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2012. Zur Internationalen Ausstellung der 10. Dak’Art

von Judith Kirchner

Der Lärm von Autohupen lässt die meisten Besucher_innen der Dakar Biennale noch vor dem ersten Schritt in das Musée Théodore Monod in Dakar zusammenzucken. Laut, aufdringlich und chaotisch dröhnt das Getöse durch die Wände des weißen Containers auf dem Museumsgelände, das dieses Jahr die Internationale Ausstellung der Dak’Art beherbergt. Das, was hier nicht zu überhören ist, ist die Installation Horn Orchestra (2009) von Younes Baba- Ali. Zehn Autohupen hängen nebeneinander und vorerst still von der Decke. Ihr Sound kann jedoch jederzeit von Besuchenden durch Bewegungsmelder ausgelöst werden. Die Hupen durchbrechen mit ihrem Spontan-Konzert blitzartig die Stille in dem eigens für sie geschaffenen Raum.Der junge Künstler Baba-Ali ist einer von den Künstler_innen, die für die Internationale Ausstellung der diesjährigen Biennale ausgewählt wurden. Zwischen zahlreichen Veranstaltungen des OFF-Programms, die das Kunstpublikum während der Biennale in Dakar in ständiger Bewegung halten, ist die Internationale Ausstellung der Kern der Biennale. Sie verspricht, den an die Biennale gestellten Ansprüche gerecht zu werden. Das Ausstellungs- Team spricht von der Repräsentation der künstlerischen Produktion eines ganzen Kontinents (und über dessen Grenzen hinaus), möchte bekannte sowie unbekannte Künstler_innen vorstellen und die unterschiedlichen Medien und Weltansichten der Kunstschaffenden ausstellen. Dafür wählten Christine Eyene, Nadira Laggoune und Riason Naidoo aus über 300 Bewerbungen innerhalb von drei Tagen die Arbeiten von 42 Künstler_innen aus. Ausgehend von den eingesandten Arbeiten und in Anlehnung an die bewegten Monate und politische Instabilität, die der Biennale in vielen Teilen des Kontinents vorausgingen, entschieden sie sich für das Thema Contemporary Creation and Social Dynamics, das abschließend die inhaltliche Klammer für die getroffene Auswahl lieferte.Auch wenn der Titel großen inhaltlichen Spielraum und damit gleichzeitig wenig Orientierung bot, wurde er bei Baba-Alis Horn Orchestra außerordentlich produktiv. Die Arbeit ließ die Besucher_innen mit den Mitteln der (technischen) Intelligenz am eigenen Leib spüren, wie schmal der Grat zwischen Ordnung und Chaos, Erwartetem und Unerwartetem tatsächlich ist.

 

 Laura Nsengiyumva, 1994, 2011, Videoinstallation (Still), Foto: Judith Kirchner

 

Ähnlich beeindruckend, aber mit dem Mittel der fast unerträglichen Stille, thematisierte die Videoinstallation von Laura Nsengiyumva 1994 (2011, Abb.1) die Zeit des Genozids in Ruanda. Sie stellte einem Sofa für Besucher_innen einen Bildschirm gegenüber. Dieser zeigt eine belgische Familie mit ruandischem Hintergrund. Sie sitzen auf einem Sofa in ihrem Wohnzimmer und schauen fern. Aus der Perspektive des imaginierten Fernsehers aufgenommen, sitzen sie den Besucher_innen der Ausstellung stumm und mit leeren Blicken direkt gegenüber. Im ständigen Wechsel der Rolle von Beobachteten und Beobachtenden überträgt sich die bedrückende Stille auf die Besucher_innen der Ausstellung, die einer nervösen Unruhe jedoch jederzeit nachgeben und sich der Situation wieder entziehen können.

