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„Prinzip Hoffnung“ – ein weiter Weg für Korea

Mit dem Bundespräsidenten in Seoul und Pyeongchang

Im Februar ist das Wetter in Korea noch sehr kalt. Trockene, eisige Winde aus Sibirien lassen die ohnehin niedrige Temperatur unter minus 10 Grad fallen. Die Stimmung im Lande ist dennoch sehr gut. Denn dank der unerwarteten Teilnahme Nordkoreas an dieser Winterolympiade kann man nun wieder von Entspannung und vielleicht auch mehr träumen. Allein deshalb ist diese Olympiade für Korea bereits jetzt ein großer Erfolg.

Noch im Dezember 2017 war in den internationalen Medien häufig von einer unmittelbaren Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel die Rede. Auch beim Institut für Koreastudien erkundigten sich besorgte Bürger, ob sie angesichts dieser Gefahr überhaupt zur Olympiade nach Korea reisen sollten. Dabei bot uns der geplante Besuch von Bundespräsident Steinmeier eine wertvolle Argumentationshilfe: Wenn er, also das Staatsoberhaupt, Korea besuche, könne wohl kaum eine ernsthafte Kriegsgefahr bestehen.

In Korea selbst bereitet man sich seit Jahren sorgfältig auf diese Winterolympiade vor, deren Austragungsort, Pyeongchang, nur etwa 80 km von der Grenze zu Nordkorea entfernt ist. Dies allein zeigt schon, dass man in Südkorea trotz der seit Jahren eingefrorenen Kontakte mit dem Norden nicht wirklich von Kriegsängsten beherrscht wird. Auch die vermeintliche oder tatsächliche Unberechenbarkeit des nordkoreanischen Führers Kim Jung Un und seines Gegenspielers Donald Trump konnten daran nicht viel ändern. Weder die südkoreanische Regierung noch die Bürger des Landes ignorieren die schwierigen und immer wieder eskalierenden politischen Verhältnisse, gleichwohl erkennen sie, dass es keine Alternative zu einer friedlichen Lösung der Konflikte auf der koreanischen Halbinsel geben kann, und sind von dem Vertrauen beseelt, dass es irgendwann zu einer solchen Lösung kommen wird.

Solche Hoffnungen wurden durch die Neujahrsansprache Kim Jung Uns neu belebt. Die Olympiade sei für die gesamte koreanische Nation ein großes Ereignis, sagte er in dieser. Um sie erfolgreich durchzuführen, müssten die eingefrorenen Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden verbessert werden. Er wünsche Südkorea bei der Austragung der Spiele viel Erfolg. Nordkorea sei bereit, eine Mannschaft zu schicken, und zur Vorbereitung einer nordkoreanischen Teilnahme sollten möglichst bald Verhandlungen aufgenommen werden. Schon wenige Tage nach dieser Ansprache gab es die ersten Kontakte zwischen beiden Regierungen, und bald darauf kam es auch zu dem Vorschlag des Internationalen Olympischen Komitees, die beiden koreanischen Mannschaften gemeinsam einlaufen zu lassen. So kamen die Dinge sehr zügig in Gang.

Hinzuzufügen wäre noch, dass der südkoreanische Präsident Moon Jae In bereits im September 2017, bei seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, nachdrücklich dazu aufgerufen hatte, Pyeongchang zu einem „Kerzenleuchter“ des Friedens zu machen.

Als dann Anfang Februar die nordkoreanische Delegation tatsächlich im Süden eintraf, verflogen die letzten Zweifel daran, dass die Olympiade in Pyeongchang ein Friedensfest werden würde. Dieses Friedensfest konnte dann Bundespräsident Steinmeier miterleben.

Auf Einladung des Bundespräsidialamtes durfte ich Bundespräsident Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender auf ihrer Reise begleiten. Im Rahmen dieses Besuches kam es zu einer Reihe von Gesprächen u.a. mit Präsident Moon Jae In, der Außenministerin und dem Parlamentspräsidenten. Im Mittelpunkt solcher Gespräche standen die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea sowie die deutschen Erfahrungen mit Entspannungspolitik und Wiedervereinigung.

Präsident Moon betonte mehrfach die Notwendigkeit, mit Nordkorea in einen Dialog zu treten, dabei aber zunächst die Sanktionen aufrechtzuerhalten. Er hoffe auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, insbesondere auch auf die der Bundesregierung. Ohne diese werde es nicht möglich sein, auf der koreanischen Halbinsel auf Dauer für Entspannung und Frieden zu sorgen und eine Klärung der Nuklearfrage herbeizuführen. Präsident Moon zeigte großes Interesse an den Erfahrungen Deutschlands mit der Neuen Ostpolitik Willy Brandts. Bundespräsident Steinmeier erklärte daraufhin, auch Willy Brandt habe diese Politik seinerzeit gegen starke Widerstände seitens der Opposition durchsetzen und gestalten müssen. Damit sprach er indirekt den teilweise fanatischen Widerstand konservativer Gruppierungen gegen eine Versöhnungspolitik mit dem Norden an.

