demokratischen Staates.“ § 1,1 der Kommunalverfassung, (Dokument 289, siehe auch Band 5, Teil 2 über neue Bundesländer).

 

Die neue Werteorientierung hob auch ein Gesetz zur Verfassungsänderung (Verfassungs­grundsätze) hervor. In ihm wurde:

·         das neue Selbstverständnis deutlich,

·         der Charakter der Grundordnung festgelegt, zum Beispiel unabhängige Recht­sprechung, (siehe hierzu auch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz, Dokument 371),

·         die Gewährleistung von Privateigentum und kommunaler Selbstverwaltung garan­tiert,

·         die Erwartung einer baldigen Einheit Deutschlands geäußert,

·         als wichtige Vorbereitungsmaßnahme darauf die Übertragung bzw. Einschränkung von Hoheitsrechten vorgesehen.

 

„In der Erkenntnis, daß in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst 1989 eine friedliche und demokratische Revolution stattgefunden hat, und in der Erwartung einer baldigen Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wird für eine Übergangszeit die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik um folgende Verfassungsgrundsätze ergänzt. … Die Deutsche Demokratische Republik ist ein freiheitlicher, demokratischer, föderativer, sozialer und ökologisch orientierter Rechtsstaat. Hinsichtlich der föderativen Ordnung gilt dies nach Maßgabe einer besonderen Ergänzung der Verfassung und noch zu erlassender gesetzlicher Vorschriften. Der Staat gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung.“

Artikel 8 Hoheitsrechte: „Die Deutsche Demokratische Republik kann durch Verfassungs­gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen und Einrichtungen der Bundes­republik Deutschland übertragen oder in die Beschränkung von Hoheitsrechten ein­willigen.“ (Dokument 320)

Ein Staat, der dabei war, sich neu zu ordnen, sich grundlegend zu demokratisieren, schuf gleichzeitig die Möglichkeit einer Selbstbeschränkung eigener Hoheitsrechte. Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang, der wohl damit erklärt werden kann, dass unter Zeitdruck agiert werden musste und der Beitritt zur Bundesrepublik von den Entscheidungsträgern als alternativlos angesehen wurde. Es ist kaum zu prognostizieren, wie ein so sensibler Bereich bei einer möglichen Übergangssituation in Korea in Richtung Wiedervereinigung akzeptabel und zufriedenstellend gehandhabt werden könnte.

 

Es wurde bereits erwähnt, dass die DDR sich spätestens ab Sommer 1990 auf einen schnellen Beitritt zur Bundesrepublik vorbereitete, die VK leistete ihren Beitrag dazu durch Über­nahme von Gesetzen der Bundesrepublik und durch Anpassung bzw. Neugestaltung des eigenen Systems. So zum Beispiel durch das „Gesetz über die Inkraftsetzung des Raum­ordnungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik“ (Dokument 406).

 

6.5 Bildung

Wichtig, aber auch schwierig, waren solche Anpassungsmaßnahmen im Bereich von Schulen und Universitäten, weil durch den Bildungsföderalismus der Bundesrepublik eine Vielzahl von Vorgaben zu beachten war; es bot sich daher für die VK an, entsprechende Gesetze aus der Bundesrepublik zu übernehmen. Ein Beispiel dafür ist das „Gesetz über die Inkraftsetzung des Berufsbildungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokrati­schen Republik.“ (Dokument 495) Damit wurden aber nicht die Probleme von Personen gelöst, die sich mitten in einem Ausbildungsgang bzw. Studium befanden. Neben Anpassung und Übertragung mussten hier Übergangsregelungen geschaffen werden. Für die Rechts-wissenschaften galt z. B. eine „Verordnung über die Ausbildung von Studenten, die vor dem 1. September 1990 an den juristischen Sektionen der Universitäten der Deutschen Demokra­tischen Republik immatrikuliert worden sind.“ (Dokument 671) Ziel der Verordnung war, für die betroffenen Studierenden eine Angleichung der juristischen Ausbildung an die Lehrinhalte des Jurastudiums in der Bundesrepublik zu schaffen, wobei für Prüfungen Übergangs­bestimmungen vorgesehen waren, denn niemand sollte über etwas geprüft werden, was vorher nicht studiert werden konnte. (Zum Thema Bildung allgemein siehe Band 18.)

 

Neben der Bildung sind auch andere Bereiche durch das föderale System der Bundesrepublik bestimmt, so zum Beispiel die staatlichen Medien (Rundfunk, Fernsehen). Auch hier ent­schied sich die VK für eine Anpassung durch Überleitung, diese regelte das „Gesetz zur Überleitung des Rundfunks (Fernsehen, Hörfunk) in die künftige Gesetzgebungszuständigkeit der Länder – Rundfunküberleitungsgesetz. (Dokument 724, siehe auch Band 7 „Medien“)

 

6.6 Wehrpflicht

In der DDR galt ab 1962 die allgemeine Wehrpflicht, es gab keine Möglichkeit, den Wehr-dienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Das war nicht nur eine ideologische Position des Regimes, denn die DDR hätte bei der Zulassung von Gewissensentscheidungen Probleme mit der Mannschaftsstärke gehabt und wäre wohl nicht in der Lage gewesen, im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation die erforderlichen Kontingente zu garantieren.

Es gab aber eine beträchtliche Anzahl von Personen, die nicht den Dienst an der Waffe antreten wollten. Als Kompromiss wurde 1964 eine Anordnung des Ministeriums für Nationale Verteidigung über die Bildung von Baueinheiten im Bereich der Nationalen Volksarmee erlassen. (Zur gesetzlichen Grundlage siehe Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 11, vom 16. September 1964, S. 129) In ihr dienten für den Zeitraum von 18 Monaten die so genannten „Bausoldaten.“ Diese Regelung kam hauptsächlich auf Druck der Evangelischen Kirche zustande und die DDR war der einzige „sozialistische Staat“, der eine solche Art von Wehrdienst hatte. Bausoldaten waren zahlreichen Schikanen ausgesetzt, und ein Dienst in diesen Einheiten bedeutete fast automatisch, dass kein späteres Studium gestattet wurde. Von 1964 bis 1990 dienten etwa 12.000 bis 15.000 Bausoldaten. Ab 1980 gab es trotz der Schwierigkeiten eine steigende Tendenz, zuletzt waren über 1 Prozent der Wehrpflichtigen der DDR Bausoldaten, die bei Engpässen auch in der Industrie eingesetzt wurden.

Eine wichtige Veränderung brachte der Beschluss der VK über Musterung und Wehrdienst vom 8. Februar 1989, denn in ihm steht: „Eine Einberufung von Wehrpflichtigen, die den Wehrdienst ablehnen, zum Dienst als Bausoldat ist nicht durchzuführen.“ Die DDR führte dann einen Zivildienst ein. (Dokumente 121, 130, 271)

 

6.7 Beitritt zur Bundesrepublik, Systemübernahme

Wohl der wichtigste Beschluss der VK im Bereich der Systemveränderung war der der Systemübernahme, nämlich der „Beschluss der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland“ (Dokument 627), er lautet:

„Die Volkskammer erklärt den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990.

Sie geht davon aus, daß

-       die Beratungen zum Einigungsvertrag zu diesem Termin abgeschlossen sind,

-       die 2 + 4-Verhandlungen einen Stand erreicht haben, der die außen- und sicherheitspoliti­schen Bedingungen der deutschen Einheit regelt,

-       die Länderbildung soweit vorbereitet ist, daß die Wahl in den Länderparlamenten am 14. Oktober 1990 durchgeführt werden kann.

Vorstehender Beschluß wurde von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik in ihrer 30. Tagung am 23. August 1990 gefaßt.“

(Der letzte Spiegelstrichsatz könnte missverständlich erscheinen, gemeint waren die Wahlen zu den Länderparlamenten/Landtagen, die am 14. 10. 1990 stattfanden.)

 

Alle drei Erwartungen waren dann erfüllt (Einigungsvertrag, 2+4 und Wahlvorbereitung in den Ländern) und der Beitritt erfolgte am 3. Oktober 1990, das dazu erforderliche Verfassungsgesetz ist Dokument 742.

 

6.8 Wirtschaft

In jeder Mangelwirtschaft gibt es vielfältige Formen von Tauschhandel, sowohl zwischen staatlichen Firmen, als auch zwischen Privatpersonen. Eine der ersten Maßnahmen zur Veränderung des Wirtschaftssystems, bzw. zur Regelung dieser weitverbreiteten Praxis erfolgte im Dezember 1989, als die VK eine Bestimmung zur nebenberuflichen Erwerbstätigkeit und zum ambulanten Handel erließ. (Dokument 28)

Außerdem wurden Ein- und Ausfuhrbestimmungen erlassen, im Juni 1990 verabschiedete die VK ein neues Zollgesetz (Dokument 349) und ein Gesetz über den Außenwirtschafts-, Kapital- und Zahlungsverkehr (Dokument 369, auch die entsprechende Verordnung, Doku­ment 392). Für die praktische Umsetzung folgte dann Anfang Juli die allgemeine Zollordnung (Dokument 424).