 

Katia Kameli, Untitled,2011, Video (Still), Foto: Judith Kirchner

 

Auch Katia Kamelis Videoarbeit Untitled (2011, Abb.2) arbeitet mit der Imagination des Publikums. Sie zeigt eine stille Demonstration von Frauen, die leere Plakate aus Karton in den Händen halten, anstatt von dem typischen Lärm und den Slogans der Revolutionen begleitet zu sein. Diese Leerstellen sind hier jedoch nicht nur Projektionsfläche, sondern auch Gegenstand von Untitled. Mittels der stummen Demonstrantinnen und ihren leeren Plakaten stellt Kameli die Programme und Inhalte der Revolutionen des arabischen Frühlings in Frage.Diese wenigen Beispiele stehen stellvertretend für künstlerische Positionen, die mich nicht nur beeindruckten, sondern auch in Bezug auf das Thema der Biennale bereichernd waren.

 

Hervé Youmbi, Au nom du père, 2011, Foto-Abzug auf Leinwand, 206 x 444 cm,

in: Wade, Ousseynou (Hg.): Dak`Art. 10e biennale de l`art africain contemporain. Ausstl. Kat. Dakar, 11.5. bis 10.6.2012, Dakar 2012, S.105

 

Jamila Lamrani, La Mariée, 2011, Installation (Foto, Stofff, Tüll, Spitze), 250 x 200 x 200 cm, Foto: Judith Kirchner

 

Die Auswahl anderer Arbeiten irritierte mich jedoch. Zum Teil funktionierten sie nur illustrativ oder warben mit einem Hang zur übertriebenen Emotionalität um die Aufmerksamkeit des Publikums. Dazu gehörten die Arbeiten von Romaric Assiés La table à palabre (2010) und Au nom du père (2011, Abb.3) von Hervé Youmbi. Die Bilder handeln von autokratischen Regimen, die die Herrschaft von einer Generation in die nächste weiterreichen und den Erhalt der eigenen Macht als wichtigstes Ziel verfolgen. Die Arbeiten leisteten jedoch nicht vielmehr als die Feststellung dieser Realitäten. Mit einer pathetischen Geste begegnete einem die Installation von Jamila Lamrani La Mariée (2011, Abb.4). Sie stellte den Rock eines Hochzeitskleides aus, der sich mit einer Rose verziert vor der Fotografie eines weißen Türrahmens auf dem Boden im Ausstellungsraum ausbreitete. Der etwaige inhaltliche Gegenstand dieser Arbeit blieb für mich leider unter dem großen Berg aus weißem Tüll vergraben.

 

Oussama Tabti, Stand_by, 2011, Druck auf Papier, 3,12 x 95 x 3 cm, Foto: Judith Kirchner

 

Dass Sentimentales dennoch funktionieren kann, beweist die Arbeit Stand_by (2011, Abb.5) des Künstlers Oussama Tabti, der bezeichnender Weise ebenfalls Leerstellen für seine künstlerische Strategie nutzt. Auf der Biennale zeigte er kommentarlos die Scans von 21 Buchumschlägen aus einer Bibliothek des Centre Culturel Français in Algier. Die Stempel des jeweiligen Datums der Ausleihe setzen ab 1994 für einige Jahre aus. Gerade durch diese Unterbrechung und Nicht-Nennung des Zeitraums aufgrund der Schließung des Kulturzentrums, lenkt der Künstler die Aufmerksamkeit auf die Tragik dieser Jahre in Algerien.

Es ist wichtig und spannend, die Auswahlstrategien des jeweiligen Ausstellungs-Teams zu beobachten. Die vom Team proklamierte Heterogenität in Thema, Medium und Bekanntheitsgrat wirkte auf mich bei dieser Ausstellung manchmal willkürlich oder zu sehr gewollt und war dadurch nicht immer nachvollziehbar. Dabei erhält die Auswahl unter Einbezug der komplexen Eigenschaften und Bedeutungen der Biennale ein noch größeres Gewicht. Neben ihrem Dasein als Kunstausstellung ist die Dak’Art Anlass und Plattform für Diskurse und das Knüpfen von Kontakten. Sie bietet eine große öffentliche Aufmerksamkeit und kann damit ein wichtiger Karrieresprung für ausgewählte Künstler_innen sein.

1) vgl. Wade, Ousseynou (Hg.): Dak`Art. 10e biennale de l`art africain contemporain. Ausstl. Kat. Dakar, 11.5. bis 10.6.2012, Dakar 2012, S. 12-23 [Vorwort der Kurator_innen].