Mit: Bernd Seidensticker, Marie-Christin Wilm, Glenn W. Most, Günter Gödde, Michael Worbs, Brigitte Obermayer, Anke Hennig, Wolf Gerhard Schmidt, Michael Lüthy, Heike Fuhlbrügge, Oliver Jehle, Dirck Link, Hans Joachim Hinrichsen, Hans Richard Brittnacher, Friedmar Apel
Tagungskonzeption
In der Aristotelischen Tradition ist das Gelingen der tragischen Katharsis an die Erfahrung von Furcht und Mitleid gebunden. Die Erregung beider Emotionen und eine damit einhergehende Reinigung des Zuschauers hängen jedoch ihrerseits von den Grenzen ab, die mit dem Kunstwerk gesetzt werden: Weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Leid, an Ethos oder an Nähe ist erlaubt, wenn sich die gewünschte Wirkung einstellen soll. Die ästhetische Erfahrung der Katharsis erweist sich damit zunächst als grenzbezogenes Phänomen.
Zu einem folgenreichen Traditionsbruch kommt es im 19. Jahrhundert: Mit seiner dezidiert medizinischen Deutung radikalisiert Jacob Bernays den Aspekt der Abfuhr und gibt damit den Anstoß zu einer Pluralisierung der Katharsiskonzeptionen. Breuer und Freud folgen diesem Impuls, wenn sie ihre ‚kathartische Methode‘ auf das breite Spektrum aller Affekte erweitern. Nietzsche hingegen weist die Aristotelische Deutung als ‚Mißverständnis‘ zurück und stellt die tragische Wirkung in den Dienst des gesteigerten Lebens. Mit dieser von Bernays, Freud und Nietzsche eingeleiteten Revision erfährt nicht nur der Begriff der Katharsis neue Aufmerksamkeit, sondern auch und gerade der konzeptuelle Anspruch auf Reinigung oder Heilung.
Im Blick auf die modernen Künste und ihre Theorien wird angesichts dieses Befundes nach den Folgen zu fragen sein, die sich für Katharsiskonzeptionen aus der weitreichenden Öffnung und dem aufrechterhaltenen Reinigungs- bzw. Heilungsanspruch ergeben: Kommt es zu einer Neuvermessung der Grenzen, oder werden diese im Zeichen einer Entgrenzung der Künste aufgegeben?
Veranstalter: Teilprojekt C2 „Antike Konzepte ästhetischer Erfahrung und ihre moderne Rezeption” (Leitung: Bernd Seidensticker)
Konzeption: Martin Vöhler, Marie-Christin Wilm
Zeit & Ort
24.11.2006 - 26.11.2006
Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, Grunewaldstr. 35, Hörsaal