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2016. (P) residant - Ceci n'est pas un phoenix!

Von Marlene Genschel

 

Die Arbeit (P) residant des französisch-beninischen Künstlers Fabrice Monteiro war Teil der internationalen Ausstellung Reenchantments: The City in the Blue Daylight der Dak’art 2016, die vom 3. Mai bis zum 2. Juni 2016 in Dakar, Senegal, stattfand.

Die von Simon Njami kuratierte Ausstellung im ehemaligen Justizpalastes von Dakar, hätte keinen passenderen Titel tragen können: Bis zum Tag der Eröffnung konnte sich niemand vorstellen, wie in dem alten und baufälligen Gebäude tatsächlich die Werke von 66 KünstlerInnen ausgestellt werden könnten. Umso überraschender gestaltete sich letztendlich das Ergebnis: Komplett entrümpelt, gesäubert und aufgearbeitet bot der Innenraum des Palastes einen überwältigenden Eindruck. Die Arbeiten der KünstlerInnen verteilten sich weitläufig über die zwei Etagen des Hauptgebäudes und auf zwei Nebengebäude.

Oben: Ehemaliger Justizpalast, Dakar,

Unten: Dak'Art 2016 International Ausstellung, Ehemaliger Justizpalast, Dakar, Fotos: Marlene Genschel.

 

Im Hauptgebäude befanden sich die alten Gerichtssäle, die noch mit SAAL A, B, C und D betitelt waren und jeweils mit Rauminstallationen bespielt wurden. In einem dieser Räume, dem SAAL B, befand sich Fabrice Monteiros Arbeit (P) residant.

Bereits mit dem Titel der Arbeit, der sich aus den Wörtern „Président“ (Deutsch: Präsident) und „résidant“ (Deutsch: ansässig) zusammensetzt, verweist der Künstler auf die grundlegende Thematik der Installation: Die anhaltenden Machtzustände, -beziehungen und -strukturen in weiten Teilen des postkolonialen Afrikas. Über schmale Durchgänge gelangten die BesucherInnen in den SAAL B, der wie auch der Rest des Palastes in seiner ursprünglichen Form erhalten war. Beim Eintreten in die Installation wurde der erste Blick unmittelbar auf ein Podest gelenkt, das den hinteren Teil des Raumes einnahm und auf dem sich zentriert ein überdimensionaler goldener Thron befand.

Oben: Fabrice Monteiro (P) residant, mixed-media Installation, Dak’art 2016, Fotos: Lisa Ness.

Unten: Fabrice Monteiro (P) residant, mixed-media Installation, Dak’art 2016, Foto: Jorinde Splettstößer.

 

Dieser Thron, ein augenscheinlicher Bezug zu Jean-Bédel Bokassas Krönung im Jahr 19771 in Zentralafrika, glich dem Original in verblüffendem Maße und wies dennoch einen gravierenden Unterschied auf: Bokassa hatte sich seinen Thron in Form eines überdimensionalen majestätischen goldenen Vogels entwerfen lassen, welchen Monteiro in seinem Nachbau ad absurdum führte und durch die Form einer Taube ersetzte. Dieses Spiel mit Symboliken zeigt sich auch im Untertitel der Arbeit Ceci n’est pas un phoenix (Deutsch: Dies ist kein Phoenix). Mit diesem Verweis negierte Monteiro bewusst eine vermeintliche Fatalität, die sich für viele afrikanische Länder aus oft lange Zeit fortbestehenden oder sich wiederholenden Machtstrukturen einer „Bad Governance“ ergibt.

In der Mitte des Raumes war ein Besucherbuch auf einem goldenen Ständer positioniert, das die BesucherInnen einlud, ihre Gedanken aufzuschreiben. Unter dem Buch führte ein roter Teppich über drei Treppenstufen bis zum Thron. Die hintere Wand des Podests war teilweise durch roten Stoff verkleidet. Rund um den Thron waren gleicher Stoff sowie grüne und weiße Geldscheine aus Papier drapiert.

