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Abstracts

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Montag, 16. November 2015
SEKTION I: ORGANISMEN

Nils Helge Schebb (Lebensmittelchemie, Wuppertal)
Die (dünne) Datenbasis von Ratschlägen zur gesunden Ernährung am Beispiel der Fett(säure)zusammensetzung

Unter den Makronährstoffen steht Fett in Lebensmitteln im Mittelpunkt des Interesses: Fettreiche Lebensmittel werden nicht nur aufgrund ihres Energiegehaltes als ungesund empfunden. Der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren wird als gesundheitlich förderlich gesehen und positiv beworben. In dem Referat werden zunächst die Grundlage der Energieversorgung sowie gängige Hypothesen und Wirkmechanismen zur Erklärung der Wirkung der Fette/Fettsäurezusammensetzung vorgestellt und in den Kontext zu Erkrankungen gesetzt. Ferner wird die Datenbasis zur Wirkung der einzelnen Klassen an Fettsäuren exemplarisch anhand des Auftretens kardiovaskulärer Erkrankungen diskutiert.

Norbert Kriegisch (Medizin, München)
Gesunde oder richtige Ernährung? Einfluss der Ernährung auf chronische Erkrankungen

Für den Arzt stellt sich häufig die Frage, ob sich der Patient richtig ernährt. Oft stellt man fest, dass die landläufig als gesund propagierte Ernährung individuell aber verkehrt ist. Besonders bei chronischen Erkrankungen spielt die Ernährung eine außergewöhnlich große Bedeutung. Die Zusammenhänge und Auswirkungen werden aus Sicht einer 30-jährigen Beschäftigung mit dieser Fragestellung dargestellt und zugleich Lösungsmöglichkeiten präsentiert.

Nike Riedel (Medizin, Crans-Montana, Schweiz)
„Du bist, was ‚sie‘ essen.“ Wie die Darmkeime unsere Gesundheit beeinflussen und wie unsere Ernährung unsere Darmflora beeinflusst

Die Mikrobiota des Menschen (Gesamtheit aller Mikroorganismen, die in und auf uns wohnen) machen zehnmal mehr Zellen aus, als unsere Körper menschliche Zellen haben. Das Mikrobiom des Darmes von schlanken und adipösen Menschen unterscheidet sich. Durch die Transplantation von Mikrobiota konnten „Gesundheitsbenefits“ schlanker Probanden auf adipöse übertragen werden. Die Mikrobiota regulieren unser Immunsystem, haben Einfluss auf die Ausschüttung von Neurotransmittern und somit auf Hirnfunktion und Stimmungslage. Wir können durch die richtige Ernährung unserer Mikrobiota entscheidend Einfluss nehmen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. 

Erika Claupein (Ernährungswissenschaft, Karlsruhe)
Der Fleischkonsum in Deutschland nach soziodemografischen und gesundheitsbezogenen Merkmalen

Fleisch gilt, maßvoll genossen, als hochwertiges und gesundes Lebensmittel und ist bei vielen Menschen aufgrund seines Geschmacks sehr beliebt. Die Analyse der Nationalen Verzehrstudie II zeigt aber, dass die vorherrschende Ernährungspraxis in Deutschland im Hinblick auf Gesundheit und Nachhaltigkeit zu fleischlastig ist: 74% der Männer und 45% der Frauen essen mehr Fleisch als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Neben den Frauen sind es vor allem ältere Menschen und Menschen mit höherer Schulbildung, die weniger Fleisch essen und auch insgesamt häufiger eine gesündere und umwelt- und sozialfreundlichere Lebensmittelauswahl treffen.

