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Tzvetan Tzvetanov

Felix Dahn. Das Mythologem des Nationalstaats im Deutschen Kaiserreich (1871-1914).

Dieses als kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit der emotional fundierten Stiftung nationaler Identität im deutschen Kaiserreich konzipierte Dissertationsprojekt setzt sich zum Ziel, am Beispiel von Felix Dahn, einem der damals meistgelesenen Autoren von historische Themen aufgreifender Belletristik (u. a. insbesondere der Ostgotenroman Ein Kampf um Rom) und zugleich Promotor radikalnationalistischer Ideen, die Bedeutung des Mythos im Nationaldiskurs für den Zeitraum von 1871 bis zum Ersten Weltkrieg aus ideologie- und begriffsgeschichtlicher Perspektive zu untersuchen. Eine erstrangige Bedeutung kommt dabei der Erschließung des Zusammenhangs der von Dahn konstruierten Mythen untereinander zu. Auf diesem Hintergrund wird dann die Frage gestellt, ob die einzelnen Mythen lediglich nebeneinander bestehen oder sich zu einem geschlossenen System, zu einem Mythologem zusammenfügen.

Bevor die Arbeit die als Produkt geistiger, ideeller und politischer Zusammenhänge in der eigenen Entwicklung zu verstehende mythenschöpferische Tätigkeit Felix Dahns thematisiert, wendet sie sich zunächst biographisch an den Werdegang seiner Person. Berücksichtigt werden hier sowohl die berufliche Profilierung Dahns als Rechtsgelehrter und Historiker auf dem Gebiet der Germanenforschung als auch seine ideologischen Neigungen zunächst zum liberalen Nationalismus in der Reichsgründungsära, welche in den folgenden zwei Jahrzehnten zunehmend konservative Züge annahmen, sowie ihre Rolle für die thematischen und ideenmäßigen Ansätze des künstlerischen Schaffens.

Der darauffolgende Ideologie-Teil, welcher sich als ein Schlüssel für das Verständnis der Mythisierungsversuche Dahns sowie für seine Einordnung in das Spektrum des sich radikalisierenden Nationalismus im Kaiserreich versteht, handelt auf ideologietopologischer Grundlage zentrale Kategorien wie Volk, Sprache, Rasse und Religion sowie Antisemitismus ab und legt die Stellung Dahns zu von ihm als staats- und damit in der Folge als volksbedrohend empfundenen äußeren und inneren Rivalen offen.

Im Kapitel über den deutschen Mythendiskurs wird die Tradition deutscher Mythenbildung genealogisch aus ihrem neuzeitlichen historischen Kontext abgeleitet, um sodann die Innovationen auf diesem Gebiet während des 19. Jahrhunderts zu explizieren und sie in Zusammenhang mit den Wirkungen des Nationalismus bringen zu können. Dadurch wird es möglich, im weiteren Verlauf aufzuzeigen, in welche Kontinuitätslinien Dahn sich zunächst einreiht, indem er vorhandenes Mythengut aufgreift, umgestaltet und/oder thematisch erweitert sowie eigene Neuschöpfungen von Mythen hervorbringt.

Den allgemeineren Ausführungen zum Mythendiskurs im 19. Jahrhundert werden die in Anlehnung an das Mythologie-Konzept Jacob Grimms entwickelten Vorstellungen Dahns von Mythos und Symbol an die Seite gestellt und durch deren Verbindung mit entsprechenden Parallelstellen in den heutigen Mythostheorien ein Arsenal zum methodischen Herangehen an die Analyse der Mythen Dahns erarbeitet.

Das Mythologem-Kapitel bildet den Kristallisationskern der Arbeit. In seinem ersten Teil konzentriert sich die Untersuchung auf den Germanenmythos, der im Mythendiskurs des Kaiserreichs eine zentrale Rolle spielt. Zunächst wird hier der durch Dahn wissenschaftlich erarbeitete Germanen-Begriff thematisiert, der als Vergleichsgröße für das in der literarischen Mythisierung präsente Germanen-Bild fungiert. Anschließend wendet man sich auf die grundlegenden Facetten der Dahnschen Artifizierung des Germanenmythos, welcher wegen der ununterbrochen wiederkehrenden Thematisierung maßgeblich für die Richtlinien seines Mythisierungsprozesses war. Dabei werden innerhalb der Arminius-, der Nibelungen- und der Goten-Variante des Germanenmythos die zentralen Symbole und Mytheme identifiziert und ihre Bedeutung erschlossen.

Zur Verifizierung der These, dass die im Kampf um Rom als Sammelpunkt germanischer Mythisierung enthaltenen Mytheme und Symbole zugleich auch die zentralen des Mythendiskurses wurden, wird nunmehr – da der Mythendiskurs im Kaiserreich nicht nur aus dem facettierten Mythenstrang des Germanenmythos, sondern auch aus anderen nationalen Mythen bestand, deren auch im Dahnschen Werk bedeutendste gerade die Bismarck-, Wilhelm- und Moltke-Mythen waren, – auch der auf der Glorifizierung von Personen der preußischen Zeitgeschichte aufbauende Mythenstrang daraufhin untersucht, welche Mytheme und Symbole ihm unterliegen. Diese Vorgehensweise eignet sich dazu, die Frage zu beantworten, ob und wie die verschiedenen Mythenstränge sich auf Mythem- und Symbolebene aufeinander beziehen.