Es gab Ende Januar 1990 eine Verordnung für Unternehmen mit ausländischer Beteiligung. Wichtig bei solchen gemischten Kapitalgesellschaften sind Unter- und Obergrenzen; die Verordnung legte für den ausländischen Anteil am Stamm- bzw. Grundkapital 20 Prozent als Minimum und 49 Prozent als Maximum fest, sah aber auch Ausnahmeregelungen für eine Beteiligung von über 49 Prozent vor. (Dokument 72)

 

Zwei ganz wichtige und folgenschwere Entscheidungen wurden im März 1990 gefällt, sie betrafen Privatisierung und Landwirtschaft. (Siehe auch Band 13, Teile 1 und 2 zum Thema Landwirtschaft.) Es erfolgte der Beschluss zur Gründung einer Treuhandanstalt und zur Umwandlung der Kombinate. (Dokument 152) Damit sollte eine kontrollierte Privatisie­rung ermöglicht werden, aber es sollte auch möglichst viel an Wirtschaftssubstanz gerettet werden, die sich in „Volksbesitz“ befand. Häufig wird übersehen, dass die „Treuhand“ eine Gründung der DDR war, mit einer ursprünglichen Zielsetzung, die sich wesentlich von der Praxis der späteren Treuhandanstalt unterschied. (Dem Treuhandgesetz, Dokument 321, folg­ten verschiedene Durchführungsbestimmungen, siehe auch Band 14, Teile 1 und 2 „Treu­handanstalt“.)

Die andere Entscheidung betraf die kollektivierte Landwirtschaft und bewirkte Veränderun­gen bei den „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPGs). (Dokument 176) In diesem Zusammenhang stehen auch Gesetz sowie Durchführungsverordnung über Privatisie­rung und den Verkauf von Volkseigentum. (Dokumente 189, 190). Hier, wie in anderen Bereichen ist das Bemühen der Modrow-Regierung erkennbar, eine Differenzierung und mehr Flexibilität zu erreichen. In der „Anordnung Nr. 3 über die Erhebung einer ökonomischen Abgabe von den Genossenschaften und Betrieben der sozialistischen Landwirtschaft sowie über die Gewährung standortbezogener Zuschläge“ vom 25. Januar 1990, geht es nicht nur um Abgaben, sondern auch um Zuschüsse. Der entsprechende Paragraph lautet:

„§ 10, Gewährung von standortbezogenen Zuschlägen

(1) Genossenschaften und VEG, die auf relativ ungünstigen natürlichen Standorten produzieren, erhalten standortbezogene Zuschläge gemäß Anlage 1.

(2) Beim Vorhandensein standörtlicher Besonderheiten, die über das durchschnittliche Niveau der NStE (neu) hinausgehen, können aufgrund einer Empfehlung des Rates des Bezirks die standortbezogenen Zuschläge durch das Fachorgan für Landwirtschaft und Nahrungs­güterwirtschaft des Rates des Kreises nach Beratung im Rat für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft erhöht werden. Dabei ist das dem Rat des Bezirks übergebene Limit einzuhalten.“

(VEG steht für Volkseigene Genossenschaft, NStE bedeutet Natürliche Standorteinheit.)

 

Nach der Neustrukturierung der DDR in Länder und Kommunen war auch die Eigentums-übertragung von früherem Volkseigentum erforderlich, dafür wurde u. a. folgendes Gesetz erlassen: „Gesetz über die Übertragung volkseigener Güter, staatlicher Forstwirtschafts­betriebe und anderer volkseigener Betriebe der Land- und Forstwirtschaft in das Eigentum der Länder und Kommunen.“ (Dokument 487) Siehe für diesen Zusammenhang auch die „Durchführungsverordnung zum Gesetz über das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise. Verfahren zur Überführung volkseigenen Vermögens in das Eigentum der Gemeinden, Städte und Landkreise.“ (Dokument 440)

 

Die Regierung von Hans Modrow wollte keine Wiedervereinigung, sondern die Weiterexi-stenz der DDR durch Reformen sichern. Unter Beibehaltung möglichst vieler „Errungenschaf-ten des Sozialismus“ sollte ein moderneres, sich an objektiven Gegebenheiten und Notwen-digkeiten orientierendes Staatswesen entstehen.

Ein kleines Beispiel für Bemühungen, tatsächliche Werte zu ermitteln, Preisdifferenzen fest-zustellen (Vergleich zwischen bisherigem und neuem Einkaufspreis, alten und neuen Selbst-kosten) und Bestandsdifferenzen zu klären, ist die Anordnung über die Umbewertung von Beständen an Erzeugnissen in den genossenschaftlichen und privaten Betrieben der KfZ-Instandsetzung und des Batterie-Service-Dienstes vom 11. Dezember 1989. (Dokument 821) Mit dieser und ähnlichen Anordnungen sollten mehr Realitätsnähe, Verbindlichkeit und Verantwortung erreicht werden.

 

Es ging allgemein um eine mehr realistische Wirtschaft, für die neue Verfahren der Inventur und Kalkulation zur Anwendung kommen sollten. Ein Beispiel dafür ist die Anordnung (Dokument 822) über die Preisbildung von Software, hier geht es um stärkere Orientierung an tatsächlichen Kosten, differenzierte Verfahren der Kalkulation von Kosten und Gewinn, Aufwand für Forschung und Entwicklung. In Formblättern werden Beispiele gegeben, was bei der Kalkulation zu berücksichtigen sei.

 

 

6.9 Banken und Preise

Ab dem 1. Juli 1990 gab es zwar noch zwei deutsche Staaten, aber eine gemeinsame Währung, die Deutsche Mark (DM). In der Bundesrepublik war bis zur Einführung des Euro die Bun-desbank der oberste „Währungshüter“, d. h. der Beschützer der DM. Im Zusammenhang mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion war automatisch auch diese Bundesbank in Währungsangelegenheiten für die DDR zuständig, es wurden also das Gesetz über die Bundesbank, das Gesetz über das Kreditwesen und das Hypothekenbankgesetz übernommen. (Dokument 833) Hypothekenbanken nach westlichem Muster sind nicht nur für die Beleihung von „privaten“ Grundstücken wichtig, sondern auch als Kreditgeber für Gemeinden. Die Übernahme des entsprechenden Gesetzes war deshalb nicht nur zwangsläufig wegen der Währungsunion, sondern auch bedeutsam für Finanzierungsvorhaben nach der Kommunal­reform in der DDR, bzw. in dem „Beitrittsgebiet.“

 

Bereits zur Zeit der von Hans Modrow geführten Regierung gab es marktwirtschaftliche Ent­wicklungen in der DDR. Diese privatwirtschaftlichen Aktivitäten machten eine neue Preisge­staltung erforderlich und es wurden zahlreiche Anordnungen für Erzeugerpreise erlassen (z. B. für Speise- und Futterkartoffeln, Dokument 961, für Schlachtvieh, Zucht- und Nutzvieh, Dokument 963 und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse, Dokument 965, alle vom 1.2.90). Eine Vielzahl solcher Anordnungen war allerdings bereits im Juni 1989 beschlossen worden, also noch in der „alten“ DDR, sie traten dann zum 1. Januar 1990 in Kraft. Mit ihnen, so steht es ausdrücklich in den Texten, wurde in laufende Verträge eingegriffen. Es ist merkwürdig, dass so viele Preisanpassungen beschlossen wurden, die dann erst ein halbes Jahr später in Kraft traten. Es könnte sich um notwendige Reaktionen auf Entwicklungen im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und im Weltmarkt handeln, und die verzögerte Inkraftsetzung mag wegen neuer Vertragsverhandlungen oder aus politischen Gründen notwendig gewesen sein. Im Juli 1990 traten dann in der DDR die Preisvorschriften der Bundesrepublik Deutschland für öffentliche Aufträge in Kraft. (Dokumente 970-972). Die Übernahme dieser Vorschriften war bedeutsam für den Auf- und Ausbau der Infrastruktur, also auch für private Unternehmen (z. B. Baufirmen), die dann Aufträge ausführten, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden. In diesem Zusammenhang ist auch folgende Anordnung relevant: Nr. Pr. 292 über die Industriepreise für Grundinstandsetzungen an Maschinen und Ausrüstungen für die Bau- und Baustoffindustrie. (Dokument 748)

 

Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz der DDR (Band 13 „Landwirtschaft“, Teil I, Doku­ment 11) eröffnete die Möglichkeit für neue Vertragsbeziehungen, es war deshalb notwendig, hier für Präzisierungen zu sorgen. Aus diesem Grund wurde im August 1990 im Gesetzblatt der DDR das Gesetz zu Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts der Bundesrepublik vom 8.11.1985 veröffentlicht. (Dokument 973)

 

 

 

6.10 Handwerk

Die Übernahme des Systems der Bundesrepublik Deutschland schuf nicht nur eine Reihe von neuen Tätigkeitsfeldern, sie bewirkte auch eine Wiederbelebung und Ausweitung traditionel­ler Bereiche, so zum Beispiel beim Handwerk.

In der DDR waren private Handwerksbetriebe stark eingeschränkt und auf Kleinbetriebe reduziert. Zur Effizienzsteigerung, aber auch um Kontrolle und kollektive Aspekte zu verstär­ken, wurden ab 1950 Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) gegründet. In den 1970er Jahren kam es einerseits zu Verstaatlichungen (1700 PGHs des Handwerks mit rund 120.000 Mitarbeitern wurden in „Volkseigene Betriebe“ umgewandelt), aber wegen der immer stärker werdenden Nachfrage nach (privaten) Dienstleistungen, vor allem Reparaturen, erhielten Handwerksbetriebe einen etwas größeren Freiraum und es gab Erleichterungen bei der Materialbeschaffung.

 

 

Die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände waren in der DDR aufgelöst worden, Industrie- und Handelskammern blieben aber formal bestehen und wurden 1983 in Handels- und Gewerbekammern umgewandelt, zu ihnen gehörten dann die noch existierenden privaten Kleinbetriebe, die nicht mehr als zehn Beschäftigte haben durften. Die neue Industrie- und Handelskammerverordnung schuf 1990 die Möglichkeit und den verbindlichen Rahmen für eine Umstrukturierung (Dokument 157). Das private Handwerk gehörte zu den vielen Vorreitern der Neuorganisation in der DDR, die in diesem Bereich durch die Handwerksordnung und die Wahlordnung für Wahlen der Mitglieder der Handwerkskammern vom Juli 1990 unterstützt wurde. (Dokumente 955, 956). Im Jahre 1989 existierten rund 80 000 Handwerksbetriebe in der DDR und 2.178 PGH mit 163.663 Beschäftigten. Etwa acht Jahre später waren es mehr als 132 000 Betriebe, eine Steigerung von 65 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten stieg bis 1994 um rund 190 Prozent; bis 1997 gab es einen Zuwachs von fast 750.000 Personen.

Angaben zu der Zahl der Betriebe und der in ihnen Beschäftigten sind meist Schätzungen und es existieren keine strikt einheitlichen Definitionen für „Handwerkbetrieb“, denn es gibt auch solche, die ohne Meisterqualifikation und Ausbildungsberechtigung tätig sind. Die nachstehenden Zahlen stellen also nur Größenordnungen dar, zeigen aber deutlich, die nach 1990 erfolgten Steigerungen.

 

Eingetragene Handwerksbetriebe in Deutschland insgesamt

 

Jahr

Betriebe

Jahr

Betriebe

Jahr

Betriebe

1950

866.500

1993

614.000

2000

613.600

1960

743.600

1994

593.700

 

 

1970

585.100

1995

597.800

 

 

1980

496.200

1996

600.800

 

 

1990

489. 200

1997

604.000

 

 

1991

589.000

1998

611.800

 

 

1992

606.100

1999

610.600

 

 

 

Handwerk in den neuen Bundesländern

 

Jahr

Anzahl

der Betriebe

Beschäftigte

(in 1000)

Umsatz

(in Milliarden DM)

1992

116.940

 504,7

 37,7

1993

123.696

---

---

1994

128.456

1247,7

173,5

1995

130.641

1192,0

163,4

1996

131.163

1150,0

169,5

1997

132.134

1123,0

167,3

1998

126.873

1067,0

160,2

1999

126.901

1033,8

137,8

2000

125.614

 971,4

126,9

(Die Zahlenangaben und Tabellen stammen hauptsächlich aus dem Artikel von Reinhard Myritz: Strukturwandel im Zeitraffer. Das thüringische Handwerk im Anpassungsprozess an die Marktwirtschaft. In: Deutschland Archiv, 34, 2001, 3, S. 426-436.)

 

Die gerade erwähnte Nachfrage nach privaten Dienstleistungen, zum Beispiel für Reparaturen, könnte auch bei Veränderungen in der DVRK eine wichtige Rolle spielen. Neben handwerk­lichen Fertigkeiten wird die Vertrautheit mit örtlichen Bedürfnissen wichtig sein. Was moderne Ausrüstung (Ersatzteile, Technologie), Mobilität und Kapitalausstattung der Betriebe angeht, so dürften nordkoreanische Handwerker mit Firmen aus dem Süden und auch der Volksrepublik China kaum konkurrieren können, ihre Kenntnisse über Mentalität, das Improvisationstalent und die Anpassungsfähigkeit werden aber ein großer Vorteil sein. Zumindest in einer Übergangsphase wird es darauf ankommen, diese Aktivitäten zu fördern.

 

Neben neuen Tätigkeitsbereichen wird es nach einer Wiedervereinigung in Korea auch notwendig sein, eine Reihe von Übergangsbestimmungen zu erlassen für veraltete Maschinen und Fahrzeuge, allerdings ohne Kompromisse in Sicherheitsfragen. Der Fahrzeugbestand der DDR entsprach kaum den Anforderungen und Richtlinien in der Bundesrepublik. Auch im Norden Koreas wird es zumindest für eine gewisse Zeit notwendig sein, die vorhandenen Ressourcen zu nutzen, da eine komplette Neuanschaffung aus finanziellen und anderen Gründen wohl nicht realistisch, bzw. sinnvoll sein dürfte. Viele PKW in der DDR hatten Motoren, die mit einem Zwei-Takt-System arbeiteten, einen besonderen Treibstoff brauchten und den Abgasnormen des Westens widersprachen. Hier waren Übergangsregelungen und die Bereitstellung dieses Treibstoffes nach Öffnung der Grenzen notwendig. Ähnliche Regelungen könnten auch in Korea erforderlich sein, weniger vielleicht für PKWs, dafür aber umso mehr für Nutz- und Militärfahrzeuge.

 

6.11 Steuerwesen

Es gab durch den Reformprozess in der DDR nicht nur neue Vertragsformen, sondern auch die Ausweitung oder Schaffung von neuen Tätigkeitsbereichen, so zum Beispiel beim Steuerwesen, das auch die Steuerberatungsverordnung vom Juli 1990 regelte (Dokument 980). Die neuen Bundesländer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wurden zeitgleich erst mit der deutschen Einigung am 3. Oktober 1990 gegründet (Ländereinführungsgesetz vom 22.06.90, Dokument 502), deshalb hatten viele Gesetze und Verordnungen eine Übergangsregelung, so auch die hier erwähnte Steuerberatungsverordnung. „Bis zur Schaffung der Länderstruktur in der DDR sind die in der Verordnung genannten Rechte und Pflichten der Oberfinanzdirektionen durch die Bezirksverwaltungsbehörden, Abteilung Finanzen, bzw. des Finanzamtes durch die Landratsämter, Abteilung Finanzen, wahrzunehmen.“ (§ 70, 2)

 

In der DDR wurden von Beginn an Steuern erhoben, aber das System war anders als in der Bundesrepublik. Jeder Staat benötigt Einnahmen, um Gemeinschaftsaufgaben zu finanzieren, aber nicht jeder Bürger zahlt gern Steuern. Ein wichtiger Bereich jeden Steuersystems sind die Ausnahmen und besonders das privatwirtschaftliche Steuerrecht ist ein äußerst kompliziertes Gebiet für Spezialisten. Die Steuerberatungsverordnung enthält viele Differenzierungen und betont die Notwendigkeit langjähriger beruflicher Erfahrung. Diese war in Ostdeutschland aber wesentlich geringer als die, die sich in der Bundesrepublik über Jahrzehnte herausgebildet hatte. Da solcher Sachverstand jedoch erforderlich war, enthält die Verordnung einen Paragraphen, der dies berücksichtigt:

„§ 68. Hilfeleistungen in Steuersachen von Bürgern aus der BRD und Berlin (West) in der DDR. (1) Personen, Gesellschaften und Vereinigungen, die nach dem Recht der Bundesrepu­blik Deutschland zu Tätigkeiten im Rahmen des Steuerberatungsgesetzes befugt sind, sind berechtigt, mit Wirkung ab Errichtung der Währungsunion ihre Tätigkeit auch in der Deutschen Demokratischen Republik auszuüben. (2) Über die Aufnahme der Tätigkeit sind das zuständige Finanzamt und die Berufskammer zu unterrichten.“

 

Die DDR stand vor gewaltigen Herausforderungen, deren Lösung erforderte nicht nur Engagement der Bevölkerung, den politischen Willen des Parlaments, sondern auch viel Geld. Es war daher von großer Bedeutung, die Einnahmen neu zu organisieren, neben Steuern auch die Abgaben (Gebühren). Die Abgabenordnung der DDR vom 22. Juni 1990 ist ein umfangreicher Text von über 500 Seiten (Dokument 918). Sie enthält eine Fülle von Begriffsbestimmungen und Präzisierungen über Steuern, Zuständigkeiten sowie Steuerbegünstigungen, wie zum Beispiel Spenden und gemeinnützige Zwecke. Ähnlich umfangreich sind die Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über den Außenwirtschafts-, Kapital- und Zahlungsverkehr mit vielen Formularen. (Dokumente 974-977).

