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Motive in Bewegung – Transregionale Studie zum Ornament in der spätantiken Malerei Kizils, Zentralasien (ca. 4.-9. Jh.)

André Bierwisch


                                           

 Vermutlich verhält sich keine visuelle Elementgruppe auch nur annähernd vergleichbar resistent gegen die unzähligen Formen der Ein- oder Abgrenzung gegenüber dem vermeintlich kulturell 'Anderen' wie das Ornament. Die Geschichte der kunstwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem ‚Schmückenden’, dem ‚Zierrat’, dem dekorativen ‚Beiwerk’ zeigt von Beginn an überregionalisierende Züge. Schon die frühen 'Grammatiken des Ornaments' spiegeln deutlich die Notwendigkeit einer geografisch weiträumig angelegten Betrachtung dieses Feldes wider, auch wenn die Gliederungen und Ordnungsprizipien dieser Publikationen ebenso deutlich die übermächtigen Grenzziehungsreflexe jener durch Kolonialismus und Nationalismus geprägten globalhistorisch bedeutsamen Epoche zeigen (Jones 1856, Racinet 1869).  

   

Das Forschungsvorhaben grenzt das Gebiet thematisch und geografisch deutlich ein (Ornament in Kizil, Zentralasien) und fokussiert auf bereits beobachtete, theoretisch beobachtbare und noch zu erforschende Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, Unterschiede, Wandlungen und Parallelen zu den Formen des Ornaments, wie es aus der Kunstgeschichte Süd- und Vorderasiens sowie des mediterranen Raums bekannt ist. Kizil ist das größte kulturelle Zentrum des alten Königreiches Kucha. In der Forschung gilt als gesichert, dass buddhistische Gelehrte der Sarvāstivādin-Schule aus Kashmir dorthin gesandt wurden. Ikonografisch ist längst – zuallererst natürlich bestimmbar durch die buddhistischen Inhalte der meisten narrativen und ikonischen Malereien Kizils – eine nahe ideengeschichtliche Beziehung mit den Bildsystemen der Kulturen des alten Indien nachgewiesen. Die Forschungen dazu befinden sich derzeit in einem sehr interessanten Stadium. Wissenschaftler aus der ganzen Welt arbeiten heute derartig vernetzt, wie es niemals zuvor möglich war, zusammen, um die gegen Ende des 19. Jahrhunderts schon beinahe vergessenen Kulturen der nördlichen Seidenstraße kulturgeschichtlich aufzuarbeiten. Durch die Wahl der Betreuerin, Frau Prof. Dr. Monika Zin, einer international renommierten Kunsthistorikerin mit Spezialisierung auf frühe buddhistische Kunst Südasiens und Zentralasiens, ist die Integration in diese internationalen Forschungsnetzwerke sichergestellt.  

 

Das Kunsthistorische Institut der Freien Universität Berlin bietet als eines der ersten explizit globalhistorisch ausgerichteten Institutionen seiner Art in Europa denkbar beste Voraussetzungen für eine transregional angelegte Forschung. Hinzu kommt die Tätigkeit des Kandidaten in der Abteilung Süd-, Südost- und Zentralasien am Museum für Asiatische Kunst in Berlin als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Fortbildung, die in der täglichen Arbeit direkten Zugang zu den Original-Kunstwerken und regelmäßigen fachlich-professionellen Kontakten zu internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit sich bringt, die für einige Tage, Wochen oder längerfristig als Gäste des Museums die Sammlung oder Teile der Sammlung erforschen. Internationale Vernetzung ist besonders für Zentralasienstudien von größter Bedeutung, da die schriftlichen Primärquellen in so unterschiedlichen wie zahlreichen Sprachen vorliegen, wie die wissenschaftliche Sekundärliteratur etwa der vergangenen 120 Jahre. Mehr und mehr kann nun auch kunstwissenschaftlich herausgearbeitet werden, in welchen Dimensionen der kulturelle Austausch in den Oasen-Königreichen bis heute sichtbaren bildlichen Niederschlag fand.  

 

Einige Historiker betrachten das alte Seidenstraßennetz als frühen Motor der Globalisierung, vergleichbar in etwa mit dem Internet heute. Damals wurden Waren, Menschen, Ideen und Kunst mit den Geschwindigkeiten, die von Pferden, Eseln, Kamelen und eben Menschen vorgegeben werden, zwischen den Kontinenten bewegt. Heute nutzt die internationale Zentralasienforschung die annähernde Lichtgeschwindigkeit der Informations-Verarbeitungs-möglichkeiten des Internets, um die Dynamiken und Prozesse der Bild- und Ideenwanderung in dieser frühen Globalisierungsform verstehen zu lernen. Globalhistorisch angelegte Ansätze einer zeitgemäßen Kunstgeschichtsforschung können weder die dem Thema Ornament inhärente Transkulturalität noch die aus dieser Perspektive besonders reichen Bildproduktionen Süd- und Zentralasiens ausklammern. 