Im Anschluß daran wird im folgenden Teil der Dissertation zunächst auf die Rezeption seines Werkes eingegangen, die sich einerseits auf künstlerisch-ästhetischer, andererseits auf ideologischer Ebene bewegt.

Am Ende des Hauptkapitels wird dann aufgrund der zuvor geleisteten Bedeutungs- und Relevanzanalyse von im Aufbau der Schriften verwendeten Mythenkomponenten der Versuch unternommen, das Profil des von Dahn entwickelten Mythologems zu umreißen und seine Präsenz im öffentlichen Raum des Kaiserreichs aufzuzeigen.

Im Schlussteil wird der Bogen geschlagen zur Frage, ob die in der Forschung manchmal eher vage angebotene Bescheinigung einer „völkischen“ Tendenz oder andererseits eine pointierte Benennung Dahns als jemanden, der eine „völkische Weltanschauung“ propagiert, stand hält, wenn man das Selbstbild, das Dahn von sich gezeichnet hat, seiner Rezeption durch die sich als „Völkische“ Bezeichnenden gegenüberstellt und einen eingehenderen Blick auf die „Spielart“ des Dahnschen Patriotismus wirft.

Curriculum Vitae

  • 1988-1993: Studium der Germanistik, Kulturwissenschaften und Internationalen Beziehungen an der St. Kliment-Ochridski-Universität in Sofia

  • September 1992-März 1993: Pädagogisches Praktikum am Deutschen Gymnasium in Sofia

  • 1993-1995: Honorarassistent für Deutsche Sprache an der Musikakademie in Sofia und an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der St. Kliment-Ochridski-Universität

  • 1994-1996: Promotionsstudium in Deutscher Kulturgeschichte an der Fakultät für Klassische und Neue Philologien der St. Kliment-Ochridski-Universität

  • September 1995-Februar 1996: Praktikum beim Deutschen Bundestag in Bonn

  • 1996-1998: Honorarassistent für Deutsche Kulturgeschichte am Lehrstuhl für Germanistik der St. Kliment-Ochridski-Universität in Sofia, zugleich Geschäftsführer des dortigen Instituts für deutsche Geistes- und Sozialwissenschaften „Germanicum“

  • 1998-1999: Wissenschaftlicher Assistent für Deutsche Kulturgeschichte am Lehrstuhl für Germanistik der St. Kliment-Ochridski-Universität Sofia

  • Juni/Juli 1999: Teilnahme am Graduiertenkolleg „Interkulturelle Kommunikation in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ am Historischen Institut der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Referat zum Thema Kulturhistorische Aspekte des Einflusses der deutschsprachigen Länder auf die städtische Entwicklung von Sofia (1878-1944).

  • 1999-2000: Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD)

  • 2000-2004: Promotionsstudium in Neuer und Neuester Geschichte am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, zugleich Sachbearbeiter für Bulgarien im Rahmen der Ausstellung Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen des Deutschen Historischen Museums Berlin

  • 2001-2003: Promotionsstipendium des Landes Berlin

  • 2003-2004: Mitarbeiter beim aperçu-Verlag in Berlin

  • 2005-2018: Mitarbeiter von Kaufland Bulgaria GmbH & CO. KG

  • ab 2020: Mitarbeiter von Strabag BRVZ GmbH

Publikationen

  • Übersetzung philosophischer Texte von Arnold Gehlen, Ernst Bloch, Wilhelm Kamlaa,
    in: Ginev, D. (Hgg.): Ideen in der Kulturwissenschaft, Bd. 3, Sofia 1997.

  • Postmoderne Tendenzen im Roman „Dr. Faustus“ von Thomas Mann, in: Germanica. Jahrbuch für deutschlandkundliche Studien, 2. Jg./3. Jg. (1995/1996), Sofia 1997, S. 116-131.

  • Faust – ein Mythos in zwei Epochen (Transformation des Mythos bei J. W. Goethe und Thomas Mann), in: Dakova, N./ Winter, H.-G. (Hgg.): Deutsche Literatur im Umbruch der Geschichte, Sofia 1997, S. 143-169.

  • Die Gretchen-Tragödie aus Goethes „Faust“ im Kontext der Strukturanalyse der Verwandtschaftsbeziehungen von Claude Levi-Strauss, in: Germanica. Jahrbuch für deutschlandkundliche Studien, 5. Jg. (1998), Sofia 1998, S. 113-125.

  • Der neue deutsche Staat, in: Demokratitscheski pregled. Spisanie za liberalno grashdansko obschtestwo (Demokratische Revue. Zeitschrift für liberale Zivilgesellschaft), H. 41/42, Bd. 2, Sofia 1999, S. 528-551. (in bulgarischer Sprache)

  • Die Mann-Frau-Problematik in Goethes „Faust“ aus der Betrachtungsperspektive der Philosophie Arthur Schopenhauers, in: Germanica. Jahrbuch für deutschlandkundliche Studien, 7. Jg. (2000), Sofia 2000, S. 225-255.

  • Bulgarien. Meilensteine einer kontroversen Selbstfindung, in: Flacke, M. (Hg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Ausstellungskatalog, DHM Berlin, Mainz 2004, Bd. 1, S. 95-115.

  • Artikel „Felix Dahn“ und „Bulgaria and the Holocaust“, in: Antisemitism. A Historical Encyclopedia of Prejudice and Persecution (2 vols.), edited by Richard S. Levy, ABC-Clio, Santa Barbara 2005. (Erscheinungsdatum: 31. Mai 2005)

Kontakt:

tzvetan_tzvetanov[at]web.de