 
Dienstag, 17. November 2015
SEKTION II: SEELE

Georg Oswald (Philosophie, Heidelberg)
Das gute Leben. Gesundheit als Voraussetzung für ein glückseliges Leben

In einem ersten Schritt stelle ich eine Definition des Lebens vor, wobei ich zwischen einem körperlichen und einem geistigen Leben differenzieren werde.  Obwohl es keine strenge Identitätsbeziehung zwischen Körper und subjektivem Geist gibt, korrelieren beide: kein Denken ohne Gehirn, keine freie Handlung ohne den Leib. Ein solcher subjektiver Geist, der erkennt, dass sein individueller Körper allgemeinen Naturgesetzmäßigkeiten unterworfen ist, und der sein Verhalten von diesen Erkenntnissen abhängig macht und sich und andere in ihnen wiedererkennt, lebt gesund. Gesundes Leben ist die Voraussetzung für ein glückseliges und gelingendes Leben, aber nicht dieses selbst.

Heike Rauser-Boldt (Psychotherapie, Dortmund)
Wenn das Essen nicht guttut. Ernährung und systemische Therapie

„Essen hält Leib und Seele zusammen“, sagt der Volksmund. Damit ist die Nahrungsaufnahme störanfällig bei seelischen Problemen. Und bestimmte Ernährung(sweis)en führen zu seelischen und körperlichen Problemen. In meinem Vortrag werde ich skizzieren, wie der Ansatz der systemischen Therapie bei Adipositas und anderen Essstörungen hilfreich sein kann, ohne dass exakte Diagnosen den Blick für Veränderungen verbauen. Von herausragender Bedeutung ist die therapeutische Haltung der Wertschätzung und des Nicht-Wissens. Der Patient/Klient ist Fachmann für seine Person. Die Therapeutin ist Fachfrau für den Prozess. Nach der Auftragsklärung und Zielvereinbarung (die beide bereits Teil der Therapie sind) schaut der Therapeut nach Mustern und ihren Veränderungsmöglichkeiten und interveniert, um durch Verstörung Denk- und Handlungsprozesse anzustoßen. Dabei ist es wichtig, den Kontext im Auge zu behalten.

Harald Lemke (Philosophie, Hamburg)
Von der Kritik der Gesundheitsgesellschaft zur Ethik einer neuen Gastropolitik

Grundgedanke einer Ethik des Essens – der Gastrosophie – ist es, möglichst alle relevanten Aspekte (sowohl die ökologischen, politischen, sozialen, kulturellen, ästhetischen als auch gesundheitlichen)  des menschlichen Nahrungsgeschehens in den Blick zu bekommen und mithilfe dieses trans-disziplinären bzw. umfassend-philosophischen Vorgehens „die Wahrheit des Ganzen“ unseres Essens zu reflektieren. In der gesellschaftlichen Debatte werden häufig ausschließlich die gesundheitlichen Aspekte thematisiert. Tatsächlich ist die weltweite Anzahl derer, die die gesundheitlichen Auswirkungen einer chronischen Überernährung zu spüren bekommen, inzwischen sogar höher als die Menge der Hungerleidenden. Während deren Elend schon länger Anlass für internationale Hilfsprogramme und Entwicklungspolitiken ist, werden hinsichtlich der „Adipositas-Pandemie“ (WHO) vor allem Kostenbelastungen für das öffentliche Gesundheitswesen thematisiert und entsprechende gesundheitspolitische Maßnahmen lanciert. Der Vortrag wird dieses „biopolitische Dispositiv“ (Foucault) hinterfragen und eine gastrosophische Kritik der Gesundheitsgesellschaft formulieren. Dem moralischen Gebot eines gesund ernährten Körpers soll die Idee einer guten (Tisch-) Gesellschaft bzw. die Utopie eines guten Essens für alle entgegengehalten werden, die sich – statt an einer normativ unsachgemäßen Gesundheitspolitik – an der Ethik einer neuen Gastropolitik orientiert.

 
Mittwoch, 18. November 2015
SEKTION III: STEUERUNG

Vicki Täubig (Erziehungswissenschaft, Siegen)
Ernährungspraktiken in der Pädagogik. Erziehung zur Gesundheit?

