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2012. Atelierbesuch bei Viyé Diba

von Bathilde Maestracci

An einem Vormittag betrat ich mit der Exkursionsgruppe den Wohnort von Viyé Diba. Der Künstler öffnete uns die Tür seines zweistöckigen Hauses in einem belebten Viertel Dakars und nahm sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit uns. Zunächst durften wir die Wohnräume, die bereits an eine persönliche Ausstellung erinnerten, besichtigen: zahlreiche Gemälde an den Wänden gaben uns einen eindrücklichen ersten Einblick in seine künstlerische Arbeit. Auf den Leinwänden waren verschiedene Materialien wie Holz, Plastik, Papierreste, Farben und Stoff angeordnet und überlagert mal in tiefroten, mal erdigen oder nuanciert beigen Farben. Das Material seiner Arbeiten – größtenteils gefundene Objekte – lagerte der Künstler auf seiner Dachterrasse, die wir besteigen durften.

Rythme Kangourou, Viyé Diba, 1993, Foto: Patrick Mérand


Anschließend saßen wir im Wohnzimmer und hörten Viyé Diba zu, wie er uns seinen künstlerischen Werdegang seit den 80er Jahren vorstellte. Ich selbst kannte den Künstler noch nicht und entdeckte sein Werk erst durch seine lebendige und poetische, aber auch konzeptreiche Erzählung.


Viyé Diba und Tobias Wendl in Dibas Wohnzimmer während des Künstlergesprächs.
Foto: Tatjana Wittulski


So berichtete er, dass die Stadt als Sozialstruktur einen wichtigen Platz in seinem Werk einnimmt. Im Rahmen seiner Doktorarbeit, in der er sich mit urbaner Geografie beschäftigte, verglich er die Ästhetik der Städte Dakar und Nice in Südfrankreich. Er war beeindruckt vom Kontrast zwischen der afrikanischen Stadt mit ihrer hohen Bevölkerungsdichte und der streng strukturierten und sauberen europäischen Stadt. Der spezifische städtische Kontext bestimme, so der Künstler, das Zusammenleben der Einwohner. In den 80er Jahren begann er bereits mit der Abbildung menschlicher Gestalten, deren sonderartige Präsenz er auf den Straßen Dakars beobachtet hatte. So sind Silhouetten von Menschen der senegalesischen Gesellschaft auf seinen frühen Gemälden zu sehen, die auch heute das Straßenbild Dakars in bestimmten Vierteln prägen: Bettelnde, körperlich- und geistig Behinderte, Straßenverkäufer. Viyé Diba erläuterte, dass sein Interesse für diese Figuren von deren ungewöhnlichem, nicht gesellschaftskonformem Verhalten im öffentlichen Raum herrührt. So erzählte er von einem Mann, der sich auf der Straße entblößte, seine Kleidung in eine Kopfbedeckung verwandelte und sie so durch die Straßen Dakars trug.

 
 

Marchand ambulant, Viyé Diba, 1987, Foto: Patrick Mérand


Ende der 80er Jahre entschied sich Viyé Diba, seine künstlerische Arbeit für eine Phase persönlicher Recherche zu unterbrechen: In einem Zeitraum von drei Monaten besuchte er täglich das Théodore-Monod Museum, besser bekannt als IFAN (Institut Fondamental d'Afrique Noire), um sich mit den dortigen Objekten besonders intensiv beschäftigen zu können. Durch diese persönliche Auseinandersetzung mit der musealisierten „afrikanischen“ Kunst erschlossen sich ihm neue Perspektiven und Arbeitsmittel. Er beschrieb vier grundlegende Elemente, die er in den ausgestellten Skulpturen und Masken vorfand: Der menschliche Körper, die Raumkomposition, der Rhythmus und die Vertikalität. Diese vier Elemente führten ihn zu seiner Beschäftigung mit dem Tanz als Ausgangspunkt vielseitiger afrikanischer Kulturpraktiken sowie ihrer wesentlichsten Ausdruckskräfte. Diese analytische Erfahrung im Museum, so der Künstler weiter, brachte ihn zu einer neuen Arbeitsweise, in der gegenständliche Figuren bald ganz verschwanden und der Raum selbst zur wichtigsten Komponente wurde. Anstelle der Leinwände benutzte er nun zusammengenähte Stoffstreifen („pagnes tissés“), um Vertikalität und Dynamik in ein neues Verhältnis zu setzen. Die Grundfläche seiner Gemälde bestand nun aus unebenem, multidimensionalem Material, auf dem Knoten-, Energie- und Konfrontationspunkte auszumachen waren.

Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs ging der Künstler auf die 2000er Jahre ein – eine Periode, in der sich politische Aspekte der globalisierten Welt in seinem Werk spiegelten. Dabei ging es ihm insbesondere um die Prekarität, eine gewisse Unsicherheit, die derzeit auf verschiedenen Ebenen – ob Alltag, Wirtschaft oder Politik – festzustellen sei.

Ein Ausbildungsauftrag in Rwanda war dann Anlass für seine Wendung hin zur Installationskunst, die er inhaltlich sehr eng an die Idee eines „heimischen Gedächtnis’“ („mémoire domestique“) koppelte. In diesem wird vor allem der Alltagsgegenstand als Bedeutungsträger wichtig ein Phänomen, das sich bis heute durch die Arbeiten Dibas zieht.


Materialsammlung Viyé Dibas in seinem Atelier. Foto: Clara Giacalone


Außerdem konnte Viyé Diba in Rwanda sein Verständnis für geopolitische Strategien weiter entwickeln und betrachtete den Raum in Bezug auf Machtverhältnisse. Auch in Dakar beobachtete er Phänomene im Straßenalltag, die er unter dieser Thematik subsumierte: Der öffentliche Stadtraum sei voller Hindernisse wie Markstände, parkende Autos, Verkäufer, die den Fußgängern ständig den Weg versperrten und diese somit nach alternativen Lösungen für ein Fortbewegen suchen müssten. Die Gesellschaft sei nicht mehr in der Lage, den Raum bzw. das unmittelbare alltägliche Umfeld wie das der Straßen zu beherrschen, sondern es sei die Umgebung selbst, die an die Bewohner Forderungen stelle.

Bemerkenswert war schließlich die unglaubliche Kohärenz seiner gesamten Erzählung. Im Kontrast zu manchen anderen Künstlern, gab Viyé Diba detailliert und ausführlich seinen Schaffensprozess sowie Werdegangs wieder. Zunächst faszinierte mich sein strukturierter, selbstbestimmter, durchdachter Diskurs; doch stellte ich mir auch die Frage, inwiefern diese Geschichte nicht eine bereits vorgefertigte, oftmals wiedergegebene und somit von ihm festgeschriebene ist.