Springe direkt zu Inhalt

Martin Finkenberger

Johann von Leers: Völkische Weltanschauung und antisemitische Agitation.

Der völkische Schriftsteller und Journalist Johann von Leers (1902-1965) war, so ein Urteil der zeitgeschichtlichen Forschung, „einer der polemischsten antisemitischen Publizisten des Dritten Reiches“. Seit Ende der zwanziger Jahre verfasste er zahlreiche Bücher, Broschüren, Artikel und Aufsätze für die tagespolitische Auseinandersetzung einerseits und die (schein-)wissenschaftliche Legitimation des Antisemitismus’ andererseits. Gleichwohl ist von Leers’ Wirken im Kontext der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten von der Forschung bislang nicht weiter beachtet worden. Diese Lücke soll geschlossen werden.

Die Wurzeln der antisemitischen Agitation von Leers’ reichen in die Weimarer Republik zurück. Schon während der „Kampfzeit“ der NSDAP Ende der zwanziger Jahre hatte der sprachbegabte und promovierte Jurist unter Gesinnungsgenossen wie politischen Gegnern auf sich aufmerksam gemacht: Sein Forum fand er als Versammlungsredner und Wahlagitator in Berlin sowie als Journalist der von Goebbels herausgegebenen Wochen- bzw. Tageszeitung „Der Angriff“. Seit 1933 wirkte er als kulturpolitischer Funktionär im Umfeld Alfred Rosenbergs, Heinrich Himmlers und Walter Darrés. Seit 1936 war er Hochschuldozent, später dann Universitätsprofessor in Jena.

Kennzeichen seiner Schriften bis 1945 waren der Kampf gegen die christlichen Konfessionen, die Idealisierung des ‘Bauerntums’ als Träger ‘arteigener’ Glaubensinhalte sowie ein aggressiver, fanatischer und stellenweise paranoider Antisemitismus, der – im Rückblick auf die Verbrechen der Nationalsozialisten – die rechtliche Ausgrenzung und physische Vernichtung der Juden als logische Konsequenz erscheinen lässt. Johann von Leers beherrschte die Klaviatur antisemitischer Stereotype und Propaganda perfekt. Dazu gehörten Verschwörungsszenarien, die unter Rückgriff auf Machwerke wie die „Protokolle der Weisen von Zion“ Einfluss und Macht eines imaginären „Weltjudentums“ belegen sollten, des weiteren die Ritualmordpropaganda in der Tradition des mittelalterlichen Antisemitismus’. Diese Sujets variierte er bis 1945 in zahlreichen Schriften und Pamphleten.

Im Vergleich zu anderen Funktionären und Ideologen war von Leers nach 1945 allerdings zu keinerlei Konzessionen und Anpassung bereit. Im Gegenteil: Bis zu seinem Tod 1965 blieb er als „Prophet des völkischen Antisemitismus“, wie ihn der „SPIEGEL“ 1960 bezeichnete, aktiv. Von Leers nahm – nach Internierung (1945/46) und Flucht nach Argentinien (1950) – Kontakt zu früheren Gesinnungsgenossen auf und gehörte zu den maßgeblichen Autoren der in Buenos Aires im „Dürer-Verlag“ verlegten neonazistischen Monatsschrift „Der Weg“. Zugleich veröffentlichte er eine Reihe von Büchern und - unter den verschiedensten Pseudonymen - weiterhin zahlreiche Aufsätze in Organen rechtsextremer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland und auch im Ausland. 1956 siedelte von Leers, eingefädelt vermutlich durch den Großmufti von Jerusalem, Amin El-Husseini, den er in den vierziger Jahren kennengelernt hatte, nach Kairo über. Dort konvertierte er zum Islam und wirkte als Übersetzer und Autor im Dienst der antiisraelischen und antizionistischen Propaganda Ägyptens unter Präsident Nasser. Daneben förderte er die Übersetzung und Veröffentlichung der Schriften vor allem französischer Geschichtsrevisionisten. Von Leers wurde so einer der Wegbereiter jener spezifischen Literatur, in der, teilweise auf scheinwissenschaftlicher Grundlage, das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus gerechtfertig und verharmlost und seine Verbrechen relativiert oder geleugnet werden.

Obgleich von Leers ein umfangreiches publizistisches und journalistisches Werk hinterlassen hat und als Herausgeber der Zeitschrift „Nordische Welt“ in der völkischen und deutschgläubigen Bewegung seit Ende der zwanziger Jahre eine bedeutende Rolle spielte, stehen eine Verortung im Kontext dieser Bewegungen, eine Analyse seiner Schriften und eine Biographie, die sein Wirken in verschiedenen politischen Systemen des 20. Jahrhunderts – Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Bundesrepublik Deutschland – in den Blick nimmt, aus. Diese Lücke soll mit der angestrebten Arbeit geschlossen werden. Der Lebensweg soll dabei im Kontext der völkischen und deutschgläubigen Bewegung, der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik zwischen 1933 und 1945 und des um Gesinnungsgemeinschaften bzw. Verlage und Zeitschriften organisierten Rechtsextremismus der Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland als einer besonderen politischen Kultur analysiert werden. Ein besonderes Augenmerk soll auf die Kontinuität der antisemitischen Agitation von Leers’ seit 1929 gelegt werden, die einerseits in seinen eigenen Schriften zum Ausdruck kommt, andererseits aber auch durch die Förderung des Schrifttums revisionistischer Autoren belegt werden kann, u. a. durch Übersetzungsarbeiten und die Vermittlung einschlägiger Schriften an Verlage.