Die linke Wand des Saals war von fensterähnlichen Mauerdurchbrüchen durchzogen, durch die der Raum von Tageslicht erhellt wurde. Darunter befanden sich vier großformatige Fotografien. Auf allen war zentral derselbe taubenförmige Thron abgebildet und auf diesem jeweils ein anderer Mann, als Staatsoberhaupt kostümiert und zusammen mit verschiedenen Gegenständen wie beispielsweise Plastikspielzeug und Süßigkeiten, inszeniert. Auf einer Fotografie fanden sich ebenfalls die grünen Papiergeldscheine wieder. Von links nach rechts trugen die Fotografien die Titel Président Fondateur, Guide Suprême, Père de la nation und Grand Timonier. Obwohl die abgebildeten Personen in ihrer Darstellungsform spontane Assoziationen beziehungsweise Rückschlüsse auf reale afrikanische Diktatoren zuließen, erweckten sie dennoch den Eindruck des Universellen und Stereotypen. 

Oben: Fabrice Monteiro (P) residant, mixed-media Installation, Dak’art 2016,

Unten: Fabrice Monteiro (P) residant, mixed-media Installation, Dak’art 2016, Fotos: Lisa Ness.

 

Über die gegenüberliegende rechte Wand zogen sich Graffitis in roter, blauer und gelber Farbe. Neben Schriftzügen wie Street-Art Dakar fand sich hier auch noch einmal sehr zentral der Titel der Arbeit (P) residant. Die ganze Szenerie war von einer Soundinstallation unterlegt, in der sich unterschiedliche Sprachen und Stimmen aneinanderreihten und in ihrem Klang an militärische Reden erinnerten.

Die Komplexität der Installation schuf durch das Zusammenspiel dieser sechs Elemente in Kombination mit dem einfallenden Tageslicht, das den Farben und der Architektur des Raums einen unwirklichen Glanz verlieh, eine besondere Wirkungsästhetik. Sie vermittelten den BesucherInnen den Eindruck, sich in einer Zwischenrealität zu befinden, was durch die Vielzahl der Themen und die Rückbezüge auf die Zeigeschichte des Kontinents, die Monteiro in seiner Installation auf künstlerische Weise miteinander in Beziehung setze, noch verstärkt wurde.

Fabrice Monteiro, der als Sohn einer französischen Mutter und eines beninischen Vaters in Benin aufwuchs, ging mit 20 Jahren nach Europa um dort Industrial Engineering zu studieren. Er wurde als Model entdeckt und kam so erstmals mit der Fotografie in Kontakt. Diese bedeutete für den Künstler lange Zeit in erster Linie Mode-Fotografie und er begann nicht mehr nur vor, sondern auch hinter der Kamera zu arbeiten. Die folgenden 15 Jahre lebte Fabrice Monteiro zwischen Europa und den USA. Dabei beschäftigte er sich stets mit Themen wie zum Beispiel der Globalisierung und die Beziehung zwischen dem europäischen und dem afrikanischen Kontinent, sowie mit Recherchen zur Geschichte Afrikas. Von dem Wunsch geleitet, mehr von sich und seinen Überzeugungen in sein künstlerisches Schaffen einfließen zu lassen, kehrte er vor fünf Jahren nach Westafrika zurück und machte mit Arbeiten wie zum Beispiel Vues de l'esprit im Off-Programm der Dak’art 20142 oder mit Projekten wie The Prophecy3 (2015) international auf sich aufmerksam. Seine bisherigen Arbeiten ließen sich stets zwischen den Bereichen des Fotojournalismus und der Mode-Fotografie eingliedern und bestachendurch die Inszenierung einzelner Personen, wobei sich der Künstler höchst expressiver Mittel wie starker tonaler Kontraste und einer sehr klaren Bildsprache bediente.

Vor diesem Hintergrund interessierte mich nun 2016 insbesondere die Entstehung der Arbeit (P) residant, ihre Hintergründe, und es stellte sich mir die Frage, wie sich der Wandel von seiner sehr speziellen Art der Fotografie hin zu dieser Form von Installationskunst vollzogen hatte. Sehr spontan bot sich mir die Möglichkeit, Fabrice Monteiro direkt im SAAL B zu einem Interview zu treffen. Mit leichter Verspätung und in lockerer Freizeitkleidung erschien er zu unserem Termin und erwies sich als unkonventioneller und souveräner Gesprächspartner, der mir detailliert sowohl den Entstehungsprozess, als auch die komplexen historischen und politischen Hintergründe seiner Arbeit erläuterte.

Fabrice Monteiro im SAAL B des ehemaligen Justizpalastes, Dakar am 15. Mai 2016, Videostill.

 

Marlene: Als ich diese Installation am Tag der Eröffnung erstmals betrat, habe ich nicht sofort realisiert, dass es Deine Arbeit ist. Die Beschilderung zu vielen Arbeiten und Installationen waren noch nicht fertig, auch diese war noch nicht beschriftet. Ich dachte eigentlich, Deine Arbeiten aus den letzten Jahren gut zu kennen, aber wenn ich den Namen Fabrice Monteiro gehört habe, habe ich an Fotografie, Mode und diese sehr ausdrucksstarken Bilder und Porträts gedacht. Ich hätte niemals erwartet, dass diese Installation tatsächlich Deine Arbeit ist und war erst einmal sehr überrascht, als ich es erfahren habe. Deshalb ist für mich unter anderem die Frage spannend, wie und warum der Wandel von Deiner Art der Fotografie zu dieser Form der Installationskunst stattgefunden hat, welcher Prozess und welche Geschichte hinter dieser Arbeit steht. Dabei ist in Bezug auf diese Biennale z. B. die Frage interessant, ob Du Dir den Raum ausgesucht hast oder ob er Dir zugeteilt wurde.

Fabrice: Diese Arbeit ist nicht direkt für die Biennale entstanden. Ich habe mich stets mit der Beziehung zwischen europäischen Ländern und ihren alten Kolonien beschäftigt und mit diesem Projekt bereits vor zwei Jahren begonnen. Ausschlaggebend war die Situation in Burundi, als Pierre Kurunziza, ehemaliger Präsident des Landes, nach zwei Amtszeiten versucht hat, verfassungswidrig weiterhin an der Macht zu bleiben und dafür bereit war, auch Massaker an seinem Volk auszuüben. Das kennen wir bereits aus der Geschichte Afrikas.

Ich hatte noch keine Vorstellung davon, wie sich die Arbeit letztendlich gestalten würde, sondern habe mir einfach Fragen gestellt: Wo stehen wir nach 60 Jahren kolonialer Unabhängigkeit? Was ist die Entwicklung dieses Kontinents und wo wird sie uns letztendlich hinführen? Diese Gedanken wollte ich mit den Menschen teilen. Zu der Zeit wusste ich also noch nicht, dass die Biennale hier in dem alten Justizpalast stattfinden würde. Aber glücklicherweise lebe ich in Dakar und als Simon Njami begann, die Biennale hier vorzubereiten und ich zum ersten Mal diesen Raum, den Saal B, gesehen habe, habe ich begriffen: Dieser Platz ist für mein Vorhaben perfekt und passt gut zu der Thematik der Biennale. Diese postkoloniale Architektur des Gebäudes, die sehr typisch ist und die man überall an der Elfenbeinküste, in Benin, in allen Westafrikanischen Ländern finden kann und die einfach sehr spezifisch ist – ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, es ist post-modern aber ebenfalls sehr klassisch – in der Hinsicht war der Raum also optimal. Dazu kommt der Fakt, dass es sich um einen ehemaligen Gerichtsraum handelt, was für mich einfach großartig war, um dieses Projekt zu realisieren und die Menschen einzuladen, diese Arbeit mit mir zu teilen.

Marlene: Schlussendlich hast Du diese sechs Elemente, die hier in Deiner Installation zusammenwirken und diese sehr starke Wirkungsästhetik kreieren: Den Thron, die Fotografien, die Graffitis, die Soundinstallation, die Geldscheine aus Papier. Und natürlich den Ort, also den Gerichtssaal an sich, der für Dich ausschlaggebend war, um eine konkrete Idee zu bekommen, wie Du die Arbeit realisieren willst. Und durch den die Menschen sogar ganz wörtlich in Deine Arbeit eintreten können.

Fabrice: Ja genau, die Menschen können direkt eintreten! Hier ging alles zusammen: Die Geräuschkulisse, der Fakt, dass es sich um einen ehemaligen Gerichtssaal handelt, der Fakt, dass ich in diesem Tribunal Graffitis machen konnte – wenn man sich all die alten Paläste der ehemaligen Diktatoren wie z. B. Mobutu ansieht, ist in ihnen heute nichts mehr geblieben außer den Graffitis, die die Menschen hinterlassen haben, die kamen um die Gebäude zu plündern. Ich war sehr glücklich über diese Symbolik, die ich hier finden konnte.

Marlene: Du hast also einige der Graffitis hier bereits vorgefunden und sie nicht alle selbst gesprayt, richtig? Ich sehe hier zum Beispiel „Street Art Dakar“ und so weiter…?

Fabrice: Ja genau, vieles war schon hier, wie z. B. einige der Graffitis. Ich habe den Raum zu aller erst einmal „reaktiviert“, ihn gereinigt – hier lag mindestens 10 cm dick Dreck und Müll auf dem Fußboden. Simon sagte zu mir: „Der Raum ist Deiner, mach was immer du daraus machen willst!“ und es war großartig, den kompletten Raum zu erobern und eine unglaubliche Chance für mich!

Marlene: Der Titel der Arbeit ist eine Mischung aus den Wörtern „Président“ und „résidant“, also ein Verweis auf anhaltende Machtzustände und Beziehungen und die grundlegende Thematik der Installation. Der Untertitel der Arbeit Ceci n’est pas un phoenix bezieht sich augenscheinlich auf den Thron in Form einer Taube und damit auch auf die Krönung Bokassas. Die Ähnlichkeiten zwischen seiner Krönung und Deiner Installation sind wirklich unglaublich. Aber mir ist nicht ganz klar, warum Du speziell die Taube gewählt hast. Die Taube steht metaphorisch für so viele Dinge… Auf welche Symbolik beziehst du Dich also mit Deiner Wahl?

Fabrice: Ja, ich war von Bokassas Krönung in Zentralafrika 1977 inspiriert. Bokassa, der ein großer Fan Napoleons war, wollte dort die Autokratie des Empires erlangen und eine Krönung, die noch besser war als die Krönung Napoleons. Deshalb ließ er sich diesen Thron entwerfen. Dadurch, dass ich in meiner Installation die Form der Taube verwende, wird die Symbolik jedoch grundlegend verändert. Es gibt eine Entsprechung im Französischen: „être pris pour un pigeon“ (Deutsch: Von jemandem zum Narren gehalten werden) und darin sind hier zwei Bedeutungen enthalten:

Die meisten afrikanischen Diktatoren wurden von den ehemaligen Kolonisatoren, in diesem Falle Frankreich, bei der Machtergreifung unterstützt. Sie wurden seit der Unabhängigkeit manipuliert und in Abhängigkeit gehalten, so dass die ehemaligen europäischen Mächte auch lange Zeit nach der Dekolonisierung noch über die Ressourcen in ihren ehemaligen Kolonien verfügen konnten. Im Gegenzug dazu unterstützen sie die neuen Führungskräfte in ihrem Streben nach absoluter Macht und der Umsetzung ihres Größenwahns. Indem ich sage „das ist kein Phoenix“ spreche ich die Menschen auf diesem Kontinent an und hebe damit hervor, dass die Situationen, die wir noch heute in Ländern wie dem Kongo, dem Tschad oder Burundi vorfinden, keine Unabwendbarkeit darstellt. Es ist keine Fatalität für Afrika und wir müssen nicht die Narren dieser Narren bleiben. Deshalb habe ich diese Phrase „Ceci n’est pas un phoenix“ benutzt. Und es ist ebenfalls ein Tribut an die junge Generation – wenn man sich zum Beispiel Burkina Faso anschaut, wo die jungen Menschen den Diktator entmachtet haben – es gibt viele Momente in Afrika, in denen die jungen Menschen sich über das, was hier passiert, immer bewusster werden und wirklich Teil der afrikanischen Zukunft werden und sie aktiv mitbestimmen wollen. Das war ein Weg für mich um zu sagen: Dinge ändern sich. Dinge ändern sich ganz sicher!