 

Die Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion machte, wie bereits erwähnt, die Übernahme von Gesetzen und Verordnungen aus der Bundesrepublik zwangsläufig, damit wurden teilweise auch Gesetze wieder in Kraft gesetzt, die bereits im Deutschen Reich und während der Weimarer Republik galten. In einer von Privateigentum bestimmten kapitalisti­schen Wirtschaftsordnung gibt es eine Fülle von Tätigkeitsbereichen, die für die DDR teil-weise neu waren, wiederbelebt wurden oder eine Ausweitung erfuhren. Einige Beispiele:

·         „Gesetz über Erwerbs- Wirtschaftsgenossenschaften“, also Bestimmungen zum privat-wirtschaftlichen Genossenschaftswesen (25.07.90, Dokument 880);

·         „Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen“, das ein Orientierungsrahmen für eine Vielzahl von Vertragsmöglichkeiten ist (25.07.90, Dokument 886).

·         Für geschäftliche Aktivitäten und deren steuerliche Behandlung sind das Umsatzsteu­ergesetz und die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung von Bedeutung (27.06.90, Dokument 925, 926). Diese Verordnung war auch deshalb von Interesse, weil sie Differenzierungen bezüglich vollem und ermäßigtem Steuersatz und Angaben zu Vorsteuerbeträgen enthält; Bestimmungen, deren Kenntnis für das sich verstärkende privatwirtschaftliche Engagement unerlässlich war.

·         Versicherungssteuer - Durchführungsverordnung (27.06.90, Dokumente 923, 924), die generell wichtig ist, aber auch ihre Relevanz deshalb hatte, weil sich die Anzahl der zu versichernden PKWs schnell vergrößern sollte und weil sie Zollbestimmungen enthält und bei Reisen in Länder der EWG/EU und andere Staaten zu beachten sind. Reisetätigkeit und PKW-Kauf gehörten zu den Bereichen, die schnell eine große Ausweitung erfuhren.

 

6.12 Die Problematik von Umweltschutz, die Notwendigkeit des Naturschutzes und Investitionserleichterungen

Abgesehen von der generellen Notwendigkeit bei einem Systemwechsel sollten die neuen Gesetze neben Rechtssicherheit auch der allgemeinen Modernisierung Ostdeutschlands helfen und umfangreiche Investitionen ermöglichen. In vielen Bereichen entstand aber ein Dilemma, denn die neuen Vorschriften führten zu komplizierteren Verfahren und Verzögerungen, so z. B. beim Umweltschutz. Hier gab es großen Nachholbedarf, weil die DDR bei der Indus­trialisierung auf Umwelt und Lebensqualität noch weniger Rücksicht genommen hatte, als viele andere Länder. Zahlreiche umweltrechtliche Bestimmungen wurden aus der BRD übernommen, so auch die atomrechtlichen und strahlenschutzrechtlichen Vorschriften (14.08.1990, Dokument 863). Diese notwendigen Maßnahmen hatten aber auch ungewollte Konsequenzen, zum Beispiel bei Baumaßnahmen unterschiedlichster Art, was oft den Beantragungs- und Genehmigungsprozess komplizierter machte und stark verlängerte. Das hatte Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit, denn private Unternehmen und ihre Geldgeber waren nicht immer bereit, die Ergebnisse von oft Jahre dauernden Verfahren abzuwarten. Damals wären eine flexiblere Handhabung und sowohl verantwortungs- als auch realitätsbewusste Übergangsregelungen sinnvoll gewesen. Solche Probleme dürften mit ziemlicher Sicherheit auch in Korea entstehen.

Ökonomisches Wachstum sowie die Notwendigkeit der unmittelbaren Versorgung der Bevölkerung stehen oft im Vordergrund und Belastungen der Umwelt sowie Naturschutz werden als zweitrangig angesehen. Wenn hier ein Umdenken erfolgt, setzt sich häufig die Erkenntnis durch, dass auch Umweltschutz eine Wachstumsbranche sein kann und dass Naturschutz ein nicht zu vernachlässigender Bereich der Zukunftssicherung ist. Gegen Ende der de Maizière-Regierung gab es eine umfangreiche gesetzgeberische Tätigkeit zum Naturschutz und zur Errichtung von Naturparks (Dokumente 997-1010). Die Verordnungen über fünf Naturparks und neun Naturschutzgebiete enthalten detaillierte Angaben zur Größe, zur Flächenbeschreibung, zum Schutzzweck und zu besonderen Schutzzonen; sie enthalten auch Angaben zur Gewährung von Ausnahmen.

 

Mit der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen West und Ost in Deutschland wurden zahlreiche Regelungen notwendig, so z. B. die Verordnung und Durchführungsbestimmung über den Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland (Dokumente 475 und 476) sowie das Niederlassungsgesetz, d. h. das „Gesetz über die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit oder eines freien Berufes durch Personen ohne Wohnsitz oder Niederlassung in der Deutschen Demokratischen Republik.“ (Dokument 485)

 

6.13 Sowjetische Streitkräfte

Eine Besonderheit war die Lage der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, die sich vor allem durch die Währungsunion drastisch verändert hatte; die VK trug dem im August 1990 Rechnung durch die „Verordnung zur Versorgung der Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR“ (Dokumente 530 und 732; siehe auch Band 3 „Militär“)

 

 

7. Reformnotwendigkeit, Reformunfähigkeit und politische Stabilität

 

Die Regierung von Hans Modrow war um Reformen sowie Glaubwürdigkeit gegenüber der Bevölkerung und insgesamt um den Erhalt der DDR bemüht; warum hatte sie keinen Erfolg?

Sie stand anfänglich vor der Alternative:

·         nicht zu reformieren und dadurch Autorität und Kontrolle zu verlieren,

·         oder zu reformieren, auf die Gefahr hin, Autorität und Kontrolle eventuell noch schneller zu verlieren.

 

Sie entschloss sich zu Reformen, und es trat das ein, was der französische Gelehrte und Politi­ker Alexis de Tocqueville (1805-1859) beschrieben hatte: „Die Regierung, welche durch eine Revolution vernichtet wird, ist fast stets besser als ihre unmittelbare Vorgängerin. Die Erfah­rung lehrt, dass der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung gewöhnlich derjenige ist, in dem sie sich zu reformieren beginnt.“[7]

Trotz aller Unterschiedlichkeit der zahlreichen historischen Fälle ist dennoch oft eine Ähn­lichkeit bei Abfolge und Konsequenzen zu erkennen. Eine „schlechte“ Regierung wird abge­löst, die neue Regierung bemüht sich um Reformen, kann aber der Erwartungshaltung der Bevölkerung nicht entsprechen, allerdings schaffen gerade diese Reformen den Menschen größere Freiräume, die dann zur Ablösung der Regierung führen: Nation und Regierung treten geradezu zwangsläufig zueinander in Konflikt. In den Worten von de Tocqueville: „Auf der einen Seite eine Nation, in deren Schoß das Verlagen nach Glück täglich mehr und mehr wächst; auf der anderen Seite eine Regierung, die diese neu erwachte Leidenschaft unablässig reizt und ebenso unablässig beunruhigt, sie anfeuert und zur Verzweiflung treibt; so arbeiten sie von zwei Seiten auf ihren eigenen Untergang hin.“[8]

 

Die Nation, d. h. im hier behandelten Fall, die überwiegende Mehrheit der DDR-Bevölkerung, wollte vermehrten Wohlstand, mehr Glück und Chancengleichheit, ein Leben in größerer Freiheit und Würde. Dies zu gewährleisten waren die Regierung unter Willi Stoph (1914-1999) und die SED-Führung unter Egon Krenz 1989 nicht bereit und war die Modrow-Übergangsregierung in dem von ihr erwarteten Maße nicht in der Lage. In diesem Sinne hatte die DDR damals eine, wie de Tocqueville formulierte, „schlechte Regierung“ und die nach der friedlichen Revolution 1989/1990 war besser als ihre unmittelbare Vorgängerin. Allerdings trat das ein, was de Tocqueville beschrieben hat: die „Modrow-Reformen“ reichten zur Rettung der DDR nicht aus, ermöglichten aber der Bevölkerung mehr politische Mitwirkung. Ob beabsichtigt oder nicht, beide Seiten arbeiteten “auf ihren eigenen Untergang hin.“ Die Regierung von Hans Modrow wurde abgewählt und die „DDR-Nation“ ging am 3. Oktober 1990 in dem Sinne unter, als sie in die Bundesrepublik einging. Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, dass Führung und Elite der DVRK eine solche Entwicklung vermeiden wollen.

 

Die „Modrow-Regierungscheiterte, verlor die Wahlen, aber dennoch war sie wichtig für die Übergangsphase der damaligen DDR, die als Vorbereitungsphase für weitergehende Reformen ab April 1990 angesehen werden kann. In diesem Sinne, als wichtiger Transforma­tionsschritt bei gewaltfreien Veränderungen, könnten die damaligen Entwicklungen in Deutschland für Korea, trotz aller Unterschiede, ein interessantes Studienobjekt sein, und auch deshalb wird die Tätigkeit der damaligen VK in diesem Band vorgestellt.

 

7.1 Politische Stabilität

Es gibt eine Reihe von Definitionen für politische Stabilität, ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass ein System, ein Staat, in der Lage sein muss, Druck von innen und außen standzuhalten. Allerdings ist einem Regime schwer anzusehen, in welchem Maße es in der Lage sein wird, solchen doppelten Druck auszuhalten. Dem äußeren Erscheinungsbild nach machte die DDR in den Jahren 1987 und auch 1988 noch einen relativ stabilen Eindruck. Im September 1987 konnte Erich Honecker einen großen Triumph feiern, er kam zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik. Die Staats- und Parteiführung war von der Langlebigkeit ihrer DDR überzeugt. Innere und äußere Entwicklungen reduzierten dann 1989 diese Stabilität schnell und in gravierendem Maße.