Curriculum Vitae

Studium der Politikwissenschaft, Neueren Geschichte und Romanistik an der Universität Würzburg und der Freien Universität Berlin; Diplom-Politologe; Promotion (Datum der Disputation: Februar 2021)

Publikationen

Monografien

  • Johann von Leers (1902-1965): Propagandist im Dienste von Hitler, Perón und Nasser, Göttingen 2023. [Link], Rezensionen: Informationsmittel für Bibliotheken (Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft) [Link

Buchbeiträge und Aufsätze

  • NS Propagandists on the Rio de la Plata. In: Nazis and Nazi Sympathizers in South America after 1945, hrsg. von Linda Erker und Raanan Rein, Boston 2024 (i.E.).
  • Herbert Grabert (1901-1978). In: Rechtsextrem: Biografien nach 1945, hrsg. von Gideon Botsch, Christoph Kopke und Kartsen Wilke, Berlin/Boston 2023, S. 149-164. [Link

  • Wilfred von Oven (1912-2008). In: Rechtsextrem: Biografien nach 1945, hrsg. von Gideon Botsch, Christoph Kopke und Kartsen Wilke, Berlin/Boston 2023, S. 363-379. [Link

  • Erwin Schönborn (1914-1989). In: Rechtsextrem: Biografien nach 1945, hrsg. von Gideon Botsch, Christoph Kopke und Kartsen Wilke, Berlin/Boston 2023, S. 403-412. [Link

  • Ernst Niekisch: »Hitler, ein deutsches Verhängnis« (Berlin 1932). In: Olivier Dard, Michel Grunewald u. Uwe Puschner (Hrsg.): Confrontations au nationalsocialisme en Europe francophone et germanophone 1919-1949 (Vol. 4), Brüssel u.a. 2020, 267-279.
  • "Für die Wissenschaft völlig wertlos". Ein Würzburger Gymnasiallehrer auf Abwegen. In: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 70 (2018), S. 51-71. [PDF]
  • "Die Judenfrage ist der Prüfstein völkischer Gesinnung“. Der "Bund Völkischer Europäer“ 1933 bis 1936. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 26 (2017), S. 61-89. [PDF]
  • Tarnname "Nazi Emi" und "Hannes". In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 8 (2014) 1, S. 23-29.
  • Johann von Leers (1902-1965): NS-Propagandist und "internationaler" Antisemit. Biografische Korrekturen. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 6 (2012) 1, S. 118-138.
  • Johann von Leers as Part of an International Network of Postwar Fascism. In: Movements and Ideas of the Extreme Right in Europe. Positions and Continuities (Zeitgeschichte & Geschichte, Bd. 21), hrsg. von Nicola Kristin Karcher und Anders G. Kjostvedt, Frankfurt/Main 2012, S.141-162.
  • Der völkische Antisemit Johann von Leers in den religionspolitischen Auseinandersetzungen 1933/34. In: Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 47), hrsg. von Uwe Puschner und Clemens Vollnhals, Göttingen 2012, S. 375-398.
  • Johann von Leers und die „faschistische Internationale“ der fünfziger und sechziger Jahre in Argentinien und Ägypten. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011) 6, S. 522-543. [Link]
  • Ein "gefährlicher Bazillus". Die Nachkriegskarriere Johann von Leers. In: Tribüne – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 48 (2009) 191, S. 142-148.
  • "Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert" – Johann von Leers (1902-1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945. In: Bulletin des Deutschen Historischen Instituts Moskau, 2 (2008), S. 88-99. [Link]
  • Behufs Förderung des neusprachlichen Unterrichts an den höheren Schulen. Von den Anfängen des Programms bis 1914. In: 100 Jahre Fremdsprachenassistentenprogramm, hrsg. vom Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz, Bonn 2005, S. 67-73.
  • "Verfolgt" und "Entrechtet": Vom Interessenvertreter amtsenthobener Hochschullehrer zum rechtsextremen Geschichtsrevisionisten. In: Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901-1978) und seine Verlage, hrsg. von Horst Junginger und Martin Finkenberger, Aschaffenburg 2004, S. 69-94.
  • Geschichtsrevisionisten vor Gericht. In: Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901-1978) und seine Verlage, hrsg. von Horst Junginger und Martin Finkenberger, Aschaffenburg 2004, S. 125-142.
  • "Geschichte des internationalen schulischen Austauschs". In: 50 Jahre internationaler Austausch im Schulbereich – Bilanz und Perspektiven, hrsg. vom Pädagogischen Austauschdienst (PAD) der Kultusministerkonferenz, S. 89-104.
  • "Herbert Grabert und der ‚deutsche Bauernglaube’ im Nationalsozialismus". In: Jahrbuch für Volkskunde 2000, S. 51-76.
  • "Herbert Grabert: Religionswissenschaftler - Revisionist - Rechtsextremist". In: Bausteine zur Geschichte der Universität Tübingen (Bd. 9), S. 55-100.
  • »Schülerzeitungen: Zensur mit Herz«. In: Grundrechte-Report 1998, Reinbek bei Hamburg 1998, Seite 90-94.