Marlene: Kommen wir zu den Fotografien: Wenn ich sie mir ansehe, dann assoziiere ich sie automatisch mit bestimmten historischen Personen. Aber im gleichen Moment vermitteln sie mir den Eindruck des Universellen, von Stereotypen. Was genau war Deine Intention, als Du diese Bilder inszeniert hast? Was wolltest Du mit und auf ihnen ausdrücken?

Fabrice: Ich habe mit den Porträts versucht, die vier „Kostüme“ der Macht darzustellen. Auf Président Fondateur hat man das Klassische, den [europäischen, Anm. der Verf.] Anzug und das gesamte Kostüm. Auf Guide Suprême sieht man das traditionelle Kostüm, also Boubous und so weiter. Grand Timonier zeigt das militärische Kostüm und auf Père de la nation findet sich das „Original“. Dieses wird für mich am deutlichsten von Mobutu repräsentiert. Mobutu war, als er an die Macht kam, gegen jegliche Form der europäischen „Verkleidung“ und Kostüme. Also hat er seine eigene Uniform kreiert, die er „Abacost“ nannte, was im französischen „à bas le costume“ [also im Deutschen so viel wie „Nieder mit dem [europäischen, Anm. der Verf.] Anzug“] bedeutet. Und daraus entstand letztendlich die Bewegung der Vorstädte, die wir aus Kongo-Brazzaville und Kinshasa kennen. Die Inszenierung dieser Porträts war für mich eine Möglichkeit, die vier „Stereotypen“ des afrikanischen Diktators zu definieren.

Marlene: Der Raum ist von einer Soundinstallation unterlegt. Worum genau handelt es sich hierbei? Es klingt wie militärische Reden, in unterschiedlichen Sprachen ­– aber ich kann es nicht klar zuordnen.

Fabrice: Es sind verschiedene Reden von verschiedenen afrikanischen Diktatoren, wenn man das so sagen kann. Historisch beginnt der Loop in den ersten Jahren der Unabhängigkeit, als die Regime die Macht übernahmen. Wir haben ja bereits darüber gesprochen: Sie erhielten die Supermacht, wurden fanatisch und größenwahnsinnig. Aber im Verlauf der Aufnahme kann man quasi hören, wie der Thron zu wackeln beginnt und von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende die Entwicklung, also den Prozess, nachvollziehen. Insgesamt ist die Aufnahme acht Minuten lang. Sie beginnt mit Bokassa am Tag seiner Krönung in Zentralafrika und endet mit Mobutu an dem Tag, an dem er seine Macht abgibt und das Mehrparteiensystem im Kongo anerkennt.

Marlene: Rund um den Thron lagen am Tag der Eröffnung noch Papiergeldscheine…

Fabrice: Ja, eigentlich sollen dort rund um den Thron Geldscheine aus Papier liegen. Aber sie werden immer mitgenommen. Sogar die, die ich hier aufbewahrt habe sind mittlerweile nicht mehr da. Sehr ärgerlich! (lacht)