Denken und Handeln solcher Gruppierungen ist von Hass und abgrundtiefem Misstrauen geprägt; sie sind letztlich zu allem bereit. Im mildesten Falle sprechen sie von einer Charmeoffensive und einem Täuschungsmanöver, mit dem Kim Jong Un Zeit für seine Raketen- und Nuklearprogramme gewinnen wolle. Demgegenüber hob der Bundespräsident hervor, dass es, wie die historische Erfahrung gezeigt habe, keine Alternative zum Dialog gebe. Nur auf diesem Wege könnten Entspannung und Frieden auf der koreanischen Halbinsel und schließlich die Wiedervereinigung erreicht werden, betonte er wiederholt. In den koreanischen Medien verstand man seine Worte als ein Plädoyer für mehr Hoffnung und Engagement.

Bei einem Treffen mit Vertretern der sog. Kerzenrevolution, die im Winter 2016 und 2017 eine politische Wende herbeigeführt hatte, zeigte sich der Bundespräsident tief beeindruckt von deren Einsatz für die Verteidigung der Demokratie und die Schaffung einer gerechten Gesellschaft und sprach ihnen seinen Respekt und seine Anerkennung aus. Ohnehin sei Südkorea das Beispiel für eine erfolgreiche Industrialisierung und Demokratisierung nach dem Zweiten Weltkrieg.

In der Tat hat die koreanische Demokratie seit der Überwindung der Diktatur 1987 zwar einige Höhen und Tiefen durchlebt, war dabei aber nie wirklich gefährdet. Das politische und zivilgesellschaftliche Engagement erwies sich stets als stark genug, undemokratische Praktiken anzuprangern und auf deren Korrektur hinzuwirken. Von den über Monate andauernden friedlichen Kerzendemonstrationen, an denen allein im Zentrum Seouls bis zu zwei Millionen Bürger teilnahmen, hat auch die Weltöffentlichkeit Notiz genommen. Besonders erstaunlich war dabei, dass diese Demonstrationen nicht durch politische Organisationen, sondern durch nichtorganisierte, zunächst einzeln handelnde Bürger ins Leben gerufen worden waren. Die Kerzenbürger erhielten dafür im Dezember 2017 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Auf die Frage, ob sich die jungen Koreaner für die Wiedervereinigung ebenso stark interessierten, wie für die Demokratie, antwortete eine junge Frau bei besagtem Treffen des Bundespräsidenten mit Vertretern der Kerzenrevolution, für sie sei Nordkorea ein Land wie Japan oder China auch. Ob die jüngere Generation mehrheitlich so denkt, ist schwer zu sagen, doch könnte der von Medien berichtete Unmut gerade junger Koreaner angesichts der Bildung einer gemeinsamen koreanischen Eishockeymannschaft der Frauen in diese Richtung weisen. Es hieß ja zunächst, dass einigen südkoreanischen Spielerinnen mit dieser Zusammenlegung der Mannschaften die Chance genommen werde, an der Olympiade im eigenen Lande teilzunehmen. Mit dem Beginn der Spiele verschwand dieses Thema dann allerdings aus der südkoreanischen Medienlandschaft. Stattdessen wird mittlerweile über jede noch so kleine Episode aus der gemeinsamen Mannschaft und ihrem weiteren Umfeld berichtet, wie auch über die nordkoreanischen Cheerleader. Auch junge Südkoreaner zeigen nun offen ihre Neugier und Freude angesichts der Besucher aus dem Norden. Nicht zuletzt wurde das überaus freundliche und höfliche Auftreten von Kim Yo-Jong, der jüngeren Schwester Kim Jung Uns, zu einem großen Medienereignis.

Während der Eröffnungsfeier saßen der Bundespräsident und seine Ehefrau neben Kim Yo Jong und Kim Young Nam, dem nordkoreanischen Staatsoberhaupt. Sie alle bejubelten den gemeinsamen Einmarsch der Mannschaften Koreas. Umso störender wirkte, dass der japanische Premierminister Abe Shinzo und der US Vizepräsident Mark Pence demonstrativ sitzen geblieben waren. Dies war auch ein Moment, der die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel in Erinnerung rief, wonach sich Deutschland mehr für die Herstellung friedlicher Verhältnisse auf der koreanischen Halbinsel engagieren wolle. Tatsächlich kommt Deutschland eine besondere Verantwortung zu, da es nur wenige Länder gibt, die mit beiden Staaten diplomatische Beziehungen pflegen. Zudem genießt Deutschland in beiden Ländern großes Vertrauen.

Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn Deutschland eine aktivere Rolle als Vermittler übernähme. Bundespräsident Steinmeier betonte während seines Besuches mehrfach, dass für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel neben dem unmittelbaren Dialog zwischen den beiden Koreas ein multilateraler Rahmen für Verhandlungen etabliert werden müsse. Es ist zu hoffen, dass Deutschland aus seiner Rolle als vornehmlich passiver Beobachter zu einer aktiveren, konstruktiven Rolle findet.

Neben der Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten der olympischen Spiele und den vielfältigen politischen Gesprächen durfte beim Besuch des Bundespräsidenten die Begegnung mit der koreanischen Kultur und Tradition nicht fehlen. So stand gleich zu Beginn der Reise der Besuch eines weitläufigen Museums auf dem Programm, in dem die Delegation traditionelle Architektur und Wohnkultur kennenlernen konnte. Daneben fand sich auch noch Zeit für einen Spaziergang durch einen der alten Königspaläste mit seiner wechselvollen Geschichte. Hier zeigte sich einmal mehr, dass auch Details wichtig sein können. So gibt es einen guten Grund, warum gerade am Dachfirst des Gebäudes mit den Schlafgemächern des Königs, anders als an anderen Palastgebäuden, keine Darstellungen von Drachen zu finden sind.