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2018. Eine Installation zwischen Verfall und Aufbruch - Pascale Monnin „Matthew“, auf der Dak’Art 2018

Von Jasmin S. Hahn

 

„Je suis l’heure rouge, l’heure dénouée rouge.“*

Die Hauptausstellung der 13. Dak’Art Biennale 2018 im alten Justizpalast, kuratiert von Simon Njami, widmet sich der „roten Stunde“ („L’heure Rouge“). Der Kurator zitiert damit das Theaterstück „Et les chiens se taisaient“ (1958) des afro-karibischen Négritude-Schriftstellers Aimé Césaire. Der semiotischen Verbindung zwischen „Rouge“, der gegenständlichen Farbe und der Symbolik von Rot, liegen mehrere Interpretationen und semantische Ansätze zu Grunde, die Njami auf vielfältige Weise in der Hautpausstellung einfließen lässt. Die weitgefächerten literarischen, alchemistischen und philosophischen Referenzen fügen sich zusammen als Ausdruck für Veränderungen, Fortschritt und Emanzipation. Da insbesondere zeitgenössische Künstler_innen aus Afrika sich weiterhin in der internationalen Kunstwelt behaupten müssten, so Njami.Eben diese (rote) Stunde, die Stunde des Aufbruchs, der Veränderung und der Emanzipation solle mit der Dak’Art weiter voranschreiten und die Selbstbestimmung der zeitgenössischen Künstler_innen aus Afrika und der Diaspora in den Vordergrund rücken. Damit wurde auch 2018 die Biennale erneut zu einer bedeutenden Plattform für 75 zeitgenössische Künstler aus 33 Ländern.

Mit der roten Stunde als eine Zäsur für Veränderung und Aufbruch, verleiht Njami dem Narrativ seiner Hauptausstellung eine starke zeitliche Dimension. Nicht nur der Rekurs auf Aimé Césaire bindet eine zeitliche Ebene ein, sondern ebenso der Ausstellungsort selbst. Der Ancien Palais de Justice, im brutalistischen Stil, wurde erstmals 2016 für die Dak’Art wiederhergerichtet und diente zuvor von 1958 bis 1992 als Gerichtshof.2

Abb.1: François-Xavier Gbré, Salle des pas perdus, Palais de Justice, Cap Manuel, Dakar, 2014.

Begibt man sich auf den Weg zum Cap Manuel, der Südspitze der Cap-Vert-Halbinsel in Dakar, erscheint zunächst die Eingangsfassade recht schmucklos und kompakt. Auf der rechten Seite des Haupteingangs erstreckt sich horizontal ein Banner mit der roten Aufschrift „L’heure Rouge“, die sich deutlich von den zerfallenden Überesten des ursprünglichen Schriftzuges „Palais de Justice“ abhebt. Zwei tragende Säulen im Eingangsbereich sind rot eingekleidet und bilden in Zusammenhang mit der kompakten Sandsteinfassade einen Akzent, gleichzeitig greifen sie durch ihre Farbigkeit das Leitthema der Biennale auf. Während der ersten Teilsanierungsgsarbeiten fanden sich in den Räumen zahlreiche Akten, zurückgelassene Formulare sowie Mobiliar (Abb. 1). Durch die starke Erosion der Küste und dem langjährigen Leerstand des Gebäudes, befindet sich der Palais de Justice daher in einem provisorischen Zustand, was bereits nach dem Eintreten erkenntlich wird. Eine umfassende Sanierung gilt als sehr kostenintensiv und scheint dadurch nur schwer umsetzbar. Doch die brüchigen Bodenfliesen sowie die beschädigten Wände verleihen dem Ort eine atmosphärische und urbane Ästhetik, die teilweise sogar erahnen lässt, in welchen Räumen Gerichtsverhandlungen stattfanden. Damit wird der Ort selbst zu einem geschichtsträchtigen Element und zeugt zugleich von Verfall und Veränderung.

Atmosphärisches Potential

In der repräsentativen Vorhalle, die durch eine symmetrische Anordnung von 99 Säulen charakterisiert ist, befindet sich im Zentrum ein quadratisch angelegter Lichthof. Der Lichthof erweist sich als entscheidend für die Beleuchtung der Vorhalle und die daraus resultierende Stimmung in den Kolonnaden, deren Säulen etwa 7 m hoch sind. In der gesamten Vorhalle wird die Stimmung von dem berechneten Tages- und Sonnenlicht bestimmt, dass durch die Kolonnaden scheint und hierbei, hinsichtlich der Kunstwerke, einer besonderen Form der Präsentationsbeleuchtung entspricht und eine repräsentative sowie atmosphärische Wirkung verstärkt (Abb. 2). Zudem intensiviert sich die natürliche Lichtstimmung im Zusammenhang mit dem Lichthofe durch Brises Soleil, die sich an den äußeren Wänden befinden. Sie erhellen Bereiche, die so vom Lichthof nicht erreicht werden und umspielen zahlreiche umliegende Installationen durch besondere Licht-Schatten-Verhältnisse.

Abb.2: Vorhalle, Palais de Justice, Dakar, 2018. Foto: Jasmin S. Hahn.

Abb.3: Matthew, Pascale Monnin, 2018. Foto: David Damoison.

Abb.4: Detail, Matthew, Pascale Monnin, 2018. Foto: Jasmin S. Hahn.

Dieses atmosphärische Potential greift insbesondere eine Installation im Lichthof auf, die durch ihre zentrale Position unweigerlich zum Blickfang jedes Rezipienten wird, sobald man durch die Kolonaden flaniert. Innerhalb des Lichthofs hebt sich ein weißes Kieselbeet ab, auf dem ein Mangobaum steht, der augenblicklich in diese Installation eingebunden wurde. Vom Baumstamm aus schwingen sanft blaue, flache Gegenstände entlang mehrerer Stahlseile, die am Gesims des Gebäudes befestigt wurden (Abb.3). Wie fügt sich nun ausgerechnet diese Arbeit als außergewöhnlicher Blickfang in Njami Narrative der „L’heure Rouge“ ein?

Es handelt sich um die Installation der (haitianischen) Künstlerin Pascale Monnin mit dem Titel „Matthew“, die auf der Dak’Art 2018 durch ihre raumgreifende und dynamische Konstruktion den Lichthof und die anliegenden Kolonaden stimmungsvoll einnimmt (Abb. 4).

Auf dem zweiten Blick sind blaue Fensterrahmen, Holzlamellen und Türen mit Sonnenblenden zu erkennen sowie am Baumstamm verschiedene beschädigte Uhren, die auf dem weißen Kieselboden liegen. Mit seiner Größe überragt der Mangobaum bereits die Höhe des Palais und wirft durch seine Blätter einen pointillistischen Schatten, der von den 30 Elementen ergänzend umspielt wird.

Für die Komposition der mehransichtigen Installation bildet der Baum selbst einen zentrischen Ausgangspunkt und das Kieselbeet eine Form der Rahmung auf dem Boden. Am Baumstamm verdichten sich dünne Stahlseile, die in zehn Zweigen in verschiedene Richtungen verlaufen. Die Stahlseile sind jeweils an der Außenseite der vier bis fünf blauen Fenster-Elemente befestigt und bilden dadurch einen breiten Strang, der locker und leicht schwingend an dem Gesims montiert wurde. Durch die lockere Hängung bilden die Stränge eine leichte Wölbung die, aus der Distanz betrachtet, die Baumkrone annähernd umhüllen sowie der Installation insgesamt ihr Volumen verleihen und sich über das gesamte Kieselbeet erstrecken. Zudem bewirkt die Hängung und die Anordnung der blauen Elemente eine lotusähnliche Form. Trotz ihrer geometrischen Beschaffenheit fügen sich die flachen, blauen Elemente harmonisch mit den organischen Strukturen des Baumes zusammen, da sie in den Licht- und Schattenverhältnissen der Baumkrone münden.

Dementsprechend wird das Licht zum wesentlichen Gestaltungsmittel der Arbeit, was sich zugleich in der Bearbeitung der blauen Elemente zeigt. Die Holzflächen der blauen Fenster und Türen weisen einen sehr ebenmäßigen Farbton auf, während wiederum die Bearbeitungsspuren der Farbe auf dem weißen Boden Abdrücke hinterlassen haben. Diese farbigen Abdrücke in Verbindung mit den zehn Strängen, die vom Baumstamm wegführen, lassen eine Art Sonnenuhr entstehen. Hat die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht, so stimmt die Position der Farbabdrücke mit den blauen Strängen nahezu überein (Abb. 3). Die Farbabdrücke werden dadurch gleichzeitig zu farbigen Schatten, die eine pointillistische Wirkung hervorbringen. Durch die wandernden Schatten der Stränge, die den Baumschatten ergänzen, ragt die Installation derweil bei tiefstehender Sonne in die Kolonnen des Palais hinein (Abb. 2). Die Schatten der Brise Soleil an den Seitenbereichen bilden dabei zu farbigen Schatten eine starke Verbindung und greifen die architektonischen Gegebenheiten harmonisch auf.