Der Erziehung kommt es in allen Gesellschaften zu, dem Kind ab der Geburt Praktiken der Ernährung zu vermitteln. Über diese Praktiken werden die jeweils geltenden Verständnisse von Gesundheit und gesunder Ernährung weitergegeben. Ernährungspraktiken kennzeichnen zugleich die private Erziehung in der Familie als auch die professionelle Erziehung in öffentlichen Einrichtungen, wie dem Kindergarten, der Schule oder Heimen. Das Referat zeigt diese Zusammenhänge auf und gibt einen Überblick über den Stand der Diskussionen zur Ernährung in den Erziehungswissenschaften sowie zur empirischen Forschung in pädagogischen Kontexten.

Alissa Theiß  (Literaturwissenschaft, Marburg)
Von der Harmonie der Säfte. Ernährungsphilosophie in der mittelhochdeutschen Literatur

Die aus der Antike übernommene Vier-Säfte-Lehre bildete auch die Basis für ernährungsmedizinische Fragen im Mittelalter. Wie präsent das Wissen um die Humoralpathologie war, legen Textstellen aus der mittelhochdeutschen Literatur nahe. Dass der Ritter Iwein aus dem gleichnamigen Roman Hartmanns von Aue den Verstand verliert und am ganzen Körper schwarz wird, lässt sich auf seine falsche Ernährung zurückführen. Im Parzival-Epos wird ein Gastgeber dafür getadelt, dass er einem Ritter Salat serviert, denn nach der Säftelehre dämpft dieser die Aggressivität, was der Kampfeslust abträglich ist. Für die damaligen Rezipienten scheint der Zusammenhang zwischen Ernährung und Gemütszustand einleuchtend gewesen sein, denn sie bedurfte keiner weiteren Erklärung. Das aus der Antike überlieferte Wissen war demnach zumindest in der höfischen Kultur fest verankert.

Norman Aselmeyer (Geschichte, Florenz)
Nahrungssorgen. Proletarische Perspektiven auf Gesundheit und Ernährung um 1900

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Armut und Gesundheit? Während einzelne Mediziner bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Armut als Ursache von Krankheiten und sozialer Ungleichheit identifizierten, konnte erst die Sozialhygiene um 1900 diese Beziehung wirksam vertreten. Die zeitgenössische Debatte teilt diesen kausalen und pauschalen Zusammenhang nicht mehr uneingeschränkt, zumindest für postindustrielle Gesellschaften. Der Vortrag bemüht sich jenseits dieser diskursiven Streitigkeiten um eine akteurszentrierte Perspektive und lässt historisch betroffene Individuen selbst sprechen. Anhand von deutschsprachigen autobiographischen Texten von Arbeitern und Arbeiterinnen, die größtenteils um 1900 entstanden sind, wird untersucht, ob und inwiefern die Autor/innen Ernährung hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Bedeutung problematisieren. Die Frage zielt damit nach dem spezifischen Gesundheitsbewusstsein industrieller Unterschichten zur Zeit der Jahrhundertwende.

Detlef Briesen (Geschichte, Gießen)
Thesen zu einer Geschichte der gesunden Ernährung

Bei den aktuellen Debatten um die Gesundheitspolitik spielt die Idee eine große Rolle, die Menschen zu einem stärker die Gesundheit berücksichtigenden Lebensstil zu motivieren. Davon wird eine erhebliche Kostenersparnis für das Gesundheitssystem erwartet, und ohnehin gilt die Verhaltensprävention als Mittel, unnötige Leiden und vorzeitiges Ableben von vornherein zu verhindern. Ein wichtiger Ansatz ist dabei die Prävention durch eine „gesunde“ Ernährung. Sie ist aus einem historischen Blickwinkel allerdings keine zeitgenössische Innovation, sondern eher eine Konstante, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der menschlichen Gesundheit zieht. Der Vortrag erläutert, wie wichtige Konzepte zur Prävention durch gesunde Ernährung entstanden sind. Er konzentriert sich dabei auf die kulturellen, sozialen und wissenschaftshistorischen Rahmenbedingungen dieser Gesundheitskonzepte. So lassen sich im historischen Verlauf stets jeweils andere Versionen des gesellschaftlichen Umgangs mit der menschlichen Gesundheit identifizieren, von mystisch-religiösen Vorstellungen bis hin zu den heute umfassenden Konzepten einer gesundheitlichen Rundumversorgung im Rahmen der „Gesundheitsgesellschaft“. Ihre Besonderheit ist, dass alle seit der Antike erarbeiteten Gesundheitskonzepte in verschiedenen Formen noch weiter wirken.