Onlinebeiträge

  •  Johann von Leers. In: Deutsche Biographie (2022) [Link]
  • »Einwandfreie Persönlichkeit im Sinne der Org.« (2021) [Link]

Lexikoneinträge, Rezensionen und Zeitungsartikel (Auswahl)

  • Rezension zu »Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik« von Uffa Jensen. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 17 (2023) 1, S. 201-203.

  • Rezension zu »Die Auslandsaufklärung des BND. Operationen, Analysen, Netzwerke« von Wolfgang Krieger (Hrsg.) in Verbindung mit Andreas Hilger und Holger M. Meding. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 16 (2022) 2, S. 163-165.

  • Rezension zu »Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden« von Ulrich Chaussy. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 15 (2021) 2, S. 260-261.
  • Rezension zu »Der letzte Mann. Countdown fürs MfS« Heinz Engelhardt (mit Peter Böhm). In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 15 (2021) 1, S. 194-196.
  • Rezension zu "Die SS nach 1945. Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse", hrsg. von Jan Erik Schulte und Michael Wildt. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 13 (2019) 1, S. 152-154.
  • Johann von Leers. In: Fahlbusch, Michael/Haar, Ingo/Pinwinkler, Alexander (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme (Band 1), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 414-418 [PDF].
  • Bund Völkischer Europäer. In: Fahlbusch, Michael/Haar, Ingo/Pinwinkler, Alexander (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme (Band 2), 2. Aufl., Berlin/Boston 2017, S. 1769-1774.
  • Rezension zu "Der Desinformant. Erinnerungen eines DDR-Geheimdienstlers" von Horst Kopp. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 11 (2017) 1, S. 220-221. 
  • Rezension zu "Spione und Nachrichtenhändler. Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939-1989" von Helmut Müller-Enbergs und Armin Wagner (Hrsg.). In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 10 (2016) 2, S. 209-211.
  • Rezension zu "Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946-1991" von Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 10 (2016) 1, S. 212-213.
  • Lexikoneinträge zu Erich Oswald Bischoff, Karl Deutschmann, Heinrich Härtle, Friedrich Hasselbacher, Ludwig Pauler, Franz Josef Scheidl und Karl Weinländer. In: Handbuch des Antisemitismus (Bd. 8: Nachträge und Register), Berlin 2015.
  • Scharfsinnige Beobachter ihrer Nachbarn: Jacques Decour (1910-1942) und Karl Korn (1908-1991). In: Austausch bildet 1/2015, S. 35-40. [PDF]
  • "Konspiratives Schweigen". Rezension zu "Deckname Adler" von Peter Hammerschmidt. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 8 (2014) 2, S. 157-60.
  • Lexikoneinträge zu den Verlagen "U. Bodung-Verlag", "Dürer-Verlag" und "Grabert-Verlag", zu den Zeitschriften "Der Weg", "Nordische Welt", "Mitteilungen über die Judenfrage" und "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" sowie zu den Schriften "Die Judenfrage in der modernen Welt" und "Forschungen zur Judenfrage". In: Handbuch des Antisemitismus (Bd. 6: Publikationen), Berlin 2013.
  • Lexikoneinträge zu Antikomintern bzw. Institut zum Studium der Judenfrage, Antisemitische Aktion, Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung, Deutsch-Arabische Gesellschaft und Herman-Wirth-Gesellschaft. In: Handbuch des Antisemitismus (Bd. 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen), Berlin 2012.
  • Lexikoneinträge zu Ernst Bergmann, Peter Deeg, Theodor Fischer, Ulrich Fleischhauer, Giovanni Preziosi, Herbert Grabert, Johann von Leers, August Schirmer, Hermann Schroer, Gregor Schwartz-Bostunitsch, Herman Wirth und Wilhelm Ziegler. In: Handbuch des Antisemitismus (Bd. 2/1 u. Bd. 2/2), Berlin 2009.
  • Familie Sachs. In: Nummer ZK. Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bejing, Oktober 2006, S. 24-25. [PDF]

Kontakt

m.finkenberger[at]gmx.de