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2016. Die Wiederverzauberung der Welt oder Simon Njami und die Ritter der Tafelrunde

Von Tanja-Bianca Schmidt

 

„Die Dekolonisation geschieht niemals unbemerkt, denn sie betrifft das Sein, sie modifiziert das Sein grundlegend, sie verwandelt die in Unwesentlichkeit abgesunkenen Zuschauer in privilegierte Akteure, die in gleichsam grandioser Gestalt vom Lichtkegel der Geschichte erfasst werden. Sie führt in das Sein einen eigenen, von den neuen Menschen mitgebrachten Rhythmus ein, eine neue Sprache, eine neue Menschlichkeit. Die Dekolonisation ist wahrhaft eine Schöpfung neuer Menschen.“1

Eröffnung der Hauptausstellung der 12. Ausgabe der Dakar Biennale im Ancien Palais de Justice, Senegal. Foto: Tanja-Bianca Schmidt.

Die Biennale DAK‘ART gilt als eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen auf dem afrikanischen Kontinent. Sie wurde 1989 initiiert und zeigt seit 1992 mit einer Spezialisierung auf zeitgenössische Kunst im zweijährigen Turnus aktuelle künstlerische Positionen von Künstler*innen aus Afrika und der Diaspora. Künstlerischer Leiter der 12. Ausgabe ist Simon Njami, Mitbegründer des einflussreichen Pariser Kunstmagazins „Revue Noire“ und international anerkannter Kurator. In einem wortgewandten kuratorischen Statement, das im Kontext der 4. Marrakesch Biennale 2012 veröffentlicht wurde, formuliert er unter dem Titel „The City in the Blue Day“ Strategien zur Dekolonisierung der Welt, die er 2016 in Dakar zur Anwendung bringt.2

Fünfzehn gleiche Töpfe bilden den Auftakt meines Ausstellungsbesuchs auf der 12. Dakar Biennale. Geschützt von einer aus weißen Reissäcken errichteten Mauer ruhen sie kopfüber auf einer leichten Erhebung aus Sand. Trotz einer Vielzahl möglicher Farben glänzen sie im Azurblau der UN-Friedenstruppen. Dieses Blau ist im gesamten Ausstellungsdisplay tonangebend und changiert zwischen Markenzeichen und Verbindungselement.

„La cité dans le jour bleu“ steht in azurblauen Buchstaben an der Fassade des Ancien Palais de Justice, dem ehemaligen Justizpalast am südlichsten Zipfel Dakars. Darüber hängt eine verwitterte Gebäude-Plakette, von der nur noch wenige Buchstaben erhalten sind. Dieser fast vergessene Koloss der afrikanischen Moderne wurde eigens für dieses Kunstspektakel zu neuem Leben erweckt. Die Monumentalität des Gebäudes scheint angemessen, um den Übergang in ein neues Zeitalter zu zelebrieren. Ein internationales Kunstpublikum ist Njamis Einladung ans Cap Manuel gefolgt, um der Wiederverzauberung der Welt beizuwohnen.

Beim Durchschreiten des Portals eröffnet sich mir eine ganz eigene Welt. Rund 60 Werke präsentieren sich in den frisch renovierten Gebäudeteilen; es ist eine bunte Mischung von unbekannten, meist jungen afrikanischen Künstler*innen und Stars der internationalen Kunstszene wie Kader Attia, Jean-Pierre Bekolo oder Tracey Rose. Ein gewaltiger Säulengang dominiert den Raum, in dessen Mitte sich ein Atrium befindet. Im Schatten eines großen Baums laden dort Sitzbänke zum Verweilen ein. In das Gebäude dringt wenig Tageslicht. Trotzdem sind nur vereinzelt die ausgestellten Arbeiten durch künstliches Licht in Szene gesetzt; die meisten Werke unterwerfen sich dem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht. Gekonnt nutzt Njami die architektonischen Besonderheiten des prestigeprächtigen Baus und hüllt die ausgewählten Kunstwerke in den Mantel der Verzauberung. Vor allem das Halbdunkel der Haupthalle ermöglicht ihm die Gestaltung einer außergewöhnlichen Kunsterfahrung. Anstatt die Werke gut ausgeleuchtet in einem White Cube zu präsentieren entscheidet er sich für eine Displaysituation, die die Performativität von Kunst hervorhebt; das sinnliche Erleben als Superlativ der Kunstrezeption.

„The Seeing Power“ – Hauptausstellung der 12. Ausgabe der Biennale DAK‘ART im Ancien Palais de Justice, Senegal. Foto: Marlene Genschel.

