Springe direkt zu Inhalt

2012. Récupération auf der 10. Dak´Art Biennale - Transformation von Plastik in den Werken von Ndary Lô, Chika Modum & Bibi Seck

von Maria Seidel

 

Windows: Part 1, Ndary Lô, 2012, Foto: Maria Seidel

 

“Raw material is the first life of the object and the secound life of the object is the manufactured object itself and when it’s [...] doing nothing, when people use it and throw it away for me it can show life. And I come and I try to give him a third life.“

(Ndary Lô)

 

Die Recherchethematik der Transformation von Plastik im Kontext der Dak’Art 2012 basiert auf meinem persönlichen Interesse für die künstlerische Wiederbelebung, Um- oder Neubewertung von ausrangierten Gegenständen als Relikte des Alltags und deren Ästhetisierung innerhalb künstlerischer Schaffensprozesse. Im Zuge der zahlreichen Ausstellungsbesuche während der Exkursion erschienen mir vor Allem die Installation Windows: Part 1 von Ndary Lô in der Biscuiterie de Médina, die hängende Skulptur Isi Aka von Chika Modum in der internationalen Ausstellung im Musée Théodore Monod sowie die Sitzgelegenheiten im alten Bahnhof Gare ferroviaire aus der Taboo Collection von Bibi Seck den verzögernden Moment im Verwertungsprozess von Plastik zu vereinen. Hierbei reizte mich besonders, die Schnittstelle von Form und Material sowie den (sozialen) Aktivismus hinter den Werken über Recherchen und Interviews mit den Künstler_innen nachzuvollziehen. Als Materialen ihrer Kunstwerke dienen Ndary Lô bunte Flaschenverschlüsse und Deckel von Kosmetik- und Haushaltsprodukten, Chika Modum schwarze Zellophantüten und Bibi Seck Plastikflaschen und Mülltüten. Diese Alltagsobjekte bzw. Waren spielen in den Lebensrealitäten der drei Künstler_innen eine bedeutende Rolle. Umgebung, wie die urbane Landschaft Dakars, dient hier als Inspirations- und Ressourcenquelle. So denke ich sofort an das Motiv von in Bäumen hängenden Plastiktüten, welches auf vielen Fotografien meines Aufenthalts im Senegal oder in anderen Ländern Westafrikas auftaucht. Mit der Transformation von Plastik zu künstlerischen Arbeiten ermöglichen Lô, Modum und Seck dem vermeintlichen Müll ein zweites oder drittes Leben, eine neue Karriere. Gefundene und gesammelte Objekte definieren die ästhetischen Universen der Künstler_innen. Mit ihrer Wahrnehmung und Anerkennung weggeworfener, marginalisierter Dinge als Material der Kunst rücken sie Plastik vom (Straßen)rand der Gesellschaft ins Licht der Öffentlichkeit.

 

Isi Aka, Chika Modum, 2010, Foto: Maria Seidel

 

“The re-use culture is a culture that is almost innate to me. It is a practice that is common in Nigeria, where things are given a chance to live again. In the case of the garbage bags, my aim is to keep these bags that are destined for an early 'death' away from the landfills, so by re-directing them, I extend their lives and give them a chance at second life.“

(Chika Modum)

 

Die in Nigeria geborene junge Künstlerin Chika Modum beschrieb ihre künstlerische Arbeit in einem E-Mail-Interview als Neudefinition des Konzepts materieller Ausbeutung durch ihren Versuch der Verlängerung des Lebens verworfener Materialien. Ihr Schaffen ist geprägt vom Prozess des Recyclings als eine Art Rückerstattung. Während eines Gesprächs mit Ndary Lô in der weitläufigen Halle der Bisquiterie berichtete dieser stolz von seiner Liebe zum Sammeln und verwies beim Durchblättern zahlreicher Ausstellungskataloge auf den Abbildungen von seinen Skulpturen und Mixed-Media Installationen immer wieder auf die einzelnen Bestandteile wie Metall oder Knochen.

 

Taboo Collection, Bibi Seck, Foto: Maria Seidel

 

“For me what interested me is to resolve a problem and so the plastic bags in Senegal is a big problem.
[…] It‘s not a problem, it‘s a second life.“

(Bibi Seck)

 

Die in Dakar produzierte Möbelgarnitur vom Designer Bibi Seck bot den Biennalen-Besucher_innen im alten Bahnhof eine Verschnaufpause auf 75 Prozent recycelten Mülltüten und Plastikflaschen und spricht damit für sich. Inwiefern die Werke der zeitgenössischen Bewegung der Récupération zuzuordnen sind, ist sicherlich diskutabel. Nichtsdestotrotz eröffnen die Werke der drei Biennalenkünstler_innen durch ihre Transformation von Plastik neue Wahrnehmungs- und Bewusstseinswelten. Assoziationen werden ausgelöst und die Betrachter_innen sind angehalten, die Elemente zu entwirren. Plastik als Fragment des täglichen Lebens trägt in den Arbeiten von Ndary Lô, Chika Modum und Bibi Seck eine Fülle kultureller, gesellschaftlicher und autobiografischer Referenzen in sich.

Künstler_innen anzusprechen, ein Künstlergespräch zu führen und Fragen für ein E-Mail Interview zu formulieren, waren für mich neue bereichernde Erfahrungen. Die Dak’Art 2012 und die lebendige Kunst- und Kulturlandschaft Dakars haben bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen.