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Teilprojekt C7. Inspiration und Subversivität. Künstlerische Kreation als ästhetisch-religiöse Erfahrung

Misha Gordin: Inspiration

Misha Gordin: Inspiration

Leitung

Prof. Dr. Renate Schlesier

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen

Dr. Mario Bührmann /  Hans Stauffacher, M.A. /

Jun.-Prof. Dr. Beatrice Trînca / Dr. des. Marie-Christin Wilm

Studentische Hilfskräfte

Gabriela Daedelow / Matthias Flaig

Projektbeschreibung

Ästhetische Erfahrung wird seit den Anfängen philosophischer Ästhetik im 18. Jahrhundert vorrangig als Kunsterfahrung von Nicht-Künstlern bestimmt. Daraus ergab sich für die Reflexion von Kunst eine Gewichtsverschiebung im Verhältnis zwischen Künstlern und Rezipienten zugunsten der Rezipienten. Gleichzeitig geriet dabei eine seit der antiken griechischen Religion und Philosophie weiterwirkende Tradition aus dem Blick, die die Kunstproduktion selbst als Kunstrezeption definiert und die in der Moderne keineswegs verschwunden ist. Daraus resultiert die Leitfrage des Teilprojekts: Wie wurde die traditionelle Auffassung von Kunstproduktion als Kunstrezeption in der Moderne neu gestaltet, und welche Konsequenzen hat dies für das Konzept 'ästhetische Erfahrung'? Diese Frage scheint die Abschwächung einer religiös fundierten Auffassung von Kunst als Kreation vorauszusetzen. Ob dies zutrifft, wird in dem religionsästhetisch orientierten Teilprojekt untersucht, wobei moderne bzw. vormoderne literarische und philosophische Texte den Gegenstand bilden. Aus dieser Aufgabe ergibt sich die Konzentration auf zwei Leitkonzepte: zum einen das traditionelle Konzept der Kunstentstehung durch Inspiration, zum anderen das erst neuerdings auf den künstlerischen Produktionsprozess angewendete Konzept der Subversivität, das eine Unterminierung oder gar Zerstörung traditioneller Vorgaben umschreibt. Überprüft werden sollen zwei miteinander zusammenhängende Hypothesen: 1., dass rezeptionsästhetische Auffassungen von Inspiration vorwiegend mit einem christlichen Denkmodell operieren, und 2., dass selbstreferentielle produktionsästhetische Bestimmungen von Inspiration dieses Modell eher subversiv zu unterlaufen versuchen.

Unterprojekt 1: 'Poeta creator' als 'poeta doctus'. Transformationen von Inspiration in der Moderne

(Prof. Dr. Renate Schlesier)

Das Unterprojekt zielt auf ein präziseres Verständnis von Inspirations-Transformationen in der Moderne. Ausgangspunkt dafür ist die These, dass sich viele moderne Autoren selbst als ‘poeta creator’ und zugleich als ‘poeta doctus’ verstanden, ‘Inspiration’ dabei aber subversiv gewendet haben. Dabei steht folgende Frage im Zentrum: Wie verhalten sich solche Umgangsweisen mit Inspiration zu einem – oft als spezifisch modern erachteten – poetischen Verfahren, bei dem die sprachliche Gestaltung mit Reflexionen über künstlerische Sprache oder Produktionsweise zusammengeführt wird und das von Proust besonders dezidiert als experimenteller, instabiler Vorgang entwickelt wurde? Am Beispiel seines Œuvres werden die Verbindungen zwischen rauschhafter Entgrenzung, Zeitauflösung und Rätselhaftigkeit einerseits, Wahrheitsanspruch, Gesetzmäßigkeit und wissenschaftlicher Objektivität andererseits innerhalb von Kreationsprozessen untersucht.

Unterprojekt 2: Produktive Subjektivität. Konzepte genialer Kunstproduktion in der idealistischen und nachidealistischen deutschen Philosophie

(Hans Stauffacher, M.A.)

Ausgehend von der Beobachtung, dass seit Fichte die sich selbst setzende produktive Subjektivität zur zentralen philosophischen Denkfigur wird und dem Genie im Zeichen der Verschiebung von der Ästhetik Kants zu einer produktionsästhetischen Philosophie der Kunst eine zentrale Rolle zukommt, werden im Unterprojekt Modelle künstlerischer Produktion in der deutschen Philosophie des 19. Jh. untersucht, die Kreation als poetisch-philosophisches Verfahren konzeptualisieren, indem sie mit platonisch-christlichen Inspirationsvorstellungen verknüpfte Geniebegriffe des 18. Jh. appropriieren. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Fragen, welche Bezüge zwischen Modellen genialer Kunstproduktion und Reflexionen über die Philosophie als Konstruktion, produktive Tätigkeit, kreativer Akt oder Dichtung bestehen, mit welchen Aspekten traditioneller Inspirationsvorstellungen diese einhergehen, sowie insbesondere ob und inwiefern Geniekonzepte im Rahmen des idealistischen Strebens nach einem universalen Vernunftsystem ein subversives Potential entfalten.