Neben der wesentlichen Lichtgestaltung findet sich ein starker Bezug des Titels zu einem persönlichen Erlebnis der Künstlerin, die in einer anliegenden Videoprojektion präsentiert wird. Gegenüber dem Mangobaum stehen zwei weitere Bäume am Rand des Kieselbeets, die zugleich, aus einer bestimmten Perspektive, eine Rahmung auf die Szene der leicht wankenden blauen Elemente bilden (Abb. 4). An einem der Bäume (diagonal zum Mangobaum) wurden zwei Monitore übereinander justiert (ca. 38 Zoll). Tonlos, zeigt der obere Bildschirm in einer Aufnahme (7:17 Min) ein Haus am Rande einer Küstenklippe. Die Kamerabewegungen entsprechen einer Drohne, wodurch die Perspektiven von Zentral- bis hin zur Vogelperspektive fließend ineinander übergehen. Deutlich zu erkennen sind in dieser Aufnahme die Küstenlandschaft, alltägliche Szenen und ein gelbes Haus mit blauen Fenstern, Türen und Sonnenblenden sowie ein Reetdach. Der untere Bildschirm zeigt eine weitaus kürze Aufnahme (1:26 Min), welche die gleiche Küstenstelle zeigt, jedoch nach dem Ausmaß der Zerstörungen des Hurrikans Matthew, aus dem Jahr 2016. Betroffen war davon die Künstlerin selbst, deren erheblich zerstörtes Haus in der Aufnahme zu sehen ist.

Die beiden Videoclips sind darüberhinaus auf YouTube abrufbar und dokumentieren, welche zerstörerische Kraft mit einer solchen Naturkatastrophe einhergeht. Besonders in Haiti kam es 2016 zu einer hohen Anzahl an Todesopfern und Schäden, die bis heute nachwirken.5 Die blauen Elemente der Installation bilden eine direkte Verbindung zu Monnins persönlichen Erlebnis, indem sie den Farbton der Fenster, Türen und Sonnenblenden aus den Aufnahmen in die Installation überträgt.

Anhand dieser Verknüpfung wird deutlich, dass es sich nicht um eine bloße Installation handelt, die eine raumgreifende Licht-Schatten-Gestaltung annimmt, sondern ihre Aussagekraft mit einem konkreten Ereignis zusammenhängt. Die anfängliche Lotus-Form kann gleichermaßen als Sturm gedeutet werden, dessen Auge der Mangobaum bildet, während sich die Gegenstände von ihrer ursprünglichen Position losgelöst haben (Farbabdrücke) und nun schwebend in der Luft umherwirbeln. Dieses Motiv erschafft Monnin indem sie ihre Aufnahmen in die Installation unmittelbar miteinbindet. Sie formt auf diese Weise mit der Weiterverarbeitung ihrer Fenster, Türen und Sonnenblenden, die zerstörten und entkoppelten Gegenstände zu einer neuen Konstruktion. Doch diese Konzeption, die sich im Ausstellungskatalog der Dak’Art 2018 findet, trifft auf die Arbeit im Palais nicht vollkommen zu. Nicht nur die Farbigkeit entzieht sich der roten Stunden, sondern auch der Ursprung der blauen Elemente selbst.

Transformation

Aus einer persönlichen Korrespondenz mit der Künstlerin ging hervor, dass die blauen Originalteile ihres Anwesens es nicht nach Dakar geschafft hätten. Folglich entschied sich Monnin dafür, ihre erste Version neu zu interpretieren und mit Fundstücken aus Dakar zu arbeiten und das Konzept der Installation dem Ausstellungsort anzupassen. Dies erklärt die erkennbare Abweichung zur ersten Version im Katalog der Dak’Art 2018. Im Gegensatz zu den Originalteilen mussten die Fundstücke aus Dakar zusätzlich angepasst werden. Im Zuge dessen entschied Monnin den blauen Farbton für die Fundstücke anzuwenden, um eine konkrete Verbindung zur Videoprojektion herzuleiten (Abb. 5). Diese Abweichung bewirkt zwar, dass diese immediate Verbindung zwischen Gegenstand und Ereignis entkoppelt wird, jedoch dem Werk einen urbanen Bezug zu Dakar eröffnet. Der Leitgedanke, dass aus der Zerstörung etwas Neues entstehen könne, bleibt so dennoch erhalten. Mit dem Bezug zu einem Erlebnis und den beigefügten Uhren, lassen sich aus dem Motiv ferner die Dichotome Zerstörung und Wiederaufbau, Alt und Neu sowie Zukunft und Vergangenheit ableiten. Diese fügen sich augenscheinlich in die Bedeutungsebenen ein, während zugleich die Lotus-Form durch ihre harmonische Komposition eine positiv gewandte Interpretation von Zuversicht und Ausgewogenheit zulässt. Die Überwindung des Zerstörten sowie der Vergangenheit und die symbolische Rekonstruktion für die Veränderung, entspricht schließlich nichtsdestoweniger Njamis roter Stunde. Eine Form des unaufhaltsamen Aufbruchs, der eine Selbstbestimmung des Erlebten zulässt und ebenso Zuversicht begründet.