Ein Teil dieses Kontinents hat noch heute den CFA-Franc als Währung, was [früher, Anm. der Verf.] wörtlich übersetzt „Franc de la Colonie d'Afrique“4 bedeutet. Wir haben also 60 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch die Situation, dass die ehemaligen Kolonien keine finanzielle und wirtschaftliche Autonomie besitzen. Aber wenn Dir Dein Geld nicht gehört, gehört Dir auch Dein Land nicht! Und um den Bogen zu schließen: Ich habe versucht, über die vier Fotografien viele Fragen zu transportieren. Über die Konsequenzen von Supermächten und ihren Wandel. Aber es sind ebenfalls Fragen über den Einfluss von außen, den Einfluss des„Okzident“. Hier ist das in den meisten Fällen noch Frankreich, da es hauptsächlich französische Kolonien in Westafrika gab. Ich beziehe mich im übertragenen Sinne also auf die Nichtachtung der heutigen Verfassungen, auf die illegale Bereicherung, durch die der Bevölkerung ihr Geld gestohlen wird. Auf andauernde Vetternwirtschaft und Klientelismus in Politik und Wirtschaft. Ich beziehe mich auf Korruption und das System der „Spende“ und Geldzuwendungen von Seiten der europäischen Länder. Ich wollte diese ganzen Dinge in Frage stellen: Ist das eine gute Sache oder ist es eine schlechte Sache? Wird mit diesem System der finanziellen Zuwendung und Entwicklungshilfe die afrikanische Bevölkerung vom Westen noch heute in Abhängigkeit gehalten oder erhält sie durch diese tatsächlich mehr Freiheiten? Also habe ich Geld entworfen, das auf Monopoly-Geldscheinen basiert und es stattdessen Afropoly genannt. Weil es das ist: Ein riesiges Spiel der Manipulation und geteilter Kontrolle, das sich seit Jahrzehnten wiederholt bzw. fortgeführt wird.

Und ich glaube wirklich, dass wir nun an den Punkt gelangt sind, an dem es keinen Weg mehr aus dem Spiel gibt. Wir müssen alle zusammenarbeiten: Der Norden und der Süden. Ich meine, Du kannst nicht einfach das Spiel manipulieren und dann keine Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen. Heute weiß die afrikanische Bevölkerung, dass der Reichtum und das Geld Europas zu großen Teilen aus Afrika kommen. Und wenn sich der globale Blick aufeinander nicht verändert, wenn wir uns nicht vereinigen und zusammenarbeiten, dann werden wir niemals einen Weg aus dem Ganzen finden. Heute, auf dem Höhepunkt der Globalisierung, wird die Umwelt zum Spiel und wir realisieren zunehmend, dass die Art wie wir leben, diese Form des Ultra-Kapitalismus und des absoluten Konsums, uns nirgendwo hinführt. Die Menschen können darin nicht glücklich werden, es ist einfach nicht die Essenz des Lebens.

All diese Aspekte kommen in der Installation zusammen und die Arbeit stellt die zentrale Frage: Wo stehen wir jetzt? Diese Frage kann niemand allein beantworten, deshalb ist es mir wichtig, Brücken zu bauen. In all meinen Arbeiten. Ich mache mir über die Gesamtheit der Menschheit Gedanken und möchte mit meiner Kunst einen globalen Austausch und eine Zusammenarbeit fördern!

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Anmerkungen:

* Die hier getroffenen Aussagen entstammen zum allergrößten Teil der Video-Aufzeichnung des von mir mit Fabrice Monteiro geführten Interviews am 15. Mai 2016 in Dakar. Einige wenige Informationen habe ich einer späteren E-Mail-Korrespondenz zwischen mir und dem Künstler entnommen und sinnstiftend ergänzt. Alle Aussagen, sowohl mündlich als auch schriftlich, wurden von mir aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

 

1. Vgl. den Dokumentarfilm von Thierry Ippolito "Die Kaiserkrönung von Bokassa 1977" aus der ARTE-Serie Verschollene Filmschätze https://www.youtube.com/watch?v=XH80VcRkLQU (Letzer Abruf 5.10.2017).

 


2.

Fabrice Monteiro, zwei Porträts aus der Arbeit Vues de l'esprit, Off- Sammelausstellung der Galerie Cécile Fakhoury - Abidjan, Foundation Total Sénégal, Dak’Art 2014, Foto: Marlene Genschel.

 

3.

Siehe: The Prophecy, Fabrice Monteiro 2015: http://fabricemonteiro.viewbook.com/

 

4.

Ergänzend: Mittlerweile wurde die Währung offiziell in CFA-Franc BCEAO (Franc de la Communauté Financière d'Afrique) umbenannt, was an den Machtverhältnissen und der Tatsache, dass der Währungskurs noch heute in und von Frankreich bestimmt wird, jedoch nichts ändert.