Im Nachhinein werden viele damalige Anzeichen anders gedeutet und aufmerksame Beobachter erkannten frühzeitig Schwächen, aber ein schnelles Ende der DDR hatte kaum jemand vorausgesehen und viele waren sich auch nicht sicher, ob das eine erstrebenswerte Entwicklung sein würde. Der Status quo galt als erhaltenswert, denn von ihm wurde erwartet, dass er den Frieden in Europa sichert. Die gravierenden Veränderungen, die eine deutsche Wiedervereinigung mit sich bringen würde, sahen viele als Unsicherheitsfaktor an. Stabilität in Europa hatte Priorität, galt als schützenswertes Gut und es wurde erhofft, dass diese Stabilität dann auch langfristig zu einer Auflockerung der Systeme in Osteuropa und der DDR beitragen würde und sich dadurch die Lebensverhältnisse der dortigen Bevölkerungen verbessern könnten. In Westeuropa waren diese Hoffnung und die Gewöhnung an den Status quo weit verbreitet, Menschen in Osteuropa und mit Sicherheit eine Mehrheit in der DDR wollten ab 1989-90 nicht mehr länger warten.

 

Bei Prognosen bezüglich der DDR kam es trotz vergleichsweise ausreichender Informationslage zu Fehleinschätzungen Noch viel schwieriger ist die Einschätzung der Überlebensfähigkeit der DVRK; gerade der Mangel an Information über das Regime, über das tatsächliche Ausmaß seiner Stärken und Schwächen, über seine erprobte, bislang recht erfolgreiche Risikokalkulation, ist ein Bestandteil von dessen Überlebensstrategie. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob, wann und mit welchen Folgewirkungen die DVRK schnell zusammenbrechen, bzw. wie lange sie noch in welcher Form überleben könnte. Was diese Frage anbelangt, so gibt es Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen, aber keine verlässlichen Prognosen; die hat nicht einmal die Führung in Pyongyang. Als sicher kann aber gelten, dass die Eckpunkte einer Bandbereite von Möglichkeiten diese beiden Ereignisse sind: Zusammenbruch oder längere Lebensdauer. Auf beide Möglichkeiten muss sich die Republik Korea einstellen und sich auf beide vorbereiten.

 

Historische Ähnlichkeiten, gedankenanregende Definitionen, geheimdienstliche Erkenntnisse und Statistiken sind interessant und beachtenswert, aber sie liefern keine verlässlichen Indikatoren. In der gesamten ausländischen Beschäftigung mit der Sowjetunion war eine Persönlichkeit wie Gorbatschow nicht vorgesehen und niemand war wohl in der Lage, vorauszusagen, in welchem Maße Deng Xiaoping ab 1978 die Öffnung und Modernisierung der Volksrepublik China beeinflussen würde. Was die Zukunftsaussichten der DVRK anbelangt, so wird auch hier eine Kombination innerer und äußerer Bestimmungsfaktoren entscheidend sein, wobei inneren Entwicklungen die größere Bedeutung zukommen dürfte, wenn auch die Unterstützung durch China und die Haltung der USA nicht zu unterschätzen sind.

Für Siegmar Schmidt ist politische Stabilität gegeben, wenn ein System dem fortschreitenden Veränderungsdruck aus dem Innern und von außen soweit widerstehen kann, dass trotz aller notwendigen Anpassungsleistungen seine Struktur erhalten bleibt.[9]

Es geht also in erster Linie um Faktoren, um Entwicklungen wie:

·         Veränderungsdruck, hauptsächlich von der Basis, wobei die Vermittlung dieses Drucks, d. h. der Berechtigung und Erfolgschancen der Forderungen, zur übrigen Bevölkerung und die Mobilisierungsfähigkeit eine große Rolle spielen.

·         Lernressourcen, hauptsächlich innerhalb der Elite, wobei der Erhalt der Autorität bzw. die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Führung wichtig sind.

·         Anpassungsleistung (Umfang, Geschwindigkeit und Erfolg).

·         Leistungsfähigkeit (auch materielle) des Systems, was auch mit der „richtigen“ Prioritätensetzung zusammenhängt. „Richtig“ im Sinne von Befriedigung der Grundbedürfnisse und anderer Erwartungen der Bevölkerung.

 

Während der Amtszeit der Modrow-Regierung war der Veränderungsdruck viel größer, bzw. stieg viel schneller an, als die drei anderen Faktoren.

Die de-Maizière-Regierung nutzte den Veränderungsdruck, die hohe Erwartungshaltung der Bevölkerung, für beschleunigte Lernprozesse, und sie war um die Steigerung von Anpassung und Leistungsfähigkeit sichtlich bemüht und dabei im für viele Menschen akzeptablen Maße erfolgreich.

 

Die bekannte und für die Mehrheit der DDR-Bevölkerung erstrebenswerte Alternative, d. h. ein Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, wirkte sich für die Reformbemühungen der Modrow-Regierung negativ, für die der de-Maizière-Regierung positiv aus. Eine solche Orientierung ist in der Bevölkerung der DVRK wohl kaum oder nicht in vergleichbarem Maße vorhanden.

 

Die oben angeführte Definition Schmidts von politischer Stabilität ist recht allgemein gehalten, sie betont herkömmliche Institutionen und Organisationen und es fehlt, neben anderen Bestimmungsfaktoren, worauf Jörg Wischermann hinweist, die Beachtung von „wertbezogenen Vorstellungen, moralischen Vorstellungen und Empfindungen“, wie sie zum Beispiel in der Zielsetzung und im Wirken von Zivilgesellschaften ihren Ausdruck finden.[10] Hier sind sicher auch:

·         Konfliktfähigkeit,

·         Konfliktbereitschaft,

·         Kommunikations- sowie Organisationsmöglichkeiten von Menschen,

zu beachten, was 1989/90 in der DDR eine große Rolle spielte.

 

Über Veränderungsdruck, Lernressourcen und Anpassungsfähigkeit des Regimes der DVRK ist wenig bekannt. Beeindruckend sind Überlebensfähigkeit und personelle Kontinuität: seit der Gründung nur drei Führer; Großvater, Vater, Sohn/Enkel. Nicht beeindruckend, sondern im Gegenteil äußerst defizitär, ist die Leistungsfähigkeit des Systems, auch, bzw. vor allem, die materielle.

Jörg Wischermann hat auf die Bedeutung von Wirtschafts- und Versorgungsleistungen sowie auf die Sicherung nationaler Unabhängigkeit für die politische Stabilität verwiesen. Bei der Akzeptanz durch die Bevölkerung geht es auch darum, dass in der Erinnerung der Mehrheit es früher schlechter war und die relative Verbesserung nicht riskiert werden sollte. Die eigenständigen Versorgungsleistungen des Regimes der DVRK sind völlig unzureichend. Die Mehrheit der Bevölkerung dürfte sich daran erinnern, dass die Lebensverhältnisse früher besser waren, weitgehend unbekannt ist aber, wem diese Mehrheit dafür (bislang) die Schuld gibt. Der Staat ist formal unabhängig und Selbständigkeit gilt als eine Art Staatsreligion, aber wenn rund 80 Prozent des Außenhandels mit nur einem Land, nämlich der Volksrepublik China, abgewickelt werden, dann kann der tatsächliche Handlungsspielraum nicht sehr groß sein.

Ein solcher Sachstand zwingt fast zu der Überlegung: Warum ist die DVRK trotz dieser negativen Bilanz dem äußeren Erscheinungsbild nach noch so stabil? Das ist eine klare Frage, auf die ich keine hinreichende Antwort geben kann, sondern nur eine Auflistung vorsichtig tastender Vermutungen darüber, was wohl bisher zur erstaunlichen Überlebensfähigkeit beigetragen haben mag:

 

·         Geographische Lage, Teil einer Halbinsel mit geschlossenen Grenzen.

·         Funktionierender Kontrollapparat. Es gibt ein vielschichtiges, tief einwirkendes Überwachungssystem, dem sich die Bevölkerung anpassen muss. Kenntnisse über das, was verboten ist, sind relativ konkret, Kenntnisse über etwaige Freiräume und das Testen solcher Freiräume sind weniger ausgeprägt.

·         Informationsunwilligkeit nach außen und Informationskontrolle im Innern. Der Propagandaapparat besitzt u. a. die Fähigkeit, Antworten auf die Frage nach Schuldzuweisung und Verantwortung bezüglich Mangels bislang relativ glaubhaft zu manipulieren.

