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Teilprojekt C14. Ästhetik juridischen Urteilens/Juridik ästhetischen Urteilens

Leitung

Prof. Dr. Christoph Möllers, LL.M.

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen

Dr. Sabine Müller-Mall / Sandra Schnädelbach, M.A.

Studentische Hilfskräfte

Anja Breljak / Jan-Philipp Kruse

Projektbeschreibung

Ziel des Projekts ist die Form des gerichtlichen Urteilens darauf hin zu untersuchen, wie die in ihm miteinander verwobenen Elemente der sinnlichen Wahrnehmung, der Regelanwendung, der Sachverhaltsdarstellung und des Anspruchs auf Normativität analytisch bestimmt werden können. Die Form, in der diese Elemente ihren Platz finden, soll in den Kontext der ästhetischen Theorie eingebettet und auf Ähnlichkeiten und Differenzen beider Typen von Urteilen hin analysiert werden. Die Verwandtschaft zwischen ästhetischem und juridischem Urteil ist in der rechtsphilosophischen Diskussion seit Kant immer wieder bemerkt, aber nie systematisch theoriekomparatistisch ausgearbeitet worden. Dabei ist in der gegenwärtigen rechtsphilosophischen Diskussion kaum noch umstritten, dass juridische Urteile nicht auf die syllogistische Anwendung von Regeln reduziert werden können – nicht nur, weil es oftmals gar keine Regel gibt, sondern auch, weil „Anwendung“ selbst eine äußerst voraussetzungsreiche Kategorie darstellt, in der sich kognitive und normative Leistungen miteinander verbinden. In den zwei Unterprojekten sind nicht nur latente und manifeste ästhetische Elemente des gerichtlichen Urteils aufzudecken; vielmehr könnte sich dieses selbst als eine den juridischen Gegenstand konstituierende Form erweisen. Im Umkehrschluss können im ästhetischen Urteil nicht nur forensische Elemente herausgearbeitet werden (z.B. advokatorische Bezugnahmen auf ein Werk, Rhetoriken des Intentionalen in Bezug auf den Künstler etc.), sondern auch hier kann danach gefragt werden, wie im Urteil ein Gegenstand konstituiert wird. Dabei soll keineswegs eine Kongruenz zwischen Recht und Kunst behauptet werden, es geht vielmehr um die Freilegung von verbundenen Geltungs- und Beschreibungsansprüchen in beiden Urteilsformen als welterzeugende und –erschließende Verfahren.

Unterprojekt 1: Der Gegenstand des Urteilens und das Nichtbeurteilbare

(Prof. Dr. Christoph Möllers, Sandra Schnädelbach, M.A.)

In diesem Unterprojekt ist die urteilsimmanente Bestimmung eines Streit- und damit auch Urteilsgegenstandes im juristischen Verfahren zu untersuchen. Wie lässt sich die Bestimmung des Streitgegenstandes durch ein Urteil theoretisch fassen? Woher und wann wissen wir, was genau Gegenstand eines Urteils ist? Insbesondere soll der Vorgang des Urteilens als Akt des Fingierens, d. h. der Irrealisierung des Realen und des Realwerdens von Imaginärem ausbuchstabiert werden: Reale Vorgänge werden in Streitgegenstände juridischer Urteile transformiert und durch die Beurteilung in den fiktiven Bedeutungsraum des Rechts eingeführt. Aus dieser Perspektive lässt sich eine reflexive Beziehung zwischen Streitgegenstand und Urteil beschreiben, die auf methodischer Ebene wiederum die Frage aufwirft, ob eine Untersuchung der Streitgegenstände überhaupt Aussagen über die Kategorie des juridischen Urteils zulässt, oder ob es hinsichtlich dessen vielmehr gilt, die urteilsimmanente Wahrnehmung dessen, was zum Streitgegenstand erhoben wird, zu betrachten. Daran anknüpfend  lässt sich vergleichend die Frage stelle, welche Rolle das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit in der Kunst für die ästhetische Urteilsbildung einnimmt.

Unterprojekt 2: Normative Wahrnehmung im Urteil

(Prof. Dr. Christoph Möllers, Dr. Sabine Müller-Mall)

Der Vollzug des Schließens, aus dem nach Savigny das Allgemeine des juridischen Urteils erst erzeugt wird, soll im Rahmen dieses Unterprojekts als Phänomen „normativer Wahrnehmung“ genauer in den Blick genommen werden: sowohl die für ein juridisches Urteil herangezogenen Gesetze als auch der Gegenstand des Urteils werden im juristischen Verfahren „wahrgenommen“, wobei die Differenzierung zwischen deskriptiver und normativer Wahrnehmung im juridischen Verfahren Schwerpunkt dieses Unterprojektes sein soll. Maßstabbildung im Urteil und diese Wahrnehmungsbezüge hängen miteinander zusammen, denn letztere bilden die Grundlage für die Angemessenheit des Urteils selbst. Insofern gilt es für eine Kategorisierung des Urteilsbegriffs von dieser Seite her beide Aspekte zu untersuchen. Dabei wird zu zeigen sein, dass sich die unter dem Begriff der ästhetischen Erfahrung als prozessualem Phänomen im SFB untersuchten Diskussionen in der Analyse der normativen Wahrnehmung im juridischen Urteil wiederfinden. Eine Beschreibung der Verortung normativer Wahrnehmung im juridischen Urteil könnte auf diese Weise Rückschlüsse für das Verhältnis von ästhetischer Erfahrung und ästhetischem Urteil als Kategorie erlauben.