 

So will das hier skizzierte Projekt einen Beitrag zur Erforschung von Dynamiken der Bewegung, Verarbeitung und Transformation in der visuellen Ideengeschichte zwischen (und in) Süd- und Zentralasien liefern. Auch bildwissenschaftliche Fragen sollen dabei integriert werden. In diesem Aspekt liegt vor allem die gerade für die Malereien Kizils sich beinahe selbst stellende Frage nach der Beziehung zwischen dem Ornament und der ikonischen bzw. narrative Darstellung: Wo hört das eine auf und wo beginnt das andere? Auch das Schmückende innerhalb der narrativen Bereiche wie z. Bsp. Muster auf Kleidungsstücken oder Auffälligkeiten im Schmuck werden in die Untersuchung einbezogen. An den Rändern der Malereien angeordnete geometrische Muster gehen in Architektur- oder Naturwiedergaben über, die noch ‚rahmen’(?) oder schon ‚erzählen’(?) - ganz sicher ist das nicht immer. 

 

Mit dem Blick aus Zentralasien ist auch ein Beitrag zum Verständnis der altindischen Ästhetik angestrebt. Der Fokus auf die Bewegungen ornamentaler Motive wird zentrale Aspekte der Ideen- und Bild-geschichtlichen 'Wanderungen' von Süd- nach Zentralasien beleuchten. Dabei sollen die Dynamiken von Prozessen des Austauschs visueller Ideen vor dem Hintergrund der frühen Globalisierungserscheinung 'Seidenstraße' untersucht werden. Es ist angestrebt, der Frage nach dem rein visuellen Anteil des südasiatischen Beitrags zu einer sehr frühen kulturellen Globalisierungserscheinung am Seidenstraßensystem des 4. – 9. Jahrhunderts nachzugehen: Werden visuelle Ideen in ähnlicher Weise 'verhandelt' wie philosophische, politische oder kulturelle? Wer sind die 'Makler' und 'Unterhändler' der Geschichte des visuellen Ideen-Austauschs? Kann dem Ornament vielleicht selbst so etwas wie eine agency, also eine Art Handlungsfähigkeit zugesprochen werden? ‚Wandern’ visuelle Phänomene mit oder ohne Bedeutungsinhalt? Ist ein visuelles Phänomen, dem in seinem spezifischen historischen Kontext eine inhaltliche Bedeutung ‚nachgewiesen’ werden kann, noch Ornament? 

 

Neben dem Blick nach Südasien, der im Zentrum des hier vorgestellten Forschungsvorhabens liegen wird, soll auch der Bezug zur globalen Kunstgeschichte integriert werden. Eine transregionale kunsthistorische Betrachtung der Spätantike Zentralasiens ist ohne die Bezugnahme zur mediterranen (Nordafrika, Mittlerer Osten, Südeuropa) und vorderasiatischen Kunst (Sassaniden, Parther, Sogdier) kaum vorstellbar. Durch die Integration in die weltweite  und interdisziplinäre Vernetzung der aktuellen Zentralasienforschung soll von Anfang an sichergestellt werden, dass die mit den 'benachbarten' Beziehungsrichtungen der zentralasiatischen Geschichte arbeitenden Projekte dialog-, anschluss- und kommunizierfähig mit den Ergebnissen aus diesem Fokus der Fragestellung (Süd-/Zentralasien) sein werden und umgekehrt. Visuelle Geschichte befindet sich ebenso in Bewegung wie Ereignis- und Ideengeschichte. Das Seidenstraßennetz wird dabei ähnlich, wie für kulturhistorische Arbeiten über maritime Verkehrssysteme erfolgreich am Zentrum Moderner Orient in Berlin entwickelt und vorgeschlagen wurde, als ein ‚Zentrum von Peripherien’ verstanden. Jüngste Beiträge zur Ornamentforschung in Kizil ergaben erwartungsgemäß Ergebnisse, die klar darauf verweisen, dass ornamentale Formen aus allen bekannten Kunst-Regionen der alten Welt Verwendung fanden. Das hier skizzierte Vorhaben will vor allem die aus Südasien bekannten Formen in den Mittelpunkt des Interesses stellen und einen Beitrag aus der indischen Kunstgeschichte zur Erforschung der Ausprägung von visueller Kultur im spätantiken Zentralasien leisten.  

 

Wie bereits verdeutlicht, liegt der Fokus hauptsächlich auf den Transfer- und Austausch-Erscheinungen zwischen Südasien und Zentralasien. Sicher bekannt ist bislang auf einer historiografisch eher abstrakten Beschreibungsebene, dass sich (Bild-)inhaltlich in der künstlerischen Repräsentation an den Wänden der Kultanlagen aus Südasien stammende Bildideen mit den Vorstellungen von Reisenden der Seidenstraße aus ganz 'Eurasien' trafen. Außer Frage steht auch die Tatsache der inhaltlichen Integration (und Transformation) von religiösen Ideen aus Südasien. Neben den narrativen Inhalten selbst wurde auch ein großer Teil der konkreten Bildideen aus dem reichen Repertoire des für seine ausgesprochene Bildfreudigkeit berühmten alten Indien übernommen: Die narrativen Elemente aus der Buddhavita, aus seinen Vorgeburten, den Jātakas, das zur Ikone stilisierte Buddhabild selbst und die detaillierten Darstellungen von Brahmanen, Yakīs und Yakas, Devatās und einiger der heute als ‚hinduistisch’ bezeichneten Hochgottheiten Indiens wie Viṣṇu, Śiva und Brahma sind unübersehbar in den meisterhaft ausgeführten Malereien Kizils wiedergegeben. 