·         Mangelnde Einschätzungsfähigkeit im Ausland und große Unsicherheit (manchmal Hilflosigkeit) darüber, wie mit einem solchen Regime umgegangen werden kann.In ausländischen Medien wird oft schon bei geringfügigen Anlässen über die DVRK spekuliert. Äußerlichkeiten und wie diese zu interpretieren seien, so zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Begräbnis von Kim Jongil, erhalten große Aufmerksamkeit, sind aber letztlich wenig aussagekräftig; Nebensächlichkeiten dominieren die Berichterstattung. Die DVRK bekommt diese Aufmerksamkeit quasi umsonst, ohne großen eigenen Einsatz; vielleicht wird sie von der dortigen Führung amüsiert zur Kenntnis genommen oder als Beleidigung empfunden. Das Regime wird im Ausland als bizarr und rätselhaft dargestellt, was die bereits vorherrschende Meinung bestätigt, aber den Blick verstellt, nach gesellschaftlichen Veränderungen zu suchen, obwohl eigentlich als gesichert gelten sollte, dass sich auch die Gesellschaft in Nord-Korea verändert.

·         Geringe gesellschaftliche Dynamik und unzureichende bzw. nicht vorhandene Konfliktfähigkeit der Bevölkerung, von der große Teile sich bemühen müssen, zu überleben. Gewiss hat es in der DVRK Veränderungen gegeben und viele von ihnen dürften irreversibel sein. In der Summe haben sie aber wohl noch nicht die „kritische Masse“ erreicht, bei der es zu einem offen erkennbaren Elitendissens kommen könnte und Teile der Bevölkerung konfliktfähig wären, d. h. dass sie die Stabilität des Systems gefährden könnten; so zumindest der Eindruck von außen.

·         Keine realistische, erstrebenswerte Alternative, bzw. keine ausreichende, glaubhafte Information über eine solche, bereits bestehende Alternative. Das mangelhafte Wissen über und die Bewertung von Alternativen hat Auswirkungen auf das Verhalten sowohl der Bevölkerung als auch der „staatstragenden Kräfte“ der DVRK. Während die Mehrheit der Bevölkerung keine ausreichenden Informationen hat, sind die Kräfte, die das Regime stützen, besser informiert und gerade deshalb um das Überleben des Systems bemüht, von dem sie profitieren, weil ihnen eine mögliche Alternative als wenig erstrebenswert oder gar als lebensbedrohend erscheint.

·         Unterstützung, Hilfslieferungen von außen, hauptsächlich von der Volksrepublik China, die das allerdings nicht völlig eigennützig tut.

·         Ausländischer Boykott und ein dominierender Propagandaapparat sorgen für erzwungene und wohl teilweise auch freiwillige Regimeloyalität.

·         Stützung von außen auf unterschiedliche Art, der aber das Bestreben gemeinsam ist, einen plötzlichen Zusammenbruch mit unkontrollierbaren Risiken vermeiden zu müssen. Die DVRK ist wohl der einzige Staat, bei dem die Führung für das Ausland glaubhaft abschreckend mit dem Untergang des eigenen Landes drohen kann.

·         Ein Regime, das nach eigener Interpretation wenig bis kaum längerfristige, positive Erfahrungen mit Kooperation hat und diese deshalb weitgehend mit Abhängigkeit gleichsetzt. Andererseits eine Fülle von Erfahrungen, die so gedeutet werden, dass die betriebene Politik das Überleben bislang gesichert habe.

·         Ein Regime, dessen Führung aus sehr subjektiver, vergleichender Sicht wohl der Meinung ist, die bisher betriebene Politik habe Erfolge gebracht und ohne sie hätte es noch schlimmer kommen können. Schwierigkeiten werden als vorübergehend interpretiert, bzw. verharmlost. Die Sowjetunion und Jugoslawien sind zusammen-gebrochen, in vielen Staaten hat es einen Systemwechsel mit schweren Nebenwirkungen gegeben, aber in der DVRK, trotz erschwerter Bedingungen, nicht. Letztlich sei es auch bisher immer wieder gelungen, den USA (und anderen) Konzessionen abzutrotzen.

 

Rein theoretisch könnte ein „Umdrehen“ der gerade aufgelisteten Faktoren zeigen, was passieren müsste, was zu tun wäre, damit grundlegende Veränderungen möglich werden, wobei nicht zu sagen ist, welcher Art genau sie wären und welche Konsequenzen sie hätten. Das Problem besteht also nach wie vor: Wie stark, d. h. wie widerstandsfähig und langlebig diese vermeintliche Stabilität der DVRK ist, das kann nicht zuverlässig gemessen werden. Es ist auch nicht hinreichend einzuschätzen, ob ein instabileres Nord-Korea gefährlicher wäre, als das in seiner jetzigen Verfasstheit. Allerdings stellt sich vielen die Frage, wie und durch wen könnte es zu positiven Veränderungen kommen?

·         Wie kann erreicht werden, dass Veränderungsdruck, hauptsächlich von der Basis entsteht, sich verstärkt und in organisierter Form zum Ausdruck gebracht wird?

·         Wie können Lernressourcen, hauptsächlich innerhalb der Elite, zu einem Elitendissens führen, der die Planung eines umfassenden Reformprozesses ermöglicht und diesen dann auch einleitet?

·         Wie können Anpassungsleistung und Leistungsfähigkeit (auch im Bereich der materiellen Versorgung) des Systems gesteigert werden?

 

Eine Fülle von Faktoren, innere Entwicklungen und flankierende Maßnahmen von außen, werden hier eine Rolle spielen, zwei sind sicher von großer Bedeutung:

·         Die Stützen des Regimes müssen den Eindruck haben, dass Veränderungen unerlässlich sind, dass sie diese einleiten können und müssen, dass sie selbst solche grundlegenden Veränderungen überleben werden und dass Verzögerungskosten bezüglich aufgeschobener Reformen zu groß werden könnten. Der Reform- und Öffnungsprozess der Volksrepublik China ist hier ein Beispiel, was der nordkoreanischen Führung wohl wenig Trost spendet, denn die jeweiligen Rahmenbedingungen sind zu unterschiedlich. Die „Politik der Erneuerung“, die die Führung Vietnams Mitte der 1980er Jahre einleitete, könnte ebenfalls ein Beispiel sein, allerdings fehlt der DVRK das doppelte vietnamesische Erfolgserlebnis: die USA besiegt und die nationale Einheit erfolgreich erkämpft zu haben.

·         Um Veränderungsdruck entstehen und politisch wirksam werden zu lassen, muss die Bevölkerung erst einmal konfliktfähig und dann auch konfliktbereit sein. Das ist bei den gegenwärtigen Lebensbedingungen in der DVRK nicht möglich. Um hier Veränderungen herbeizuführen, ist nicht nur eine andere Politik im Innern, sondern sind auch andere Strategien des Auslandes unbedingt erforderlich.

 

7.2 Strukturelles Defizit

„Wir müssen alles wissen!“ Dieser Wunsch wird Erich Mielke (1907-2000) zugeschrieben; er war von 1957 bis 1989 Minister für Staatssicherheit der DDR, also Chef der berüchtigten „Stasi.“ Sein Wunsch wird sicher von vielen Mitgliedern der Führung in Pyongyang geteilt. Der Anspruch, möglichst alles wissen zu wollen, bedeutet nicht, alle wichtigen Informationen tatsächlich zu erhalten und sie zukunftsorientiert zu analysieren.

Es stellt sich die Frage, ob es in Systemen wie der DDR und der DVRK ein strukturelles Defizit gab, bzw. gibt, eine systembedingte Unfähigkeit zur Selbstbeobachtung des eigenen Handelns, des Herrschaftsapparats und der Gesellschaft insgesamt? Der Überwachungs-apparat ist zwar ständig mit Beobachtungen, dem Schreiben von Berichten sowie der Vergrößerung der Aktenbestände beschäftigt, aber diese Kontrolle erfasst nicht, oder nur in völlig unzureichendem Maße, gesellschaftliche Wandlungsprozesse und die ihnen zugrunde liegenden Bestimmungsfaktoren. Es fehlt an vorurteilsfreier Ursachenforschung und darauf basierender Zukunftsplanung. Leistungsfähige Demoskopie, ergiebige Prognoseinstrumente und eine anwendungsbezogene, ideenreiche Sozialwissenschaft sind in einem solchen System kaum existent. Statistiken sind oft geheim und dienen mehr der Legitimierung politischer Entscheidungen, der Bestätigung der Führung, als der realistischen Bestandsaufnahme sowie Planung; in vielen Fällen hatte Statistik die Aufgabe von Erfolgspropaganda. Gibt es ernsthafte und realitätsorientierte Forschung und Statistiken, dann haben sie oft wenig bis kaum Konsequenzen. Deshalb ist die etablierte, meist überalterte, Führung fast immer von Wandel, Veränderungsdruck und Revolution überrascht und deshalb sind alternative Konzepte in einer solchen Umbruchsituation kaum vorhanden.

 

Regime wie die DDR und die DVRK mobilisieren und kontrollieren ihre Bevölkerung, trotzdem kommt es sozio-ökonomisch oft zu Stagnation: was ist das Problem?

Das Problem besteht aus vielen Einzelteilen aber die hauptsächliche Schwierigkeit hat Karl W. Deutsch (1912-1992) mit einer Definition von Freiheit angesprochen: „Freiheit ist Bedingung für die Produktion von Wissen.“ Natürlich wurde in der DDR und wird in der DVRK Wissen produziert. In der DVRK gibt es viele kluge Menschen und große Künstler, in einigen Bereichen, so z. B. der Militärtechnologie, kommt auch beachtliches Wissen zur Anwendung. Generell sind aber

·         die „Produktionskosten“ für Wissen zu hoch,

·         ist die Menge an „vorausschauendem“ Wissen zu gering

·         und ist der Anwendungsbereich aus politischen Gründen zu eng.

