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Zweite Runde von Digital Storytelling in den Altertumswissenschaften: Roundtable-Gespräch und Workshop (22. November & 8. Dezember 2023)

Roundtable Digital Storytelling 2

Roundtable Digital Storytelling 2

Was haben die Geschichten, die wir durch das Ausgraben und Betrachten alter Dinge erfahren können, mit mir zu tun? In Zeiten schnelllebiger Medien und einem Überangebot von Informationen stellen sich wohl immer mehr Menschen diese Frage. Digital Storytelling ist eine Möglichkeit wissenschaftliche Erkenntnis und Narration, materielle Objekte und virtuelle Welten nicht als Gegensätze zu betrachten, sondern so zu verbinden, dass die Vergangenheit zugänglicher und in ihrer Relevanz für die Gegenwart greifbarer wird. Welche Wege dabei bereits in Museen, Wissenschaftskommunikation oder Archaeo-Gaming erprobt wurden, ließ sich am 22.11.2023 in einem Roundtable-Gespräch am Institut für Vorderasiatische Archäologie von Expert*innen erfahren. Die Veranstaltung fand statt im Rahmen des Projektes "Dinge mit Geschichte(n). Digital Storytelling in der altertumswissenschaftlichen Lehre", gefördert vom Spotlight-Programm der FU Berlin und dem Fachbereich für Geschichts- und Kulturwissenschaften.

Gesellschaftliche und technologische Veränderungen wie eine höhere Sensibilität für Diversität, die Möglichkeiten umfassender inhome entertainments, die Covid-19 Pandemie, rasante KI-Entwicklungen und allgemeine Skepsis gegenüber Institutionen und Medien, schränken die Wirksamkeit und Reichweite tradioneller Formen der Wissensvermittlung zunehmend ein. Museumsbesuch und klassischer Vortrag locken nicht mehr, wenn die ganze Welt durch ein kleines Gerät in der Hand jederzeit zugänglich ist. „Die neue Öffentlichkeit ist online“, sagte Chantal Eschenfelder, langjährige Leiterin der Kunstvermittlung im Städel Museum und in der Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt in ihrem Beitrag „Digital Storytelling in der Kunstvermittlung“. Mit den Städel Stories werden bereits seit vielen Jahren digitale Angebote geschaffen, die die Begegnung mit den Objekten in der Vor- und Nachbereitung eines Museumsbesuches ergänzen, und Wissen um Kontexte und Inhalte vertiefen sollen. Hybride Formate erscheinen ideal, gerade da die Aufmerksamkeitsspanne im digitalen Raum oft nur wenige Sekunden beträgt und die Auseinandersetzung mit dem Original nicht vernachlässigt, sondern intensiviert werden soll. Geschickt eingesetzte Hybridität ist in der musealen Vermittlung  weiterhin ein Experimentierfelder – für das Publikum, wie auch für die Schöpfer*innen dahinter. Die Anwendungen müssen einerseits intuitiv sein, andererseits aber auch epistemische Unsicherheiten der Forschung deutlich machen.

Wie dies bspw. durch Uncertainty Visualisation passieren kann, zeigte Katrin Glinka, tätig in der Arbeitsgruppe Human-Centered Computing am Institut für Informatik an der FU Berlin, in ihrem Input-Beitrag mit dem Titel„Gestaltungsziel: kritische Reflexion“. Schon kleine Veränderungen wie narrative Annotationen können das Verständnis von Visualisierungen wie Zeitleisten erheblich verbessern, während moderne Techniken, wie eine HoloLens, im wahrsten Sinne des Wortes eine völlig neue Blickfokussierung auf ein Objekt sowie dynamische Informationsvermittlung erlauben (siehe dazu das Mixed-Reality-Projekt Augmenting Viktoria). Solche Tools sollen neue Zugänge zu alten Dingen ermöglichen ohne gängige Stereotypen zu verstärken. Dabei muss der Auftrag zur kritischen Reflexion über epistemische Unsicherheiten in den Objektwissenschaften gerade beim Einsatz von KI-Verfahren in der Vermittlung kulturhistorischer Inhalte, ernst genommen werden (siehe dazu Glinka/Müller-Birn 2023, Critical-Reflective Human-AI Collaboration in Art-Historical Image Retrieval).

Mixed Up Museum, 2023, Studierende der Universität zu Köln

Eine spielerische Umsetzung davon wird an der Universität zu Köln mit interdisziplinären Teams aus Studierenden aus der Archäologie, Archäoinformatik und den Digital Humanities praktiziert, initiiert in den Lehrveranstaltungen von Sebastian Hageneuer (sein eigener Bericht zu diesem Roundtable-Gespräch findet sich hier). Er erläuterte uns in seinem Vortrag „Archaeogaming und Lehre. Ein interdisziplinärer Kurs zwischen Digitaler Archäologie und Digital Humanities“, dass eines der Ziele von Archaeogaming in der Lehre die wissenschaftliche Anreicherung und auch Richtigstellung des klischeehaften Abbilds von Indiana Jones und anderen Archäologen, welche in Spielen an exotischen Orten Rätsel lösen, Schätze heben und am Schluss alles zerstören, was ihnen unter die Finger kommt, sei. Die Resultate, nämlich spielbare Games, sind open access verfügbar, so dass jeder, der Lust hat, z.B. ein durcheinander geratenes Museum neu ordnen, Nofretete zurückbringen oder mit Schliemann Troja neu ausgraben kann.

 

The Schliemann Experience, 2023, Studierende der Universität zu Köln

Wiederum hybrid ist das Konzept der Familienflächen des Humboldt-Forums, die von Ute Marxreiter konzipiert und unter dem Titel „Digitales Storytelling in den Familienflächen des Ethnologischen Museums im HUF: Indigene und afrikanische Perspektiven“ präsentiert wurden. Inspiration dazu kam von indigenen Geschichten, die unter anderem in Amazonien während der Morgendämmerung in Hängematten liegend erzählt werden. Dieses Erzählen, indigenes Storytelling, dient der Gemeinschaft zur Vermittlung von Wissen und Moralvorstellungen. So erzählen auch Indigene in Audioinstallationen der ethnologischen Ausstellung Geschichten, während interaktive Waldflächen dazu einladen, selbst Protagonisten bei humoristischen, aber auch nachdenklich machenden Stories, wie zum Thema Abholzung, zu werden.

Protagonist wird man auch auf eine ganz neue Art und Weise, wenn man eines von 100 Stücken einer Replik des dreihundert Jahre alten Drachenteppichs aus dem Museum für Islamische Kunst bei sich tragen darf bis das Museum nach dem Umbau in ein paar Jahren wieder seine Türen öffnet. Wie dieses Projekt zustande kam, berichtete uns Farwah Rizvi in „Islamic·Art/STORIES. Wenn sich eine Tür schließt…“. Der Drachenteppich ist nur eines von vielen Objekten, die auf dem Online Portal des Museums ihre eigenen STORIES erhalten.

All diese Verwendungen von Digital Storytelling setzen auf Multiperspektivität, soziale Diversität und Reflektion über die eigene Wissens- bzw. Wissenschaftskultur zur Vermittlung von Vergangenheit in der Gegenwart. Sie explorieren das Zusammenspiel von Materialität und Digitalität, der Begegnung mit Dingen und dem Erzählen über diese Dinge durch Bilder und Worte im digitalen Raum. 

Wie kann Digital Storytelling als Strategie und Werkzeugkasten auch in der akademischen Lehre in den Altertumswissenschaften seinen Platz finden? Nach den anregenden Gesprächen im Roundtable, werden wir uns mit konkreten Umsetzungsfragen in einem internen Workshop am 8.12.2023 auseinandersetzen.

Wir danken allen Vortragenden und Diskussionsteilnehmern für das anregende Gespräch — und freuen uns auf zukünftigen Austausch!

Valery Schlegel & Elisa Roßberger

Beide Veranstaltungen wurden ermöglicht durch eine Förderung im Rahmen des Spotlight-Programms der FU Berlin und den Fachbereich für Geschichts- und Kulturwissenschaften.

 

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