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Tilmann Siebeneichner

Krieg und Frieden in der dritten Dimension: Europa und die Militarisierung des Weltraums in den 1970er Jahren

In den 1970er Jahren avancierte der Weltraum zu einer neuen und eigenständigen Arena militärischer Konflikte. Während die beiden Weltraumgroßmächte UdSSR und USA in der Post-Apollo-Ära zunehmend über militärische Anwendungsmöglichkeiten von Weltraumtechnologie diskutierten, trat die neugegründete European Space Agency (ESA) für eine friedliche und multilaterale Nutzung des Weltraums ein. Gleichzeitig beteiligten sich einzelne Mitgliedstaaten an der Entwicklung von militärisch ausgerichteten Raumfahrtprogrammen. Zu Beginn der 1980er Jahre wurden auch in Europa über einen eigenen Raketenschild im Weltraum debattiert. Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu üblichen Meistererzählungen, wonach die erste Phase des Kalten Krieges (bis in die 1960er Jahre) durch die Konzentration auf militärische Großprojekte charakterisiert war, während die letzte (von den 1970er bis zum Beginn der 1990er Jahre) vornehmlich zivilen Projekten gegolten habe, insbesondere in Europa und hier wiederum insbesondere im Bereich der Weltraumtechnologie. Dieser Gegensatz ignoriert nicht nur den konstitutiven „dual-use“-Charakter von Weltraumtechnologie, sondern unterstreicht zugleich die Ambivalenz nationaler Ermächtigungsprozesse wie auch supranationale Annäherungsversuche, die im Rekurs auf den Weltraum als utopischem Ort erfolgten.

Das Projekt untersucht, wie sich den Weltraum betreffende kontinentale Visionen und Ängste in zeitgenössischen technologischen und politischen Absichten niederschlugen. Indem es einerseits von sich wandelnden national-internationalen Dimensionen ausgeht und andererseits den ambivalenten Charakter von Weltraumtechnologie betont, fragt es nach den Zusammenhängen von europäischer Integration und technologischem Fortschritt. Nationale Traditionen (z.B. Eugen Sängers Konzept des Amerikabombers), politische Ambitionen (europäischer Raketenschild) und internationale Kooperationsbemühungen (Beteiligung am Skylab) in Deutschland und Großbritannien konstituierten verschiedene Spannungsfelder, in denen Europas Zukunft in den Sternen vorgestellt und verhandelt wurde. Die vergleichende Betrachtung Deutschlands und Großbritanniens eröffnet dabei unterschiedlich gelagerte und konfligierende Zugänge: Auf der Grundlage politischer, wissenschaftlicher und populärer Quellen werden geographische (Zentrum vs. Peripherie), nationale (NS-Vergangenheit vs. Empire-Tradition) und multilaterale (Europabegeisterung vs. -skepsis) Perspektiven rekonstruiert und daraufhin analysiert, wie sie die Debatten über Sinn und Zweck von Hochleistungstechnologien und deren außerirdischer Anwendung beeinflussten. Die Betonung der militärischen Implikationen problematisiert die dystopischen Dimensionen des europäischen Astrofuturismus, der in den 1970er Jahren zwischen Fortschrittsoptimismus, Technikfaszination, Sicherheitskalkül und Machtstreben oszillierte. Deutet die Formierung eines westeuropäischen Raumfahrtprogramms auf vielfältige Emanzipationsbestrebungen in transatlantischer Perspektive hin, wird herausgearbeitet, wie durch die Problematisierung und Profilierung von (Militär-)Technik politische, kulturelle und räumliche Grenzen neu verhandelt wurden, im Weltraum selbst wie in Europa.

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