Einblick in die Hauptausstellung im Ancien Palais de Justice, Senegal. Foto: Tanja-Bianca Schmidt.

Ein betörender Gesang erfüllt den Raum. Von einem Strudel unbändiger Neugier mitgerissen beginne ich meinen Rundgang. Er gleicht einer schrittweisen Eroberung des Ortes, die durch kleine Akzentuierungen gelenkt wird. Die überlebensgroße Fotografie eines Pferdekopfes füllt die Wand einer unscheinbaren Nische. Ein  handbeschriebenes Blatt liegt leuchtenden chinesischen Schriftzeichen zu Füßen und entfaltet sich ungeschützt auf dem mosaikgefliesten Fußboden. Die multimediale Erzählung einer Migration stellt sich selbstbewusst meinem Blick und unaufhörlich erfüllt ein Stimmengewirr den Saal. Schon dieser erste Eindruck legt nahe, dass es weniger um die kontemplative Betrachtung des einzelnen Kunstwerks geht, als vielmehr um einen gemeinsamen Kunstgenuss, der durch das Gespräch begleitet wird.

Oben: „Je suis africain“ von François-Xavier Gbré, 2016, Installation, Mixed Media, Maße variabel. Foto: Tanja-Bianca Schmidt. Unten: Teilansicht von „La Radeau de la Meduse“ von Alexis Pekine, 2015, Installation, Mixed Media, Maße variabel. Foto: Jorinde Splettstößer.

Oben: Raumbezogene Arbeit des Künstlers von François-Xavier Gbré, 2016, gefundenes Material vom umliegenden Gelände. Unten: „Les rhizomes infinis de la révolution“ von Kader Attia, 2016, Installation, Mixed Media, Maße variabel. Fotos: Lisa Ness.

Während sich ausgewählte Videoarbeiten in die Intimität der angrenzenden Büroräume zurückziehen, vereinnahmen vier raumgreifende Installationen die Sitzungssäle im Erdgeschoß des imposanten Baus der späten 50er-Jahre. REVOLUTION steht in Großbuchstaben an der Stirnseine des Salle B. Der Boden ist übersät mit Geröll und roter Erde. Eine Schaufel mit azurblauem Kopf lehnt andächtig an der Wand. Unterhalb der Fensterbänder fordern Parolen in französischer Sprache indirekt den Aktivismus der Bürger*innen, während ein süßlicher Geruch unaufhörlich den Raum durchströmt.

In einem Durchgangsbereich, der das Hauptgebäude mit dem Seitentrakt verbindet, stehen baumgleiche Gerippe aus Metall. Vereinzelt hängen darin einige Steinschleudern, die auf den arabischen Widerstand verweisen. „The Endless Rhizomes of Revolution“ erzählt vom unerschöpflichen Keimen oppositioneller Kraft. In der oberen Etage, die von dort über eine Treppe zu erreichen ist, wetteifern die Kunstwerke um die Gunst meiner Aufmerksamkeit. In einer nahezu undurchschaubaren Logik werden Videoarbeiten, Zeichnungen und Fotografien von meist wenig bekannten afrikanischen Künstler*innen gezeigt und demonstrieren die Vielfalt des Kunstschaffens auf dem Kontinent und in der afrikanischen Diaspora. Entgegen den Vorurteilen internationaler Kunstkritik gibt es keine sichtbaren Differenzen zur Gegenwartskunst westlicher Künstler*innen und so entkräftet Njamis Auswahl von Künstlerpersönlichkeiten mit sehr unterschiedlichen Biografien den oft erhobenen Einwand, die Brillanz afrikanischer Künstler*innen läge einzig an ihrer privilegierten Ausbildung an nicht-afrikanischen Universitäten.

Folakunle Oshun, der mit „United Nations of Jollof“ die diesjährige Dakar Biennale einleitet und somit eine wichtige Funktion innerhalb der Ausstellungsdramaturgie einnimmt, hat sein Studium der Bildenden Kunst und der Kunstgeschichte an der University of Nigeria in Lagos absolviert. Während die exponierte Stellung des Werkes zum Ausdruck bringt, dass der Ort der Ausbildung keinesfalls ein angemessenes Bewertungskriterium für Kunst sein kann, offenbart ein Blick in die Biografie des Künstlers eine Praxis transnationaler und transkultureller Vernetzung. 2015 war Oshun im Rahmen eines curator-in-residence-Programms der Galerie Wedding unter anderem als Kurator in Berlin tätig.3

