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Zur Funktion von Geniefiguren in Literatur und Philosophie

13.01.2012 - 14.01.2012

 

Tagung des Teilprojekts C7 des Sonderforschungsbereichs 626 „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“

 

 

Das Genie ist nicht nur eine zentrale Figur der Ästhetik; als idealtypische Verkörperung künstlerischer Kreativität und Originalität, als Prototyp des schöpferischen Menschen ist das Genie eine paradigmatische Heldenfigur der Moderne.

Wahrend die Ästhetik erst seit dem 18. Jahrhundert zu einem Leitdiskurs europäischen Denkens avanciert, kommt von der Entstehung des modernen Geniebegriffs im Zeichen der Querelle des Anciens et des Modernes bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum eine literarische oder philosophische Ästhetik ohne Bezugnahme auf das Genie aus. Durch die Verschmelzung der antiken Begriffe genius und ingenium geprägt, bildet sie einen Schnittpunkt der Debatten insbesondere über das Wesen künstlerischer Produktion, über mimesis und poiesis, über Autonomie oder Heteronomie der Kunst, über das Verhältnis der Kunst zur Wahrheit, zur Natur und zur Moral. Und auch wenn die explizite Auseinandersetzung mit der Figur des Genies im 20. Jahrhundert deutlich an Bedeutung verliert, so bleibt diese im literarischen und philosophischen Diskurs doch implizit bis heute präsent und bestimmt diesen zumindest ex negativo. Doch die herausragende Bedeutung der Figur des Genies bleibt weder auf das Feld der literarischen und philosophischen Ästhetik beschränkt, noch stammt sie allein aus diesem. Vielmehr ist der ästhetische Diskurs gerade durch die und in der Figur des Genies eng mit politischen, ethischen, religiösen, naturwissenschaftlichen, epistemologischen, psychologischen und anthropologischen Diskursen verflochten. Vor allem aber ist die Herausbildung der Figur des Genies nicht zu trennen von den bis in die Antike zurückreichenden Kontroversen zum Verhältnis von göttlicher Inspiration und menschlicher Produktion und zum Verhältnis zwischen Genie und Wahnsinn. Mittels dieser Figur wird nicht nur über Autonomie oder Heteronomie der Kunst und über die Rationalität oder Irrationalität künstlerischer Produktion verhandelt, sondern über menschliche Selbstbestimmung überhaupt und die Rolle der Vernunft für diese. Die durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten als Besonderheit ausgezeichnete Figur des Genies wird zum personnage conceptuel der Reflexion über das Allgemeine. Und so dient sie von den poetologischen Debatten des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts und der Etablierung der Ästhetik als philosophischer Disziplin durch Baumgarten und Kant bis hin zu Adornos Zurückweisung der Genie-imago und Derridas Dekonstruktion der Singularität und Maskulinität des Genies nie nur der (Selbst-)Reflexion über das Wesen der Kunst und des Künstlers, sondern immer auch der Reflexion über den selbstbestimmt schöpferischen modernen Menschen überhaupt.

Im Zentrum der Tagung, deren Beiträge anhand der Auseinandersetzung mit einzelnen literarischen und philosophischen Konzepten den gesamten Zeitraum des modernen Geniediskurses abdecken, steht daher nicht nur die Frage nach der spezifischen Funktion von Geniefiguren für den jeweiligen ästhetischen Diskurs, sondern insbesondere auch die Frage danach, wie ästhetische Geniekonzeptionen durch andere Diskurse geprägt werden und diese prägen, in den Dienst welcher Ideologien und Programme sie gestellt werden, ob dies in affirmativer oder subversiver, in progressiver oder konservativer Absicht geschieht, und weshalb es jeweils gerade die Figur des Genies ist, die sich zur (Selbst-) Reflexion über die Kunst und den Künstler im Besonderen und den schöpferischen Menschen der Moderne im Allgemeinen anbietet.

 

Programm (als PDF)

 

Ort: FU Berlin, Institut für Religionswissenschaft, Goßlerstraße 2-4, 14195 Berlin

Kontakt: hans.stauffacher@fu-berlin.de

Zeit & Ort

13.01.2012 - 14.01.2012

Freie Universität Berlin, Institut für Religionswissenschaft, Goßlerstraße 2-4, 14195 Berlin, Raum 203 (großer Hörsaal)