 

Die Führung scheint mobilisiertes Massenauftreten für Zustimmung zu halten, passive Teilnahme für aktive Partizipation. Das im Prinzip vorhandene soziale und kulturelle Potenzial kann sich systembedingt und auch wegen mangelnder internationaler Kommunikation nur sehr begrenzt schöpferisch entfalten. Das Haupthindernis besteht in der inneren Verfasstheit der angesprochenen Systeme; was die DVRK anbelangt, so muss auch das Ausland im Rahmen seiner Möglichkeiten mithelfen, dass dort die dafür notwendigen förderlichen Bedingungen entstehen.

 

Bei der DVRK geht es nicht nur um deren Fortbestand durch Systemstabilisierung, um Überleben durch Systemanpassung, oder um grundlegende Reformen bei gleichbleibender Autoritätsbewahrung für das Regime (sollte dies überhaupt möglich sein), sondern es gibt im Vergleich zu anderen autoritären Regimen noch eine zusätzliche Problematik.

 

 

8. Besonderheit von „Teilungsstaaten“

 

Kenntnisreiche Beobachter[11] nennen die DVRK einen „Teilungsstaat“: entstanden durch Teilung und fast ausschließlich noch existent wegen der Teilung; die 1983 etablierte „Türkische Republik Nordzypern“ könnte in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt werden. Die Führung der DVRK und die „staatstragenden Kräfte“ haben ein Interesse am Fortbestand der Teilung, da deren Ende auch ein Ende des Regimes wäre. Friedlich-kooperative Koexistenz und umfassende Normalisierung wäre Aufweichung bzw. Aufhebung des Systemgegensatzes, was, so die Meinung vieler Beobachter, das nordkoreanische System nicht überleben würde. Abgrenzung (Teilung) und die Aufrechterhaltung eines äußeren sowie inneren Feindbildes dienen der Begründung von Anstrengungen (militärische und andere) sowie dem Erdulden von Mangel. Das System überlebt durch Hilfe von außen, vornehmlich durch die Volksrepublik China, und auch, weil der Überwachungsapparat und die Informationskontrolle im Innern noch funktionieren. Selbst gewählte (Isolationismus) und aufgezwungene Isolation sind zwar entwicklungshemmend, aber auch einer der Stabilitätsfaktoren der DVRK. Ein weiterer Faktor ist die weitgehende Unkenntnis der Bevölkerung über Alternativen. Boykott bringt das Regime zwar in Schwierigkeiten, hilft aber auch bei seinen Abgrenzungsbemühungen und jede Lockerung des Boykotts kann das Regime als eigenen Erfolg, als Sieg seines Systems darstellen und der Bevölkerung einreden, es habe sich gelohnt, so lange durchzuhalten.

 

Was verfügbare Alternativen anbelangt, so gab es zum Beispiel kein zweites Polen, das der dortigen Opposition, im Gegensatz zu Deutschland, als Orientierung und der Bevölkerung als Beitrittsmöglichkeit hätte dienen können. Polen musste sich reformieren, um sichweiterentwickeln zu können. Die Menschen in der DDR hatten einen zweiten deutschen Staat vor Augen und damit eine ganz andere Alternative. Eine tiefgreifende Reform der DDR, um deren Fortbestand zu sichern, war somit nicht die einzige Option, denn der Beitritt zur Bundesrepublik schien vielen die weitaus erstrebenswertere Wahl zu sein. Die DDR-Bevölkerung hatte auch relativ konkrete Vorstellungen vom Leben in Westdeutschland. Die Bevölkerung der DVRK hat zwar eine Alternative jenseits der Grenze im Süden, aber wohl keine konkrete Vorstellung über das Leben dort.

(Eine grob-zusammenfassende Gegenüberstellung der Situation in der DDR und der DVRK findet sich am Ende dieser Einleitung.)

 

In dem Zeitraum von 1989-90 verfügte die DDR über einen nur sehr geringen Handlungsspielraum, neben politischen Faktoren waren es vor allem ökonomische Sachzwänge, die zu ihrem raschen Ende führten und schnelles Handeln erforderten, denn:

·         die Produktivität der DDR lag etwa 40 Prozent hinter der der Bundesrepublik;

·         die DDR war von Krediten aus dem „Westen“ abhängig. Die Verschuldung war von 2 Milliarden im Jahre 1970 auf 49 Milliarden DM im Jahre 1989 angestiegen. Im Auftrag von Egon Krenz, dem neuen Partei- und Staatschef, erstellte eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Gerhard Schürer, dem Chef der Staatlichen Plankommission, im Oktober 1989 ein Gutachten zur wirtschaftlichen Lage der DDR. Demnach hatte sie, bezogen auf den Export in nicht-sozialistische Staaten eine Schuldendienstrate von 150 Prozent. Das Gutachten folgerte daraus: „Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 – 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen. Selbst wenn das der Bevölkerung zugemutet würde, ist das erforderliche exportfähige Endprodukt in dieser Größenordnung nicht aufzubringen.“[12]

·         Es gab zahlreiche strukturelle Probleme, wie zum Beispiel die Verschlechterung des Verhältnisses von Gewinn zu Herstellungskosten. Laut Fred Klinger musste die DDR im Jahre 1989 4,35 Mark ausgeben, um eine Mark im Export zu erzielen; 1985 sei das Verhältnis noch 2,86: 1 und im Jahre 1980 2,38: 1 gewesen.[13]

·         Energielieferungen (z. B. Gas und Öl aus der Sowjetunion) mussten zu Weltmarktpreisen bezahlt werden und die Liefermenge wurde reduziert.

·         Der Wirtschaftsverbund „Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW), hatte im Januar 1990 beschlossen, den gesamten Handel auf konvertierbare Devisen umzustellen; damit und wegen der Währungsunion ging der Absatzmarkt für Produkte der DDR im RGW verloren.

 

Günter Mittag (1926-1994) war von 1966 bis 1989 Mitglied des Politbüros des ZK der SED und zuständig für die Planwirtschaft. Rückblickend schrieb er zur damaligen Situation der DDR: „Ohne die Integration der Wirtschaft der früheren DDR in das marktwirtschaftliche System der Bundesrepublik auf dem Wege der Vereinigung wäre es zu einer wirtschaftlichen Katastrophe mit unübersehbaren sozialen Folgen gekommen und wäre überhaupt keine wirtschaftliche und soziale Perspektive abzusehen.“[14] Diese Einschätzung stammt von einem Mitglied der obersten Führung der DDR und sie besagt, ohne die Wiedervereinigung, trotz all ihrer Probleme, hätte die Entwicklung der DDR in eine Katastrophe geführt.

 

Den Reformbestrebungen der DVRK sind enge Grenzen gesetzt, materielle und politische. Die Volksrepublik China unternimmt zwar Bemühungen, der nordkoreanischen Führung zu zeigen, dass ein autoritärer Staat auch nach grundlegenden Reformen noch bestehen kann und sich an der Art von Machtausübung und Machtteilnahme nicht schnell Wesentliches ändern muss. Ökonomische Modernisierung hat in China eindeutig Vorrang vor politischen Reformen und die Veränderungen insgesamt werden durchgeführt, um das System zu festigen,seine Leistungsfähigkeit zu steigern und die Herrschaft der Kommunistischen Partei abzusichern, nicht, um sie abzuschaffen. Die Führung der DVRK scheint realistisch genug zu sein, um zu wissen, dass ihr System anders strukturiert, anders legitimiert ist und ihr entscheidende Voraussetzungen fehlen, die für die Politik der Reform und Öffnung Chinas notwendig und vorhanden waren. Vermutlich sind die Optionen der nordkoreanischen Führung bekannt, aber sie scheut sich, eine klare Entscheidung zu treffen und ist vielmehr darum bemüht, Zeit zu kaufen. Denn eine klare Entscheidung und deren praktische Umsetzung könnten, wie es Gerhard Will in einem anderen Zusammenhang formulierte, der Ausweg in die Sackgasse sein.

 

8.1 Reformdilemma und Ambivalenz von Normalisierung zwischen geteilten Staaten

Sachkundige Beobachter sind der Meinung, die Stellung Kim Jong-ils war schwächer, als viele dachten. Seine Entscheidungen hatten eine kollektive Basis, ein schwer zu erkennendes, zu beschreibendes Gremium, eine Herrschaftskonfiguration ganz besonderer Art. Die Furcht vor durch Veränderungen bewirkten unkontrollierbaren Konsequenzen scheint in der DVRK groß zu sein, was auch bei der Nachfolgefrage half, denn damit wird Kontinuität suggeriert. Außerdem schien es kaum durchsetzbare personelle Alternativen zur damals (2008) beschlossenen „Erbfolge“ zu geben, falls solche überhaupt existieren sollten. Das Reformdilemma allerdings bleibt bestehen und dieses Dilemma dürfte sowohl der Führung, der Elite, als auch der Bevölkerung bekannt sein. Grob vereinfacht ausgedrückt: die Bevölkerung glaubt, nichts ändern zu können und die Führung weiß zwar, es vorrangig geändert werden müsste, scheut aber die Konsequenzen. Das Regime ist bisher in der Lage, zu überleben, was als Erfolg gewertet werden kann, es ist aber wohl nicht oder noch nicht in der Lage, spürbare Verbesserungen für das Land und seine Bevölkerung herbeizuführen. Dies setzt Reformen im Norden enge Grenzen und macht eine Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel sehr schwer, dennoch gibt es wohl kaum gewaltfreie Alternativen.