 

Die Beleuchtung der südasiatischen oder altindischen Ornamentmotive in den Wandmalereien Zentralasiens aus globalhistorischer und transregionaler Perspektive dient dem zentralen Forschungsinteresse des hier kurz vorgestellten Vorhabens. In diesem Zusammenhang stellt sich folgende weiterführende Fragestellung: Wurden die 'indischen' Inhalte von der multikulturellen Welt der Seidenstraßenkulturen 'gerahmt' oder umgekehrt? Geschah nichts davon oder beides? Lassen sich aus der Untersuchung der ornamentalen Bereiche und Teile der Kunstwerke vielleicht sogar bestimmte Dynamiken von Transferprozessen nachzeichnen und beschreiben? Sicher werden die meisten dieser über das Hauptinteresse hinausgehenden Fragen wenigstens zum Teil offen bleiben müssen. Ihre Nennung in diesem Exposé soll aber helfen, die generelle Richtung der Gesamtfragestellung des Projektes zu verdeutlichen. 

 

In der Durchführung sollen Methoden verwendet und entwickelt werden, die über die mittlerweile in den transregionalen Ansätzen verschiedener Disziplinen im Allgemeinen fallengelassenen Kategorien des 'Einflusses', sei er ein- oder wechselseitig gedacht, hinausführen. Aber auch Kategorien wie 'Austausch', 'Transfer', Integration', 'Verwendung', 'Transformation', 'Übernahme' und fast inflationär verwendete Begriffe wie 'transregional' oder 'multikulturell' u.s.w. sollen kritisch reflektiert werden. Die Methode wird deshalb in Anlehnung an aktuelle Studien zur süd-, südost- und zentralasiatischen Kunstgeschichte und auch an das heute übliche Vorgehen in vielen kultur- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten innerhalb der einzelnen Arbeitsphasen parallel zum wachsenden Informationsstand entwickelt, sinnvoll angepasst und beschrieben werden. 

 

Ausgehend von der Studienkombination des Kandidaten aus der sozial- und geschichtswissenschaftlichen Ausbildung am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin mit der philologischen Ausbildung am Institut für die Sprachen und Kulturen Südasiens und der kunsthistorischen am KHI (Abteilung Südasien) an der Freien Universität wird die Methode grundsätzlich innovativ-interdisziplinär angelegt. 

 

Das Museum für Asiatische Kunst in Berlin Dahlem bewahrt mit den Originalmalereien und dem Archivmaterial der preußischen Expeditionen vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts fast alle benötigten Forschungsmaterialien auf. In einem ersten Schritt wird die Katalogisierung aller vorhandenen und zugänglichen Ornament-Elemente Kizils vorbereitet. In dieser Phase wird eine Datenbank erstellt. Anschließend werden darauf aufbauend exemplarisch ausgewählte Motive und Formen nach gründlichen Vergleichen und dem Herstellen visueller Bezüge mit bekannten Ornamentformen der Kunstgeschichte Südasiens und anderer benachbarter und fernerer, durch das komplexe Handelsstraßennetz erreichbare Regionen vorgestellt. Darauf aufbauend wird eine detaillierte Analyse der Zusammenhänge und Beziehungen zwischen dem Ornament und den narrativen Teilen der Malereien durchgeführt. Die Ergebnisse sind gleichzeitig und im Anschluss mit Vergleichsmaterial aus Südasien in Bezug zu setzen. Bei den beobachtbaren Wanderungen südasiatischer Motive nach Zentralasien sind vor allem die Wandlungen, die diese Motive machten, interessant. Hier schließt sich wieder die Frage nach einer möglichen, dem Phänomen des Ornaments im Allgemeinen inhärenten agency an. 

 

Ein dritter Schritt knüpft an die Geschichte der kunsthistorischen Beschäftigung mit dem Ornament und stellt aus den zu beobachtenden drei Hauptentwicklungen der Wissenschaftsgeschichte heraus folgenden Fragenkomplex auf: Welche (1)Formen und Motive (klassische Taxonomien) finden sich in welchen (2)Funktionen (Gombrich) und welche (3)Intermediäre (Grabar) verhalten sich in welcher Art und Weise zu den narrativen und ikonischen Bildinhalten und damit zur Ideengeschichte der philosophisch-kosmogonischen Bezugssysteme beispielsweise des Buddhismus, der aus globalhistorischer Perspektive als das transregionale Verbindungselement par excellence in Asien wahrgenommen werden kann? Grundlagen und Ausgangspunke für diese Fragestellung bieten sehr aktuelle und teilweise noch laufende Forschungen zur Ikonografie und den narrativen Motiven der Wandmalerein Kizils. Die Ergebnisse dieser dritten Phase der Forschungsarbeit sollen schließlich in Ausblickform in einen globalen kunsthistorischen Kontext gestellt werden. 

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