Unterprojekt 3: Inspiration und Autorschaft in der Literatur des Mittelalters und der Romantik

(Jun.-Prof. Dr. Beatrice Trînca und Dr. des. Marie-Christin Wilm)

Die Herausbildung des poetologischen Genie-Diskurses zwischen 1770 und 1850 verläuft zeitgleich mit einer Phase aufblühender Mittelalter-Rezeption. Das Unterprojekt widmet sich dem Problem der Beziehung zwischen diesen simultanen Entwicklungen. Ziel ist es, anhand exemplarischer Texte zu fragen, ob und inwiefern romantische Entwürfe einer Kunstreligion sowie einer spezifisch modernen ästhetisch-religiösen Erfahrung als (subversive) Transformationen mittelalterlicher Inspirations-, ingenium- und Autorschaftskonzepte verstanden werden können. In den Blick gerät damit ein ästhetisches Kalkül, das selbst nach dem Aufsprengen der normativen Poetik, welches sich ab 1750 unter Verweis auf Originalität und Genie des Dichters vollzieht, zu neuen Debatten über Regeln und Verfahrensweisen literarischen Schaffens führt. Damit – so die These des Unterprojekts – wird der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende europäische Geniediskurs von Beginn an unterlaufen. In den Untersuchungen sollen die komplexen argumentativen Strategien der Subversion sowie deren Implikationen für die Entwürfe einer Kunstreligion herausgearbeitet werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Rolle die romantische Mittelalter-Rezeption in den Debatten über eine ästhetische Regulierung jenseits der Normpoetik spielt und in welcher Weise dabei mittelalterliche Vorstellungen transformiert werden. Das Vorgehen ist komparatistisch: Anhand von literarischen Texten des Mittelalters und der Romantik werden in poetologisch relevanten Passagen formulierte Modelle des künstlerischen Schaffensprozesses als spielerisch-vielschichtige Vermittlung zwischen traditionellen Gattungs-, Norm- bzw. Vorlagen-Vorgaben, Inspirationserfahrungen und Originalitätsansprüchen rekonstruiert und aufeinander bezogen. Zugleich ist der jeweils individuellen poetischen Verfahrensweise nachzugehen, anhand derer die Dichter ihre Werke ausrichten. Im Zusammenhang mit der kritisch zu prüfenden aktuellen Forschungsliteratur stellt sich zudem die Frage, inwiefern sich in der heutigen Forschung explizite wie implizite Reminiszenzen an romantische Mittelalter-Bilder sowie an romantische Selbstbeschreibungsmodi in Auseinandersetzung mit dem Mittelalter hinsichtlich sowohl von Inspirations- und Originalitätsvorstellungen als auch von Strategien ästhetischer Regulierung beobachten lassen.

Unterprojekt 4: Wilde Inspiration. ‚Primitive‘ Kreationsprozesse im Spannungsfeld von ästhetischer und religiöser Erfahrung

(Dr. Mario Bührmann)

Die Verknüpfungen von Fragestellungen religions- und kunstethnologischer Theoriebildung haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts Kulturanthropologen wie etwa F. Boas, C. Lévi-Strauss und A. E. Jensen immer wieder dazu herausgefordert, sowohl die Gemeinsamkeiten der schöpferischen Prozesse sogenannter ‚primitiver‘ bzw. ‚vormoderner‘ Gesellschaften mit denen der ‚Moderne‘ auszuloten als auch deren Differenzen zu bestimmen. Die ethnologische Bestandsaufnahme und Analyse von Zeichnungen, Skulpturen, Masken, Tänzen und Mythen erlaubte es ihnen dabei, zentrale, in der europäischen Tradition entwickelte Vorstellungen von ‚Kunst‘, ‚Künstlertum‘, ‚Originalität‘, ‚Produktion‘ und ‚Rezeption‘, ‚Welterfahrung‘ und ‚Religion‘ zu problematisieren. Das Unterprojekt geht exemplarisch der Frage nach, auf welche Weise und mit welchen Implikationen diese Forscher die Zusammenhänge, Verflechtungen und Unterschiede ästhetischer und religiöser Erfahrungsdimensionen in den Blick nahmen ‒ und ob und inwiefern das dabei je zugrundeliegende Verständnis kunst- und kulturschöpferischer Prozesse einem implizit christlich geprägten Verständnis von ‚Inspiration‘ verpflichtet ist oder aber dieses unterläuft.