Abb.4.1.: Detail, Matthew, Pascale Monnin, 2018. Foto: Jasmin S. Hahn

Abb.5: Pascale Monnin, Matthew, 2018.

Die Besonderheit der Arbeit liegt klar in ihrer atmosphärischen und harmonischen Wirkung im Lichthof. Die erste Version war unmittelbar mit dem persönlichen Erlebnis und Besitz der Künstlerin verbunden, während die vom Erlebnis entkoppelten blauen Elemente bearbeitet wurden und dadurch zu einer neuen Szene der Veränderung und des Aufbruchs im Palais transformiert wurden. Die Installation greift nicht nur die architektonischen Gegebenheiten auf, sondern gleichermaßen die atmosphärische und die zeitliche Dimension des Palais als ein urbanes Gedächtnis, dass nun zu einer Ausstellungsplattform zeitgenössischer Kunst wurde. Die Funktion des Palais selbst wurde förmlich transformiert und aufgewirbelt, was ganz und gar der Atmosphäre auf der Dak’Art 2018 entsprach. So transformierte sich der Palais von einem formellen Ort hin zu einem neuen Gedächtnis zeitgenössischer Kunst aus Afrika und der Diaspora in einem repräsentativen Gebäude.

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Bibliografie:

*Césaire, Aimé

1 Njami, Simon (Hg.)/ Secréterait général de la Biennale de l’Art africain contemporain: L’heure Rouge. Une nouvelle humanité, Ausst.-Kat. Dakar, Ancien Palais de Justice, 03.05.2018 bis 02.06.2018, Dakar 2018, S. 39-45.

2 Ba, Mehdi: Sénégal : l’ancien palais de justice du cap Manuel transformé en salle d’exposition monumentale, in: Jeune Afrique, 11.10.2017, zuletzt aufgerufen am 29. September 2018, URL: https://www.jeuneafrique.com/mag/478935/culture/senegal-lancien-palais-de-justice-du-cap-manuel-transforme-en-salle-dexposition-monumentale/.

3 ebd.

4 Aufnahme Oben: Pascale Monnin, Titel: Port Salut La Maison avant l'ouragan Matthew, 7:17 Minuten, YouTube, zuletzt aufgerufen am 29. September 2018, URL: www.youtube.com/watch?v=3BU4Bq-O7Kg&t=8s.;

Aufnahme Unten:
Pascale Monnin, Titel: Port Salut La maison apres Matthew,1:26 Minuten, YouTube, zuletzt aufgerufen am 29. September 2018, URL: www.youtube.com/watch?v=jMhjbj_9kl0

5 Schadwinkel, Alina: Hurrikane Matthew. „Der heftigste Hurrikan seit zehn Jahren“, in: Zeit Online, 08.10.2018, zuletzt aufgerufen am 29. September 2018, URL: www.zeit.de/wissen/umwelt/2016-10/hurrikan-matthew-wetter-klima-klimawandel-stuerme-interview.

6 Email-Korrespondenz mit Pascale Monnin vom 21.09.2018.

Abbildungen:

Abb.1: François-Xavier Gbré, Salle des pas perdus, Palais de Justice, Cap Manuel, Dakar, 2014, URL: www.francoisxaviergbre.com/portfolio_page/palais-de-justice/, zuletzt aufgerufen am 29. September 2018.

Abb. 2: Jasmin S. Hahn, Vorhalle, Palais de Justice, Dakar, 2018.

Abb. 3: David Damoison, Matthew, Pascale Monnin, 2018.

Abb. 4: Jasmin S. Hahn, Detail, Matthew, Pascale Monnin, 2018.

Abb. 5: Pascale Monnin, Matthew, 2018.