 
Donnerstag, 19. November 2015
SEKTION IV: UMWELT
Annelise Chapman (Ökologie, Ålesund, Norwegen)

Seaweeds as Future Staple Foods? Health Considerations Concerning People, Societies and Ecosystems

Seaweeds (macroalgae) are one example of ‘novel’ food items currently undergoing a renaissance in the western world. With ambitions to improve sustainable food production globally, seaweeds rank highly among the many underutilized marine resources which have a large potential to meet the demands laid out for future bio-economic exploration of the world’s oceans and coasts. Aside from being ‘healthy’ (i.e. nutritious, rich in vitamins and having many other useful medicinal properties), seaweeds are also interesting in the context of sustainable and climate-positive food production: They provide carbon sinks and, in contrast to terrestrial food crops, do not rely on globally scarce fresh water resources and limited land area. Can seaweeds as food be used as an example to take a holistic perspective on health by integrating aspects of individual human, societal and ecosystem health? 

Stefanie Glathe (Biochemie, Schwalbach)

Religiös motivierte Ernährungsregeln und ihr Einfluss auf Gesundheit und Umwelt. Das Beispiel der Nath und Bishnoi in Indien

Vor etwa 500 Jahren entstanden religiös motiviert die Gemeinschaften der Bishnoi und der Nath in der Wüste in West-Rajasthan in Indien. Die Gründer beider Gemeinschaften, Jambeshwar und Jasnath Ji, berufen sich auf den legendären wandernden Lehrer Goraknath. Neben dem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel (lacto-vegetarische Ernährung), dreht sich ihre Kultur um Gewaltlosigkeit, Liebe zu Mensch und Tier, Achtung der Frau, Reinhaltung des Körpers und das Verbot von Suchtmitteln. Diese Regeln sind wegen der Kriegszustände und Einwanderungen fremder Völker in der damaligen Zeit als Rückbesinnung auf verlorene Werte der hinduistischen Kultur zu verstehen. Im Gegensatz zu vorwiegend gesundheitlichen Erwägungen im heutigen Europa ist der Hintergrund in Rajasthan historisch die nachhaltige Nutzung  begrenzter Ressourcen. Im Referat soll dargestellt werden, wie durch kulturbedingte Ernährungsweise die Bevölkerung (gesund) erhalten und die Vielfalt der Wüstenflora und -fauna in Rajasthan bewahrt werden konnte.

Bernd Eggen (Klimaforschung, Oxford, UK)

Gesundheitsaspekte von Klimawandel und Ernährung. Water-Energy-Food-Nexus 

Klimawandel hat weitgehende Folgen für Natur und Gesellschaft. Die Ernährung ist vielfältig davon betroffen, Veränderungen der Niederschlagsmengen wirken sich unter Umständen negativ auf Erntebeträge und Ernährungswerte auf. Unwetter können Ernten stark reduzieren, Ernteausfälle führen zu Preisanstiegen von Nahrungsmitteln, Ernährungsdefizite können folgen. Indirekt bringt auch Bioenergieerzeugung Ernteeinbußen. Andersherum wirken sich unsere Ernährungsgewohnheiten auf das Klimasystem aus, die Landwirtschaft produziert klimaschädliche Gase, zu viele Lebensmittel werden von zu weit her importiert, in vielen Diäten wird zu viel Fleisch konsumiert, was angesichts des Energie- und Wasserverbrauchs verschwenderisch ist und auch dem Klimaschutz abträglich. Empfehlungen für klimaschonende, nachhaltige, attraktive und gesunde Ernährung gibt es viele, im Referat wird erörtert, welche Maßnahmen sinnvoll und relevant sind und auch durch Evidenz zu belegen. Davon ausgehend können Handlungspläne für eine gesunde Ernährung erarbeitet werden.


Informationen erhalten Sie unter: gue@geschkult.fu-berlin.de

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