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Etta Grotrian-Steinweg

Barfuß oder Lackschuh? – Die alltagsgeschichtliche Perspektive in den bundesdeutschen Geschichtswissenschaften und der „neuen Geschichtsbewegung“ der 1980er Jahre

In meiner Arbeit gehe ich einem Phänomen nach, das - nach einem Spiegel-Artikel vom Juni 1983 - auch als „neue Geschichtsbewegung“ bezeichnet wird. Gemeint ist damit das Wirken verschiedener Initiativen in der Bundesrepublik der 1980er Jahre, die sich jenseits der universitären Geschichtsforschung und auch in bewusster Abgrenzung zu dieser mit Geschichte beschäftigten. Viele dieser Initiativen gründeten sich an verschiedenen Orten als Vereine, die sich Geschichtswerkstätten nannten, oder z.B. als Arbeitsgruppen innerhalb von Gewerkschaftsverbänden oder in Volkshochschulen, um sich einer lokalhistorischen Spurensuche zu widmen.

Auch wenn Ziele und Selbstverständnis all dieser Initiativen im einzelnen Unterschiede aufweisen, teilten die hier betrachteten Initiativen weitgehend den Anspruch, eine Geschichtsschreibung mit Blick auf und Sympathie für die von der Geschichtsforschung bislang vernachlässigten Gruppen zu unternehmen. Dabei sollte die herkömmliche Aufgabenteilung, nach der Geschichte erforscht und die Erkenntnisse an ein interessiertes Publikum vermittelt werden, einer gemeinsamen „Geschichtspraxis“ weichen. So verstanden sollte Geschichtsforschung ein kommunikativer Prozess unter Einbeziehung aller daran Interessierten sein.

Dieser Ansatz blieb nicht unwidersprochen. Insbesondere von Vertretern der universitär etablierten Sozialgeschichtsforschung wurde Kritik am erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt der als „Barfußhistoriker“ (H.-U. Wehler) geschmähten Laienforscher geübt bzw. ihnen das Fehlen eines solchen theoretischen Ausgangspunktes vorgeworfen. Anhand der auch von den Geschichtsinitiativen verwendeten Kategorie „Alltag“ für die sozialhistorische Betrachtung wurde der „Verlust an Intellektualität“ auch in den Geschichtswissenschaften selbst (J. Kocka) bemängelt.

In der Arbeit sollen Konfliktlinien der Kontroverse nachgezeichnet werden, die nicht nur zwischen Laienforschung und akademischer Forschung verliefen, und in ihre gesellschaftlichen und forschungsgeschichtlichen Kontexte eingebettet werden. Die inner- und außeruniversitäre Auseinandersetzung eröffnet auch den Blick auf disziplinäre Abgrenzungsmechanismen und methodische Entwicklungen innerhalb der Fachdisziplin.

Curriculum Vitae

  • seit 2001: Im Jüdischen Museum Berlin (Projektmanagerin für den Bereich Dokumentation und Neue Medien)
  • 1998–2000: Studentische Koordinatorin des Projekttutorienprogramms der Freien Universität Berlin
  • 1996–1998: Tutorin im Rahmen des Projekttutorienprogramms der Freien Universität Berlin mit einem Projekt zu Museumsgeschichte und -theorie
  • 1993–2001: Studium der Geschichte (Neuere Geschichte und Mittelalterliche Geschichte) und Teilgebiete des Rechts (Zivilrecht, Staatsrecht, Rechtsphilosophie) an der Freien Universität Berlin mit Abschluss Magistra Artium 2001
  • 1991–1993: Studium der Geschichte (Neuere Geschichte und Mittelalterliche Geschichte) und Vergleichenden Religionswissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Publikationen (Aufsätze)

  • Erfolgsfaktor Benutzerfreundlichkeit - Medieneinsatz im Museum, in: Kunstvermittlung 2.0: Neue Medien und ihre Potenziale hg. von Andrea Hausmann und Linda Frenzel, Wiesbaden 2014, S. 123-131
  • Identität und Orientierung. Geschichtsdebatten in den 1980er Jahren, in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Heft 1/2014 (Themenheft: Die 1980er Jahre), S. 27-34
  • Sammlungen online - Sammeln und Bewahren im World Wide Web/Online Collections - Presenting Objects on the Internet, in: JMB Journal, Nr. 8, 2013, S.48f. (zusammen mit Iris Blochel-Dittrich) [Link]
  • Kontroversen um die Deutungshoheit. Museumsdebatte, Historikerstreit und „neue Geschichtsbewegung“ in der Bundesrepublik der 1980er Jahre, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 61.2009, S. 372-389
  • Geschichtswerkstätten und alternative Geschichtspraxis in den achtziger Jahren, in: History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt hg. v. Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug, Stuttgart 2009, S. 243-253
  • Lernen mit neuen Medien - zwei Beispiele aus dem Jüdischen Museum Berlin, Lernen aus der Geschichte (Online-Magazin 21.2009 vom 18.11.2009) [Link]
  • Das Jüdische Museum Berlin, in: Jüdisches Leben in Berlin. Die Lindenstraße - Ideen zur historischen Projektarbeit an Schulen (= Learning by going IV) hg. v. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, 2008, S. 65-76 (zusammen mit Tanja Groenke) [Link]
  • "Bei mir bist du schön": Die "Ghetto-Swingers" in Theresienstadt, in: Praxis Geschichte (Westermann Verlag) Bd. 4, 2004 (Themenheft "Hi(t)story"), S. 20-24 (zusammen mit Tanja Groenke)
  • Heimat oder Fremde? in: "Ethik 9/10". Handbuch für den Unterricht, Berlin (Cornelsen Verlag) 1998 hg. v. Barbara Brüning u. a., S. 118-128