Die fehlende Infrastruktur für Kunst- und Kulturschaffende auf dem afrikanischen Kontinent ist problematisch, denn in vielen Teilen Afrikas verfügen Künstler*innen nicht über die nötigen staatlichen Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten um völlig unabhängig vom euro-amerikanischen Kunstbetrieb zu funktionieren. Vor allem im globalen Wettkampf um Aufmerksamkeit bestehen für Künstler*innen aus dem globalen Süden enorme Ungleichheiten in Hinblick auf Meinungsfreiheit, Ausbildung, staatliche Förderung oder eben den Zugang zu autoritativen Institutionen, die neue Kunst am Markt legitimieren.

Auch ihre Marginalisierung von Seiten des internationalen Kunstmarktes, der weitestgehend durch eine euroamerikanische Ausrichtung bestimmt wird, ist kritisch zu hinterfragen. Nicht selten geraten nicht-westliche Künstler*innen in die Falle des Ethnomarketings, um ihre Sichtbarkeit im internationalen Kunstmarkt zu garantieren. Vor diesem Hintergrund erscheint die 12. Ausgabe der Biennale DAK’ART als Aufruf, die gegenwärtige restriktive Kulturpolitik im Sinne einer globalen Perspektive auf Kunst zu verändern.

2016 steht die Biennale DAK’ART bekennenderweise im Dienst der Wiederverzauberung der Welt. In seinem Essay „La puissance voyante/TheSeeing Power“, das im aktuellen Ausstellungskatalog erschienen ist, fordert Njami vehement die vollständige Umwälzung des vorherrschenden Systems, das er für die „Funktionsstörung“ der gegenwärtigen Gesellschaft verantwortlich macht.5

Die Hauptausstellung „Réenchantments“ am Cap Manuel zeichnet sich durch eine besondere Beziehung zu Ort und Zeit aus. Mit dem Ort der Veranstaltung rekurriert Njami sowohl auf die Kulturpolitik des ersten senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor als auch auf die Idee der Weltgemeinschaft, die dort zuletzt 2004 Verbreitung fand. Im Rahmen der 6. Dakar Biennale zeigte der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist im Ancien Palais de Justice unter der Rubrik „Welt“ international etablierte Künstler*innen, darunter Doug Aitken, Rikrit Tiravanija und Carsten Höller. Die Internationalisierung der Einladungspolitik zugunsten der Überwindung geopolitischer Grenzen wird durch die Veranstaltung eines zweiten Rahmenprogramms im Musée Théodor Monod d’Art Africain (IFAN) unterstützt. Dort präsentieren im rückseitig gelegenen Neubau und in der ersten Etage des Haupthauses eingeladene Kuratoren aus Brasilien, Indien, Italien, Kamerun, Spanien und Südkorea eine Vielzahl künstlerischer Arbeiten.6 Thematisch kreist die Schau um Identität, Hybridität, Globalisierung und transnationale Verknüpfung. Obwohl die Auswahl der Beiträge an das asiatisch-afrikanische Staatenbündnis von 1955 erinnert, bezieht sich Njami mit dieser Ausstellung nicht nur auf die Bandung-Konferenz, sondern reformuliert die Idee einer Allianz im Sinne einer internationalen Gemeinschaft. Durch die Öffnung des Formats der Biennale DAK’ART erweitert er also das Anliegen bedeutender Biennalen und Ausstellungen, die im Kontext eines postkolonialen Emanzipationsbestreben veranstaltet wurden – darunter Premier Festival Mondial des Arts Nègres (1966), Festival Panafricain d‘Alger (1969), 3. Havanna Biennale (1989), The Short Century (2001), Afrika Remix (2004-2007), sowie die Biennalen in Bamako und Johannesburg. 50 Jahre nach dem Premier Festival des Arts Nègres dient die Veranstaltung einer Megaausstellung auf dem afrikanischen Kontinent nicht mehr der Präsentation eines genuin afrikanischen Kunst- und Selbstverständnisses; vielmehr ist sie ein Versuch, das Gespräch über die Zukunft Afrikas und der Welt auf dem Kontinent selbst zu verorten, mit dem Ziel sich aus dem Würgegriff postkolonialer Abhängigkeit zu befreien.7

Zurück zu den blauen Kochgefäßen. „United Nations of Jollof“ thematisiert die Bedeutung des Reisgerichts Jollof als Teil der westafrikanischen Identität; seine ländertypische Rezeptur und Zubereitung variiert je nach Region. Nach Angaben des Künstlers bezieht sich das Werk auf die Verpflichtung, das Nationalgericht als kulturelles Erbe zu bewahren und an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Gleichzeitig betont es die Macht der Solidargemeinschaft im Widerstand gegen die rassisierten Machtstrukturen modernistisch geprägter Weltsicht.

Oshun zitiert die Ästhetik der UN-Blauhelme und verweist damit auf das Ziel, Frieden nachhaltig zu installieren. Das Werk nimmt nicht nur farbig Bezug zur Ausstellung, sondern spiegelt als Allegorie der Gemeinschaft und des Widerstands gleich zweifach das Anliegen des Kurators.

Links: „United Nations of Jolof“ im Kontext der Ausstellung Wolof/Jollof im National Museum, Onikam in Lagos, Nigeria. Oben-rechts: Vorderansicht „United Nations of Jollof”, Mixed-Media-Installation, Maße variabel. Foto: Tanja-Bianca Schmidt. Unten-rechts: „United Nations of Jollof” Installationsansicht. Foto: Lisa Ness.

Njamis ambitioniertes Ziel ist die Vereinigung einer Interessengemeinschaft, die sich nicht mehr nur auf den afrikanischen Kontinent beschränkt, sondern sich zu einer globalen Bewegung ausweitet und Verbündete aus allen Teilen der Welt zusammenführt. Diesen Eindruck erweckt auch die Zweisprachigkeit der beiden Publikationen, die im Rahmen der 12. Biennale Dak’Art erschienen sind.

Die Idee der „Réenchantments“ wird von dem Glauben an die gesellschaftsverändernde Kraft der Kunst getragen. Mit dem Versprechen der Wiederverzauberung hat Njami verschiedene Teilnehmer*innen des internationalen „Kunstzirkus“ mobilisiert und an seinem „welcome table"in Dakar versammelt. Als Friedensbotschafter erteilt er Künstler*innen aus Afrika und der Diaspora das Wort und ermöglicht ihnen ein Gespräch auf Augenhöhe mit politischen Machthabern sowie internationalen und lokalen Kulturaktivisten.

Unbestreitbar ist zeitgenössische Kunst ein äußerst elitäres Gebilde. Doch zahlreiche Performances, Konzerte und Aktionen im Rahmen der 12. Biennale DAK’ART und ihrem Beiprogramm dienen dem Anspruch, die lokale Bevölkerung in das Gespräch über Kunst mit einzubeziehen. Neben der Präsentation zeitgenössischer Kunst und der Pflege und Erneuerung von Verbindungen ist dieser Megaevent vor allem dem sinnlichen Erleben von Kunst gewidmet. Auf der Agenda steht die Loslösung vom Diktat der Ratio, das seit der Aufklärung menschliches Denken und Handeln bestimmt. Dabei ist die Wiedererweckung von Faszination und Wunder das zentrale Anliegen Njamis, denn einzig darin sieht er die Möglichkeit der Bedeutungslosigkeit unserer Zeit zu entkommen.9

Mit der Verweigerung die Hauptausstellung in den musealen Institutionen der Stadt zu zeigen, bündelt Njami die gesamte oppositionelle Kraft des Biennale-Formats. Gleichzeitig knüpft er damit an eine gängige Praxis im internationalen Ausstellungs- und Biennalebetrieb an, die tradierte Sehweisen und bestehende Wissensdiskurse zu überwinden sucht. Der Ancien Palais de Justice als Ausstellungsort gewährt ihm die Freiheit mit verschiedenen Rezeptionsbedingungen zu experimentieren. Um den ausgestellten Kunstwerken eine große Ausdrucksfreiheit zu gestatten, entscheidet er sich letztlich für ein Ausstellungsdisplay, das sich der kontemplativen Kunstbetrachtung widersetzt und der Betrachter*in durch eine Vielzahl an Sinneseindrücken einen Erfahrungsrausch beschert, der nicht rational zu begreifen ist. Indem er die Ästhetisierungs- und Standardisierungspraxis des Establishments auf den Kopf stellt, rückt er die soziale Relevanz von Kunst in den Fokus der Betrachtung. Dabei ist die Ausstellung keineswegs didaktisch, sondern durch die Vielseitigkeit ihrer Rezeptionsangebote geprägt.

Im Gewand des Uneindeutigen artikuliert die njamische Schau alternative Formen der Geschichtsschreibung und wird so zu einem Aufbegehren gegen die Homogenisierungstendenzen des internationalen Kunstbetriebs. Der ghanaische Künstler Poku Cheremeh beispielsweise greift die Bildtraditionen der niederländischen Genremalerei auf und überführt die vermeersche Milchmagd in die Alltagswelt einer afrikanischen Köchin. Aber nicht nur die Übersetzung eines bekannten Sujets, sondern auch der Wechsel des Genres von der Malerei zur Fotografie verunsichern ein geschultes westeuropäisches Bildgedächtnis, das die Bilder problemlos einzuordnen glaubt. Zudem wird die Originalität eines Bildrepertoires in Frage gestellt; bestehende Wissensanordnungen werden irritiert und die eigene Position hinterfragt.

Links: Jan Vermeers „Dienstmagd mit Milchkrug", 1658-1660, Öl auf Leinwand, 45,5 x 41 cm, Rijksmuseum, Amsterdam. Rechts: „Sans titre“ von Poku Cheremeh, 2015, inszenierte Fotografie, 46 x 41 cm.

Ähnlich wie die gemeinsame Mahlzeit vermittelt die Ausstellung Formen des Sozialen. Souverän und siegessicher proklamiert Njami seine Utopia – eine Welt des Zaubers und der Mystik. Seine Nähe zum Kunstschaffen auf dem afrikanischen Kontinent und sein Wissen um die Eigenheiten des internationalen Kunstbetriebs  gestatten ihm einen Raum zu entwerfen, der das offene, gleichberechtigte Gespräch über Kunst, Kultur und Gesellschaft ermöglicht. Offenbar glaubt er an die vereinende Kraft zeitgenössischer Kunst als gemeinsame Sprache einer globalen Welt und erreicht gerade dadurch eine Dimension des Sozialen, die die ungleichen Machtverhältnisse der Welt überwinden kann.

„Say it Loud“, Installation im RAW Material, Dakar, anlässlich der 12. Dakar Biennale 2016. Foto: Lisa Ness.

Die 12. Ausgabe der Biennale DAK’ART ist die ultimative Verlautbarung eines universellen Mitgestaltungsrecht. „La cité dans le jour bleu“ ist der Übergang in eine neue Weltordnung: die beginnende Befreiung aus den Fesseln der Aufklärung, die unaufhaltsame Emanzipation Afrikas. Und sie ist das Angebot eines Bündnisses, das allen Widerständen zum Trotz eine friedvolle und gerechte Welt erbauen kann. Amandla! Ngawethu! – Power! To the people!10

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Anmerkungen:

1Frantz Fanon : Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main, 1966.

2Simon Njami (2012): The City in the Blue Day, in: Carson Chan und Nadim Samman (Hg.): Higher Atlas/Au-Delà de L’Atlas – The Marrakesch Biennale [4] in Context, Berlin 2012.

3http://galeriewedding.de/curators-residency-berlin-lagos/ [letzter Zugriff: 15.3.2017].

4Annette Schemmel: Indépendance oder Interdependenz. Gefunden in: https://www.boell.de/de/navigation/afrika-afrikanische-kunst-nach-unabhaengigkeit-10563.html [letzter Zugriff: 23.03.2017]

5Simon Njami (2016a): La puissance voyante/The Seeing Power. In: Réechantments. The City the Blue Daylight. Volume I, Dak’Art 12, May/June 2016, Bielefeld und New York: 22, 26.

6Commisaires invites/Invited curators. In: Contours. The City in the Blue Daylight. Volume I, Dak’Art 12, May/June 2016, Bielefeld und New York, 2016: 84-163.

7Simon Njami (2016a): 36. Siehe auch: Simon Njami (2011): Imagined Communities. In: African Identities 9.2 (2011): 197-203. Web [Download: 28. Juni 2016]. Hier sei darauf verwiesen, dass der Begriff „postkoloniale Abhängigkeit“ die Auswirkungen des Kolonialismus sowohl auf Seiten der Kolonisierten als auch der ehemaligen Kolonialstaaten beschreibt. Darüber hinaus ist der Kolonialismus ein Symptom der modernistisch geprägten Weltanschauung, die sich im Zuge der Aufklärung im globalen Norden etabliert hat.

8Simon Njami (2016b): Mediations. In: Contours. The City the Blue Daylight. Volume I, Dak’Art 12, May/June 2016, Bielefeld und New York, 2016:14-47.

9Simon Njami (2016a): 39-40.

10Amandla! Ngawethu! ist eine politische Grußformel der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika.