Springe direkt zu Inhalt

Vorüberlegungen zu Herrschaftsausübung im Wechselspiel von mun und mu, Zentrum und Peripherie, Funktion und Status

27.06.2017

Mun und mu – Gelehrsamkeit und Waffenfertigkeit im Dienste der Königsmacht

Eine zentrale Bedeutung in der Geschichte des koreanischen, ja ostasiatischen Herrschafts- und Verwaltungswesens kommt der Unterscheidung zwischen mun und muzu. Nicht zuletzt ist es dieses Begriffspaar welches, wie untenstehend noch gezeigt werden soll, dem Konzept des yangban zu Grunde liegt. Dabei ließe sich mun grob dem Bedeutungsfeld der Gelehrsamkeit, mu demjenigen der Waffenfertigkeit zuordnen.

Verbindet man diese beiden Vorstellungen mit der Figur des sinha, des Vasallen oder Gefolgsmannes eines Herrschers, so ergibt sich, dass munsin solche Gefolgsmänner sind, die sich mit ihrer Gelehrsamkeit in den Dienst eines Herrschers stellen, und musin solche, die es mit ihrer Waffenfertigkeit tun. Dabei werden diejenigen sinha, ob nun munsin oder musin, die besonders Verdienstvolles geleistet haben, als kongsin bezeichnet.

In der Geschichte der koreanischen Halbinsel sollten munsin und musin ihre Gefolgschaft immer wieder auch gerade in Phasen der Herrschaftsbegründung besonders beweisen. Solche Gefolgsmänner (sinha), die ihrem Herren gerade bei der Begründung eines neuen Reiches und einer neuen Herrscherdynastie Gefolgschaft leisteten, die sich also gerade um die Begründung einer Dynastie verdient gemacht hatten, wurden in der koreanischen Geschichte als kaegukkongsin bezeichnet. Wie sich denken lässt, sollte der Verdienst als kaegukkongsin nicht unentlohnt bleiben und gelang es solchen Gefolgsleuten in der Folge oft, in den neu gegründeten Reichen zu beträchtlichem Einfluss zu gelangen.

Innerhalb des Regierungs- und Verwaltungsapparates galt folgender Sprachgebrauch: Als Beamte tätige Schriftgelehrte wurden als mun'gwan, als Beamte tätige Militärs als mugwan bezeichnet. Bildhaft gesprochen ließe sich sagen, dass die mun'gwan mit dem Pinsel, die mugwan mit dem Schwert dienten. Dass sich die deutsche Vokabel „Beamter“ dabei weniger mit der Vorstellung von Waffenfertigkeit und Kampfkunst verträgt, sollte hier nicht irritieren. Tatsächlich bekleideten auch die mugwan Posten im Regierungs- und Verwaltungsapparat und waren in diesem Sinne „Beamte“. Teilweise wird für die mun’gwan in deutscher Übersetzung der Ausdruck „Zivilbeamte “, für die mugwan der Ausdruck „Militärbeamte“ bemüht.

Für Zivil- oder Militärbeamte – mun'gwan oder mugwan – die aufgrund ihres Amtes einen gewissen hohen gesellschaftlichen Rang erlangten, wurden die Bezeichnungen munban und  muban verwendet. Während beispielswiese mun'gwan  also eher den Gelehrten als Inhaber eines Amtes bezeichnet, meint munban denselben Gelehrten als Inhaber eines gewissen hohen gesellschaftlichen Ranges, dies aber unverändert im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als mun'gwan. Hier zeigt sich, dass die unter dieser Überschrift anskizzierten Begrifflichkeiten in keinem gegenseitigen Ausschlussverhältnis stehen. Wer beispielsweise als munsin besonders Verdienstvolles geleistet hatte, war auch kongsin. War er dies gerade bei der Begründung einer neuen Dynastie, war er zugleich auch kaegukkongsin usw.

Der Ausdruck yangban nun ist eine übergreifende Bezeichung für die munban und muban zusammen (yang beide), so dass yangban zunächst alle waren, die als mun'gwan oder mugwan einen gewissen hohen gesellschaftlichen Rang innehatten und somit munban oder muban waren. Hier ist festzuhalten, dass der Begriff yangban in seiner ursprünglichen Bedeutung also unmittelbar mit dem Beamtenwesen verknüpft war. Erst später sollte er sich zu einer Bezeichnung für „die herrschende Klasse“ als solche entwickeln (Weiteres hierzu untenstehend).

Abschließend lässt sich anmerken, dass sich die Unterscheidung zwischen mun und mu auch in den Bezeichnungen für die Staatsprüfungen zur Auswahl der mun'gwan oder mugwan (kwagŏ, Einzelheiten untenstehend)wiederfindet. So wurden die Staatsprüfungen zur Auswahl von mun'gwan als mun'gwa, diejenigen zur Auswahl von mugwan als mugwa bezeichnet.

Zentrum und Peripherie

Eine geschichtliche Annäherung an Herrschaftsausübung, gesellschaftliche Stellung und Familie in Korea ist kaum möglich, ohne sich Gedanken zu machen über das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie und die Prozesse von Machterwerb und Machtsicherung, wie sie eng mit dem teilweise stützenden, teilweise konkurrierenden Zusammenspiel zwischen den jeweiligen Eliten dieser beiden Sphären verbunden sind.

So ist der Untergang des Königshauses des Vereinigten Silla eng mit dem Umstand verknüpft, dass es sich nach den siegreichen Eroberungskriegen gegen Paekche und Koguryŏ nicht hinreichend darum bemühte, die angestammten Mächte der neu eroberten Gebiete in sein Herrschaftssystem zu integrieren, vielmehr sogar Angehörige seiner eigenen, chin'gol genannten Adelsschicht zu Souveränen der neu erschaffenen Verwaltungseinheiten in der Provinz (den neun sogenannten chu) ernannte. Den lokalen Machthabern (hojok), die der Herrschaftsmacht im Zentrum mangels Einbindung in deren Machtapparat somit nicht loyal gegenüberstanden, gelang es in der Folge, in ihren Einflussgebieten in der Peripherie militärische und sonstige Macht in einem solchen Umfang anzuhäufen, dass sie quasi-staatliche Unabhängigkeit erlangten. Zu guter Letzt musste sich der letzte König Sillas nach den Gründungen verschiedener kleinerer Reiche innerhalb seines vormaligen Reiches von Seiten rebellierender hojok dem durch eine Revolte von Generälen und hojok an die Macht gelangten Wang Kǒn, später König T'aejo von Koryŏ, geschlagen geben.

Dieser Übergang vom Vereinigten Silla zum Königreich Koryŏ kann zugleich demonstrieren, wie Dynastiewechsel in der koreanischen Geschichte zum Auslöser für gesteigerten Austausch zwischen Zentrum und Peripherie werden konnten. So wurden einige der hojok,  die Wang Kǒn an die Macht verholfen hatten, als kaegukkongsin, also sich um die Reichsgründung verdient gemacht habende Gefolgsleute (siehe oben), mit hochrangingen Regierungsposten im Zentrum der neuen Dynastie entlohnt.

Wie untenstehend noch erläutert werden soll, lässt sich auch die Entstehung von, und die Dynamik zwischen, Elitengruppierungen wie den sinhŭngsadaebu, den hun'gu, den sinjinsaryu und der sarimp'a nur vor dem Hintergrund eines Dynastiewechsels, in diesem Falle desjenigen vom Königreich Koryŏ zum Königreich Chosŏn, und den dadurch angestoßenen Dynamiken zwischen Zentrum und Peripherie verstehen.

Aus Sicht des neu an die Macht gelangten Dynastiegründers stellte sich dabei stets die Frage, welche Mittel zur Integration der lokalen Mächte der Peripherie in seinen Herrschaftsapparat zu ergreifen seien, um die neu erlangte Macht langfristig zu sichern. Das Repertoire der zur Verfügung stehenden Mittel reichte dabei, wie noch zu zeigen sein wird, von einer gebietlichen Reorganisation der Peripherie über die Entsendung von Beamten der Zentralverwaltung zur Amtsernennung vertrauenswürdiger lokaler Kräfte als Gebietsverwalter. Aber auch die Verfolgung einer gezielten Heiratspolitik mit Familienclans aus der Peripherie, die Verleihung des eigenen Namens an die somit neu verschwägerte Familie zur Stärkung des Sippschaftsbewusstseins und dergleichen weniger verwaltungstechnische, als vielmehr organisch-soziale Maßnahmen dienten dem Zweck der Absicherung zentraler Herrschaftsmacht.

Andererseits waren lokale Kräfte ihrerseits stets um Machterhalt und -zuwachs in der Peripherie wie im Zentrum bemüht. Vor diesem Hintergrund sind Phänomene wie beispielsweise das Aufsteigen einiger hojok zu mun'gwan oder mugwan – und somit auf längere Sicht zu yangban – im Wege des Staatsprüfungssystems für den zentralen Herrschaftsapparat zu verstehen, wie auch später der in ähnlichen Bahnen erfolgende Aufstieg einer als sinjinsaryu bekannten Gruppierung. Beide Prozesse sollen untenstehend beleuchtet werden.

Macht, Funktion und Status

Es darf nun allerdings nach den einleitenden Ausführungen dazu, wie Gefolgsmänner eines dynastischen Umsturzes (kaegukkongsin) oder Absolventen von Staatsprüfungen (kwagŏgŭpcheja) an Staatsämter gelangen konnten, nicht der Eindruck entstehen, dass sich die Mechanismen rund um Macht, Amt und Würden auf diese beiden Wege beschränkt hätten.

Insbesondere war es denjenigen, die einmal zu Macht und Einfluss hatten kommen können, mit diesem Gelingen des gesellschaftlichen Aufstiegs nicht getan. Vielmehr entwickelten sie, gleich den Herrschern insbesondere neugegründeter Dynastien, eine Reihe formell-verwaltungstechnischer wie auch informeller-organischer Strategien,  die einmal erworbene Position langfristig abzusichern.

Zu den eher formell-verwaltungstechnischen Strategien gehören das wiederholte Ablegen der Staatsprüfungen über mehrere Generationen hinweg ebenso wie die Erschaffung von bestimmten Verwaltungsämtern, die, ganz ohne Bestehen einer Staatsprüfung, schlicht „vererbt“ werden konnten (ŭmjik).

Ergänzend führten eine zielgerichtete Heiratspolitik, die Aneignung von Familiennamen, die stete Pflege eines Bewusstseins von Herkunft und Sippe (vor allem über das als chokpo bekannte Familienstammbuch), also Maßnahmen informell-organischer Art, auf lange Sicht zu einer solchen Konzentration von Macht und Einfluss, dass sich, im Laufe der Jahrhunderte,  eine durch Blutsverwandtschaft verbundene regelrechte Adelsschicht herausbildete. Wie im Folgenden umrissen werden soll, wäre es also übereilt anzunehmen, die Einführung eines Staatsprüfungssystems im 10. Jahrhundert habe einen endgültigen Sieg des Meritokratieprinzips, des Herrschens aufgrund des individuellen Verdienstes, über das Aristokratieprinzip, dem Herrschen aufgrund der durch Blutsverwandtschaft bestimmten Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, bedeutet.

Wie obenstehend im Zusammenhang mit den Bezeichnungen mun'gwan und mugwan bzw. munban und muban bereits angedeutet, verwischten sich oftmals auch die Grenzen zwischen der Amtsinhaberschaft und der daraus resultierenden sozialen Stellung. Besonders weit ging dieser Prozess im Falle des Konzepts „yangban“. Bezeichnete „yangban“ ursprünglich, wie bereits dargelegt, noch die munban und muban, also die hochrangige Beamtenschaft, entwickelte sich der Ausdruck bis zum 17. Jahrhundert schlicht zur Bezeichnung für die „herrschende Klasse“ als solche, ohne zwingenden Bezug zum  Verwaltungssystem.

Vor dem Hintergrund der hiermit zu Ende geführten Vorüberlegungen zu Herrschaftsausübung im Wechselspiel von mun und mu,  Zentrum und Peripherie, sowie Funktion und Status soll nun eine geschichtliche Annäherung an Herrschaftsausübung, gesellschaftliche Stellung und Familie in Korea versucht werden. Den Anfang der geschichtlich orientierten Darstellung bildet die Epoche des Vereinigten Silla.

AKS
IKSLogo_Neu2