 

Reformen im Norden und Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel können im hier beschriebenen Kontext nur erfolgreich durchgeführt werden:

·         Wenn das Regime im Norden zusammenbricht und solche Maßnahmen sofort notwendig werden.

·         Wenn vor einer umfassenden Normalisierung die DVRK eine Art verlässlicher Bestands-, d. h. Überlebensgarantie erhält. Das wäre nur durch einen internationalen Rahmen möglich (Friedensvertrag), wobei den USA und der Volksrepublik China eine entscheidende Rolle zukäme, die Republik Korea selbstverständlich einbezogen werden müsste und ihrerseits durch eine langfristige Politik unterstützend tätig würde.

·         Wenn überhaupt, könnte ein solcher Weg wohl nur erfolgreich unter der Voraussetzung beschritten werden, dass über einen längeren Zeitraum die innerkoreanische Grenze zwar durchlässig wird, aber aufrechterhalten bleibt.

 

Ob und wann eine solche Politik möglich sein wird und ob sie dann die erforderliche Unterstützung der Bevölkerung in beiden Teilen Koreas hätte, das ist für mich nicht zu prognostizieren. Reformen in der DVRK scheinen unerlässlich, Veränderungen sind bereits erfolgt und es ist wohl auch eine gewisse Materialisierung bei Teilen der Bevölkerung erkennbar. Aber welches Ausmaß an Veränderungen dieses System überleben kann, auch das vermag ich nicht einzuschätzen.

 

Erfahrungen, die in Deutschland in den Jahren 1989/90 gemacht wurden, zeigen, dass der Teilungsstaat DDR zwar extrem reformbedürftig, seine SED-Führung aber nicht hinreichend reformfähig war und zwar nicht in dem Maße, wie es zur Rettung der DDR erforderlich gewesen wäre. Je mehr sich das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten normalisierte, desto schwieriger wurde es für die DDR-Führung, ihr Regime zu legitimieren und aufrecht zu erhalten. Diese ambivalente Wirkung von Normalisierung, die letztlich zum Ende der DDR beitrug, ist sicher von der Führung der DVRK gründlich beobachtet worden; zu welchen Interpretationen das führte und welche Schlüsse von wem daraus gezogen wurden, ist nicht erkennbar.

 

Durch eine friedliche Revolution in der DDR (ab Herbst 1989), durch Wahlen (18. März 1990), Veränderungen in osteuropäischen Staaten, Entscheidungen der Sowjetunion, den USA und der Bundesrepublik erfolgten dann im ersten Halbjahr 1990 Weichenstellungen, die der DDR nur einen geringen Spielraum ließen und den Beitritt zur „Alternative Bundesrepublik“ als erstrebenswert und machbar darstellten. Diese Bestimmungsfaktoren waren besonders in der Regierungszeit von Lothar de Maizière wirkungsmächtig.

 

Die Regierung von Hans Modrow bemühte sich um Vertrauenswerbung, Systemkorrekturen, Transparenz und Partizipation sowie um die partielle Neugestaltung von Wirtschafts-beziehungen (Eigentumsverhältnisse, freiberufliche Nebentätigkeit, Devisenregelungen). Viele dieser Veränderungen lagen im Bereich zwischen Systemkorrekturen und Systemreformen. Durch Maßnahmen der Regierung, der SED/PDS und der Volkskammer wurden in diesem Zeitraum punktuelle Systemveränderungen mit der Absicht des Systemerhalts durchgeführt. Sie führten nicht zu dem gewünschten Erfolg, denn Reformstau und Erwartungshaltung der Bevölkerung waren viel größer als die Reformbereitschaft und Reformfähigkeit der Regierung und des noch immer vorherrschenden Systems.

Die damaligen Bemühungen in Deutschland könnten aber dennoch für eine anfängliche Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel und für die Einleitung einer Übergangsphase in der DVRK von Interesse sein.

 

In der DDR war die Zeit ab April 1990 gekennzeichnet durch eine grundlegende Systemveränderung, auch im Sinne von Systemangleichung, mit dem Ziel der Vorbereitung auf die komplette Übernahme eines anderen Systems, das der Bundesrepublik Deutschland. Die Mehrheit der Volkskammer zur Zeit der Regierung von Lothar de Maizière schuf deshalb unter Berücksichtigung und Ausnutzung der vorstehend genannten Bestimmungs-faktoren mit weitreichenden Reformen die Möglichkeit, einen Beitritt zur Bundesrepublik auszuhandeln; sie schuf die Voraussetzungen für eine umfassende Systemübertragung und bewirkte damit zwangsläufig, aber wissentlich und willentlich, auch das Ende der DDR.


[1]Eine besondere Gruppe waren die Ärzte, die als „Informelle Mitarbeiter“ (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) tätig gewesen waren. Siehe Weil, Francesca, „Mein Bestes für das Gesundheitswesen.“ Ehemalige IM-Ärzte als Abgeordnete der letzten Volkskammer (1990). In: Deutschland Archiv, 39 (2006) 5, S. 853-864.

[2]Angaben zu Debatten und personeller Zusammensetzung dieses bemerkenswerten Parlaments finden sich in: Deutscher Bundestag, Hrsg. 2000. Protokolle der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 10. Wahlperiode (5. April bis 2. Oktober 1990). Nachdruck. 3 Bände. Opladen: Leske + Budrich. Hausmann, Christopher, 2000. Biographisches Handbuch der 10. Volkskammer der DDR (1990). Köln-Weimar-Wien: Böhlau Verlag. Zum Lern- und Anpassungsprozess von Parlamentariern aus der früheren DDR siehe: Davidson-Schmich, Louise K. 2006. Becoming Party Politicians: East German State Legislators in the Decade following Democratization. Notre Dame: University of Notre Dame Press.

[3]Ablaß, Werner E. 2011. Von der NVA zur Bundeswehr – Herbst 1989 bis 2. Oktober 1990. In: Bücking, Hans-Jörg/Heydemann, Günther. Hrsg. 2011. Streitkräfte im Nachkriegsdeutschland. Berlin: Duncker & Humblot, S. 171.

[4]de Maizière, Lothar: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit. Freiburg, Basel, Wien: Herder Verlag, 2010, S. 119.

[5]Siehe hierzu Peters, Gunnar. 2004. Verfassungsfragen in der 10. Volkskammer der DDR (1990). In: Deutschland Archiv, 37 (2004) 5, S. 828-839.

[6] Zitate hier aus de Maizière: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. A. a. O., S. 161f.

[7]„Le régime qu’une révolution détruit vaut presque toujours mieux que celui qui l’avait immédiatement précédé, et l’experience apprend que le moment le plus dangereux pour un mauvais gouvernement est d’ordinaire celui où il commence à se réformer.“ Tocqueville, Alexis de: Oeuvres complètes / cette éd. a été enterprise sous la dir. de J. P. Mayer et sous le contrôle de la Comm. Nat. pour la Publ. des Oeuvres d’Alexis de Tocqueville. - Éd. définitive, Paris 1952. L’Ancien Régime et la Révolution. 1.1 éd., p. 223.

[8]„D’un côté, une nation dans le sein de laquelle le désir de faire fortune va se répandant tous les jours; de l’autre, un gouvernement qui exite sans cesse cette passion nouvelle et la trouble sans cesse, l’enflamme et la désespère, poussant ainsi des deux parts vers sa propre ruine.“ Ebd. Seite 225.

[9]Schmidt, Siegmar: Theoretische Überlegungen zum Konzept „Politische Stabilität.“ In Faath, Sigrid, Hrsg.: Stabilitätsprobleme zentraler Staaten: Ägypten, Algerien, Saudi-Arabien, Iran, Pakistan und die regionalen Auswirkungen. Hamburg 2003, S. 9-39.

[10]Wischermann, Jörg: „Wie stabil ist Vietnams Autokratie?“ ASIEN, 120 (Juli 2011), S. 82.

[11]So zum Beispiel Prof. Dr. Hans Maretzki, der letzte Botschafter der DDR in der DVRK.

[12]Hier zitiert aus de Maizière, Lothar: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. S. 245.

[13]Klinger, Fred: The Price of Unity: Economic and Social Consequences of German Unification. In: Pfennig, Werner, Hrsg.: United we stand – Divided we are. Comparative views on Germany and Korea in the 1990s. Hamburg, 1998, S. 136, Fußnote 13.

[14]Mittag, Günter: Um jeden Preis. Im Spannungsfeld zweier Systeme. Berlin und Weimar: Aufbau Verlag, 1991, S. 356.

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